BT-Drucksache 17/1396

Mit guter Arbeit aus der Krise

Vom 20. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1396
17. Wahlperiode 20. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W. Birkwald, Werner
Dreibus, Heidrun Dittrich, Diana Golze, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Mit guter Arbeit aus der Krise

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Finanzmarkt-Kapitalismus der letzten Jahre hat die Arbeitswelt nachhaltig
verändert. Die auf kurzfristige Steigerung von Gewinn und Aktienkurs ausge-
richteten Unternehmensstrategien haben im Ergebnis zu einer weitgehenden
Deregulierung des Arbeitsmarktes geführt und die Prekarisierung von Arbeit
vorangetrieben. Dieser Prozess wurde politisch durch die Agenda 2010 und die
Hartz-Gesetze forciert. Die offizielle Politik schaffte die gesetzlichen Vorausset-
zungen für die Erosion von regulärer, gut abgesicherter und entlohnter Beschäf-
tigung und schwächte dadurch die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Prekäre Beschäftigungsformen wie Minijobs und Leiharbeit
wurden ausgebaut, Befristungen von Arbeitsverhältnissen erleichtert und der
Kündigungsschutz abgebaut. Erwerbslose werden durch die Androhung von
Leistungskürzungen gezwungen, auch Arbeitsverhältnisse zu schlechten Bedin-
gungen anzunehmen. Nahezu jede Arbeit gilt als zumutbar. Auch die verkürzte
Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I und der viel zu niedrige Hartz-IV-Regel-
satz dienen dem Ziel, den Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte zu erhöhen.
Die Erpressbarkeit von Erwerbslosen und Beschäftigten hat zu verstärktem
Lohndumping und zur massiven Ausweitung des Niedriglohnsektors geführt.

Unsichere, schlecht bezahlte Jobs und eine unzureichende soziale Absicherung
im Fall der Erwerbslosigkeit wirken disziplinierend auf die Beschäftigten und
erzeugen ein Klima der Angst. Insbesondere durch den strategischen Einsatz
von Leiharbeit werden die Arbeitskosten systematisch reduziert und strukturell
der Angriff auf das Normalarbeitsverhältnis verstärkt. Die Spaltung der Beleg-
schaften schwächt die Position der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretun-
gen, die durch die Drohung mit Standortverlagerungen im Rahmen einer ver-
schärften globalen Konkurrenz, den wirtschaftlichen Strukturwandel sowie
sozialstrukturelle Veränderungen ohnehin in die Defensive geraten sind.

Die amtierende Bundesregierung sowie ihre beiden Vorgängerregierungen

haben diesen Entwicklungen zu immer schlechteren Entlohnungs- und Arbeits-
bedingungen für Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aktiv
vorangetrieben. Dies ist ein politisches Armutszeugnis und nicht länger hinzu-
nehmen.

Dramatisch ist die Situation vor allem für Frauen und junge Menschen, aber
auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Sie sind besonders häufig von
prekärer Beschäftigung und niedrigen Löhnen betroffen. Sie leben in beruflicher

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und persönlicher Unsicherheit. Zukunfts- oder Familienplanung ist unter diesen
Umständen nur schwer möglich. Durch den Einsatz von Leiharbeit und befriste-
ten Arbeitsverträgen werden Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz und
betriebliche Mitbestimmung ausgehebelt. Beschäftigte müssen aber von ihrem
Lohn leben und ihr Leben planen können, Arbeitnehmerrechte müssen gestärkt
werden.

Die derzeitige Krise verschärft den negativen Trend. So sanken nach Angaben
des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr die Reallöhne um 0,4 Pro-
zent. Sinkende Erwerbseinkommen schmälern die Lohnersatzleistungen bei
Arbeitslosigkeit und im Alter. Sie schwächen zudem die Einnahmebasis der
sozialen Sicherungssysteme. Im Bundeshaushalt führen sie zu Steuerausfällen
und gleichzeitig zu höheren staatlichen Ausgaben, da nicht existenzsichernde
Löhne mit aufstockenden Hartz-IV-Leistungen subventioniert werden. Nicht
zuletzt schwächen niedrige Löhne auch die Binnennachfrage. Soll die Krise
überwunden werden, müssen die Löhne steigen und Arbeitsverhältnisse besser
abgesichert sein. Eine Kehrtwende in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarkt-
politik ist aber nicht nur aus diesem Grund dringend geboten.

