BT-Drucksache 17/185

Schwächung der Wirtschaft durch Riester-Sparen

Vom 9. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/185
17. Wahlperiode 09. 12. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun Dittrich,
Katja Kipping, Harald Koch, Jutta Krellmann, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring,
Richard Pitterle, Ingrid Remmers und der Fraktion DIE LINKE.

Schwächung der Wirtschaft durch Riester-Sparen

Mit den Rentenreformen 2001 und 2004 wurde ein Zielwechsel in der Renten-
politik eingeleitet. Im Mittelpunkt der gesetzlichen Rentenversicherung steht seit-
dem nicht mehr die Sicherung des Lebensstandards im Alter, sondern die Höhe
des Beitragssatzes. Um einen Anstieg des Beitrags zu vermeiden, hat die
Bundesregierung zunächst eine langfristig wirksame deutliche Absenkung des
Rentenniveaus, später dann zusätzlich eine Heraufsetzung des Rentenalters
beschlossen. Diese Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
sollen von den Beschäftigten durch den staatlich geförderten Aufbau eines priva-
ten Kapitalstocks (Riester-Rente) ohne Arbeitgeberbeteiligung sowie weiteres
Altersvorsorgesparen in kapitalgedeckten Systemen ausgeglichen werden.

Es bestehen jedoch begründete Zweifel, dass diese Strategie zur Kompensation
des sinkenden Niveaus der gesetzlichen Rente tatsächlich aufgehen wird. Auf
individueller Ebene führt die Strategie zu einer ungenügenden Sicherung im
Alter und zu einer einseitigen Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunktur-
forschung (Logeay, Camille/Meinhardt, Volker/Rietzler, Katja/Zwiener, Rudolf:
Gesamtwirtschaftliche Folgen des kapitalgedeckten Rentensystems. Zwischen
Illusion und Wirklichkeit, IMK Report Nr. 43/November 2009) zeigt außerdem,
dass diese Strategie auch gesamtwirtschaftlich negative Auswirkungen zeitigt,
weil das verstärkte Kapitalsparen Wachstumsprobleme erzeugt.

Jede zusätzliche Erhöhung des privaten Sparens für die Alterssicherung bedeutet
einerseits den Abzug vom verfügbaren Einkommen in der Gegenwart und damit
die Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach Gütern und Dienst-
leistungen. Andererseits wirkt sich dies wiederum auf die Sachkapitalbildung
aus, also die Investitionen. Ob und wie überhaupt in der Zukunft die Renten
bezahlt werden können, ist und bleibt eine Verteilungsfrage, die gesamtwirt-
schaftlich gelöst werden muss. Zusätzliches privates Sparen kann und wird die
gesellschaftlichen Probleme nicht lösen, denn eine Gesellschaft kann kein Geld-
vermögen in die Zukunft transportieren, sondern nur Realkapital.
Unabhängig von den heute kaum zu erfassenden Folgen der Teilprivatisierung
der Alterssicherung und den Entwicklungen hinsichtlich des Rentenniveaus und
der Zunahme von Altersarmut bis zum Jahr 2030 lässt sich relativ deutlich fest-
stellen, wer die „Hauptgewinner“ der Rentenform sind: Der Beitragssatz bleibt
allein für die Arbeitgeber stabil – bis 2020 bei 20 Prozent und bis 2030 bei
22 Prozent. Die Beschäftigten müssen dagegen vier Prozent ihres Bruttolohns in
eine Riester-Rente und weitere drei Prozent in eine andere private oder be-

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triebliche Alterssicherung stecken, um das Gesamtversorgungsniveau zu halten.
Weder die Reduzierung des Beitragssatzes bzw. sein geringerer Anstieg noch die
staatliche Förderung können diese zusätzlichen Belastungen kompensieren. Real
werden die Beschäftigten einen deutlich höheren Anteil vom Lohn zur Finanzie-
rung ihrer Alterssicherung als vor den Reformen aufbringen müssen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie sich seit Einfüh-
rung der Riester-Rente die Sparquote (insgesamt sowie differenziert nach
abhängig Beschäftigten, Selbständigen, Rentnerinnen und Rentnern sowie
Einkommensquartilen) entwickelt hat?

2. Hat sie Erkenntnisse darüber, welcher Anteil der gestiegenen Sparquote seit
2001 auf ein erhöhtes Vorsorgesparen zurückgeführt werden kann?

3. Hält die Bundesregierung die Ergebnisse der genannten IMK-Studie für
stichhaltig, nach denen die Hälfte des Anstiegs der Sparquote seit 2001 auf
erhöhtes Vorsorgesparen zurückzuführen ist (bitte begründen)?

4. Wie bewertet sie, dass sich der Studie zufolge die gesamtwirtschaftlichen
Auswirkungen so darstellen, dass die durch das Riester-Sparen induzierte
schlechtere wirtschaftliche Entwicklung letztlich die „Einsparerfolge“ bei
den Ausgaben der Rentenversicherung für den Staat insgesamt wieder zu-
nichte gemacht hat?

5. Kann die Bundesregierung – unabhängig von den konkreten Ergebnissen der
Studie – den Zusammenhang bestätigen, dass über die veränderte Einkom-
mensverteilung hinausgehende verstärkte Sparanstrengungen den privaten
Konsum dämpfen und eine solche Dämpfung zwangsläufig das Wirtschafts-
und Beschäftigungswachstums hemmt, oder wie würde sie den Zusammen-
hang zwischen sparen und Wirtschaftswachstum beschreiben?

6. Ist die Erhöhung der Sparquote der Beschäftigten nach Auffassung der Bun-
desregierung eine notwendige Voraussetzung, um beim Renteneintritt ein
höheres Kapitalvermögen aus der privaten Altersvorsorge und damit einen
Ausgleich für das abnehmende umlagefinanzierte Rentenniveau zu gewähr-
leisten?

