BT-Drucksache 17/14470

Neue Debatten über "racial profiling" durch die Bundespolizei

Vom 29. Juli 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14470
17. Wahlperiode 29. 07. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Annette Groth, Petra Pau,
Jens Petermann, Frank Tempel, Katrin Werner, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Neue Debatten über „racial profiling“ durch die Bundespolizei

Bereits im vergangenen Jahr hatte eine gerichtliche Auseinandersetzung zwi-
schen der Bundespolizei und einem Bürger, der von einer anlasslosen Kontrolle
in einem Regionalzug betroffen war, zu einer öffentlichen Auseinandersetzung
um den Einsatz des so genannten racial oder ethnic profiling durch die Bundes-
polizei geführt (siehe Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/11776).
Nun hat das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) eine Studie zur
Durchführung von Personenkontrollen auf Grundlage des § 22 Absatz 1a des
Bundespolizeigesetzes (BPolG) vorgelegt („,Racial Profiling‘ – Menschen-
rechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1a Bundespolizeigesetz“ un-
ter www.institut-fuer-menschenrechte.de). Darin kommt das Institut zu dem
klaren Ergebnis, dass anlasslose Kontrollen auf Grundlage dieser Befugnis
zwingend Kontrollen zum Ergebnis haben, die an das phänotypische Erschei-
nungsbild der zu kontrollierenden Personen anschließen. In Auseinanderset-
zung mit der Antwort der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/11971)
auf die oben in Bezug genommene Kleine Anfrage, in der die Bundesregierung
darauf bestanden hatte, dass das äußere Erscheinungsbild nur ein Kriterium für
die Auswahl der Personen sei, die ohne weiteren Anlass kontrolliert werden,
hält die Studie fest: „Es werden aber weiterhin nur Personen kontrolliert, die
dieses Kriterium [das nicht-deutsche Aussehen] (auch) erfüllen. Folglich bleibt
es bei einer Ungleichbehandlung aufgrund des phänotypischen Erscheinungs-
bildes.“ (S. 26). „Anzunehmen, dass die Bundespolizei in Anwendung der
Regelung nicht nach einer Profilbildung vorgeht, bei denen unveränderliche äu-
ßerliche Merkmale eine zentrale Rolle spielen, erschiene überdies lebens-
fremd.“ (S. 27). Der § 22 Absatz 1a BPolG verletze somit das Diskriminie-
rungsverbot aus Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes. Auch als Vertragsstaat
der Anti-Rassismus-Konvention der Vereinten Nationen treffe Deutschland die
Verpflichtung, „Rassismus und in der Gesellschaft vorhandenen Stereotypen
entgegenzuwirken“ (S. 30). Die anlasslosen Kontrollen verstärkten aber
vorhandene Stereotypen: „In der Regel dürfen Außenstehende also davon aus-
gehen, dass sich eine Person verdächtig gemacht hat, wenn sie kontrolliert
wird.“ (S. 29).
Auch unabhängig von der Frage des „racial profiling“ in der Anwendung des
§ 22 Absatz 1a BPolG nimmt die Studie eine umfassende Kritik dieser Befugnis
zur anlasslosen Kontrolle vor. Sie sei nicht mit EU-Recht zum „Schengen-
Raum“ vereinbar. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in seinem „Melki-
Urteil“ festgestellt, dass die Regelungen zur Schaffung eines Raums ohne
Grenzkontrollen „einer nationalen Regelung entgegenstehen, die den Polizei-

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behörden eines Mitgliedstaates die Befugnis einräumt, in einem bestimmten Ge-
biet entlang der (Binnen-)Landgrenze die Identität jeder Person unabhängig von
ihrem Verhalten und vom Vorliegen besonderer Umstände (…) zu kontrollie-
ren.“ (S. 13). Der § 22 Absatz 1a BPolG greife zudem unverhältnismäßig in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, weil die verfassungsmäßigen
gesetzlichen Grundlagen fehlten – die Einhaltung der verfassungsrechtlich ge-
botenen Normenklarheit sei zu bezweifeln (S. 18), die Norm so unbestimmt,
dass sie verwaltungsgerichtlich nicht überprüfbar sei (S. 19), ernsthafte Zweifel
bestünden an der Angemessenheit, Erforderlichkeit und Geeignetheit der Befug-
nis, mithin also der Verhältnismäßigkeit der anlasslosen Personenkontrollen
(S. 19).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was entgegnet die Bundesregierung dem in der zitierten Studie vorgebrach-
ten Vorwurf, anlasslose Kontrollen auf Grundlage des § 22 Absatz 1a BPolG
führten notwendiger Weise dazu, dass für Kontrollen das phänotypische Er-
scheinungsbild der Kontrollierten ausschlaggebend sei, auch wenn weitere
Kriterien hinzuträten?

2. Was entgegnet die Bundesregierung dem Vorhalt gegen die genannte Befug-
nis, sie sei nicht normenklar und so unbestimmt, dass eine verwaltungsge-
richtliche Überprüfung nach objektiven rechtlichen Kriterien unmöglich er-
scheine?

