BT-Drucksache 17/14046

Umsetzung des Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts zu Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug zu Deutschen (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/12780)

Vom 10. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14046
17. Wahlperiode 10. 06. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Harald Koch, Frank Tempel, Kathrin Vogler,
Katrin Werner, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts zu
Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug zu Deutschen (Nachfrage
zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestags-
drucksache 17/12780)

Die Bundesregierung setzt nach Auffassung der Fragesteller das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 4. September 2012 (10 C 12.12) zu
den Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug zu Deutschen nur unzurei-
chend um (vgl. www.migazin.de/2013/04/11/sprachanforderungen-ehegatten-
nachzug-regierung-herumtrickst/). Zudem erweckte sie auf Bundestagsdruck-
sache 17/12780 (Antwort zu Frage 2) und in Beantwortung der Mündlichen
Frage 27 (Plenarprotokoll 17/227, S. 28370, Anlage 17) einen falschen Eindruck
über den tatsächlichen Inhalt des Runderlasses des Auswärtigen Amts vom
6. Dezember 2012 zur Umsetzung dieses Urteils.

Denn während in den genannten Antworten der Eindruck erweckt wurde, der
Runderlass enthalte auch die Passagen des Urteils, wonach in bestimmten Fällen
„Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind“ und „in
diesen Fällen […] die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden“ brauche (Bundes-
tagsdrucksache 17/12780, zu Frage 2), fehlen genau diese – nach Ansicht der
Fragestellerinnen und Fragesteller besonders wichtigen – Aussagen der Urteils-
begründung in dem genannten Erlass. Durch die zusätzliche Erklärung der Bun-
desregierung, der Erlass „bildet die Urteilsgründe nunmehr umfassend ab“
(ebd., zu Frage 4), wird der falsche Eindruck noch verstärkt. Gegen diese Miss-
achtung des Parlaments protestieren die Fragestellerinnen und Fragesteller ener-
gisch.

Der Vorgang veranschaulicht, wie notwendig es ist, im Rahmen des parlamenta-
rischen Kontroll- und Fragerechts zumindest in begründeten Fällen auch Zu-
gang zu Originalunterlagen erhalten zu können. Die Übersendung des Erlasses
war zunächst verweigert worden (vgl. die o. g. Mündliche Frage 27, Plenarpro-
tokoll 17/227), erst auf mehrfaches Nachfragen hin wurde er der Abgeordneten
Sevim Dag˘delen dann doch noch zur Verfügung gestellt. Allerdings wurde das

Dokument zugleich als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ einge-
stuft. Diese Klassifizierung wurde erst auf Nachfrage nach den Gründen hierfür
wieder aufgehoben. Der Wortlaut des Erlasses belegt, dass die Auskünfte der
Bundesregierung zu seinem angeblichen Inhalt unzutreffend waren. Die klar-
stellenden Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts (im Urteil Rn. 28f), wo-
nach es in Anbetracht von Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) geboten
ist, in Fällen der Unzumutbarkeit vom Spracherfordernis abzusehen, und zwar

Drucksache 17/14046 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

unter Umständen auch schon von vornherein und ohne, dass die Betroffenen zu-
nächst ein Jahr lang vergeblich den geforderten Spracherwerb versucht haben,
fehlen, wie dargestellt, im Runderlass. In der Praxis wird der Erlass entsprechend
restriktiv umgesetzt, wie Einzelfälle dies belegen (vgl. taz.die tageszeitung vom
23. April 2013: „Sprachkurse in Afghanistan sind riskant“).