7. Kann die Bundesregierung die Effekte der dämpfenden Wirkung durch das
Riester-Sparen auf die Konsumnachfrage quantifizieren?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung – unabhängig von
den Ergebnissen der Studie – aus der Möglichkeit, dass das Riester-Sparen
gesamtwirtschaftlich negative Effekte haben könnte, die die erwünschten
Einspareffekte zunichte machen?

9. Stimmt die Bundesregierung dem in der genannten Studie aufgestellten Zu-
sammenhang zu, dass eine „alternde Gesellschaft wie die Deutschlands […]
zwangsläufig in Zukunft bei Aufrechterhaltung der Sicherungsansprüche für
die Älteren einen größeren Teil ihres Volkseinkommens für die zahlenmäßig
steigende Rentnergeneration zur Verfügung stellen [muss]“, und welche ge-
sellschaftlichen Gruppen sollen sich ihrer Meinung nach an den sich hier-
durch ergebenden Ausgaben zukünftig gegenüber heute stärker und welche
weniger stark beteiligen?

10. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass auch das Kapital-
deckungsverfahren von Veränderungen der Lebenserwartung oder der Be-
völkerungs- und Erwerbsstruktur beeinflusst wird, und welche Zusam-
menhänge sieht sie in dieser Hinsicht?

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11. Welche Risiken und welche Vorteile sind aus Sicht der Bundesregierung für
die jeweiligen Verfahren zu identifizieren, und wie hoch schätzt sie diese ge-
genwärtig und für die Zukunft ein?

12. Stimmt die Bundesregierung zu, dass das umlagefinanzierte deutsche Ren-
tensystem im Vergleich zu kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen besser
gegen Krisen des Finanzsystems und der Wirtschaft gefeit ist, weil es mit der
Bruttolohn- und Gehaltssumme der sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigten über eine vergleichsweise stabile Einnahmebasis verfügt und nicht in-
solvent werden kann, und wenn nein, warum vertritt sie hierzu eine andere
Auffassung?

13. Würde die Bundesregierung zustimmen, dass, selbst wenn krisenbedingte
Verluste kapitalgedeckter Systeme nach einigen Jahren durch wieder stei-
gende Kurse wettgemacht würden, kurzfristig in einer solchen Situation die
Konjunktur destabilisierende Wirkungen von ihnen ausgehen?

14. Wie geht die Bundesregierung mit dem in der genannten Studie des IMK ge-
äußerten Vorwurf um, ihre Prognosen für das Gesamtversorgungsniveau aus
gesetzlicher Rente und zusätzlicher kapitalgedeckter Altersvorsorge im
Alterssicherungsbericht 2008 seien zu optimistisch, weil die Annahme, die
Steuerentlastung durch das Alterseinkünftegesetz würde vollständig zur
Alterssicherung gespart, unrealistisch und die unterstellte durchschnittliche
Rendite von vier Prozent jährlich zu hoch gegriffen sei?

15. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass das Ge-
samtversorgungsniveau aus gesetzlicher Rente und Riester-Rente laut Ren-
tenversicherungsbericht bis 2023 vor allem deshalb stabil gehalten werden
kann, weil es infolge der Aussetzung des Riester-Faktors in 2009 zu einem
deutlichen Zuwachs des Sicherungsniveaus vor Steuern der gesetzlichen
Rente kommt?

16. Wie erklärt und bewertet die Bundesregierung, dass die Höhe der Bruttostan-
dardrente laut Rentenversicherungsbericht 2009 (Übersicht B 8, S. 38) mit
1 500 Euro im Jahr 2022 voraussichtlich um 81 Euro und damit gut fünf Pro-
zent niedriger liegen wird als noch im Rentenversicherungsbericht 2008
(Übersicht B 8, S. 39) für das entsprechende Jahr prognostiziert?

17. Wie hoch müsste der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung ge-
genwärtig, 2020 und 2030 jeweils liegen, wenn das Bruttorentenniveau auf
dem Stand von 2000 gehalten und nicht durch Dämpfungsfaktoren abge-
senkt worden wäre bzw. noch würde?

18. Wie stellt sich die daraus ergebende Belastung für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auf der einen und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf
der anderen Seite gegenwärtig, 2020 und 2030 dar, wenn die Beschäftigten
– wie politisch gewollt – vier Prozent ihres Bruttoeinkommens im Rahmen
einer Riester-Rente sparen sowie die Steuerentlastungen durch das Alters-
einkünftegesetz in einer weiteren Form der kapitalgedeckten Alters-
vorsorge anlegen?

19. Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen, dass die Belastung
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Strategie der Lebens-
standardsicherung durch die drei Säulen der Alterssicherung höher ist als
wenn die Lebensstandardsicherung weiterhin über die gesetzliche Rente
gewährleistet wäre, der Beitragssatz entsprechend höher läge und die Arbeit-
geber paritätisch an der Finanzierung beteiligt wären?

20. Stimmt die Bundesregierung zu, dass mit der Deckelung des Beitragssatzes
zur gesetzlichen Rentenversicherung auf 20 Prozent bis 2020 und 22 Prozent

bis 2030 allein die Arbeitgeber entlastet werden und die in einer alternden

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Gesellschaft zwangsläufig wachsenden Lasten der Alterssicherung einseitig
den Beschäftigten aufgebürdet werden?

Wenn nein, warum vertritt sie eine andere Auffassung dazu?

21. Wie ist aus Sicht der Bundesregierung eine solch einseitige Lastenverteilung
zu rechtfertigen?

Berlin, den 9. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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