BT-Drucksache 17/1556

Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen

Vom 4. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1556
17. Wahlperiode 04. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Petra Pau,
Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Alle BND-Akten zum Thema NS-Vergangenheit offenlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag sieht die rückhaltlose Aufklärung aller personellen und
institutionellen Verstrickungen von ehemaligen Mitarbeitern von Bundesbehörden
und Einrichtungen des Bundes mit dem Herrschaftssystem des deutschen Faschis-
mus als eine zentrale Lehre aus der Vergangenheit und als Konsequenz der von
allen Bundesregierungen immer wieder betonten Bedeutung der Aufarbeitung
dieser Vergangenheit an. Dies bezieht sich selbstverständlich auch auf die aktive
Mitarbeit an bzw. mögliche Behinderung der Aufklärung von NS-Verbrechen und
der juristischen Verfolgung möglicher Täter durch Bundesbehörden und andere
Einrichtungen des Bundes.

Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass dieses Gebot der rückhaltlosen Aufklärung
auch auf Bereiche und Institutionen des Bundes anzuwenden ist, die üblicherweise
im Bereich der Geheimhaltung angesiedelt sind, wie etwa der Bundesnachrichten-
dienst (BND). Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung der Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit für unser Selbstverständnis sieht es der Deutsche Bundestag als
primäre Aufgabe der Bundesregierung an, alle Beschränkungen der wissenschaft-
lichen Aufarbeitung der Geschichte des BND bezüglich seiner personellen Kon-
tinuitäten zum NS-Regime und seiner Rolle bei der Aufklärung bzw. Verhinderung
der Aufklärung von NS-Verbrechen umgehend zu beseitigen.

Darüber hinaus sieht es der Deutsche Bundestag als selbstverständlich an, dass die
Rolle deutscher Behörden und Institutionen bei der Verfolgung und juristischen
Aufarbeitung von NS-Verbrechen und insbesondere der Suche nach Haupttätern
der NS-Verbrechen wissenschaftlich aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugäng-
lich gemacht werden. Dies bezieht sich auch auf den Fall Adolf Eichmann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle Einschränkungen des freien Zugangs zu den Akten des BND im Zusammen-

hang mit personellen Kontinuitäten des BND bzw. seiner Vorgängerorganisation
zum NS-Regime zu beseitigen und diese Akten insbesondere der Wissenschaft
zugänglich zu machen;

2. alle Akten über die Mitwirkung an bzw. mögliche Behinderung der juristischen
Verfolgung von NS-Verbrechen und der entsprechenden Täter – auch im Zusam-
menhang mit der Person Adolf Eichmann – der Öffentlichkeit und damit auch
der Wissenschaft zugänglich zu machen;

Drucksache 17/1556 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
3. den Deutschen Bundestag umgehend und ausführlich über die mit befreundeten
Diensten geführten Gespräche bezüglich der Veröffentlichung der oben genann-
ten Akten zu informieren, die einer bisherigen Veröffentlichung angeblich ent-
gegenstanden;

4. ausreichende finanzielle Mittel für eine fundierte wissenschaftliche Aufarbei-
tung der Geschichte des BND zur Verfügung zu stellen.

Berlin, den 4. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die frühe Geschichte des BND und seiner Vorläuferorganisation, der „Organisation
Gehlen“, weist enge personelle Verbindungen zum NS-Regime auf, die bis heute
nicht in ihrem vollen Umfang wissenschaftlich aufgearbeitet sind. Zwar wurde in-
zwischen eine anonymisierte Liste mit kurzen biografischen Notizen von 47 ehe-
maligen BND-Mitarbeitern veröffentlicht (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
17. März 2010), die in Verbrechen des NS-Regimes verwickelt waren, insgesamt
wird jedoch von ca. 200 ehemaligen BND-Mitarbeitern ausgegangen, die zuvor im
Dienste des NS-Regimes und hier insbesondere des Sicherheitsapparates Heinrich
Himmlers standen, von denen 71 nach Veröffentlichungen über diese Vergangen-
heit den BND in den 60er-Jahren verlassen mussten. Allerdings bezogen sich die
damaligen internen Untersuchungen des BND ausschließlich auf Personen aus dem
Verantwortungsbereich von Heinrich Himmler, mögliche Beteiligungen von
ehemaligen Wehrmachtangehörigen oder Waffen-SS-Leuten an NS-Verbrechen
wurden nicht untersucht.

Die öffentliche und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung dieses Teils der Ge-
schichte des BND ist bis heute nicht erfolgt. Auf die Frage nach den Gründen wird
dabei vor allem auf die möglichen Geheimhaltungsbedürfnisse des Dienstes und
auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verwiesen. Anders als beim Bundes-
kriminalamt (BKA) ist von Seiten des BND bis heute kein verstärktes Interesse an
der Aufarbeitung dieses Teils der Geschichte zu erkennen, worauf auch die geschei-
terten Versuche einer Studie zum BND seitens des Historikers Gregor Schöllgen
hindeuten.

Noch problematischer und beschämender stellt sich der Umgang mit den Akten
zum Fall Adolf Eichmann dar. Bis heute wird Journalisten und Journalistinnen der
Zugang zu diesen Akten verwehrt, so dass der Verdacht im Raum steht, der BND
habe nicht nur nicht zur Ergreifung Adolf Eichmanns beigetragen, sondern im
Gegenteil dessen Ergreifung aktiv verhindert. Selbst der hessische Generalstaats-
anwalt Fritz Bauer mochte sein Wissen zur möglichen Ergreifung Adolf Eichmanns
nicht den deutschen Behörden anvertrauen, da er Sorge hatte, dass dies die Fest-
nahme Adolf Eichmanns eher verhindern könnte.

Von Seiten der Bundesregierung wird die verweigerte Einsicht in die Akten mit den
Vorbehalten befreundeter Geheimdienste begründet, ohne dass jedoch deutlich ge-
macht wurde, ob es überhaupt Gespräche mit den entsprechenden Regierungen ge-
geben hat und welchen Inhalt diese Gespräche gegebenenfalls hatten. Vor dem Hin-
tergrund der zeitlich parallelen Anwesenheit einer nicht unwesentlichen Anzahl
von NS-belasteten Personen im Dienst des BND ist die öffentliche Aufarbeitung
dieser Phase der Geschichte des BND von besonderer Bedeutung.

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