Unabdingbar ist ebenso der sozialökologische Umbau der Wirtschaft. Neben der
Finanz- und Wirtschaftskrise befinden wir uns in einer ökologischen Krise, die
Lebens- und Produktionsgrundlagen der Gesellschaft untergräbt, Natur sowie
menschliche Gesundheit zerstört. Zur guten Arbeit gehört daher ebenso die
Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit der Produktion und der Konsumtion.

Gute Arbeit muss das Ziel politischen Handelns sein

Ein sicheres, geregeltes und geschütztes Arbeitsverhältnis ist für viele Beschäf-
tigte Bestandteil eines guten Lebens. Es bietet eine Perspektive und ermöglicht
eine selbstbestimmte Lebensplanung sowie ein verlässliches Einkommen. Gute
Arbeit ist sozial- und arbeitsrechtlich abgesichert und folgt dem Prinzip, dass
gleiche oder gleichwertige Arbeit auch gleich entlohnt wird. Arbeit darf nicht
krank machen und muss erlauben, Beruf, Familie und andere private Sozialbe-
ziehungen miteinander vereinbaren zu können. Gute Arbeit ist an hohen sozialen
und ökologischen Qualitätsstandards zu messen. Gute Arbeit bedeutet auch,
dass Beschäftigte mehr Mitbestimmung über den Arbeitsprozess erhalten. Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein großes Interesse an langfristiger
Entwicklung und sicheren Arbeitsplätzen. Ebenso sind mehr Qualifizierungen
in ihrem Interesse, damit sie ihre Erwerbsbiographie selbstbestimmt gestalten
können. Dies steht kurzfristigen Renditeentscheidungen entgegen, die nicht un-
maßgeblich zur wirtschaftlichen und ökologischen Krise beigetragen haben.

Es sind Bedingungen zu schaffen, unter denen jeder erwerbsfähige Mensch die
Möglichkeit hat, eine gute Erwerbsarbeit aufzunehmen. Niemand darf unfrei-
willig vom Arbeitsleben ausgeschlossen werden. Daher sind sowohl ein Zu-
kunftsprogramm für zwei Millionen zusätzliche zukunftsfähige und tariflich
entlohnte Vollzeitarbeitsplätze als auch 500 000 öffentlich geförderte Beschäfti-
gungsverhältnisse dringend notwendig. Öffentlich geförderte Beschäftigung
muss freiwillig, voll sozialversicherungspflichtig und an ortsüblicher bzw. tarif-
licher Entlohnung orientiert sein. Reguläre Beschäftigung darf nicht verdrängt
werden.

Aber auch Menschen, die erwerbslos sind, müssen durch eine ausreichende ma-
terielle Absicherung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Hierfür ist
eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung einzuführen. Und es
muss möglich sein, für gewisse Zeiträume der Erziehung von Kindern, der
Pflege von Angehörigen einem Sabbatjahr oder einer Weiterbildung nachzuge-
hen, ohne sich am Erwerbsleben zu beteiligen. Dies darf keine gravierenden

Auswirkungen auf die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit, bei Krankheit

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1396

oder im Alter haben. Hierfür müssen die politischen Voraussetzungen geschaf-
fen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend gesetzliche Initiativen zu ergreifen, die folgende Maßnahmen zum
Inhalt haben:

a) Unbefristete Vollzeitarbeit, die anständig entlohnt wird und arbeits- und so-
zialrechtlich abgesichert ist, muss die Regel werden:

● In der Leiharbeit muss das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ab
dem ersten Einsatztag ohne Ausnahme gelten. Die Verleihdauer wird auf
drei Monate beschränkt und Betriebsräte erhalten ein zwingendes Mit-
bestimmungsrecht über den Einsatz von Leiharbeitskräften. Das Synchro-
nisationsverbot wird wieder eingeführt und Leiharbeitskräfte erhalten
zusätzlich zu ihrem Lohn eine Flexibilitätsprämie.

● Sachgrundlose Befristungen sind abzuschaffen. Ein Arbeitsvertrag darf
nur aus triftigen Gründen befristet werden.

● Jede Stunde Arbeit muss der vollen Sozialversicherungspflicht unterlie-
gen. Geringfügige Beschäftigung darf nicht weiter subventioniert werden.

● Der Geltungsbereich des Kündigungsschutzes ist auf alle Beschäftigten
auszuweiten, indem der Schwellenwert für die Betriebsgröße aufgehoben
wird. Auch die Wartezeit, bis der Kündigungsschutz für den Einzelnen
greift, wird von sechs auf drei Monate verkürzt. Für Beschäftigte über
55 Jahre muss ein besonderer Kündigungsschutz gelten. Massenentlas-
sungen in profitablen Betrieben werden verboten.

