BT-Drucksache 17/187

Geplante Änderungen des Kinderzuschlags

Vom 9. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/187
17. Wahlperiode 09. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Jörn Wunderlich, Klaus Ernst,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Katja Kipping, Ingrid Remmers,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Geplante Änderungen des Kinderzuschlags

Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat am 28. November 2007 vor dem
Deutschen Bundestag wörtlich erklärt: „Wir wollen, dass niemand wegen der
Kinder in die Bedürftigkeit fällt; deshalb muss der Kinderzuschlag weiterent-
wickelt werden. (…) Deshalb werden wir den Kinderzuschlag erhöhen und ver-
einfachen.“ (Plenarprotokoll 16/129, S. 13526 A). In ihrer Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. führt die Bundesregierung aus: „Die
Bundesregierung beabsichtigt jedoch nicht, den maximalen Kinderzuschlag für
die einzelnen Berechtigten bzw. die jeweiligen Kinder zu erhöhen. Dieser soll
auch künftig aus seiner Funktion abgeleitet werden, zusammen mit dem Kinder-
geld und dem anteiligen Wohngeld den Bedarf der Kinder zu decken“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/7952).

Mit der Reform des Kinderzuschlags 2008 wurde das sogenannte kleine Wahl-
recht für Alleinerziehende eingeführt. Hiernach ist es diesen möglich, den
Kinderzuschlag zu beziehen, obwohl sie die Hilfebedürftigkeit nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht überwunden haben. Hierzu
führte die Bundesregierung in der Antwort auf eine weitere Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. aus: „Ziel ist nicht, dass Alleinerziehende statt der exis-
tenzsichernden Grundsicherungsleistungen den Kinderzuschlag beziehen, son-
dern dass sie die Möglichkeit haben, den Kinderzuschlag beziehen zu können,
wenn sie Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch nehmen wollen“ (Bun-
destagsdrucksache 16/12643).

Am 10. November 2009, rund zwei Jahre nach den oben genannten Ausführun-
gen, erklärte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung: „Wir wollen den
Kinderzuschlag weiterentwickeln, weil niemand wegen seiner Kinder in staat-
liche Abhängigkeit geraten sollte“ (Plenarprotokoll 17/3, S. 33 C). Nur fünf Tage
später erklärt der Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, in der Sendung
„Anne Will“ am 15. November 2009: „Wir haben bereits im letzten Jahr die
Maßnahmen für Kinder im Rahmen von Hartz IV, den Kinderzuschlag für
Niedrigeinkommen deutlich erhöht.“ Dies wird ergänzt von der ehemaligen Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der

Leyen, die Ungerechtigkeiten beim Kinderzuschlag beheben will: „Wir könnten
damit rund 500.000 Kinder insgesamt erreichen – 200.000 mehr als momentan –,
die dann aus Hartz IV raus wären“ (http://www.topnews.de/von-der-leyen-will-
voraussetzungen-fuer-kinderzuschlag-wesentlich-verbessern-379132).

Die Bundesministerin führte dort weiter aus, dass der Kinderzuschlag aktuell
zwei Schwächen habe. Zum einen: „Die Wahlmöglichkeit zwischen Hartz IV

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und Kinderzuschlag ist derzeit nicht gegeben“. Zum anderen könne es sein, dass
„… nur ein einziger Euro zusätzlichen Verdiensts dazu führt, dass 70 Euro
Kinderzuschlag wegfallen.“

Bei der ersten „Schwäche“ plädierte die Bundesministerin im Kern dafür, das
„kleine Wahlrecht“ auf alle Familien auszuweiten. Damit würde der Kinderzu-
schlag zu einer „Wahl“-Alternative zu Hartz IV. Um den Zwängen von Hartz IV
zu entgehen, würde den Familien dann angeboten, unterhalb des im SGB II
vorgesehenen Existenzminimums zu leben.

Die zweite „Schwäche“ der jetzigen Praxis hat ihre Ursache in den erst vor einem
Jahr von der Bundesregierung verbesserten Einkommensgrenzen. Auf die Pro-
bleme der Einkommensgrenzen hatte die Fraktion DIE LINKE. unter anderem
auch in einem Antrag hingewiesen: „Die bisherige Berechnung des Kinder-
zuschlags unter Berücksichtigung einer Mindest- und Höchsteinkommensgrenze
ist in der Praxis hoch kompliziert und nicht praktikabel. Die komplizierte
Berechnung und der schmale Korridor zwischen Mindest- und Höchsteinkom-
mensgrenzen führen zu Ablehnungsquoten für den Kinderzuschlag von über
87 Prozent. Deshalb müssen die Einkommensgrenzen entfallen, damit der
Berechtigtenkreis deutlich ausgeweitet wird“ (Bundestagsdrucksache 16/9746).
Diese Forderung wurde zum damaligen Zeitpunkt weder von der Bundes-
kanzlerin Dr. Angela Merkel noch der Bundesministerin für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen, aufgegriffen oder gar befürwortet.
Nun präsentieren sie im Kern diese Änderungswünsche als ihre Initiative.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung die Einkommensgrenzen für den Anspruch auf
Kinderzuschlag zu verändern?

Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Streichung der Einkom-
mensgrenzen, wie es die Fraktion DIE LINKE. schon in der 16. Wahlperiode
gefordert hat, am ehesten geeignet wäre, Einkommensbrüche, wie sie die ehe-
malige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Ursula von der Leyen, angesprochen hat, zu vermeiden (bitte begründen)?

2. Wie viele Familien und wie viele Kinder würden durch den Wegfall der Ein-
kommensgrenzen zusätzlich anspruchsberechtigt?

Welche Ausgabenwirkungen hätte dies in den einzelnen Bereichen (SGB II,
Wohngeld, Kinderzuschlag), und wer würde wie viele dieser Ausgaben tragen
(Bund, Länder oder Kommunen)?

3. Plant die Bundesregierung, die Regelung abzuschaffen, nach der der Kinder-
zuschlag gezahlt wird, wenn die Familie hierdurch nicht unter das Existenz-
minimum im Sinne des SGB II fällt?

Wenn nein, wie will sie ermöglichen, dass Familien zwischen Leistungen
nach dem SGB II und dem Kinderzuschlag wählen können, obwohl die
Bedarfsdeckung im Sinne des SGB II Anspruchsvoraussetzung des Kinder-
zuschlags ist?

4. Wie viele Familien und wie viele Kinder würden durch die Wahlmöglichkeit
trotz Unterdeckung des Bedarfs zusätzlich anspruchsberechtigt?

Wie viele dieser Familien und dieser Kinder würden aus dem Bezug von So-
zialgeld in den Bezug des Kinderzuschlags wechseln?

5. Welche Ausgabenwirkungen hätte dies in den einzelnen Bereichen (SGB II,
Wohngeld, Kinderzuschlag), und wer würde wie viele dieser Ausgaben tragen
(Bund, Länder oder Kommunen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/187

6. Wie bewertet die Bundesregierung die oben genannte Aussage des General-
sekretärs der CDU, nach der dieser behauptet, die Bundesregierung habe den
Kinderzuschlag erhöht?

Würde die Bundesregierung zustimmen, dass der Kinderzuschlag nicht er-
höht wurde (bitte begründen)?

7. Plant die Bundesregierung den Kinderzuschlag pro Kind zu erhöhen, und
wenn ja, um wie viel (bitte begründen)?

8. Plant die Bundesregierung den Kinderzuschlag analog zu den Kinderregel-
sätzen im SGB II zu staffeln, damit Eltern, die ihren Bedarf decken können,
nicht nur deswegen hilfebedürftig werden, weil ihr Kind ein Jahr älter wurde
(beispielsweise Vollendung des fünften Lebensjahres) und somit der Bedarf
im Sinne des SGB II angestiegen ist?

Findet die Bundesregierung es eine sinnvolle sozialpolitische Maßnahme,
statt den Kinderzuschlag zu staffeln, den Familien in einem solchen Fall an-
zubieten, freiwillig auf ihr Existenzminimum zu verzichten und trotz Be-
darfsunterdeckung der Familie zu ermöglichen, den Kinderzuschlag weiter
zu beziehen?

9. Was versteht die Bundesregierung unter der Aussage der Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung, dass „niemand wegen sei-
ner Kinder in staatliche Abhängigkeit“ geraten solle, wenn die Alternativen
Leistungen nach dem SGB II oder des Kinderzuschlags sind?

Erzeugt der Kinderzuschlag nicht eine Abhängigkeit von staatlichen Leis-
tungen (bitte begründen)?

10. Beinhaltet die Aussage, die „Rahmenbedingungen für Alleinerziehende
durch ein Maßnahmenpaket (zu) verbessern“ im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und FDP die Erwägung, Alleinerziehenden ergänzend zum
Kinderzuschlag einen Aufstockungsbetrag analog der Mehrbedarfe nach
dem SGB II zu zahlen (bitte begründen)?

Geht die Bundesregierung davon aus, dass sie Alleinerziehenden durch die
bestehende Regelung zum „kleinen Wahlrecht“ beim Kinderzuschlag die
Aufnahme von Arbeit finanziell attraktiv gestaltet (bitte begründen)?

11. Wie gedenkt die Bundesregierung die Existenzsicherung von Kindern armer
Eltern zu gewährleisten und damit dem Verfassungsgebot einer ausreichen-
den Existenzsicherung nachzukommen angesichts der Einführung eines
Wahlrechts beim Kinderzuschlag, das Eltern explizit animiert, ihre Kinder in
Bedürftigkeit aufwachsen zu lassen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage, dass die Einführung eines
Wahlrechts beim Kinderzuschlag eine staatlich angebotene und präjudizierte
systematische Unterversorgung von Kindern armer Eltern ist?

Berlin, den 9. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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