3. Was entgegnet die Bundesregierung dem Vorhalt gegen die genannte Befug-
nis, sie sei auch im engeren Sinne nicht verhältnismäßig, weil sie Ermittlun-
gen „ins Blaue hinein“ zulasse, eine Abwägung mit schutzwürdigen Gütern
der Betroffenen also gar nicht erst voraussetze?

4. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Normenklarheit der Befugnis auch
dadurch infrage gestellt, dass die Mehrzahl der festgestellten Delikte sich
eben nicht auf aufenthaltsrechtliche Tatbestände bezieht, sondern auf eine
Vielzahl anderer Delikte (Studie des DIMR, S. 22)?

5. Sieht die Bundesregierung im Hinblick auf das Ergebnis der Studie des
Deutschen Instituts für Menschenrechte, dass § 22 Absatz 1a BPolG zwin-
gend zu Kontrollen aufgrund von phänotypischen Erscheinungsmerkmalen
einer Person führt, eine Unvereinbarkeit auch mit Artikel 3 Absatz 3 des
Grundgesetzes als gegeben an, und welchen Korrekturbedarf an der Befug-
nis leitet sie daraus ab?

6. Sieht sich die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Studie in Bezug auf
das „Melki“-Urteil des EuGH zu einer erneuten Prüfung veranlasst, inwie-
weit § 22 Absatz 1a BPolG die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrol-
len haben und damit europarechtswidrig sind (bitte begründen)?

7. Ist die Europäische Kommission in irgendeiner Weise an die Bundesregie-
rung herangetreten, um die Wirkung der anlasslosen Kontrollen bei Grenz-
übertritt oder im Inland im Hinblick auf das einschlägige Europarecht zu
prüfen?

Wenn ja, in welchem Zusammenhang genau, und was war die Antwort der
Bundesregierung?

8. Wurden seitens anderer EU-Institutionen oder weiterer internationaler In-
stitutionen in den vergangenen Jahren Bedenken hinsichtlich der anlasslosen
Kontrollen auf Grundlage des § 22 Absatz 1a BPolG geäußert (bitte auf-
listen, von welchen Institutionen und ggf. zu welchen Gelegenheiten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14470

9. Trifft es in diesem Zusammenhang zu, dass die Bundesregierung in nicht
veröffentlichten „Erfahrungsberichten“ zur Umsetzung der genannten Be-
fugnis davon sprach, sie sei eine „sehr geeignete Eingriffsbefugnis“ (Erfah-
rungsbericht 2003, zitiert in der Studie des DIMR, S. 17) bzw. eine „flexible
und effektive Befugnis“, und sieht sie selbst dadurch den Eindruck bestätigt,
es handele sich hierbei um eine Generalbefugnis für Ermittlungen „ins
Blaue hinein“ (bitte begründen)?

10. Aus welchen Erwägungen wurden die in der Studie zitierten „Erfahrungsbe-
richte“ als „geheim“ eingestuft (Studie des DIMR, S.17), und wem wurden
diese Berichte (auf eigene Veranlassung und auf Anforderung) zugestellt?

11. Mit welcher Begründung wurden lediglich als „geheim“ eingestufte „Er-
fahrungsberichte“ abgefasst, obwohl der Gesetzgeber die Vorlage von Eva-
luierungsberichten verlangt hatte?

12. Zu wann plant die Bundesregierung die Veröffentlichung der „Erfahrungs-
berichte“, und wenn nicht, welche Gründe sprechen für eine fortgesetzte
Einstufung als „geheim“?

13. Welche Beschwerde- oder Gerichtsverfahren sind nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit im Zusammenhang mit der Durchführung von Per-
sonenkontrollen nach § 22 Absatz 1a BPolG anhängig, insbesondere weil
Betroffene die rechtliche Zulässigkeit der Kontrolle bestritten haben oder
sich diskriminiert fühlten?

14. In welchem Umfang hat die Bundespolizei im gesamten Jahr 2012 und im
ersten Halbjahr 2013 von § 22 Absatz 1a BPolG, § 23 Absatz 1 BPolG und
§ 44 Absatz 2 BPolG Gebrauch gemacht (bitte nach Grenzgebiet, Inland
und Flughäfen differenzieren)?

15. In welchem Umfang wurden im genannten Zeitraum bei anlasslosen Befra-
gungen und Kontrollen der Bundespolizei Verstöße welcher Art festgestellt
(bitte die Zahl der Befragungen und der Feststellungen von Straftaten oder
Fahndungsmeldungen – ins Verhältnis setzen und nach Grenze, Inland und
Flughäfen differenzieren), und wie viele Feststellungen betrafen die Tatbe-
stände unerlaubter Aufenthalt/Einreise und weitere Verstöße gegen das
Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz?

16. Enthalten diese Angaben zum illegalen Grenzübertritt auch Fälle, in denen
Personen zum Zwecke der Asylantragstellung nach Deutschland einreisen
oder Deutschland als Transitstaat für eine Asylantragstellung in einem an-
deren EU-Mitgliedstaat nutzen wollen (soweit vorliegend, bitte genaue An-
gaben machen)?

Berlin, den 29. Juli 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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