Hinzu kommt, dass Betroffene im Visumverfahren über die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht bzw. unzureichend informiert werden. So ent-
halten etwa die über die Internetseiten der deutschen Generalkonsulate in aller
Welt abrufbaren Merkblätter „zum Nachweis einfacher Deutschkenntnisse beim
Ehegattennachzug“ keinerlei Hinweise auf die grundgesetzlich zwingenden
Ausnahmegründe entsprechend des Urteils des BVerwG, obwohl in diesen
Merkblättern z. B. auf die gesetzlichen Ausnahmeregelungen durchaus einge-
gangen wird (beispielhaft für die Türkei abgerufen am 23. Mai 2013: www.
izmir.diplo.de/Vertretung/izmir/de/04__Visa/Merkblaetter__Formulare__lang__
Seite.html, Vergleichbares gilt auch für die Auslandsvertretungen in China,
Russland usw.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie erklärt und rechtfertigt die Bundesregierung, dass sie Abgeordnete auf
der Bundestagsdrucksache 17/12780 (Antwort zu Frage 2) bzw. in Beantwor-
tung der Mündlichen Frage 17 (Plenarprotokoll 17/227, S. 28370, Anlage 17)
nach Auffassung der Fragesteller unzureichend bzw. falsch über den genauen
Inhalt des Runderlasses des Auswärtigen Amts vom 6. Dezember 2012 zur
Umsetzung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September
2012 informiert hat, insofern der Eindruck erweckt wurde, der Erlass be-
inhalte auch die ausdrücklichen Hinweise des BVerwG dazu, dass in be-
stimmten Fällen der Spracherwerb von vornherein unzumutbar sein kann und
dann auch keine Jahresfrist gilt – was laut eindeutigem Wortlaut des Erlasses
nicht der Fall ist (siehe Vorbemerkung der Fragesteller)?

a) Ist die Bundesregierung bereit, sich hierfür zu entschuldigen?

b) Wer ist für diese nach Auffassung der Fragesteller irreführende Beantwor-
tung, und somit Täuschung des Parlaments verantwortlich?

c) Welche Konsequenzen werden aus diesem Vorgang gezogen?

d) Was entgegnet die Bundesregierung dem Verdacht, dass durch eine solche
Form der Beantwortung eine wirksame Kontrolle der Bundesregierung
durch das Parlament und eine zu erwartende Kritik an einer unzureichen-
den Umsetzung des Urteils des BVerwG vermieden werden sollte?

2. Wie ist insbesondere die Behauptung gegenüber den Abgeordneten zu recht-
fertigen, der Runderlass „bildet die Urteilsgründe nunmehr umfassend ab“
(Bundestagsdrucksache 17/12780, Antwort zu Frage 4), da von „umfassend“
nach Auffassung der Fragesteller keine Rede sein kann, wenn die genannten
wichtigen Urteilspassagen zum Verzicht auf Bemühungen zum Spracherwerb
von vornherein und ohne Jahresfrist fehlen?

3. Wer (welche Stellen, Bundesministerien, Beamte welcher Abteilung usw.)
war in welcher Weise an der Formulierung des Erlasses vom 6. Dezember
2012 beteiligt, wer war dabei federführend, und wer hat diesen Erlass letzt-
lich politisch zu verantworten?

4. Wurde der ergänzende Runderlass vom 6. Dezember 2012 zur Umsetzung
des Urteils noch einmal ergänzt oder geändert, und wenn ja, wann, warum,
von wem, und in welcher Weise (bitte gegebenenfalls den aktuellen Erlass in
Ablichtung beifügen)?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14046

5. Wie hat die Bundesregierung insbesondere auf die Kritik in der Öffentlich-
keit und den Vorwurf einer unzureichenden Umsetzung des Urteils reagiert
(vgl. www.migazin.de/2013/04/11/sprachanforderungen-ehegattennachzug-
regierung-herumtrickst/ und taz.die tageszeitung vom 23. April 2013:
„Sprachkurse in Afghanistan sind riskant“), und was wurde diesbezüglich
unternommen?

6. Inwieweit ist es mit der Vorgabe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung des
Urteils des BVerwG vereinbar, wenn, wie in dem von der „taz.die tageszei-
tung“ vom 23. April 2013 geschilderten Fall, einer auf dem Land lebenden
Afghanin (ohne Strom und Internetzugang; künftige Ehefrau eines Deut-
schen) von der Botschaft in Kabul angeraten wird, mit einem Verwandten
für die Dauer des Spracherwerbs nach Kabul zu ziehen (bitte begründen)?

7. Wie sollen Betroffene in einem Land wie Afghanistan konkret darlegen
oder beweisen, dass ihnen ein Sprachkursbesuch in Kabul und auch ein
sonstiger Spracherwerb nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist, und wie soll
in der Entscheidungspraxis die Grenze zwischen „zumutbar“ und „unzu-
mutbar“ gezogen werden, wenn es keine konkreteren Vorgaben hierzu gibt
(bitte ausführen)?

