BT-Drucksache 17/1579

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes

Vom 5. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1579
17. Wahlperiode 05. 05. 2010

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetz-
buch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes

A. Problem

Die schwarz-rote Koalition der CDU/CSU und SPD hat in der letzten Legislatur-
periode eine Ankündigung in das Achte Buch Sozialgesetzbuch – SGB VIII auf-
genommen, nach der der Gesetzgeber künftig eine monatliche Zahlung („zum
Beispiel Betreuungsgeld“) für diejenigen Eltern vorsehen soll, die ihre Kinder
nicht in Einrichtungen betreuen lassen. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag
zwischen CDU, CSU und FDP wird dies wie folgt aufgegriffen: „Um Wahlfrei-
heit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab
dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,– Euro, gegebenenfalls als
Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt werden.“

Das Betreuungsgeld konterkariert zentrale bildungs- und sozialpolitische Ziel-
stellungen. Qualitativ hochwertige frühkindliche Betreuung und Bildung sind
der Schlüssel zu lebenslangem Bildungserfolg und gesellschaftlicher Teilhabe.
Bereits in den ersten Lebensjahren werden entscheidende Weichen für die Bil-
dungszukunft von Kindern gestellt. Gerade für bildungsferne und zugleich ein-
kommenschwache Eltern bietet das Betreuungsgeld einen starken Anreiz, ihren
Kindern frühe Förderangebote in einer Kinderbetreuungseinrichtung vorzuent-
halten und sich stattdessen für die Auszahlung einer Geldleistung zu entscheiden.
Sozial benachteiligte Kinder werden frühkindlichen Bildungs- und Betreuungs-
einrichtungen aufgrund des finanziell gegebenen Anreizes potentiell fernblei-
ben. Die Wirkungen des Instruments Betreuungsgeld sind also verheerend – ge-
rade für die Kinder mit den schlechtesten Startchancen, die von einer zusätz-
lichen Unterstützung durch frühkindliche Förderung am meisten profitieren wür-
den. Das wäre eine bildungspolitische Katastrophe!

Das Betreuungsgeld widerspricht den Prinzipien einer modernen Gesellschaft in
hohem Maße. Mit ihm hat ein vages, konzeptionell nicht hinterlegtes Instrument
mit bildungs-, sozial-, familienpolitisch und gleichstellungspolitisch kontrapro-

duktiven Folgen Eingang in einen Gesetzestext gefunden. Es entzieht den zentra-
len politischen Zielsetzungen wie der Armutsbekämpfung und dem Ausbau der
Kindertagesbetreuung finanzielle Ressourcen.

Drucksache 17/1579 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

B. Lösung

§ 16 Absatz 4 SGB VIII wird gestrichen. Damit haben sich zugleich die Pläne der
jetzigen Koalitionsregierung zur Umsetzung des Betreuungsgeldes erledigt.

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Die Ausgaben des Bundes, die nach Berechnungen des Zentrums für Euro-
päische Wirtschaftsforschung (ZEW) ab 2013 in Höhe von jährlich ca. 1,9 Mrd.
Euro bei Realisierung der angekündigten Leistung entstehen würden, entfallen.
Die Folge sind ferner Minderausgaben im Bereich der Verwaltungsaufwendun-
gen bei Bund, Ländern und kommunalen Gebietskörperschaften in nicht zu be-
ziffernder Höhe. Diese Mittel stehen damit für den Ausbau der Kinderbetreuung,
die Bekämpfung der Kinderarmut sowie weitere familienpolitische Maßnahmen
zur Verfügung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1579

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetz-
buch – Aufhebung der Ankündigung eines Betreuungsgeldes

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugend-
hilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezem-
ber 2006 (BGBl. I S. 3134), das zuletzt durch Artikel 12 des
Gesetzes vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 1696) geändert
worden ist, wird wie folgt geändert:

In § 16 wird der Absatz 4 aufgehoben.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 4. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

dingungen vor dem Schuleintritt ausgeglichen werden. Zu-
dem gibt es aus wissenschaftlicher Sicht eine Neubewertung
der Bedeutung des frühkindlichen Lernens in der Gruppe für
die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Diese Kompetenzen
sind besonders wichtige Voraussetzungen für den späteren
Schulerfolg. Kinder entwickeln ihre sozialen Fähigkeiten
und Ressourcen maßgeblich in der Interaktion mit anderen
Kindern. Dafür bieten gute Kinderbetreuungseinrichtungen
ideale Lernorte. Der wünschenswerte Ausbau der Kinderta-
gesbetreuung muss vor allem vor dem Hintergrund einer
grundlegenden bildungspolitischen Neubewertung der frü-
hen vorschulischen Förderung gesehen werden. Bei der Prio-
rität auf Investitionen in frühkindliche Förderangebote geht
es nicht um einen „Ersatz“ für die Familie, sondern um Er-
gänzung und Unterstützung der Ressourcen von Familien.

