BT-Drucksache 17/13832

Auswirkungen auf die Umwelt durch den Einsatz von R1234yf in Kfz-Klimaanlagen - Gefahrenabwehr für Mensch und Umwelt

Vom 5. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13832
17. Wahlperiode 05. 06. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ralph Lenkert, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter,
Dorothee Menzner, Jens Petermann, Sabine Stüber, Frank Tempel und
der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen auf die Umwelt durch den Einsatz von R1234yf in Kfz-Klimaanlagen
– Gefahrenabwehr für Mensch und Umwelt

Die Richtlinie 2006/40/EG des Europäischen Parlaments und des Rates schreibt
für alle Kraftfahrzeugtypen, die ab dem 1. Januar 2011 zugelassen werden, ein
klimafreundliches Kältemittel vor, dessen Treibhauspotenzial (GWP = global
warming potential) nicht mehr als 150-fach die Klimaschädlichkeit von Kohlen-
dioxid überschreiten darf. Die Automobilindustrie hatte sich für das Kältemittel
R1234yf der Hersteller Honeywell und DuPont ausgesprochen. Zum Vergleich:
der GWP-Wert von R1234yf liegt bei 4, das bisher übliche Mittel R134a bei
1430.

Nachteile des neuen Mittels sind aber unter anderem die schnellere Entflamm-
barkeit bei einer verhältnismäßig niedrigen Temperatur von 405 °C, die im
Brandfall entstehenden extrem gesundheitsgefährdenden Verbrennungspro-
dukte (Fluorwasserstoff) und die Abbauprodukte bei dem Zerfall von R1234yf
in der Luft. Die Entzündungstemperatur von R134a liegt über 900 °C. Die che-
mische Instabilität von R1234yf bewirkt das geringe Treibhauspotenzial, führt
aber dazu, dass in wenigen Tagen als Abbauprodukt Trifluoressigsäure (TFA)
entsteht, die aus der Atmosphäre in Böden und Gewässer ausgewaschen wird.
Dieses extrem stabile Molekül kann in der Natur nicht abgebaut werden und rei-
chert sich faktisch unendlich in Wasser und Lebewesen an. Zudem ist es für
Pflanzen giftig, insbesondere für einige Algenarten.

Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) hat vor
Kurzem eine Untersuchung zur Einschätzung der zukünftigen Einträge von
R1234yf bzw. TFA durchgeführt (www.empa.ch „Saures aus der Aircondition“).
Nach ihren Berechnungen werden nach der Einführung des neuen Kühlmittels
in Europa pro Jahr bis zu 19 000 Tonnen R1234yf in die Atmosphäre entwei-
chen, wobei aufgrund der geringen Verweilzeit in der Atmosphäre die Böden
und Gewässer in Regionen mit hohem Verkehrsaufkommen stärker von den Zer-
fallsprodukten belastet sein werden. TFA ist bereits heute in den Gewässern
nachweisbar und die Konzentrationen werden bei einer grundsätzlichen Ver-
wendung des neuen Kältemittels weiter steigen. Letztlich gelangen sie in das
Grundwasser oder werden die Meere belasten.
Nach Einschätzungen der EMPA wird die durchschnittliche Konzentration in
der nächsten Zeit die Schädigungsgrenzwerte der empfindlichsten Süßwasseral-
gen zwar nicht überschreiten, aber wegen der Persistenz von TFA empfiehlt die
EMPA ein Monitoring der Konzentrationsentwicklung und Forschungen zur
Auswirkung von steigenden Belastungen in Gewässern und Böden. Das Wissen

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um TFA ist aus Sicht der EMPA noch zu gering, um einen sicheren Grenzwert
anzusetzen.

Die Toxizität für die Wasserfauna (Süßwasseralge) wird mit 1 200 mg/l über
72 Stunden angegeben. In der Medizin sind jedoch in Verbindung mit dem An-
ästhetikum Halothan, bei dem auch TFA im Abbauprozess entsteht, Leberschä-
den durch eine jahrelangen Exposition mit 5 ppm Halothan bekannt geworden.
Es gilt als nachgewiesen, dass die Schädigungen durch TFA hervorgerufen wur-
den. Akute Toxizität und Schädigungen durch langfristige Einwirkung (Dosis-
leistung) könnten sich um zwei bis drei Zehnerpotenzen unterscheiden. Dies las-
sen die Datenangaben befürchten.

Im Falle von Unfällen und dem Kontakt von R1234yf mit über 500 °C heißen
Oberflächen entsteht Fluorwasserstoff auf zwei Wegen. Erstens als Verbren-
nungsprodukt im Falle eines Brandes und zweitens gibt es auch ohne Feuer die
Freisetzung von Fluorwasserstoff beim Kontakt von R1234yf mit den heißen
Flächen.