● Die öffentliche Hand darf Aufträge nur an Firmen vergeben, die be-
stimmte soziale und ökologische Kriterien erfüllen. Hierzu zählen vor
allem die Zahlung von Tarif- bzw. Mindestlöhnen, die Gleichstellung von
Frauen und Männern sowie die Förderung und der gleichberechtigte
Zugang von Menschen mit Behinderung und von Menschen mit Migra-
tionshintergrund.

b) Den Arbeitstag begrenzen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessern:

● Die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit ist in einem ersten Schritt auf
40 Stunden pro Woche zu reduzieren.

● Im Arbeitszeitgesetz wird verankert, dass Eltern von Kindern unter
zwölf Jahren auf Verlangen von Schichtarbeit befreit werden können,
ohne dass der Arbeitgeber dagegen betriebliche Gründe geltend machen
kann.

● Im Kündigungsschutz- und im Elterngeldgesetz wird der besondere Kün-
digungsschutz für Eltern, wie er derzeit bereits bis zum Ende der Eltern-
zeit gilt, auf die Vollendung des sechsten Lebensjahres des Kindes aus-
geweitet.

c) Den Arbeits- und Gesundheitsschutz stärken, mehr und bessere berufliche
Weiterbildung ermöglichen:

● Es müssen Maßnahmen zur Stärkung des Arbeits- und Gesundheitsschut-
zes ergriffen werden, die zum Ziel haben, gesundheitlichen Verschleiß
und Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes zu vermeiden. Dazu
müssen Belastungen verringert und die Gesundheitsvorsorge verbessert
werden. Dies bedarf ausreichender und gesetzlich vorgeschriebener Qua-
litätskriterien für den Gesundheitsschutz. Ein betriebliches Gesundheits-

management unter Beteiligung von Betriebs- oder Personalräten muss
zur Pflicht werden.

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● Für alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze und Arbeitsorganisationen
müssen Konzepte entwickelt werden. Ansatzpunkte sind zum Beispiel
längere Erholzeiten und ein Belastungswechsel durch Arbeitsplatz-
rotation. Aber auch eine Fortführung der durch die Bundesagentur für
Arbeit geförderten Altersteilzeit zählt hierzu.

● Um junge Menschen bereits beim Einstieg in ihr Erwerbsleben aus-
reichend zu schützen, muss das Jugendarbeitsschutzgesetz in seinem
Geltungsbereich ausgeweitet werden. Ausnahmetatbestände sind einzu-
grenzen.

● Mehr und bessere Weiterbildung für Beschäftigte und Erwerbslose ist not-
wendig und erfordert für beide Gruppen einen individuellen Rechts-
anspruch. Weiterbildung im Betrieb muss über Branchenfonds, in die die
Arbeitgeber einzahlen, finanziert werden. Die Beschäftigten erhalten
einen Anspruch auf festgelegte Weiterbildungszeiten pro Jahr. Außerdem
werden jährliche Qualifizierungsgespräche zur Pflicht.

d) Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern herstellen:

● Angesichts der wachsenden Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist
es notwendig, ein Gesetz zu erarbeiten, das die Tarifvertragsparteien ver-
pflichtet, diskriminierende Entgeltsysteme abzubauen. Im Tarifvertrags-
gesetz ist der Entgeltgleichheitsgrundsatz zu verankern.

● Für die Privatwirtschaft muss ein Gleichstellungsgesetz konzipiert wer-
den, das die Betriebe solange auf gleichstellungspolitische Maßnahmen
verpflichtet, bis das Ziel der gleichen Entlohnung von Frauen und Män-
nern für gleiche und gleichwertige Arbeit erreicht ist.

● Die Rahmenbedingungen für eine mögliche Vollzeiterwerbstätigkeit von
Eltern müssen sichergestellt werden. Dazu gehört u. a. der Rechtsan-
spruch jedes Kindes auf eine hochwertige und elternbeitragsfreie ganz-
tägige Betreuung.

e) Gesetzlichen Mindestlohn einführen:

● Es muss endlich einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn ge-
ben, der noch in dieser Wahlperiode auf 10 Euro pro Stunde erhöht wird.

