BT-Drucksache 17/13691

Situation und Perspektiven der ostdeutschen Solarindustrie

Vom 30. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13691
17. Wahlperiode 30. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Steffen Bockhahn, Eva Bulling-Schröter,
Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Harald Koch,
Katrin Kunert, Dorothee Menzner, Thomas Nord, Jens Petermann, Dr. Petra Sitte,
Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Situation und Perspektiven der ostdeutschen Solarindustrie

Nach monatelangen Diskussionen über die zukünftige Ausgestaltung der För-
derung von Photovoltaik-Anlagen im Rahmen des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes (EEG) wurden mit der sog. Photovoltaik-Novelle am 26. Juni 2012
umfangreiche Kürzungen bei der Vergütung von Photovoltaik-Strom nach einer
Einigung im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat beschlossen.
Die rückwirkend zum 1. April 2012 in Kraft getretenen Änderungen gingen
dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Peter
Altmaier, aber nicht weit genug, sodass er am 28. Januar 2012 weitere
„Reformvorschläge“ unterbreitete (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit – BMU: „Energiewende sichern – Kosten be-
grenzen“). Der Bundesverband Erneuerbare Energie e. V. (BEE) lehnte diese in
ihrer Mehrzahl ab, warnte vor einem „Abwürgen der Energiewende“ und
machte mehrere alternative Vorschläge zur Kostendämpfung (vgl. BEE Presse-
mitteilung vom 14. Februar 2013).

Seit den Insolvenzmeldungen des Berliner Solarunternehmens „Solon“ und des
Erlanger Solarkraftwerkherstellers „Solar Millennium“ im Dezember 2011 reiht
sich für die Beschäftigten der deutschen Photovoltaikindustrie eine Hiobsbot-
schaft an die andere. Der einstige Weltmarktführer Q-Cells mit Sitz in Bitterfeld-
Wolfen musste am 3. April 2012 Insolvenz anmelden. Betroffen davon waren
rund 1 300 der damals rund 2 200 Mitarbeiter. Ende August 2012 wurde Q-Cells
vom südkoreanischen Unternehmen Hanwha übernommen. Ein Großteil der
Q-Cells-Gruppe, inklusive dem Standort Bitterfeld-Wolfen sowie drei Viertel
der weltweit verbliebenen 1 550 Arbeitsplätze soll, nach ersten Verlautbarungen
der Investoren, erhalten bleiben. Zuvor war bereits die Q-Cells-Tochter Solibro
Anfang Juni 2012 an das chinesische Unternehmen Hanergy verkauft worden.
Die Zukunft der 430 Arbeitsplätze ist ungewiss. Mitte Mai 2012 meldete mit der
Sovello GmbH auch das mit 1 250 Mitarbeitern zweitgrößte Solarunternehmen
in Sachsen-Anhalt Insolvenz an. Auch der US-Konzern First Solar gab infolge

der weltweiten Solarkrise seinen deutschen Standort Frankfurt/Oder mit 1 200
Mitarbeitern auf. Begründet wurde dies von Christopher Burghardt, Geschäfts-
führer der First Solar GmbH, damit, dass der europäische Solarmarkt „zum
jetzigen Zeitpunkt ohne Förderung größtenteils wirtschaftlich nicht überlebens-
fähig“ sei. Die Kappungen der Solarsubventionen träfen vor allem Photovoltaik-
Großanlagen und damit das Kerngeschäft von First Solar. Diese Kürzungen hät-
ten „dramatische Auswirkungen“ auf die Nachfrage. „Dadurch kann unsere

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Produktion in Europa langfristig nicht mehr wirtschaftlich arbeiten, sodass
wir gezwungen sind, uns an die neuen Marktgegebenheiten anzupassen“, so
Christopher Burghardt (vgl. Handelsblatt vom 17. April 2012).

Am 22. März 2013 kündigte nun auch die Firma Robert Bosch GmbH an, die
Produktionsstätten im Geschäftsfeld kristalline Photovoltaik Anfang 2014 zu
schließen, wenn sich keine Käufer finden. Davon wären etwa 3 000 Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter betroffen, 2 000 davon allein im thüringischen Arnstadt
und 700 Beschäftigte in Prenzlau – Brandenburg – (www.neues-deutschland.de
vom 25. März 2013 „Bosch zieht sich aus Solar-Branche zurück“).

Wie die „WELT am SONNTAG“ am 20. April 2013 unter Berufung auf Zahlen
des Statistischen Bundesamtes berichtete, hat sich der Niedergang der deut-
schen Solarindustrie in den vergangenen Monaten noch einmal beschleunigt.
Die Branche habe seit Anfang 2012 mehr als ein Drittel ihrer Betriebe verloren,
wobei knapp die Hälfte der Arbeitsplätze verloren gingen. Demnach gab es im
Februar 2013 nur noch 21 Hersteller von Solarzellen und Solarmodulen in
Deutschland. Das sei ein Rückgang von mehr als 35 Prozent gegenüber Januar
2012, als noch 33 Betriebe gezählt wurden. Die Datenbasis des Statistischen
Bundesamtes umfasse alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern.

