BT-Drucksache 17/14532

Rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr

Vom 8. August 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14532
17. Wahlperiode 08. 08. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Heidrun Dittrich, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Jens Petermann,
Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr

Die Zahl rechtsextremer Verdachtsfälle in der Bundeswehr ist weit höher, als
aus dem Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ersichtlich
ist. Während der Wehrbeauftragte für das Jahr 2012 eine Zahl von 67 nennt, hat
der Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Ulrich Birkenheier, in
einem Interview mit dem Deutschlandfunk (14. Juli 2013) von „knapp über
300“ Fällen gesprochen.

Bereits aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Erfas-
sung rechtsextremer Aktivitäten von Bundeswehrsoldaten“ (Bundestagsdruck-
sache 17/8543) geht hervor, dass die Zahlen des MAD weit höher sind. Wäh-
rend dem Wehrbeauftragten für die Jahre 2010 und 2011 insgesamt 149 rechts-
extreme Verdachtsfälle gemeldet wurden, ist der MAD im gleichen Zeitraum
963 Verdachtsfällen nachgegangen.

Dabei wurden 69 Bundeswehrangehörige als Rechtsextremisten bewertet. Wie
viele jener Verdachtsfälle, die dem Wehrbeauftragten vorlagen, letztlich bestä-
tigt wurden, vermochte die Bundesregierung nicht zu beantworten. Hierin
sehen die Fragesteller eines von mehreren Defiziten im Umgang mit Rechts-
extremen in der Bundeswehr.

Die Fragesteller gehen davon aus, dass der MAD-Chef mit der Zahl von rund
300 rechtsextremen Fällen Verdachtsfälle meinte und nicht identifizierte
Rechtsextremisten (sollte diese Annahme nicht zutreffen, wird um Korrektur
gebeten).

Weder die genannte Antwort der Bundesregierung noch das Interview des
MAD-Chefs enthalten konkrete Angaben dazu, wie viele Rechtsextremisten
letztlich aus der Bundeswehr entlassen worden sind. Der MAD-Chef sagt zwar
einerseits: „Die werden auf jeden Fall, wenn sie erkannt werden, entlassen.“
Andererseits werde aber auch danach geprüft, „gibt es entlastende Punkte oder
sind sie nicht so extremistisch veranlagt, dass sie für die Dauer ihrer Verwen-
dung in der Bundeswehr bleiben können.“ Was „entlastende Punkte“ für
rechtsextreme Umtriebe sein könnten, erschließt sich nicht, ebenso wenig wie

die Frage, ab welchem Grad von Rechtsextremismus ein Soldat zu entlassen
ist. Generell stellt sich angesichts des Verhältnisses von 963 Beobachtungen zu
69 „erkannten“ Rechtsextremisten in den Jahren 2010 und 2011 die Frage nach
der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens des MAD.

Drucksache 17/14532 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele rechtsextreme Verdachtsfälle hat der MAD im Jahr 2012 (neu)
bearbeitet?

2. Wie viele dieser Verdachtsfälle haben sich bestätigt?

a) Um welche Arten rechtsextremer Betätigung handelte es sich hierbei
jeweils (bitte vollständig auflisten)?

b) Wie viele Bundeswehrangehörige wurden als Rechtsextremisten erkannt
(bitte nach zivil bzw. militärisch trennen und bei Soldaten den Dienstgrad
angeben sowie ob es sich um freiwillig Wehrdienstleistende – FWDL –/
Soldaten auf Zeit – SaZ – oder Berufssoldaten – BS – handelt)?

3. Sind alle der in den Jahren 2010 bis 2012 erkannten Rechtsextremisten
infolge ihrer Erkennung vorzeitig aus dem Dienstverhältnis entlassen wor-
den, und wenn nein, warum nicht?

a) Wie viele dieser Rechtsextremisten sind regulär nach Beendigung ihrer
Dienstzeit ausgeschieden?

b) Wie viele leisten heute noch ihren Dienst?