8. Wie soll überprüft werden, ob Betroffene im „Selbststudium“ genügend
Anstrengungen unternommen haben, um die geforderten Deutschkennt-
nisse innerhalb eines Jahres zu erwerben, welche Kriterien sollen hier
gelten, und wie sollen Angaben der Betroffenen, im Rahmen des ihnen
Möglichen fleißig Deutsch gelernt zu haben, substantiell in Frage gestellt
werden können, wenn der Deutschtest nicht bestanden wurde (bitte ausfüh-
ren, da es hier um einen kaum ausforschbaren privaten Bereich geht)?

9. Welche Nachweise werden verlangt, wenn ein privater Sprachkurs im Aus-
land besucht und der Deutschtest dennoch nicht bestanden wurde, um zu
beurteilen, ob im zumutbaren Umfang versucht wurde, die Sprachanforde-
rungen zu erfüllen (bitte ausführen)?

10. Wieso enthält der Erlass vom 6. Dezember 2012 nicht die klaren Aussagen
des Urteils des BVerwG, wonach in bestimmten Fällen „von vornherein“
von Sprachanforderungen abgesehen werden muss und dann auch keine
Jahresfrist gilt, obwohl die Bundesregierung erklärt hat, der Erlass erfasse
die Urteilsgründe „umfassend“ und obwohl die Bundesregierung bei ihrer
angeblich möglichst genauen Wiedergabe des Inhalts des Erlasses auf Bun-
destagsdrucksache 17/12780 zu Frage 2 diese Passagen durchaus genannt
hat, was belegt, dass sie diese offenkundig für wichtig hält (bitte ausführlich
begründen)?

11. Wieso enthält der Erlass vom 6. Dezember 2012 keinerlei Konkretisierun-
gen zu den unbestimmten Vorgaben der Urteilsbegründung, etwa zu den
Fragen der zumutbaren Erreichbarkeit von Sprachkursen, zu zumutbaren
Kosten, zu erfolgversprechenden Alternativen zum Spracherwerb, zur per-
sönlichen Unabkömmlichkeit usw. (vgl. bereits die Fragen 8a bis 8g auf
Bundestagsdrucksache 17/11661, zu denen die Bundesregierung jedoch
kaum ermessensleitende Anmerkungen macht, sondern im Ergebnis immer
wieder nur auf die notwendige Einzelfallprüfung verweist), und müssen den
Auslandsvertretungen nicht konkretere Hinweise an die Hand gegeben wer-
den, wie sie die allgemeinen Vorgaben des BVerwG in der Praxis näher um-
setzen sollen (bitte ausführen)?

12. Wieso enthält der Erlass vom 6. Dezember 2012 insbesondere keinerlei
Regelung für den Personenkreis der (primären, sekundären – bitte bei der
Antwort differenzieren) Analphabeten, und mit welcher Begründung geht

die Bundesregierung gegebenenfalls davon aus, dass (primäre, sekundäre –
bitte bei der Antwort differenzieren) Analphabeten die geforderten

Drucksache 17/14046 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Deutschkenntnisse im Ausland innerhalb eines Jahres erwerben können,
und ist sie insbesondere der Ansicht, dass dies – von Einzelfällen abgese-
hen – auch ohne spezialisierte Kurse für Analphabeten innerhalb eines Jah-
res gelingen kann (bitte begründen)?

13. Wieso enthält der Erlass vom 6. Dezember 2012 keinerlei Regelung für den
Personenkreis älterer Menschen, für die aufgrund altersbedingter Erschwer-
nisse des Spracherwerbs abgesenkte Prüfmaßstäbe gelten müssten?

14. Wieso enthält der Erlass vom 6. Dezember 2012 keine klaren Vorgaben
dazu, dass von Ehegatten von Deutschen nicht verlangt werden kann, ihren
Wohnort und/oder ihre Arbeit und/oder die Betreuung von Kindern auf-
zugeben, um in einer entfernten Stadt an einem Sprachkurs teilnehmen zu
können, da dies im Regelfall nach Auffassung der Fragesteller mit unzu-
mutbaren Belastungen und Kosten verbunden ist, die über die reinen
Sprachkurskosten deutlich hinausgehen (zusätzliche Miete am Ort des
Spracherwerbs, gegebenenfalls Verzicht auf Einkommen oder ausfallende
Arbeitsleistungen im Familienbetrieb, Hof usw.), und wieso wird eine
solche Vorgabe gegebenenfalls nicht einmal für Menschen mit geringem
Einkommen für erforderlich gehalten (bitte ausführlich begründen)?

