BT-Drucksache 17/1735

Risiken der Altersarmut verringern - Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose erhöhen

Vom 18. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1735
17. Wahlperiode 18. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
Heidrun Dittrich, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Risiken der Altersarmut verringern – Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose
erhöhen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Armut im Alter ist vermeidbar. Bereits heute können wir klar erkennen: Lang-
zeiterwerbslosigkeit ist neben Niedriglöhnen, Erwerbsminderung sowie der
politisch herbeigeführten dramatischen Absenkung des allgemeinen Niveaus
der gesetzlichen Rente eine zentrale Ursache künftiger Altersarmut. Seit Mitte
der 90er-Jahre sank aufgrund politischer Eingriffe der durchschnittliche Betrag,
der im Rahmen der Arbeitslosenhilfe für Langzeiterwerbslose in die Renten-
kasse eingezahlt wurde. Mit Hartz IV wurde der Beitrag, der für Langzeit-
erwerbslose in die Rentenkasse eingezahlt wird, nochmals politisch herab-
gedrückt. Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD kürzte den Beitrag
schließlich noch einmal um die Hälfte. Im Ergebnis führen diese Kürzungen zu
einer Minirente für Langzeiterwerbslose. Zwar stellt die Rentenversicherungs-
pflicht für Langzeiterwerbslose im Hartz-IV-Bezug eine Verbesserung gegenü-
ber dem System der früheren Sozialhilfe im Bundessozialhilfegesetz dar. Aber
sie bleibt mit Blick auf das Risiko der Altersarmut bestenfalls symbolisch. Pro
Jahr Hartz-IV-Bezug erreichen die Betroffenen derzeit nur noch einen Renten-
anspruch von monatlich 2,09 Euro.

Die Folgen dieser unzureichenden Absicherung müssen in erster Linie die Be-
troffenen tragen, deren Armut im Alter damit vorprogrammiert ist. Die Kosten
werden aber auch auf die Kommunen und die Rentenkassen abgewälzt. Denn
sofern die Langzeiterwerbslosen von heute nicht besser gegen Altersarmut ge-
schützt werden, sind sie die Empfängerinnen und Empfänger von Grundsiche-
rungsleistungen von morgen. Für die Grundsicherung im Rentenalter müssen
die Kommunen zahlen. Zahlen müssen aber auch die Rentenkassen. Denn
Langzeiterwerbslose erwerben durch die Hartz-IV-Beiträge Ansprüche auf
Leistungen bei Rehabilitation und Erwerbsminderung. Das ist gut so. Die damit
entstehenden Kosten werden jedoch nicht ansatzweise durch die Minibeiträge
in Höhe von 40 Euro im Monat gedeckt. Langzeiterwerbslosigkeit und Alters-
armut sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Die Folgen und Kosten dürfen
daher weder bei den Betroffenen noch bei den Kommunen und Rentenkassen
abgeladen werden.

Um die Altersarmut von Langzeiterwerbslosen zu verhindern, ist eine deutliche
Verbesserung ihrer rentenrechtlichen Absicherung erforderlich. Gerechtigkeits-
probleme gegenüber Arbeitslosengeld-I-Beziehenden und Beschäftigten im
Niedriglohnsektor müssen dabei vermieden werden. Darum gilt es, dafür zu

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sorgen, dass auch Arbeitslosengeld- und Niedriglohnbeziehende Rentenanwart-
schaften erwerben, die sie vor Altersarmut schützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

gesetzliche Initiativen vorzubereiten und vorzulegen, die folgende Maßnahmen
zur Verringerung der Risiken von Altersarmut beinhalten:

1. Die Träger der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) übernehmen für Zeiten des Arbeitslosengeld-II-Bezugs Beiträge
nach der Hälfte des Durchschnittsentgelts. Für Zeiten des Bezugs von Ar-
beitslosengeld II entstünde dadurch ein Rentenanspruch von 0,5 Entgelt-
punkten.

