BT-Drucksache 17/14773

Praxis der Zurückweisungen an den EU-Außengrenzen Griechenlands und Bulgariens ohne formale Verfahren

Vom 17. September 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14773
17. Wahlperiode 17. 09. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Harald Koch,
Niema Movassat, Jens Petermann, Frank Tempel, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Praxis der Zurückweisungen an den EU-Außengrenzen Griechenlands
und Bulgariens ohne formale Verfahren

Im Juli 2013 hat die Menschenrechtsorganisation amnesty international einen
Bericht unter dem Titel „Frontier Europe. Human rights abuses on greece’s bor-
der with turkey“ publiziert. Darin wird die Praxis griechischer Behörden be-
schrieben, irreguläre Migranten ohne Prüfung eines Schutzbedarfs mittels phy-
sischer Gewalt an der Grenze zur Türkei zurückzuweisen oder in Gruppen ohne
formales Verfahren abzuschieben, indem sie auf die türkische Seite des Grenz-
flusses Evros gebracht werden. Dabei wird immer wieder das Leben der Flücht-
linge stark gefährdet: Im Bericht zitierte Flüchtlinge wurden mit auf den Rücken
gefesselten Händen in den Fluss gestoßen, beim Aufgriff durch die Polizeibeam-
ten geschlagen und getreten, die Boote fahruntüchtig gemacht. Auch Kinder und
Jugendliche waren dem Bericht zufolge Opfer von Gewalt und wurden dem
Risiko ausgesetzt, im Fluss zu ertrinken. Auch bei zahlreich durchgeführten
Razzien festgenommene Migrantinnen und Migranten werden Opfer irregulärer
Abschiebeaktionen durch die griechische Polizei, darunter auch registrierte
Asylsuchende, die zum Zeitpunkt der Razzien ihre Papiere nicht bei sich trugen.

Durch die massive Aufrüstung der griechischen Landgrenze zur Türkei ver-
suchen Flüchtlinge, nach Angaben der Europäischen Grenzschutzagentur
FRONTEX (FRONTEX Risk Analysis Network FRAN, Report über das
1. Quartal 2013) vermehrt sowohl über die Ägäis als auch über die bulgarische
Grenze in die EU zu gelangen. Die bulgarischen Grenzbehörden reagierten auf
die Zunahme irregulärer Grenzübertritte von syrischen Staatsangehörigen mit
der Verlegung von Personal, Patrouillenfahrzeugen und Hunden. Seit dem Juli
2012 setzt der Grenzschutz demnach Spezialkräfte an einzelnen Grenzabschnit-
ten sowie Luftüberwachung ein, seit Oktober 2012 wird die Grenze dort auch
mit technischen Mitteln lückenlos überwacht. Der Onlinenachrichtendienst
„euractiv.de“ zitiert den Generalsekretär des bulgarischen Innenministeriums
mit den Worten: „Wir führen ständig Operationen durch. […] Wir setzen Streit-
kräfte und militärisches Gerät an den Grenzen ein. Außerdem haben wir die

Luftraumüberwachung verstärkt.“ („Balkanstaaten rüsten auf gegen Flücht-
linge“, Meldung vom 2. September 2013). Die Fragesteller befürchten, dass
durch diese Maßnahmen faktisch der Zugang zu einem Asylverfahren in der EU
verwehrt und das Zurückweisungsverbot der UN-Flüchtlingskonvention unterlau-
fen wird. Die Zahl der an den Landaußengrenzen der EU festgestellten syrischen
Flüchtlinge ist vom dritten Quartal 2012 mit 3 321 Feststellungen auf 591 Fest-
stellungen im ersten Quartal 2013 stark zurückgegangen. Seit einiger Zeit häu-

Drucksache 17/14773 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

fen sich jedoch Meldungen über syrische Flüchtlinge, die mit Booten in Italien
anlanden (beispielsweise Meldung des Tagblatt vom 9. September 2013, Mel-
dung in WELT ONLINE vom 7. September 2013); dies ist als Hinweis darauf
zu werten, dass die Abschottung der Landgrenzen dazu führt, dass die Flücht-
linge nun wesentlich gefährlichere und weitere Routen über die See benutzen als
zuvor.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Praxis in-
formeller Zurückweisungsaktionen der griechischen Grenzbehörden an
Land, zur See und selbst noch nach der bereits erfolgten Einreise in Grie-
chenland, aber auch in Bezug auf andere EU-Mitgliedstaaten, und über wel-
che Berichte Dritter zu dieser Thematik hat sie Kenntnis?