15. Mit welcher Absicht wurde im Erlass vom 6. Dezember 2012 durch Fett-
Schrift („und“) besonders hervorgehoben, dass von einer Unzumutbarkeit
des Spracherwerbs auch bei fehlenden Sprachkursen nur dann ausgegangen
werden könne, wenn „auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum
Spracherwerb nicht bestehen“, und inwieweit stimmt die Vermutung, dass
die Auslandsvertretungen hierdurch dazu angehalten werden sollen, in Fäl-
len fehlender Sprachkurse die Betroffenen pauschal zum anderweitigen
Spracherwerb aufzufordern, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob dies zumutbar
und Erfolg versprechend ist, und welche Erkenntnisse liegen der Bundes-
regierung dazu vor, wie realistisch es ist, dass Betroffene im Ausland ohne
spezielle Sprachkurse im Selbststudium die geforderten Sprachkenntnisse
innerhalb eines Jahres erwerben können?

16. Stimmt die Bundesregierung darin überein, dass wenn Ehegatten Deutscher
im Visumverfahren vortragen, dass der geforderte Spracherwerb innerhalb
eines Jahres in zumutbarer Weise aufgrund individueller und/oder allgemei-
ner Gründe nicht zu schaffen ist, die Visastellen prüfen müssen, ob dies der
Fall ist und gegebenenfalls bei Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen
ein Visum zur Familienzusammenführung sofort und ohne Verweis auf
einen zunächst einjährigen Spracherwerb erteilen müssen, andernfalls eine
ablehnende Entscheidung zumindest schriftlich und rechtsmittelfähig be-
gründen müssen (bitte differenziert antworten und begründen)?

17. Gibt es neben der nach Auffassung der Fragesteller sehr knappen Informa-
tion des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf seiner In-
ternetseite („Im Falle des Nachzugs zu einem deutschen Ehegatten ist vom
Sprachnachweis abzusehen, wenn der Deutsche zuvor von seinem europä-
ischen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat oder wenn Bemühungen
des ausländischen Ehegatten um den Erwerb einfacher Deutschkenntnisse
im Ausland nicht möglich, nicht zumutbar oder innerhalb eines Jahres nicht
erfolgreich sind“; www.bamf.de/DE/Migration/EhepartnerFamilie/ehepart-
nerfamilie-node.html) irgendwo detailliertere Auskünfte der Bundesregie-
rung dazu, was der Inhalt des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom
4. September 2012 ist und vor allem, welche konkreten Ausnahmeregelun-
gen für Betroffene hieraus folgen (wenn ja, bitte auflisten), und wenn nein,
warum nicht, und ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die potenti-
ell Betroffenen das Urteil des BVerwG, das auf der oben angegebenen In-

ternetseite verlinkt wird, selbst lesen werden, verstehen und bewerten kön-
nen (bitte darlegen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/14046

18. Wurde der Informations-Folder des BAMF „Nachweis einfacher Deutsch-
kenntnisse beim Nachzug von Ehegatten aus dem Ausland“ an das Urteil
des BVerwG vom 4. September 2012 angepasst und insbesondere um den
Hinweis ergänzt, dass in bestimmten Fällen beim Nachzug zu Deutschen
von vornherein kein Spracherwerb im Ausland erforderlich ist und zudem
zumutbare Spracherwerbsbemühungen maximal ein Jahr dauern dürfen?

Wenn nein, warum nicht, und für wann ist dies geplant?

19. Warum enthält das „Merkblatt zum Nachweis einfacher Deutschkenntnisse
beim Nachzug von Ehegatten nach Deutschland“, das über die Internet-
seiten der deutschen Auslandsvertretungen als Information zum Visumver-
fahren abrufbar ist, keinerlei Hinweis auf das Urteil des BVerwG vom
4. September 2012 und die hieraus resultierenden Ausnahmeregelungen
beim Ehegattennachzug zu Deutschen, in welcher Weise ist die Bundes-
regierung an der Erstellung dieser Merkblätter beteiligt, und wird sie ge-
gebenenfalls anweisen, einen entsprechenden Hinweis (welchen genauen
Inhalts) in die Merkblätter aufzunehmen?

Wenn nein, warum nicht?

