BT-Drucksache 17/13498

Verfassungsbeschwerde gegen die angemessene Vergütung Kreativschaffender

Vom 8. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13498
17. Wahlperiode 08. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Herbert Behrens, Petra
Pau, Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Verfassungsbeschwerde gegen die angemessene Vergütung Kreativschaffender

Seit 2002 besteht durch den neu eingeführten § 32 des Urheberrechtsgesetzes
(UrhG) im deutschen Urheberrecht ein Anspruch auf eine angemessene Ver-
gütung für Kreativschaffende. Was „angemessen“ bedeutet, darüber sollten sich
nach dem Willen des Gesetzgebers Vertreter der Urheberinnen und Urheber so-
wie Verwerterverbände im Rahmen von „gemeinsamen Vergütungsregeln“
nach § 36 UrhG einigen. In nur wenigen Teilbranchen ist es zum Abschluss
solcher Vergütungsregeln gekommen. Die meisten Kreativen werden von den
Verwertern auf den Klageweg verwiesen, um ihre Ansprüche durchzusetzen.
Da es sich um einen individuellen Vertragsanpassungsanspruch handelt, bedeutet
dies, dass Kreative ihre Auftraggeber verklagen müssen. Viele scheuen diesen
Schritt aus Angst davor, mit „Auftragsentzug“ bestraft zu werden.

Die Literaturübersetzer, die in der Begründung für die Urhebervertragsrechts-
novelle von 2002 (Bundestagsdrucksache 14/8058) ausdrücklich erwähnt wur-
den, haben hingegen mehrere Verfahren bis vor den Bundesgerichtshof (BGH)
gebracht. Die Urteile bescheinigen den Übersetzern, dass die branchenüblichen
Honorare nicht angemessen sind. Es werden ferner Mindestbeteiligungen am
einzelnen verkauften Exemplar sowie an den Erlösen aus Nebenrechtsver-
wertungen festgesetzt. Tatsächlich beachten die meisten Verlage diese Urteile
jedoch nicht. Entweder werden die vom BGH festgelegten Mindestsätze unter-
schritten oder mithilfe neuer vertraglicher Klauseln umgangen.

Dennoch verhandelten die Literaturübersetzer noch bis Februar 2013 mit den
Verlegern über eine gemeinsame Vergütungsregel. Diese nach den BGH-Urtei-
len von 2009 mit verstärkter Intensität geführten Verhandlungen waren dem
Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher
Werke e. V. (VdÜ) zufolge „sehr weit gediehen“. Dann jedoch hätten die Ver-
lage dem Übersetzerverband mitgeteilt, „man wolle bis zur Entscheidung des
BVErfG keine weiteren Verhandlungstermine abhalten“ (VdÜ Pressemitteilung
vom 3. März 2013).

Hintergrund dessen sind zwei Verfassungsbeschwerden des Münchner Carl

Hanser Verlags vor dem Bundesverfassungsgericht vom März 2011 (veröffent-
licht auf den Internetseiten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels:
www.boersenverein.de/sixcms/media.php/976/Verfassungsbeschwerde_Hanser_
gegen_BGH-Urteil_Destructive_Emotions.pdf sowie www.boersenverein.de/
sixcms/media.php/976/Verfassungsbeschwerde_Hanser_gegen_BGH-Urteil_
Drop_City.pdf). Der Verlag möchte einerseits erreichen, dass die Urteile des
Bundesgerichtshofs, die ihn zur Zahlung einer angemessenen Vergütung ver-

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pflichtet haben, als verfassungswidrig aufgehoben werden sollen. Andererseits
greift er unmittelbar den § 32 UrhG an, den er, so wörtlich in der Beschwerde-
schrift, als „Eingriff in die Grundrechte des Verwerters“ betrachtet und eben-
falls für unvereinbar mit dem Grundgesetz hält.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Seit wann sind der Bundesregierung verfassungsrechtliche Bedenken ge-
gen das Urhebervertragsrecht bekannt?

2. Wann und in welcher Form hat die Bundesregierung zu solchen Bedenken
erstmals Stellung bezogen?

3. Welche Gründe sind der Bundesregierung dafür bekannt, dass der Carl
Hanser Verlag erst zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur
Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künst-
lern“ Verfassungsbeschwerde gegen eine Regelung dieses Gesetzes ein-
legt?

4. Hat die Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht gegenüber zur
Verfassungsbeschwerde des Carl Hanser Verlags Stellung genommen, und
falls ja, in welchem Sinne?

