BT-Drucksache 17/1568

Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments in der laufenden Wahlperiode

Vom 4. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1568
17. Wahlperiode 04. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Thomas
Nord, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Harald Koch, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln), Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments
in der laufenden Wahlperiode

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Europäische Parlament wurde in seiner jetzigen Zusammensetzung in
der Zeit vom 4. bis 7. Juni 2009 nach den grundlegenden demokratischen
Prinzipien in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl
gewählt. Da zu diesem Zeitpunkt der Vertrag von Lissabon noch nicht in
Kraft getreten war, ergaben sich die Gesamtzahl der Mandate und die Vertei-
lung auf die einzelnen Mitgliedstaaten aus den Regelungen nach dem Vertrag
von Nizza.

2. Das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 änderte an
der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments unmittelbar nichts.
Auch ist rechtlich keine Veränderung geboten, da es demokratischen und
rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht, dass veränderte Regelungen über die
Zusammensetzung eines parlamentarischen Gremiums erst bei den nächsten
Wahlen Wirkung entfalten.

3. Gleichwohl haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen
Rat am 18. und 19. Juni 2009 beschlossen, bereits im Jahre 2010 entspre-
chend dem neugefassten Artikel 14 Absatz 2 des EU-Vertrags eine Erhöhung
der Mandate im Europäischen Parlament um 18 eintreten zu lassen und die
zusätzlichen Abgeordneten auf zwölf Mitgliedstaaten zu verteilen. Eine Ver-
minderung der Zahl der Abgeordneten aus Mitgliedstaaten, denen nach dem
Vertrag von Lissabon weniger Mandate als zuvor zustehen, wurde hingegen
nicht festgelegt. Auf der Grundlage dieser Beschlussfassung hat die spani-
sche Regierung am 4. Dezember 2009 den Antrag gestellt, das „Protokoll
über die Übergangsbestimmungen“ zu ändern, das in Titel I Bestimmungen
über das Europäische Parlament enthält.
4. Der Vorschlag der spanischen Regierung sieht drei Möglichkeiten vor, nach
denen die in Betracht kommenden Mitgliedstaaten auf sie entfallende zusätz-
liche Abgeordnete bestimmen können:

a) entweder in allgemeinen unmittelbaren Ad-hoc-Wahlen in dem betroffe-
nen Mitgliedstaat gemäß den für die Wahlen zum Europaparlament gelten-
den Bestimmungen,

Drucksache 17/1568 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) oder auf der Grundlage der Ergebnisse der Europawahlen vom 4. bis 7. Juni
2009 nach dem von ihnen festgelegten Verfahren,

c) oder, indem sie ihre nationalen Parlamente die erforderliche Zahl von Mit-
gliedern aus ihrer Mitte ernennen lassen.

5. Die unter Nummer 4 Buchstabe c genannte Variante ist nicht akzeptabel. Sie
ist mit den Grundsätzen demokratischer Wahl nicht vereinbar. Gegenüber den
beiden anderen Möglichkeiten greifen diese Bedenken nicht. Allerdings ist
nicht ersichtlich, weshalb die Bundesregierung ohne weiteres einer nicht ge-
botenen Regelung zustimmen sollte, die entgegen dem demokratischen
Grundsatz der Gleichwertigkeit der Stimmen der Wahlbürgerinnen und
Wahlbürger das Stimmgewicht der in Deutschland gewählten Europaabge-
ordneten vorzeitig weiter vermindert.

6. Da die vorgeschlagene Neufassung des genannten Übergangsprotokolls eine
Vertragsänderung darstellt, muss sie von einer einzuberufenden Regierungs-
konferenz beschlossen werden. Wenn es aber schon zur aufwendigen Einbe-
rufung und Durchführung einer Regierungskonferenz kommt, dann erscheint
es unabweisbar geboten, längst überfällige Vertragsänderungen bzw. -ergän-
zungen gleichzeitig vorzunehmen.

7. Im Hinblick auf die bekannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofs ist die Vereinbarung eines Protokolls geboten, das eine soziale Fort-
schrittsklausel enthält. Diese soziale Fortschrittsklausel soll klarstellen, dass
soziale Grundrechte und sozialstaatliche Grundwerte im Konfliktfall den
Grundfreiheiten des Kapitals (Niederlassungsfreiheit, Kapitalverkehrsfrei-
heit, Dienstleistungsfreiheit) vorgehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der Einberufung einer Regierungskonferenz zur Änderung bzw. Ergänzung
des „Protokolls über die Übergangsbestimmungen“ nur zuzustimmen, wenn
Verhandlungsgegenstand der Regierungskonferenz auch die Einfügung eines
„Protokolls über eine soziale Fortschrittsklausel“ wird,

2. keiner Änderung des „Protokolls über die Übergangsbestimmungen“ zuzu-
stimmen, das Regelungen entsprechend der Variante unter Nummer 4 Buch-
stabe c im Vorschlag der spanischen Regierung enthält.

III. Der Deutsche Bundestag weist darauf hin,

dass dieser Beschluss nach den §§ 9 und 10 des Gesetzes über die Zusammen-
arbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union verbindlich ist, da wichtige außen- und integrationspoliti-
sche Gründe, die ihm entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind.

Berlin, den 4. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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