20. Wie wird der Erlass vom 4. Dezember 2012 nach Kenntnis der Bundesre-
gierung von den Visastellen in der Praxis umgesetzt, wie häufig werden
Ausnahmefälle entsprechend des Urteils vom 4. September 2012 von
Betroffenen vorgetragen, wie wird hiermit umgegangen, und in wie vielen
Fällen haben die Visastellen solche Ausnahmefälle im Sinne des Urteils
vom 4. September 2012 bestätigt?

21. Welche Beschwerden, Petitionen usw. sind der Bundesregierung hinsicht-
lich der Umsetzung des Urteils vom 4. September 2012 bzw. zu diesbezüg-
lichen Problemen in der Praxis bekannt?

22. Wie viele bzw. welche Gerichtsverfahren sind nach Kenntnis der Bundesre-
gierung diesbezüglich anhängig oder schon entschieden, wie ist der kon-
krete Stand des Verfahrens beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-
Brandenburg – OVG 2 B 13.10 –, und mit welcher Begründung hat das Aus-
wärtige Amt gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt (in diesem Verfah-
ren strebt ein sri-lankanischer Ehemann – ein traumatisierter, in Frankreich
anerkannter Flüchtling und primärer Analphabet – bereits seit dem Jahr
2007 vergeblich den Zuzug zu seiner in Deutschland lebenden Ehefrau an,
die seit 2012 deutsche Staatsangehörige ist; das OVG hatte die Erteilung
eines Visums wegen unzumutbarer Sprachanforderungen angeordnet)?

23. Wie ist die Antwort zu Frage 9 auf Bundestagsdrucksache 17/12780 genau
zu verstehen: „Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten des Spracher-
werbs ist jedoch nicht davon auszugehen, dass allein eine große Entfernung
zu einem Goethe-Institut oder einer sonstigen Sprachlernschule und die
Aufwendung üblicher Kosten die Unzumutbarkeit des Spracherwerbs nach
sich zieht“?

Hält die Bundesregierung große Entfernungen zu Sprachkursen für grund-
sätzlich irrelevant wegen der „vielfältigen Möglichkeiten des Spracher-
werbs“, und welche sind dies genau?

Oder hält die Bundesregierung eine große Entfernung zu Sprachkursen für
grundsätzlich irrelevant, weil sie die Kosten, diese Entfernungen zu über-
winden, grundsätzlich für zumutbar hält (bitte ausführen)?

Drucksache 17/14046 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

24. Wie ist die Antwort zu Frage 8e auf Bundestagsdrucksache 17/11661 genau
zu verstehen: „Die Kosten für den Spracherwerb inklusive der eventuell an-
fallenden genannten Zusatzkosten sind nach Auffassung der Bundesregie-
rung in der Regel insoweit zumutbar, als sie in etwa dem Preisniveau für
entsprechende Leistungen in dem Herkunftsland entsprechen“?

Hält die Bundesregierung grundsätzlich alle (direkten und indirekten)
Kosten für den Spracherwerb in praktisch unbegrenzter Höhe für zulässig,
solange sie nur dem üblichen Preisniveau eines Landes entsprechen, und
wenn ja, wie ist dies mit der Vorgabe des BVerwG zu vereinbaren, die
Kosten der Lernangebote seien bei der Zumutbarkeitsprüfung zu berück-
sichtigen?

Wenn nein, warum werden insbesondere keine generalisierenden Vorgaben
zur Berücksichtigung des Einkommens der Betroffenen gemacht (bitte aus-
führen)?

25. Wie sollen Auslandsvertretungen die vom BVerwG geforderte Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung, ob von vornherein von Sprachbemühungen und -nach-
weisen abgesehen werden muss, vornehmen können, wenn die Bundes-
regierung auf die Frage, welche Erkenntnisse oder Einschätzungen sie dazu
hat, unter welchen Bedingungen für bestimmte Personengruppen der gefor-
derte Spracherwerb innerhalb eines Jahres im „Selbststudium“ (un)möglich
ist, nichts Konkretes zu antworten weiß (vgl. Antwort zu Frage 12 auf
Bundestagsdrucksache 17/12780), und woran sollen sich die Visastellen bei
dieser Frage orientieren?