Handlungsbedarf besteht über den dringend notwendigen
quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung hinaus insbeson-
dere mit Blick auf die Qualität der Angebote. Statt mit einem
Betreuungsgeld eine Art „Fernbleibeprämie“ für öffentlich
finanzierte Betreuungsangebote zu schaffen, sollten zusätz-
liche Mittel vorrangig in qualitative Maßnahmen zur Verbes-
serung der pädagogischen Konzepte, die Optimierung und
damit Aufwertung der Ausbildung von Erzieherinnen und
Erziehern sowie in die Verkleinerung der Gruppengrößen
fließen. Außerdem sollte gerade auch mit Blick auf einkom-
menschwache Familien die Absenkung der Elternbeiträge in
Angriff genommen werden. Die Einführung des Betreuungs-
geldes würden die finanziellen Ressourcen dafür blockieren.

Das Betreuungsgeld steht ferner im Widerspruch zu einer auf
bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben zie-
lenden Politik. Zu dieser zählt neben dem Betreuungsausbau
auch das Elterngeld. Es soll nach Auffassung der Bundes-

treuungsgeldes wieder in die entgegengesetzte Richtung und
konterkariert diese zentralen Maßnahmen.

Der Kindertagesbetreuungsausbau schafft ein – zumindest
teilweise staatlich finanziertes – Angebot, das Familien zur
Unterstützung der frühen Förderung ihrer Kinder freiwillig
in Anspruch nehmen können. Wenn sich Eltern dagegen ent-
scheiden, dieses Angebot zu nutzen, kann daraus kein An-
spruch auf Kompensation abgeleitet werden. Sonst müsste
auch die Nichtnutzung von staatlichen Museen, Theatern,
Sportplätzen etc. Kompensationsansprüche nach sich ziehen.
Der Wegfall des Betreuungsgeldes würde die Wahlfreiheit
von Eltern bezüglich der Wahl der Kinderbetreuung nicht
behindern. Wahlfreiheit wird dadurch hergestellt, dass genü-
gend qualitativ hochwertige und gebührenfreie bzw. kosten-
günstige Ganztagsbetreuungsplätze zur Verfügung stehen.

Das Betreuungsgeld unterliegt im Übrigen gerade auch in
Hinblick auf den Grundsatz der Wahlfreiheit starken verfas-
sungsrechtlichen Bedenken. Der Gleichheitssatz des Grund-
gesetzes gebietet es, Gleiches auch gleich zu behandeln.
Eltern, die ihre Kinder nicht in einer Betreuungseinrichtung
betreuen lassen, erhalten staatliche Zahlungen, während
Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen, diese Zahlungen
nicht erhalten. Dies ist in Hinblick auf den Gleichheitssatz
jedenfalls solange bedenklich, wie Eltern für die Kinderbe-
treuung auch in staatlich unterstützten Einrichtungen Geld
aufwenden müssen. Die Entscheidung, die diese Eltern für
die Erziehung ihrer Kinder getroffen haben (Betreuung durch
Dritte), wird damit vom Staat nicht in gleicher Weise aner-
kannt. Dies aber ist nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts in Hinblick auf Artikel 6 des Grundgesetzes
erforderlich.
Drucksache 17/1579 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel zum lebenslangen
Bildungserfolg. Insbesondere für bildungsferne und zugleich
einkommenschwache Eltern bietet das Betreuungsgeld je-
doch einen starken Anreiz, auf den Kitabesuch zu verzichten
und die Geldleistung in Anspruch zu nehmen.

Studien belegen, dass von einer qualitativ hochwertigen För-
derung alle Kinder profitieren: Während Kinder mit güns-
tigen familiären Voraussetzungen zusätzlich gefördert wer-
den, können Defizite von Kindern mit weniger guten Startbe-

regierung ausdrücklich den Anreiz für Mütter stärken,
schneller als bisher in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren.
Zahlreiche andere sozial- und steuerrechtliche Regelungen
hingegen geben bislang eher Anreize dafür, dass Mütter aus
dem Erwerbsleben lange oder gänzlich aussteigen. Fehlende
und qualitativ ungenügende Betreuungsplatzkapazitäten
haben die geringe Frauenerwerbstätigkeit noch unterstützt.
Zielten der Ausbau der Kinderbetreuung und das Elterngeld
darauf ab, dies zu verändern, so geht das Instrument des Be-

t mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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