4. Wie viele Bundeswehrangehörige wurden in den Jahren seit 2000 vom
MAD als Rechtsextremisten erkannt?

Falls die Bundesregierung dies nicht beantworten kann, warum liegen die
Ergebnisse der entsprechenden Überprüfungen nicht vor?

Falls die Daten gelöscht oder geschreddert wurden, wann, warum und wer
hat dies jeweils angeordnet?

5. Falls nicht alle dieser erkannten Rechtsextremisten entlassen worden sind,
wie viele dieser Personen leisten noch heute ihren Dienst (bitte nach zivil
bzw. militärisch, FWDL/SaZ/BS und Dienstgrad unterteilen)?

6. Wie genau ist der Begriff „Erkennens“ eines Rechtsextremisten zu verste-
hen, und inwiefern setzt dies nachprüfbare Tatsachen bzw. Gerichtsurteile
voraus?

a) Welche Rechtsmittel hat ein als Extremist erkannter Bundeswehrangehö-
riger gegen die „Erkennung“, und inwiefern wird ihm diese überhaupt
mitgeteilt?

b) Welche Erfahrungen hat die Bundeswehr mit von zu entlassenden
Rechtsextremisten angestrengten Gerichtsverfahren gemacht?

7. In wie vielen der in den Jahren 2010 bis 2012 geprüften Verdachtsfällen hat
der MAD Eingriffe nach dem G10-Gesetz vorgenommen, und in wie vielen
Fällen waren hiervon Personen betroffen, bei denen sich der Verdacht nicht
bestätigt hat?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesem Zahlen-
verhältnis?

8. Was versteht der Chef des MAD nach Kenntnis der Bundesregierung unter
„entlastenden“ Punkten angesichts einer rechtsextremen Betätigung, und
inwiefern teilt sie diese Auffassung?

9. Wie viele Verdachtsfallbearbeitungen aus dem „islamistischen“ Phänomen-
bereich hat der MAD in den Jahren 2010, 2011 und 2012 jeweils vorgenom-
men, wie viele Personen wurden hierbei als Extremisten erkannt, und
welche Konsequenzen hat die Bundeswehr hieraus gezogen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14532

10. Wie viele Verdachtsfallbearbeitungen wurden 2010, 2011 und 2012 jeweils
in anderen Phänomenbereichen durchgeführt, wie viele Personen wurden
hierbei als Extremisten erkannt, und welche Konsequenzen hat die Bundes-
wehr hieraus gezogen?

11. Wie viele der seit 2000 als Extremisten (aller Phänomenbereiche) erkann-
ten Personen sind in einschlägigen PMK-Dateien (PMK: Politisch moti-
vierte Kriminalität) des Bundeskriminalamtes (BKA) – einschließlich bei
diesem angesiedelten gemeinsamen und Verbunddateien – sowie im
INPOL-System erfasst (bitte jeweils Datei benennen)?

12. Warum genau ist es nach Kenntnis der Bundesregierung nicht möglich
anzugeben, wie viele der dem Wehrbeauftragten gemeldeten Verdachtsfälle
sich bestätigt haben, und warum wird zwecks Beachtung datenschutzrecht-
licher Gesichtspunkte nicht beispielsweise eine Anonymisierung der Fälle
vorgenommen?

13. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem bisherigen
Zustand, dass die Überprüfung dieser Verdachtsfälle praktisch nicht mög-
lich ist?

14. Wie ist es zu erklären, dass die Bundesregierung zwar keine Angaben zum
Verlauf der Prüfverfahren gegen Soldaten, sehr wohl aber zu zivilen Ange-
stellten (Antwort zu Frage 4d auf Bundestagsdrucksache 17/8543: kein
Verdachtsfall gegen Zivilangestellte habe sich bestätigt) machen kann?