● Höhere tarifliche Mindestlöhne müssen für die jeweilige Branche für all-
gemeinverbindlich erklärt werden. Dazu wird das Arbeitnehmerentsende-
gesetz auf alle Branchen ausgeweitet und die Allgemeinverbindlicherklä-
rung auf Antrag einer Tarifvertragspartei ermöglicht.

f) Solo-Selbständige besser absichern, Scheinselbständigkeit abschaffen:

● Damit einzelne Beschäftigte von ihren Unternehmen nicht in die Schein-
selbständigkeit gezwungen werden, sind wirksame Kontrollen und Sank-
tionen notwendig. Zudem ist in § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB IV) wieder eine gesetzliche Definition aufzunehmen, was konkret
unter Selbständigkeit zu verstehen ist. Dies erleichtert eine Abgrenzung
zur abhängigen Beschäftigung.

● Solo-Selbständige müssen systematisch in die sozialen Sicherungssys-
teme einbezogen werden, um sie vor Verarmung zu schützen. Dies muss
unabhängig von ihrem vorherigen Status erfolgen.

g) Zumutbarkeit verbessern, Qualität von Arbeit in den Mittelpunkt rücken:

● Eine Vermittlung in Arbeit darf nur erfolgen, wenn sie den Standards guter
Arbeit entspricht. Zumutbar ist eine Arbeit nur, wenn die Qualifikation ge-
schützt und die vorherige Lohnhöhe berücksichtigt werden. Die Auf-
nahme untertariflich entlohnter Arbeit ist generell nicht zumutbar. Auch

die Anforderungen an Fahrtzeiten müssen gesenkt und die politische und
religiöse Gewissensfreiheit gewährleistet sein.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/1396

● Der Schutz durch die Arbeitslosenversicherung muss verbessert werden,
indem der Bezug des Arbeitslosengeldes I verlängert wird. In der Krise er-
hält jede und jeder Anspruchsberechtigte 24 Monate Arbeitslosengeld I,
um einen schnellen Absturz in Hartz IV zu verhindern. Das verringert den
Druck auf Erwerbslose.

● Alle Erwerbslosen erhalten die gleichen Ansprüche auf arbeitsmarktpoli-
tische Förderinstrumente. Insbesondere muss dies bei Bedarf einen
Rechtsanspruch auf eine berufliche Weiterbildung beinhalten, der auch
längerfristige Maßnahmen mit anerkanntem Berufsabschluss umfasst.

h) Streikrecht verbessern, kollektive Mitbestimmungsmöglichkeiten ausweiten:

● Das Streikrecht wird auf Übernahmen und Verlagerungen von Unterneh-
men ausgeweitet.

● Der Antistreikparagraph (§ 146 SGB III) wird abgeschafft.

● Ein politischer Streik und ein Generalstreik müssen wie in anderen Län-
dern Europas auch rechtlich erlaubt werden. Beschäftigte müssen sich
legal gegen politische Entscheidungen zur Wehr setzen können, die gegen
ihre Interessen gerichtet sind.

● Die Gewerkschaften erhalten ein Verbandsklagerecht zum Schutz gelten-
der Tarifverträge.

● Die betriebliche Mitbestimmung muss verbessert werden, indem Be-
triebsräte das Recht bekommen, auch bei wirtschaftlichen Fragen mitzu-
bestimmen. Außerdem ist die Bildung von Betriebsräten in kleinen und
Filialbetrieben zu erleichtern.

● Die paritätische Unternehmensmitbestimmung ist auf alle privaten, öf-
fentlichen und gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, die mehr als
100 Beschäftigte haben, sowie auf Gesellschaften mit ausländischer
Rechtsform, die in Deutschland ihren Verwaltungssitz haben, auszuwei-
ten. Die Verlagerung von Betrieben oder Betriebsteilen, die Zusammen-
legung oder Spaltung von Unternehmen, Übernahmen anderer Unter-
nehmen, aber auch der Verkauf bzw. die Schließung von Betrieben oder
Betriebsteilen bedürfen zwingend der Zustimmung des Aufsichtsrates.
Bei Entscheidungen von erheblicher Bedeutung für die Belegschaft ist vor
der Entscheidung des Aufsichtsrates eine Belegschaftsabstimmung durch-
zuführen. Außerdem müssen solchen Entscheidungen mindestens zwei
Drittel des Aufsichtsrates zustimmen.

i) Der sozialökologische Umbau der Wirtschaft und die nachhaltige ökologi-
sche Entwicklung der Produktion sind zu fördern.

