BT-Drucksache 17/14611

Deutsch-US-amerikanische Beziehungen im Bereich der elektronischen Kriegsführung

Vom 22. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14611
17. Wahlperiode 22. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette Groth,
Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln),
Frank Tempel, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsch-US-amerikanische Beziehungen im Bereich der elektronischen
Kriegsführung

Die Bundesrepublik Deutschland nahm bereits während des Kalten Krieges
eine Schlüsselrolle für die von den Alliierten betriebenen Stützpunkte der elek-
tronischen Kriegsführung ein.

Eine vertragliche Regelung stellt die 1947 zwischen den USA und dem britisch
dominierten Commonwealth geschlossene UKUSA-Vereinbarung (United King-
dom – United States of America Agreement) dar. Die UKUSA-Vereinbarung
teilt die regionalen Zuständigkeiten für die Informationsbeschaffung durch
Fernmeldeaufklärung und elektronische Aufklärung (SIGINT) zwischen den
USA als Partei ersten Ranges sowie Großbritannien, Australien, Kanada und
Neuseeland als Parteien zweiten Ranges auf. Später schlossen sich dieser Verein-
barung eine Vielzahl von Parteien dritten Ranges an, darunter auch die Bundes-
republik Deutschland, Dänemark, Norwegen, Japan, Südkorea, Israel, Süd-
afrika, Taiwan und sogar die Volksrepublik China. Das Vertragssystem ermög-
lichte den US-Geheimdiensten die Errichtung eigener oder die Mitbenutzung
bestehender Peil-, Erfassungs- und Auswertungsstationen in allen wichtigen
Weltregionen. Die UKUSA-Vereinbarung enthält darüber hinaus Regelungen
zur Gestaltung des Informationsaustausches und der innerstaatlichen Umsetzung
der so erhaltenen Partnerdienstdaten. Hauptpartner der UKUSA-Vereinbarung
für Deutschland wurde der Bundesnachrichtendienst (BND) mit seiner Abtei-
lung II – Technik. Mit den „Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Bun-
deswehr und Bundesnachrichtendienst auf dem Gebiet der Fernmeldeaufklärung
und Elektronischen Aufklärung“ (sog. Zugvogel-Vereinbarung) vom 18. Okto-
ber 1969 wurde der Präsident des BND für die Gesamtplanung, Aufgabenvertei-
lung und Koordination der SIGINT im nationalen Rahmen zuständig. Mit einer
erneuten Vereinbarung unter offizieller Beteiligung des Bundeskanzleramtes
vom 23. September 1993 erhielt der BND das ausschließliche Recht zum Infor-
mationstausch mit Partnerdiensten anderer Länder.

Der US-Nachrichtendienst NSA unterhält ein europäisches Hauptquartier (NSA/
CSS Europe) mit seinem Stab im Europakommando der US-Streitkräfte

(USEUCOM) in Stuttgart/Vaihingen. Außenstellen der NSA befinden sich in
den Großstationen Augsburg und Teufelsberg in Berlin. Daneben bereitet sich
der bislang aus dem Raum Griesheim bei Darmstadt im sogenannten Dagger
complex operierende Geheimdienst der US-Landstreitkräfte (INSCOM) auf
seine Verlegung in ein bis 2015 fertigzustellendes „Consolidated Intelligence
Center“ (CIC) in der Lucius D. Clay Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim vor. Mit
dem CIC entsteht ein mit modernster Technik ausgestattetes Abhörzentrum, das

Drucksache 17/14611 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Aufklärungs- und Spionagedaten für die Einsätze der dem Europakommando
der US-Army unterstellten Einheiten aus über 50 Ländern – von Russland
bis Israel – beschaffen und auswerten soll. Wie der BND-Präsident Gerhard
Schindler während der Sondersitzung des Innenausschusses des Deutschen Bun-
destages im Juli 2013 zugab, ist die Bundesregierung über dieses Projekt infor-
miert (www.jungewelt.de/2013/08-07/025.php; www.jungewelt.de/2013/08-08/
024.php).

Wie im Zuge der sogenannten NSA-Affäre im Sommer 2013 bekannt wurde,
nutzen die US-Nachrichtendienste ihre Technologien auch zur massenhaften
Erfassung von Daten befreundeter Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland.
Zudem liefert der BND im Ausland gesammelte Internet- und Telekommunika-
tionsdaten an US-Nachrichtendienste. So übermittelte der BND afghanische
Funkzellendaten an die NSA, die dadurch feststellen kann, wo sich Handy-
Nutzer aufhalten. Solche Daten können damit eine wichtige Rolle bei der geziel-
ten Tötung von Terrorverdächtigen durch US-Drohnen spielen (www.spiegel.de/
politik/ausland/bnd-uebermittelt-afghanische-funkzellendaten- an-nsa-a-
915934.html).