26. Stimmt die Bundesregierung darin überein, dass die seit 2010 leicht zurück-
gehende Zahl erteilter Aufenthaltserlaubnisse nach § 16 Absatz 5 des
Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12780,
Antwort zu Frage 19) nicht darauf hindeutet, dass infolge des Urteils des
BVerwG vom 30. März 2010 in größerer Zahl von der vom BVerwG auf-
gezeigten Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht wurde, weil sich dies hier
in einem Anstieg der Erteilungen hätte niederschlagen müssen (vorausge-
setzt, dass die Inanspruchnahme der Regelung im Übrigen keinen größeren
Schwankungen unterliegt, was der Fall zu sein scheint), und wenn nein,
bitte begründen?

27. Wie hoch war der Anteil „Externer“ an Sprachprüfungen „Start Deutsch 1“
der Goethe-Institute weltweit im Jahr 2012 (bitte auch nach den 15 wich-
tigsten Herkunftsländern differenzieren)?

28. Wie hoch waren die Bestehensquoten bei Sprachprüfungen „Start Deutsch
1“ der Goethe-Institute weltweit im Jahr 2012 (bitte auch nach externen und
internen Prüfungsteilnehmenden sowie nach den 15 wichtigsten Herkunfts-
ländern differenzieren und zudem die jeweils zehn Länder mit den höchsten
bzw. niedrigsten Quoten mit einer Teilnehmendenzahl von über 100 ange-
ben)?

29. Welche Maßnahmen hat die Europäische Kommission nach Abschluss des
„EU-Pilot“-Verfahrens mit der Referenznummer 3818/12/HOME (Anwen-
dung der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie) ergriffen, was ist dies-
bezüglich geplant, und inwieweit bereitet die Kommission nach Kenntnis
der Bundesregierung ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren ge-
gen die Bundesrepublik Deutschland vor?

30. Hat es weitere Treffen, Besprechungen, Vereinbarungen der Arbeitsgruppe
aus Vertretern der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten im
Rahmen der Grünbuch-Evaluierung der EU-Familienzusammenführungs-
richtlinie gegeben, und wenn ja, wann, welchen Inhalts und mit welchem

Ziel bringt sich die Bundesregierung hier ein (Nachfrage zur Antwort der
Bundesregierung zu Frage 26 auf Bundestagsdrucksache 17/12780)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/14046

31. Wie ist der aktuelle Stand der Erarbeitung von Leitlinien zur Auslegung der
EU-Familienzusammenführungsrichtlinie durch die Europäische Kommis-
sion, und was beinhalten die Leitlinien (gegebenenfalls im Entwurfs-
stadium), insbesondere zum Punkt der Zulässigkeit von Sprachnachweisen
eines bestimmten Niveaus als Einreisebedingungen beim Ehegattennach-
zug (vgl. Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie)?

32. Welche konkreten Belege oder Informationen hat die Bundesregierung zu
Fällen einer „beharrlichen Verweigerung erster Integrationsbemühungen“,
auf die die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 28 auf Bundestags-
drucksache 17/12780 zur Rechtfertigung der Sprachnachweise im Ausland
Bezug nimmt, d. h. zu Fällen, in denen es trotz der Möglichkeit zur Ver-
pflichtung zum Integrationskurs, zur Befristung des Aufenthaltstitels und
zur Ausreiseaufforderung, zur Vorab-Gebührenerhebung, zum Einsatz
unmittelbaren Zwangs und zu Kürzungen bzw. Einstellungen sozialer Unter-
stützungsleistungen nicht gelingt, dass die Betroffenen in hiesigen Integra-
tionskursen das Sprachniveau A1 erreichen oder andernfalls bei entspre-
chender Verweigerung erhebliche Sanktionen hinnehmen oder sogar
Deutschland wieder verlassen müssen (bitte ausführen)?

33. Wie ist die Behauptung der Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 28
auf Bundestagsdrucksache 17/12780, es gebe „keine effektive Möglichkeit,
einer beharrlichen Verweigerung erster Integrationsbemühungen entgegen-
zuwirken“ und „eine Aufenthaltsbeendigung […] nicht möglich“ sei , damit
zu vereinbaren, dass

a) nach § 8 Absatz 3 AufenthG sehr wohl die Möglichkeit besteht, eine
Aufenthaltserlaubnis nicht zu verlängern, wenn der Verpflichtung zur
ordnungsgemäßen Integrationskursteilnahme nicht nachgekommen
wurde, insbesondere bei „wiederholter und gröblicher Verletzung“ der
Teilnahmepflicht, was zwangsläufig auch zur Aufenthaltsbeendigung
führen kann (bitte begründen)?

