BT-Drucksache 17/14142

Konsequenzen aus dem Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Taksim-Protestbewegung für die deutsch-türkische Polizeizusammenarbeit

Vom 25. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14142
17. Wahlperiode 25. 06. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan van Aken, Herbert Behrens,
Christine Buchholz, Heidrun Dittrich, Nicole Gohlke, Annette Groth, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat, Frank Tempel, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Konsequenzen aus dem Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Taksim-
Protestbewegung für die deutsch-türkische Polizeizusammenarbeit

Die türkische Polizei geht seit Ende Mai 2013 mit großer Brutalität gegen Men-
schen vor, die u. a. am Istanbuler Taksim-Platz demonstrieren. Die Protestbewe-
gung, die sich anfänglich vorrangig gegen ein Bauprojekt auf dem Gelände des
Gezi-Parks am Taksim gerichtet hatte, hat sich längst zu einer landesweiten de-
mokratischen Bewegung gegen den autoritären Führungsstil der AKP-Regie-
rung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan entwickelt. Auch in Ankara
und anderen Städten der Türkei kommt es zu massiven Polizeiübergriffen auf
Demonstrantinnen und Demonstranten mit Gasgranaten, Gummigeschossen,
Wasserwerfern und Räumpanzern. Die Bundestagsabgeordnete der Fraktion
DIE LINKE., Sevim Dag˘delen, berichtete am 15. Juni 2013 vom Taksim-Platz
über „brutale Gewalt der Polizei auf friedliebende, feiernde Menschen, die sich
zum Zeitpunkt des Angriffs im Park befanden“ (www.neues-deutschland.de).

„Das ist wie im Krieg. Die jagen die Leute durch die Straßen und feuern gezielt
mit Tränengas-Granaten auf die Menschen“, erklärte die selber durch Reizgas
bei einem Polizeiangriff auf ein Hotel, in dem Verletzte versorgt wurden, ver-
letzte Vorsitzende der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Abgeordnete des
Deutschen Bundestages Claudia Roth (www.focus.de/politik/ausland/macht-
kampf-in-der-tuerkei-gruenen-chefin-claudia-roth-in-istanbul-das-ist-wie-im-
krieg_aid_1016480.html).

Der TV-Kanal der Tageszeitung „Hürriyet“ dokumentierte sogar Polizisten, die
mit Dönermessern Jagd auf Demonstrantinnen und Demonstranten machten und
Verletzte anschließend mit Knüppeln prügelten (www.jungewelt.de). Bis Mitte
des Monats wurden mindestens vier Demonstranten bei Polizeieinsätzen getötet
und mehrere Tausend zum Teil schwer verletzt.

Das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte ist von einem derart hohen Maß
an Brutalität gekennzeichnet, dass Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel die
Polizeigewalt „erschreckend“ nannte und den Kurs der AKP-Regierung als „viel
zu hart“ kritisierte (www.spiegel.de).
Wenn die türkische Polizei derart das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und
auf körperliche Unversehrtheit missachtet, muss dies nach Auffassung der Fra-
gesteller Konsequenzen für die Polizeizusammenarbeit zwischen der Bundes-
republik Deutschland und der Türkei haben. Deutschland gewährt der Türkei
eine Vielzahl von Unterstützung im Polizeibereich, darunter Ausbildungsmaß-
nahmen und Ausstattungshilfe. Hierzu gehört auch die Vermittlung von Einsatz-

Drucksache 17/14142 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

taktik im Zusammenhang mit „Demonstrationsgeschehen“, wie zuletzt im Mai
2013 im Rahmen eines Projektes, das vom Inspekteur der Bereitschaftspolizeien
der Länder koordiniert worden war (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/13437). Die türkische Polizei
erhält hierbei eine Art Nachhilfe für den Umgang mit Demonstrationen und
scheint sich dabei vor allem für den repressiven Teil zu interessieren. Denn am
Taksim-Platz ist zu erkennen, dass Projekte wie etwa ein Studienbesuch zum
Thema „unangemessene Gewaltanwendung“, wie er im Mai 2013 für türkische
Polizisten in Berlin stattfand, offenkundig nicht verfangen.