Grundlage für diese Datenweitergabe ist laut Medienberichten u. a. eine von der
damaligen rot-grünen Regierung mit den USA geschlossene Grundlagenverein-
barung (Memorandum of Agreement) vom 28. April 2002 (www.tagesschau.de/
inland/bndnsa102.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Einrichtungen der Elektronischen Kampfführung (Eloka) bzw.
„Elektronischen Kriegsführung“ (Electronic Warfare) in- und ausländischer
Nachrichtendienste bestanden oder bestehen auf dem Gebiet der Bundes-
republik Deutschland seit ihrer Gründung (bitte Zeitpunkt der Inbetrieb-
nahme, Dauer des Betriebes, Ort, Funktion und verantwortliche Institutionen,
technische Ausstattung sowie offizielle und gegebenenfalls Tarnbezeich-
nung, Gründe einer möglichen Schließung und bei Umzug Ort des Neubetrie-
bes angeben)?

a) Davon Einrichtungen und Stützpunkte deutscher Behörden bzw. Nach-
richtendienste?

b) Davon Einrichtungen und Stützpunkte ausländischer Nachrichtendienste?

c) Gemeinsam genutzte Einrichtungen und Stützpunkte deutscher und aus-
ländischer Nachrichtendienste?

d) Welche dieser Einrichtungen sind weiterhin in Betrieb, und auf welchen
rechtlichen Grundlagen?

2. Trifft es zu, dass die Bundesregierung und die US-Regierung im Jahr 2002
ein Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen dem BND und dem US-
Nachrichtendienst NSA unterzeichnet haben?

a) Wenn ja, wann, und auf wessen Vorschlag hin wurde das Abkommen von
wem und für welchen Gültigkeitszeitraum geschlossen, und was ist sein
wesentlicher Inhalt?

b) Wenn nein, auf welcher rechtlichen und vertraglichen Grundlage wird
dann die Zusammenarbeit zwischen dem BND und der NSA geregelt?

3. Welche Abkommen, die ausländischen Nachrichtendiensten die Nutzung von
Infrastruktur in Deutschland gestatten, gibt es seit Gründung der Bundes-
republik Deutschland (bitte Art des Abkommens, Vertragsstaaten, beteiligte
Behörden, Zeitpunkt der Abschließung, Gültigkeitsdauer und wesentliche In-

halte der Abkommen benennen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14611

a) Welche dieser Abkommen haben weiterhin Gültigkeit?

b) Welche dieser Abkommen sind nicht mehr gültig (bitte Zeitpunkt und
Grund der Beendigung angeben)?

c) Um welche Infrastruktureinrichtungen handelt es sich im Einzelnen (bitte
unter Angabe des jeweiligen Standortes)?

4. Welche Einrichtungen in Deutschland stehen ausländischen Nachrichten-
diensten zur Nutzung bzw. Mitnutzung zur Verfügung (bitte sowohl Einrich-
tungen im Besitz ausländischer Staaten als auch in deutschem oder ggf. Pri-
vatbesitz berücksichtigen), und welche Kenntnis hat die Bundesregierung
über die Art der Nutzung?

5. Welche Abkommen, die eine Datenweitergabe (auch von Daten, die nicht im
Rahmen der Eloka erhoben wurden) durch bundesdeutsche Nachrichten-
dienste an ausländische Nachrichtendienste regeln, gibt es seit Gründung der
Bundesrepublik Deutschland (bitte Art des Abkommens, Vertragsstaaten,
beteiligte Behörden, Zeitpunkt der Abschließung, Gültigkeitsdauer und we-
sentliche Inhalte der Abkommen benennen)?

a) Welche dieser Abkommen haben weiterhin Gültigkeit bzw. wurden ihrem
Sinn nach in bundesdeutsche Gesetze (welche) überführt (auch bei den
Fragen 6 und 7)?

b) Welche dieser Abkommen sind nicht mehr gültig (bitte Zeitpunkt und
Grund der Beendigung angeben)?

6. Welche Abkommen, die deutschen Nachrichtendiensten eine Nutzung aus-
ländischer Infrastruktur innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gestatten,
gibt es seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland (bitte Art des Abkom-
mens, Vertragsstaaten, beteiligte Behörden, Zeitpunkt der Abschließung,
Gültigkeitsdauer und wesentliche Inhalte der Abkommen benennen)?

a) Welche dieser Abkommen haben weiterhin Gültigkeit?

b) Welche dieser Abkommen sind nicht mehr gültig (bitte Zeitpunkt und
Grund der Beendigung angeben)?

c) Um welche Infrastruktureinrichtungen handelt es sich im Einzelnen (bitte
unter Angabe des jeweiligen Standortes)?