5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Carl Hanser Verlags, dass die
Vorschrift des § 32 Absatz 1 Satz 3 i. V. m Absatz 2 Satz 2 des Urheber-
rechtsgesetzes einen Eingriff in die durch Artikel 12 Absatz 1 des Grund-
gesetzes – GG – (Berufsausübungsfreiheit) sowie Artikel 2 Absatz 1 GG
(Handlungsfreiheit) geschützten Grundrechte des Verwerters darstellt?

Falls ja, seit wann und warum?

Falls nein, warum nicht?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Carl Hanser Verlags, dass die
Vorschrift des § 32 Absatz 1 Satz 3 i. V. m. Absatz 2 Satz 2 UrhG einen un-
verhältnismäßigen Eingriff in die Vertragsfreiheit des Verwerters darstellt?

Falls ja, seit wann und warum?

Falls nein, warum nicht?

7. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Tatsache, dass die Verlage die Verhandlungen mit Literaturüber-
setzern über eine angemessene Vergütung abgebrochen bzw. ausgesetzt
haben, um eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten, die eine
Kernregelung des Gesetzes, auf dessen Grundlage diese Verhandlungen ge-
führt werden, möglicherweise für verfassungswidrig erklärt?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung, beim Urhebervertragsrecht, ähnlich wie
bei der Vorratsdatenspeicherung oder der Bestandsdatenauskunft, ein Urteil
des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, um hernach die Gesetzgebung
den Vorgaben des Urteils entsprechend anzupassen, oder sieht sie auch un-
abhängig davon Reformbedarf beim Urhebervertragsrecht, und falls ja,
welchen?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den jüngsten Vorschlägen Gerald Spindlers (Zeitschrift für Urheber-
und Medienrecht 2012, Heft 12, S. 921 bis 1016) zur Verbesserung der
Durchsetzung des Anspruchs auf angemessene Vergütung?

10. In welchen Branchen ist es nach Kenntnis der Bundesregierung zum Ab-
schluss der in § 36 UrhG geforderten gemeinsamen Vergütungsregeln ge-
kommen?

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11. In welchen Branchen fehlen nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit
noch gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG?

12. Warum ist es nach Ansicht der Bundesregierung in vielen Branchen zehn
Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung nicht zum Abschluss
von gemeinsamen Vergütungsregeln nach § 36 UrhG gekommen?

13. Beabsichtigt die Bundesregierung, die fraktionsübergreifende Empfehlung
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deut-
schen Bundestages, die Vorgaben für die Aushandlung gemeinsamer Vergü-
tung so zu gestalten, „dass Verwerter sich den Verhandlungen nicht entzie-
hen können und innerhalb klar definierter Zeiträume Schlichtungsverfahren
greifen, indem das Widerspruchsrecht der betroffenen Parteien entfällt und
das Votum der Schlichtungsstelle (§ 36a UrhG) zunächst verbindliche Wir-
kung entfaltet“ (Bundestagsdrucksache 17/12542), in eine entsprechende
gesetzliche Regelung umzusetzen?

Falls nein, warum nicht?

14. Ist der Anspruch Kreativschaffender auf eine angemessene Vergütung im
Sinne von § 32 UrhG nach Ansicht der Bundesregierung derzeit anders als
auf dem Klageweg durchsetzbar?

Falls ja, wie?

15. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Zweckbindungsgrundsatz aus § 31
Absatz 5 UrhG im Urheberrecht zu einem gesetzlichen Leitbild zu machen,
um Einräumungen von Nutzungsrechten einer Kontrolle der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen zugänglich zu machen?

Falls nein, was spricht aus Sicht der Bundesregierung gegen eine solche
Festschreibung?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung, die von der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages fraktions-
übergreifend empfohlene „Stärkung der Kündigungs- und Rückrufrechte
der Urheberinnen und Urheber“ (Bundestagsdrucksache 17/12542) durch
eine gesetzliche Regelung umzusetzen?

Falls ja, in welcher Weise?

Falls nein, warum nicht?

17. Ist der Bundesregierung eine gemeinsame Vergütungsregel im Sinne von
§ 36 UrhG bekannt, in der für Verträge über unbekannte Nutzungsarten
nach § 31a UrhG eine Vergütung vorgesehen wäre?

Falls ja, welche?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die von Urheberverbänden erhobene For-
derung nach einem Verbandsklagerecht zur Durchsetzung von Ansprüchen
nach § 32 UrhG?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die von Urheberverbänden erhobene
Forderung nach einem Verbandsklagerecht zur Durchsetzung der Anwen-
dung von gemeinsamen Vergütungsregeln nach § 36 UrhG?

Berlin, den 8. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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