b) es sehr wohl zahlreiche effektive Möglichkeiten im Aufenthaltsgesetz
(und überdies auch in den Sozialgesetzen) gibt, einer „beharrlichen Ver-
weigerung erster Integrationsbemühungen entgegenzuwirken“, etwa den
Einsatz von Mitteln des Verwaltungszwangs zur Erfüllung der Teil-
nahmepflicht, aufenthaltsrechtliche Sanktionen bis hin zur Aufenthalts-
beendigung (§ 8 Absatz 3 AufenthG) und die Möglichkeit einer Vorab-
Festsetzung des voraussichtlichen Kostenbeitrags durch einen Gebüh-
renbescheid (vgl. insgesamt § 44a Absatz 3 AufenthG, bitte begründen)?

34. Welche Erfahrungen wurden inzwischen mit der Regelung für syrische
Staatsangehörige gemacht, die beim Ehegattennachzug auch ohne einen
vorherigen Nachweis einfacher Deutschkenntnisse einreisen dürfen, wenn
sie sich verbindlich für einen Sprachkurs in Deutschland angemeldet haben,
und wenn der Bundesregierung hierzu bislang keine nennenswerte Pro-
bleme bekannt geworden sind, warum wird eine solche Verfahrensweise
nicht generell praktiziert, da sie einen minderschwereren Eingriff in das
grundrechtlich geschützte Ehe- und Familienleben darstellt, als das derzei-
tige, für viele Betroffene sehr belastende Verfahren des Spracherwerbs im
Ausland (bitte begründen)?

35. Wieso fordert die Bundesregierung konsequenterweise nicht ein höheres
Sprachniveau als B1 für die Erteilung einer längerfristigen Aufenthaltser-
laubnis bzw. für eine Einbürgerung, da nach ihrer Logik (vgl. Antwort zu
Frage 30 auf Bundestagsdrucksache 17/12780) hohe Sprachanforderungen
angeblich ein geeignetes Mittel zur Herstellung gleicher Teilhabechancen in
Deutschland und zur Integration sind, oder ist sie der Meinung, gleiche Teil-

habechancen sind exakt ab dem Niveau B1 erreicht, wie der Wortlaut ihrer
Antwort vermuten lässt (ebd., bitte begründen)?

Drucksache 17/14046 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
36. Inwieweit wird die Regelung des § 8 Absatz 3 Satz 6 AufenthG, die den
Nachweis schriftlicher und mündlicher Deutschkenntnisse des Niveaus B1
GER für die Erteilung einer länger als einjährigen Aufenthaltserlaubnis for-
dert, der besonderen Situation von Analphabeten gerecht, wenn in einer
Studie des BAMF („working paper 42: Das Integrationspanel“, S. 13) da-
von ausgegangen wird, dass primäre Analphabeten in einem spezialisierten,
900-stündigen Sprachkurs im Regelfall nur das Niveau A2.1 erreichen kön-
nen und real am Ende solcher Kurse nur 45,2 Prozent über Schreibkennt-
nisse des noch einmal niedrigeren Niveaus A1 (oder höher) verfügen (ebd.,
S. 49; bitte ausführen)?

37. Wie kann die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 6. Mai 2013 auf die
Schriftliche Frage 18 der Abgeordneten Sevim Dag˘delen auf Bundestags-
drucksache 17/13394 behaupten, die Verschärfung der Regelung nach § 8
Absatz 3 Satz 6 AufenthG sei kein Verstoß gegen das Verschlechterungsver-
bot nach Artikel 13 ARB 1/80 (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats
EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September
1980), weil diese Regelung türkische Staatsangehörige nicht davon abhalte,
von ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch zu machen, nachdem das
Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. März 2013 (1 C 12.12) ge-
klärt hat, dass auch eine Erhöhung von Gebühren für Aufenthaltstitel dem
Verschlechterungsverbot unterfallen kann, was zweifelsohne ebenso wenig
türkische Staatsangehörige davon abhält, von ihrer Arbeitnehmerfreizügig-
keit Gebrauch zu machen, so dass diese Argumentation der Bundesregie-
rung nach Auffassung der Fragesteller offenkundig unzulässig ist (bitte aus-
führlich begründen und dabei zudem eine korrekte Antwort auf die ge-
nannte Schriftliche Frage 18 geben)?

Berlin, den 7. Juni 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.