2. Die Rente nach Mindestentgeltpunkten gemäß § 262 SGB VI wird entfristet.

3. Ein die Existenz sichernder flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn
wird eingeführt, der in dieser Legislaturperiode auf 10 Euro je Stunde steigt.

Berlin, den 18. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Bereits in der Arbeitslosenhilfe wurden die Rentenbeiträge für Langzeiter-
werbslose seit Mitte der 90er-Jahre sukzessive abgesenkt. Betrug der so ge-
nannte Monatskopfsatz 1996 durchschnittlich 236 Euro, lag er kurz bevor die
Arbeitslosenhilfe im Zuge der Hartz-Reformen abgeschafft wurde nur noch bei
102 Euro. Mit der Einführung von Hartz IV wurde der von den Trägern der
Grundsicherung für Arbeitslosengeld-II-Beziehende an die gesetzliche Renten-
versicherung geleistete Beitrag zunächst auf monatlich 78 Euro festgesetzt. Die
große Koalition aus CDU, CSU und SPD kürzte diesen jedoch bereits 2006 um
fast die Hälfte auf die bis dato geltenden 40 Euro im Monat. Daraus erwächst
Langzeiterwerbslosen ein lediglich symbolischer Rentenanspruch von aktuell
2,09 Euro im Monat. Altersarmut ist damit bei länger andauernder Erwerbs-
losigkeit vorprogrammiert. Davor warnen sowohl Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler als auch Gewerkschaften und Sozialverbände.

Studien wie die von Mika und Baumann (Mika, Tatjana/Baumann, Jochen:
Soziale Konsequenzen der Abschaffung des Vorruhestands für Langzeitarbeits-
lose, WSI-Mitteilungen 11/2008 und 12/2008, S. 605 ff.), des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung (Geyer, Johannes/ Steiner, Viktor: Künftige Al-
tersrenten in Deutschland: Relative Stabilität im Westen, starker Rückgang im
Osten, in: DIW-Wochenbericht Nr. 11/2010) sowie des Instituts für Wirtschafts-
forschung Halle (Kumpmann, Ingmar/Gühne, Michael/Buscher, Herbert S.: Ar-
mut im Alter – Ursachenanalyse und eine Projektion für das Jahr 2023, IWH-
Diskussionspapiere Nr. 8, April 2010) zeigen, dass Langzeiterwerbslosigkeit
ein zentrales Risiko für Altersarmut ist und dieses künftig besonders im Osten
Deutschlands zu Armutsrenten führen wird. Auch die Deutsche Rentenversi-
cherung Bund befürwortet deshalb eine bessere Absicherung von Zeiten der
Arbeitslosigkeit.

Würden für Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II Beiträge zur gesetz-
lichen Rentenversicherung in Höhe der Hälfte des Durchschnittsentgelts geleis-
tet, entspräche dies einem Beitrag von 250 Euro im Monat und einem späteren

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1735

Rentenanspruch von 13,60 Euro im Westen und 12,10 Euro im Osten (nach
aktuellen Rentenwerten). Der Rentenanspruch würde damit um das 6,5-Fache
höher ausfallen als nach der jetzigen Regelung. Damit würde ein Beitrag zur
Verhinderung von Altersarmut von Langzeiterwerbslosen geleistet. Würde eine
solche Regelung isoliert eingeführt, könnte es gegenüber Arbeitslosengeld- und
Niedriglohnbeziehenden zu Gerechtigkeitsproblemen kommen. Versicherte mit
einem geringen Arbeitslosengeld, die aber oberhalb der Hilfebedürftigkeits-
schwelle des SGB II bleiben, wären aufgrund der Einkommensabhängig-
keit ihrer Rentenbeiträge unter Umständen schlechter gestellt als Arbeitslosen-
geld-II-Beziehende. Gleiches gälte für Beschäftigte mit sehr geringen Erwerbs-
einkommen.