2. In welcher Form hat sie dieses Thema insbesondere griechischen Vertretern
gegenüber angesprochen?

3. Wurden die informellen Zurückweisungen und Zurückschiebungen im
Rahmen von EU-Gremiensitzungen oder von Seiten der Europäischen
Kommission oder von der FRONTEX thematisiert, zu welcher Gelegenheit
genau, mit welchem Duktus seitens der Beteiligten, und was wurde darauf-
hin vereinbart?

4. Haben die griechische Regierung oder andere griechische Stellen zu den
erhobenen Vorwürfen Stellung bezogen, bei welcher Gelegenheit und mit
welchem Inhalt?

5. Inwieweit hat die Bundesregierung in EU-Gremien oder an anderer Stelle
darauf gedrängt, dass Schutzsuchende, insbesondere syrische Flüchtlinge,
nicht durch verstärkte Grenzsicherungsmaßnahmen an einer Einreise in die
EU gehindert werden dürfen, und wenn sie dies bislang nicht getan hat,
warum nicht, und plant sie noch entsprechende Schritte?

6. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass verstärkt syrische Flüchtlinge
durch die Abschottung der EU-Landaußengrenzen zur Türkei auf deutlich
längere, gefährlichere und teurere Fluchtrouten verwiesen sind, um in die
EU zu gelangen?

7. Liegen der Bundesregierung schon Zahlen aus dem FRAN zum zweiten
Quartal 2013 vor, insbesondere zur Zahl der entdeckten irregulären Grenz-
übertritte durch syrische Staatsangehörige (bitte für Land- und Seegrenzen
und nach Mitgliedstaaten getrennt angeben), zur Zahl der syrischen Staats-
angehörigen, die mit ge- oder verfälschten Visa eingereist sind sowie zur
Zahl der syrischen Asylsuchenden in der EU, und wenn ja, wie lauten diese?

8. Welche operativen Maßnahmen hat die Bundespolizei in diesem und im
vergangenen Jahr ergriffen oder in Amtshilfe für andere Behörden unter-
stützt, deren Ziel die Aufdeckung von Schleusungsdelikten, insbesondere
mit Bezug zu syrischen Staatsangehörigen war (beispielhaft: DIE WELT
vom 4. Juni 2013, „Deutschlandweite Razzia gegen Schlepperbande“)?

9. Wie oft und in welcher Form wurde die Ein- oder Durchreise syrischer
Staatsangehöriger in bzw. durch die Bundesrepublik Deutschland im Rah-
men des Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrums illegale Migration
(GASiM) thematisiert, Erkenntnisse welcher Behörden flossen in diese
Behandlung im GASiM ein, und welche operativen Verabredungen wurden
hierzu getroffen?

10. Gegen wie viele Personen wurden im Jahr 2012 und bislang im Jahr 2013

Straf- und Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Einschleusens
von Ausländern (§ 96 des Aufenthaltsgesetzes) eingeleitet, die im Zusam-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14773

menhang mit der illegalen Einreise syrischer Staatsangehöriger stehen
(bitte nach Jahren und Staatsangehörigkeit auflisten; falls keine Angaben
mit Bezug auf syrische Staatsangehörige vorliegen sollten, bitte allgemein
beantworten und Erfahrungswerte nennen, zu welchem Anteil in etwa syri-
sche Staatsangehörige von Schleusungsfällen betroffen sind)?

11. In welchem Umfang betreffen die bekannt gewordenen Schleusungsfälle
syrische Schutzsuchende, die von Deutschland aus in andere EU-Staaten
(beispielsweise Schweden) weiterreisen wollten (beispielhaft die Meldung
der Bundespolizeidirektion Rostock vom 9. September 2013)?

Berlin, den 17. September 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.