15. Was genau war Inhalt der Verdachtsfälle, die im Jahr 2012 dem Wehr-
beauftragten gemeldet worden sind (bitte vollständig unter Angabe der
wesentlichen Hinweise auf Tatumstände usw. übermitteln oder Meldungen
als Anlage beifügen)?

16. Inwiefern werden „rechtspopulistische“ Äußerungen (vgl. die Antwort zu
Frage 4b auf Bundestagsdrucksache 17/8543) als „extremistisch“ gewertet
(bitte die konkreten Beispiele aus den Jahren 2010 bis 2012 zitieren, bei
denen „rechtspopulistische“ Äußerungen zu einem Prüfvorgang geführt
haben, und soweit möglich, das Ergebnis des Prüfvorgangs angeben)?

17. Wie viele und welche (bitte detailliert angeben) indizierten Ton- und Bild-
träger, Schriften, Fahnen, Figuren, Abzeichen oder ähnliche Gegenstände
wurden im Zuge der Prüfungen als belastend festgestellt?

18. Wie genau erfolgt die vom MAD in seinen MAD-Informationen (vgl. die
Antwort zu Frage 2 auf Bundestagsdrucksache 17/8543) vorgenommene
Sensibilisierung für Entwicklungen im Bereich Rechtsextremismus (bitte
ggf. Artikel usw. als Anlage beifügen)?

19. Teilt die Bundesregierung die Interpretation der Fragesteller, dass aus der
Antwort zu Frage 3a auf Bundestagsdrucksache 17/8543 hervorgeht, dass
der MAD regelmäßig lediglich solche Hinweise auf rechtsextreme Betäti-
gung von Bundeswehrsoldaten an die militärischen Vorgesetzten zur
Kenntnis bringt, die sich auf Gewaltdelikte beziehen oder bei denen es sich
um Betätigungen für eine fremde Macht handelt, nicht jedoch solche
Delikte, bei denen es sich „lediglich“ beispielsweise um Propagandadelikte
handelt (bitte ggf. begründen)?

20. Falls die Bundesregierung die vorgenannte Interpretation der Fragesteller
im Wesentlichen teilt, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus, und wie
will sie sicherstellen, dass sämtliche Informationen über rechtsextreme
Umtriebe die Dienstvorgesetzten erreichen, damit diese die Entlassung ver-
anlassen können?

Drucksache 17/14532 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Werden von Seiten des Bundesministeriums der Verteidigung bzw. seiner
nachgeordneten Dienststellen mittlerweile Untersuchungen zu der Frage
durchgeführt oder vorbereitet, wie weit rechtspopulistische, antimuslimische
Stimmungen in der Bundeswehr verbreitet sind (bitte ggf. erläutern)?

22. Beabsichtigt die Bundesregierung, der Empfehlung des MAD-Chefs nach
Erweiterung der geheimdienstlichen Kompetenzen des MAD hinsichtlich
einer Überprüfung von Bewerbern zu folgen, und wenn ja, welche Initiati-
ven plant sie dazu?

23. Wie ist beim MAD die Bearbeitung politisch motivierter Kriminalität bzw.
die Beobachtung diesbezüglicher Verdachtsfälle organisiert und struktu-
riert?

a) Gibt es dabei verschiedene Abteilungen je nach Phänomenbereich, oder
werden unterschiedliche Phänomenbereiche von den gleichen Mitarbei-
tern bzw. Stäben bearbeitet?

b) Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen Verdachtsfällen auf
rechtsextreme bzw. anders klassifizierte PMK-Tätigkeiten nach?

c) Welche Veränderungen sind in dieser Hinsicht derzeit geplant?

24. Welche Rolle spielt bislang das Gemeinsame Zentrum gegen Rechts-
extremismus (GAR) bei der Identifizierung rechtsextremer Bundeswehr-
angehöriger, und in wie vielen Fällen beruht ihre Identifizierung auf der
Arbeit im GAR?

Berlin, den 8. August 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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