Dieses Problem könnte jedoch mit einer Entfristung der für Beitragszeiten bis
1992 geltenden Rente nach Mindesteinkommen (§ 262 SGB VI) weitgehend
behoben werden. Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs ab 1997 würden dann
ebenso wie geringe Entgelte um die Hälfte auf maximal 75 Prozent des Durch-
schnittsentgelts hochgewertet, wenn 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten vorhan-
den sind. Ein die Existenz sichernder gesetzlicher Mindestlohn würde außer-
dem verhindern, dass Versicherte auch mit der Rente nach Mindesteinkommen
die im Arbeitslosengeld II gewährten 0,5 Entgeltpunkte nicht erreichen. Das
Problem, dass für erwerbstätige Hilfebedürftige nach dem SGB II von den Trä-
gern der Grundsicherung für Arbeitsuchende keine Beiträge an die gesetzliche
Rentenversicherung abgeführt werden, wenn diese nur im Bereich der Kosten
für Unterkunft aufstocken müssen, ließe sich damit ebenfalls beheben. Denn sie
würden qua gesetzlichem Mindestlohn und Rente nach Mindesteinkommen
bessere Rentenanwartschaften erwerben und in den meisten Fällen vollständig
aus dem Grundsicherungsanspruch „herauswachsen“.

Für Langzeiterwerbslose, die allein aufgrund des Einkommens oder Vermögens
der Partnerinnen oder Partner keinen eigenen Anspruch auf Arbeitslosengeld II
haben, wird eine Verbesserung ihrer rentenrechtlichen Absicherung dadurch
erreicht werden, dass sie einen eigenständigen Anspruch auf Leistungen nach
dem SGB II erhalten. Die Mindestsicherung muss sich am Individualprinzip
orientieren, d. h. jeder bedürftige Mensch hat einen eigenen Anspruch unter Be-
rücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) (vgl. hierzu die entsprechenden Forderungen in dem Antrag der Frak-
tion DIE LINKE.: „Weg mit Hartz IV – Für gute Arbeit und eine sanktionsfreie,
bedarfsdeckende Mindestsicherung“, Bundestagsdrucksache 17/659).

Abgesehen von der Auflösung der beschriebenen Gerechtigkeitsproblematik ei-
ner isolierten Anhebung der Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose sowie des
Problems des ergänzenden SGB-II-Bezugs würden die Entfristung der Rente
nach Mindesteinkommen sowie die Einführung eines die Existenz sichernden
gesetzlichen Mindestlohns auch generell dazu beitragen, zentrale Risiken künf-
tiger Altersarmut zu beseitigen. Der gesetzliche Mindestlohn müsste nicht nur
im Sinne der gegenwärtigen Existenzsicherung, sondern auch mit Blick auf die
daraus erwachsenden späteren Rentenansprüche 10 Euro je Stunde betragen.
Denn aktuell erreicht ein Versicherter mit 45 Beitragsjahren erst bei einem
Stundenlohn von 9,47 Euro eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung im
Alter (vgl. Schulten, Thorsten: Guter Lohn für gute Rente, WSI-Diskussions-
papier Nr. 164, Düsseldorf, Juni 2009).

Die verbesserten Rentenbeiträge für Beziehende von Arbeitslosengeld II in
Höhe von ca. 10 Mrd. Euro wären als gesamtgesellschaftliche Aufgaben aus
dem Steueraufkommen zu finanzieren. Inwiefern auch die Entfristung der
Rente nach Mindesteinkommen aus Steuern bezahlt oder aus den Mitteln einer
durch den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer solidarischen
Erwerbstätigenversicherung sowie der durch die Wiederherstellung der paritäti-
schen Finanzierung der Alterssicherung erweiterten Beitragsbasis bestritten
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werden soll, ist zu prüfen. Die Quelle für einen erhöhten Bedarf an Steuermit-
teln stellt in jedem Fall eine sozial gerechte Steuerreform dar, die die Erhöhung
des Spitzensteuersatzes, die Wiedereinführung der Vermögensteuer als Millio-
närssteuer, eine höhere Erbschaftsteuer, die Rücknahme der Absenkung der
Körperschaftsteuer sowie die Einführung einer Börsenumsatzsteuer beinhaltet.

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