Berlin, den 20. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Niedriglohnstrategie der beiden vergangenen und der jetzigen Bundesregie-
rung ist gescheitert. Stattdessen ist eine qualitäts- und nachfrageorientierte
Beschäftigungspolitik notwendig. Eine solche Beschäftigungspolitik setzt auf
Qualifizierung, Professionalisierung und hohe Löhne. Auf diesem Wege ist eine

hohe Innovationsorientierung der Wirtschaft zu erreichen. Im Rahmen einer

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qualitätsorientierten Beschäftigungspolitik sollte auch die in Deutschland in
hohem Maße bestehende soziale Dienstleistungslücke geschlossen und ein öko-
logischer Umbau der Gesellschaft vorangetrieben werden. Dazu ist ein Zu-
kunftsprogramm zum Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen und für mehr
öffentliche Investitionen notwendig. Eine qualitätsorientierte Beschäftigungs-
politik hat vor allem aber auch gute Arbeitsbedingungen zum Ziel.

Davon ist Deutschland weit entfernt. Nach Berechnungen des Statistischen Bun-
desamtes hat sich im Zeitraum von 1997 bis 2007 die Zahl der Normalarbeits-
verhältnisse (unbefristet, sozial abgesichert, Vollzeit) um 1,53 Millionen verrin-
gert, während im gleichen Zeitraum atypische Beschäftigung (Minijobs, Leih-
arbeit, Befristungen, Teilzeit) um 2,58 Millionen zugenommen hat. Bei atypi-
scher Beschäftigung ist der Anteil der Niedriglöhne deutlich höher als bei einem
Normalarbeitsverhältnis. Laut Statistischem Bundesamt ist ein Lohn niedrig,
wenn er unter 9,85 Euro pro Stunde liegt. Demnach erhalten 81,2 Prozent der
Minijobberinnen und Minijobber einen niedrigen Lohn, ebenso ergeht es
67,2 Prozent der Leiharbeitskräfte. Von den befristet Beschäftigten bekommen
36 Prozent lediglich einen niedrigen Lohn und von den Teilzeitkräften 19,5 Pro-
zent. Bei den Normalarbeitsverhältnissen sind es 11,1 Prozent. Frauen erhalten
im Schnitt immer noch 23 Prozent weniger Lohn als Männer. Diese Lohnlücke
muss endlich geschlossen werden. Unbefristete, sozial abgesicherte Vollzeit-
arbeit zu mindestens existenzsichernden Löhnen muss die Regel werden.

Mittlerweile arbeitet jeder fünfte Beschäftigte zu einem niedrigen Lohn. Das
sind mehr als sechs Millionen Menschen. Nach Berechnungen des Instituts für
Arbeit und Qualifikation ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten von
14,2 Prozent im Jahr 1998 auf 21,5 Prozent im Jahr 2007 gestiegen. 1,37 Millio-
nen Menschen sind darauf angewiesen, sich ihren niedrigen Lohn vom Staat
über Hartz-IV-Leistungen aufstocken zu lassen. Es ist nicht hinzunehmen, dass
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gezwungen werden, den vom Arbeit-
geber vorenthaltenen Lohnanteil über Transferleistungen finanzieren zu müs-
sen. Im Jahr 2009 zahlte der Staat auf das Jahr hochgerechnet 8,8 Mrd. Euro an
Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes an Erwerbstätige. Mit einem
gesetzlichen Mindestlohn kann dem entgegengewirkt werden.

Die katastrophale Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt findet auch in Befragun-
gen der Beschäftigten ihren Niederschlag. Im aktuellen „DGB-Index Gute
Arbeit“ beurteilen nur 12 Prozent ihre Arbeit als gut, 55 Prozent als mittelmäßig
und 33 Prozent als schlecht. Besonders Beschäftigte in prekären Beschäf-
tigungsverhältnissen und mit niedriger Entlohnung bewerten ihre Arbeitsplätze
negativ. Weitere negative Aspekte der Arbeit sind gesundheitliche Belastungen,
respektloses Verhalten von Vorgesetzten oder zu lange Arbeitszeiten.

Die Deregulierung des Arbeitsmarktes ist nicht im Sinne der Beschäftigten und
steht im Widerspruch zu ihren Wünschen. Befragt nach ihren Anforderungen an
gute Arbeit sagen 92 Prozent, dass ein verlässliches und festes Einkommen ent-
scheidend sei. Dies ist das am häufigsten genannte Kriterium. Für weitere
88 Prozent ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes wichtig. 83 Prozent halten ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis für einen Bestandteil guter Arbeit (vgl. Fuchs
2006: Was ist gute Arbeit? Anforderungen aus der Sicht von Erwerbstätigen).
Die Politik muss endlich handeln und für mehr gute Arbeit sorgen.

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