Ersthelfer und insbesondere uninformierte zivile Helfer könnten deshalb erheb-
liche oder tödliche Verletzungen durch Fluorwasserstoffe nach einer Freisetzung
von R1234yf erleiden. Es stellen sich deshalb nach Auffassung der Fragesteller
unter Einbeziehung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/12566, noch weitergehende Fragen, wie dieser
Gefährdung sicher vorzubeugen ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung die systematische Überwachung von Konzentra-
tionen der TFA in Luft und Wasser?

Wenn ja, wie ist der heutige Stand der Vorbereitungen von Messungen, wel-
che Behörde wird die Messungen durchführen bzw. koordinieren, und ist eine
sukzessive Ausweitung der Messungen vorgesehen?

2. Plant die Bundesregierung eine Simulationsberechnung nach dem Schweizer
Modell der EMPA, um die deutschlandbezogenen zukünftigen Einträge von
TFA abzuschätzen (falls nein, bitte begründen)?

3. Liegen nach Kenntnis der Bundesregierung von deutschen Gewässern Mess-
ergebnisse über TFA-Konzentrationen vor (wenn ja, bitte die Messwerte,
Orte/Gewässer und Erfassungszeiten auflisten)?

4. Wie schätzt die Bundesregierung die Umweltrelevanz von TFA ein?

5. Arbeitet die Bundesregierung an der Festlegung von umwelt- und gesund-
heitsrelevanten Grenzwerten für TFA?

6. Besteht aus Sicht der Bundesregierung die Gefahr, dass langfristige Einwir-
kungen kleiner Konzentrationen Schäden bei Lebewesen bewirken, bzw. gibt
es eine bekannte Dosisleistung, und welchen Wert besitzt sie?

7. Wenn der Bundesregierung eine Dosisleistung nicht bekannt ist, was unter-
nimmt sie zur Aufklärung?

8. Besteht nach Kenntnis der Bundesregierung die Gefahr, dass die Wirkung
von TFA durch andere anthropogene Wasserinhaltsstoffe, wie Pestizide oder
Arzneimittel usw., verstärkt wird und daher schon eine geringe – an sich noch
nicht gefährliche – Konzentration der Zerfallsprodukte des R1234yf eine
Schädigung von Organismen bewirken kann?

9. Plant die Bundesregierung Forschungsprojekte, um die möglichen Wirkun-
gen und Wechselwirkungen von TFA in der Umwelt, insbesondere für Böden

und Gewässer, zu ermitteln, und wenn ja, welche (falls nein, bitte begrün-
den)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13832

10. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die verkehrsbelasteten
Innenstädte und Bundesautobahnen vor Immissionen des neuen Kältemit-
tels zu schützen?

Sind Messstellen geplant (wenn ja, bitte auflisten)?

11. Wie steht die Bundesregierung zur Ablehnung von R1234yf durch eine
Mehrheit der deutschen Automobilhersteller?

12. Wurde bereits ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen die Bundes-
republik Deutschland eingeleitet, da in Deutschland Fahrzeuge mit R134a
befüllt werden, obwohl deren Neuzulassung mit R1234yf erfolgte?

13. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um der deutschen und in-
ternationalen Autoindustrie die notwendige Entwicklungszeit für CO2-Kli-
maanlagen zu verschaffen?

14. Hat die Bundesregierung vor, die Autoindustrie bei der Entwicklung von
umweltfreundlichen und sicheren CO2-Klimaanlagen zu unterstützen?

Wenn ja, mit welchen Mitteln?

15. Wie sollen aus Sicht der Bundesregierung Rettungskräfte und Ersthelfer die
potenzielle Gefährdung durch R1234yf erkennen, wenn – wie in der Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 15 auf Bundestagsdrucksache 17/12566
ausgeführt – eine von außen sichtbare Kennzeichnung von Fahrzeugen mit
R1234yf nicht geplant ist?

16. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass in der Bundesrepublik Deutsch-
land alle potenziellen – insbesondere die nicht institutionellen, aber gesetz-
lich zur Hilfe verpflichteten – Ersthelfer über die Gefahren der Verbren-
nungsprodukte von R1234yf aufgeklärt sind und im Brandfall eine
Selbstgefährdung sicher vermeiden?

17. Plant die Bundesregierung gesetzliche Vorschriften zur Erweiterung der
Ausrüstung von Polizei, Notärzten, Rettungssanitätern usw. mit der für
diese Gruppen bisher nicht vorgesehenen Schutzkleidung und Atemschutz-
geräten (falls nein, bitte begründen)?

18. Plant die Bundesregierung die flächendeckende Einführung von Schnell-
tests zur Erkennung der Kontamination von Unfallbeteiligten mit Fluorwas-
serstoffen, damit gegebenenfalls die notwendigen Behandlungen rechtzeitig
eingeleitet werden können (falls nein, bitte begründen)?

19. Wie ist der Stand der REACH-Registrierung von R1234yf?

20. Haben die Hersteller alle zur Registrierung notwendigen Unterlagen voll-
ständig eingereicht?

Falls nein, welche Unterlagen fehlen?

Berlin, den 5. Juni 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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