7. Welche Abkommen, die deutschen Nachrichtendiensten eine Nutzung aus-
ländischer Infrastruktur außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gestatten,
gibt es seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland?

a) Welche dieser Abkommen haben weiterhin Gültigkeit?

b) Welche dieser Abkommen sind nicht mehr gültig (bitte Zeitpunkt und
Grund der Beendigung angeben)?

8. Inwieweit ist die Bundesregierung offizielle Vertragspartei der seit 1947
zwischen Großbritannien und den USA bestehenden UKUSA-Vereinbarung
zur Regelung regionaler Zuständigkeiten für die SIGINT-Informationsbe-
schaffung sowie den Informationsaustausch unter den Partnerdiensten ange-
schlossen?

a) Wann hat sich die Bundesregierung der UKUSA-Vereinbarung ange-
schlossen?

Drucksache 17/14611 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Welche die Bundesregierung betreffenden Zuständigkeiten regelt die
UKUSA-Vereinbarung?

c) Welche Staaten gehören heute der UKUSA-Vereinbarung an?

9. Über welche Kenntnisse verfügt die Bundesregierung hinsichtlich von
Tätigkeiten der US-Regionalkommandos EUCOM und AFRICOM in
Stuttgart zur Überwachung und Auswertung digitaler Telekommunikation
in jenen Ländern, die zu den Aufgabenbereichen der Kommandos gehören?

10. Inwiefern sind EUCOM und AFRICOM nach Kenntnis der Bundesregie-
rung auch mit der Elektronischen Kampfführung bzw. Elektronischen
Kriegsführung befasst?

11. Inwiefern werden von US-Einrichtungen in Deutschland nach Kenntnis der
Bundesregierung auch Auswertungen sozialer Netzwerke vorgenommen,
darunter auch, um wie in Libyen Prognosen für zukünftige Ereignisse zu er-
stellen (http://analysisintelligence.com/intelligence-analysis/twitter-analysis-
as-a-tool-in-libyan-engagement)?

12. Inwieweit kann es die Bundesregierung ausschließen, dass vom BND im
Ausland gewonnene Daten, die an den US-Nachrichtendienst NSA weiter-
gegeben werden, keine personenbezogenen Daten deutscher Staatsangehö-
riger enthalten?

a) Trifft es zu, dass der BND E-Mails mit der Endung .de und Telefon-
nummern mit der Landesvorwahl 0049 vor einer Weitergabe von im
Ausland gewonnenen Verbindungsdaten an die NSA herausfiltert, und
wenn ja, wie kann der BND dabei ausschließen, dass dennoch Daten
deutscher Staatsangehöriger, die E-Mail-Adressen mit anderen Endun-
gen oder ausländische Telefonanschlüsse und Mobilfunknummern be-
nutzen, weitergegeben werden?

b) Sollte der BND nicht gewährleisten können, dass deutsche Staatsange-
hörige und ihre Telekommunikationsdaten von der Weitergabe an die
NSA betroffen sind, inwieweit sieht die Bundesregierung darin einen
Verstoß gegen das Artikel 10-Gesetz, und welche Schlussfolgerungen
zieht sie daraus?

13. Wie viele Datensätze hat der BND im vergangenen Jahr (oder in anderen
Zeiträumen) an die NSA sowie weitere ausländische Geheimdienste weiter-
gegeben, und zu wie vielen Personen enthielten diese Daten Angaben?

14. Inwieweit kann es die Bundesregierung ausschließen, dass die Weitergabe
von Mobilfunkdaten durch den BND an ausländische, insbesondere US-
amerikanische, Nachrichtendienste nicht für sogenannte gezielte Tötungen,
also extralegale Hinrichtungen von Terrorverdächtigen, durch Drohnen-
angriffe der USA genutzt werden?

a) Gibt es Abkommen zwischen der Bundesregierung und den USA, dass
vom BND an US-Nachrichtendienste übermittelte Mobilfunkdaten nicht
für „gezielte Tötungen“ von Terrorverdächtigen genutzt werden dürfen,
und wenn ja, welche?

b) Wäre nach Ansicht der Bundesregierung die Weitergabe von Mobil-
funkdaten durch den BND an US-Nachrichtendienste auch dann zu-
lässig, wenn nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass
diese auch für „gezielte Tötungen“ von Terrorverdächtigen genutzt wer-
den?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/14611

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Um-
stand, dass, selbst falls anhand von Funkzellendaten der Aufenthaltsort
einer Person nicht mit der für einen gezielten Drohnenbeschuss not-
wendigen Präzision festzustellen sein sollte, die Übermittlung dieser
Daten dennoch den Empfänger in die Lage versetzt, den Aufenthaltsort
einzugrenzen und ggf. mit weiteren Mitteln zu präzisieren?

Berlin, den 23. August 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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