Da große Teile der Produktionsstätten der Photovoltaikbranche in solchen Re-
gionen Ostdeutschlands angesiedelt sind, die vor 20 Jahren schon einmal einen
Zusammenbruch ihrer örtlichen Industrie verkraften mussten, wäre ein aberma-
liger Niedergang eines ganzen Industriezweigs für die Menschen vor Ort fatal.
Die Photovoltaikindustrie, die in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2012 etwa 4 000
Menschen allein in der Produktion von Solaranlagenkomponenten beschäftigte,
befindet sich schon länger weltweit in einer schweren Krise. Schon seit einiger
Zeit leiden die Firmen unter Förderkürzungen und einem immensen Preisverfall,
der vor allem durch eine starke Konkurrenz aus China ausgelöst wurde. Nach
Angaben der Solarbranche hatten die Kürzungspläne der Bundesregierung schon
vor ihrem Inkrafttreten verheerende Folgen. Unmittelbar nach Verkündung der
Pläne seien Bestellungen storniert und Bankkredite widerrufen worden. Installa-
teure seien auf bestellte Ware sitzen geblieben und Investoren wäre die Finanzie-
rung weggebrochen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem anhaltenden Niedergang der deutschen Solarindustrie?

2. Was sind nach Meinung der Bundesregierung die Gründe für die Krise der
deutschen Solarindustrie?

3. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die wirtschaftliche Situa-
tion der deutschen Solarbranche in den letzten drei Jahren entwickelt (bitte
nach Jahren, Anzahl der Firmen, Bundesländern, Beschäftigten und Umsatz-
zahlen aufschlüsseln)?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die aktuelle Situation der Solarfirmen im
„Solarvalley Mitteldeutschland“ mit seinem Produktionszentrum Bitterfeld-
Wolfen?

5. Würde sich die Bundesregierung an einem Solargipfel von Unternehmen,
Betriebsräten, Politik und Gewerkschaften im „Solarvalley Mitteldeutsch-
land“ in Bitterfeld-Wolfen und an anderen Standorten in Ostdeutschland be-
teiligen, um gemeinsam nach zukunftsfähigen Lösungen für die betroffenen
Firmen und die Beschäftigten zu suchen?

Wenn ja, wann wird dies geschehen?
Wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13691

6. Wie schätzt die Bundesregierung die weitere Entwicklung der ostdeutschen
Solarindustrie ein, und welche Schritte wird sie unternehmen, um deren
Bestand und Zukunftsfähigkeit zu sichern?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung einer Studie der Unternehmens-
beratung Oliver Wyman GmbH, wonach „künftig nur etwa zehn Modulher-
steller den Weltmarkt beherrschen“, unter denen vermutlich kein einziger
deutscher Anbieter sein wird?

Wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus, und was wird sie tun, um dies
zu verhindern?

Wenn nein, warum nicht?

8. Hat die Bundesregierung im Vorfeld der letzten Novellierungen des EEG
Prognosen über die Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen ange-
stellt?

Wenn ja, wie sehen diese im Detail aus?

Wenn nein, warum nicht (Prognosen bitte nach Bundesländern und Anzahl
der betroffenen Unternehmen und Beschäftigten aufschlüsseln)?

9. Decken sich die Prognosen mit den eingetretenen Folgen (bitte für die je-
weilige Prognose und den jeweiligen Untersuchungsrahmen ausführen)?

10. Mit welchen konkreten Auswirkungen auf die Solarunternehmen und die
Beschäftigungssituation in Sachsen-Anhalt und insbesondere im „Solar
Valley“ bei Bitterfeld-Wolfen und an anderen Standorten in Ostdeutschland
rechnete die Bundesregierung nach Inkrafttreten der Gesetzesänderungen,
und wie schätzt sie die weitere Entwicklung ein (bitte nach Standorten auf-
listen und jeweils begründen)?

11. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
im Nachhinein aus der Kritik von Seiten der CDU-regierten Länder Sach-
sen-Anhalt und Thüringen, die Photovoltaik-Industrie habe für beide Län-
der eine so große Bedeutung, dass man der existenzbedrohenden Kürzung
schlichtweg nicht zustimmen könne (vgl. MZ vom 11. Mai 2012)?

12. In welcher Form und in welchem Umfang fördert die Bundesregierung
Photovoltaik-Forschungsvorhaben im Detail (bitte für die letzten fünf Jahre
auflisten)?

13. Wird die Bundesregierung im Sinne einer nachhaltigen industriellen Per-
spektive für den Photovoltaikstandort Deutschland und Europa, u. a. durch
Förderprogramme, die Entwicklung innovativer Technologien und Produk-
tionsverfahren befördern?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

14. Hat die Bundesregierung Unternehmen der Solarbranche, die in finanzielle
Schwierigkeiten geraten waren, kurzfristige finanzielle Unterstützung ge-
währt?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

15. Wird die Bundesregierung den Unternehmen der Solarbranche kurzfristige
finanzielle Unterstützung gewähren, solange die Weltmarktpreise unter den
Produktionskosten aller Hersteller liegen?

Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/13691 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Hat die Bundesregierung Kenntnis von vorläufigen Ergebnissen der seit
2012 laufenden umfangreichen EU-Untersuchung zum Import von Solar-
paneelen, Solarzellen und Wafern aus China?

Wenn ja, wie lauten diese, und welche Schlüsse zieht sie daraus?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission
vorgesehene Erhebung von Sonderzöllen bei der Einfuhr von Solarpanee-
len aus China?

18. Welche Auswirkungen für die deutsche und europäische Solarbranche er-
wartet die Bundesregierung durch die von der Europäischen Kommission
vorgesehene Erhebung von Sonderzöllen bei der Einfuhr von Solarpanee-
len aus China?

19. Hat die Bundesregierung Pläne und Konzepte für den Fall, dass sich die
Befürchtungen der Unternehmen und Beschäftigten der Solarindustrie be-
stätigen und sich der Niedergang der Branche in Ostdeutschland fortsetzt?

20. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den alternativen Reformvorschlägen des BEE im Einzelnen?

Berlin, den 30. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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