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die folgenden Fragen auf den Zeit-
raum seit 2003.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Projekte (Übungen, Lehrgänge, Besprechungen etc.) hat es nach
Kenntnis der Bundesregierung seit 2003 im Rahmen der polizeilichen Zu-
sammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei gegeben (bitte vollstän-
dig unter Angabe der jeweiligen Kooperationspartner, Orte, Zeiträume, In-
halte bzw. Gegenstände der Projekte, Kosten für die deutsche Seite unter
Einbeziehung von Projekten des Inspekteurs der Bereitschaftspolizeien und
unter EU-Führung auflisten)?

Welche dieser Projekte hatten den Umgang mit Großlagen, Demonstrationen
oder Aufstandsbekämpfung u. Ä. zum Gegenstand?

2. Welche Projekte im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und der Türkei sind nach Kenntnis der Bundesregierung für die
nächsten zwei Jahre geplant bzw. werden derzeit erörtert (bitte vollständig
unter Angabe der jeweiligen Kooperationspartner, Orte, Zeiträume, Kosten
für die deutsche Seite unter Einbeziehung von Projekten des Inspekteurs der
Bereitschaftspolizeien und unter EU-Führung auflisten)?

3. Wurden in der Vergangenheit nach Kenntnis der Bundesregierung aus
Deutschland oder anderen EU-Staaten Wasserwerfer oder Module für Was-
serwerfer in die Türkei geliefert (bitte gegebenenfalls Anzahl und Modell so-
wie Lieferland angeben)?

4. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung aus Deutschland oder anderen
EU-Staaten Räumfahrzeuge oder gepanzerte Polizeifahrzeuge für die türki-
sche Polizei und Jandarma geliefert (bitte gegebenenfalls Anzahl und Modell
sowie Lieferland und konkreten Empfänger angeben)?

5. Welche (weitere) Ausstattungshilfe hat es von Seiten Deutschlands oder nach
Kenntnis der Bundesregierung von Seiten der EU an die türkische Polizei in-
klusive Jandarma gegeben, und welchen Wert hatte die gewährte Hilfe (bitte
die Lieferungen nach einzelnen Empfängern konkret aufschlüsseln)?

6. Inwiefern beobachten die in der Türkei tätigen deutschen Polizisten nach
Kenntnis der Bundesregierung das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte
am Taksim-Platz und an den anderen Protestorten, und inwieweit ist dies Ge-
genstand deutsch-türkischer Polizeikonsultationen?

7. Welche Bilanz zieht die Bundesregierung aus der polizeilichen Zusammenar-
beit mit der Türkei seit dem Jahr 2003, und inwieweit sieht sie ihren An-
spruch, mit polizeilicher Zusammenarbeit auch eine Verbesserung der
Rechtsstaatlichkeit im jeweiligen Partnerland zu erreichen, angesichts des
gewalttätigen Vorgehens der türkischen Polizei gegen die Taksimplatz-Pro-
teste als erreicht an (bitte konkret begründen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14142

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorgehen der
türkischen Polizei gegen die Demonstranten sowohl für das weitere bilaterale
Verhältnis als auch für das Verhältnis der EU zur Türkei?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem gewalttäti-
gen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die Taksimplatz-Pro-
teste hinsichtlich der Polizeizusammenarbeit, sowohl im bilateralen Verhält-
nis als auch im Rahmen der EU und auf internationaler Ebene, und inwiefern
gehört hierzu die Aussetzung der Polizeizusammenarbeit und ein Stopp von
Lieferungen solchen Polizeigeräts, das für repressive Maßnahmen geeignet
ist (bitte begründen)?

Berlin, den 25. Juni 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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