BT-Drucksache 17/13408

Lohndumping im Einzelhandel und die Verantwortung der Politik

Vom 8. Mai 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13408
17. Wahlperiode 08. 05. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus,
Klaus Ernst, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Harald Weinberg und der
Fraktion DIE LINKE.

Lohndumping im Einzelhandel und die Verantwortung der Politik

Im Einzelhandel haben die regionalen Arbeitgeber (ausgenommen in Hamburg)
die Manteltarifverträge gekündigt. In diesen sind nahezu alle wesentlichen Ar-
beitsbedingungen geregelt wie Arbeitszeit- und Zuschlagsregelungen, Eingrup-
pierungen und Urlaubstage (Ausnahme Lohn und Gehalt). Die Gewerkschaft
ver.di spricht von einem Generalangriff, mit dem „die Unternehmerseite die Axt
an die Existenzsicherung und wesentlichen Schutzregelungen für die Beschäf-
tigten im Einzelhandel“ anlegt (ver.di, 24. Januar 2013).

Schon jetzt ist die Lage für die mehrheitlich weiblichen Beschäftigten im Ein-
zelhandel schwierig. Niedriglöhne und prekäre Beschäftigung sind seit Jahren
auf dem Vormarsch. Auf der anderen Seite wachsen die Unternehmensgewinne
im Einzelhandel und einige wenige Eigentümerfamilien großer Handelsketten
haben ein Milliardenvermögen angehäuft.

Die Politik trägt eine Mitverantwortung für diese Entwicklung. Sie hat den Ar-
beitsmarkt dereguliert und mit Minijobs sowie Leiharbeit und Hartz IV prekäre
Beschäftigung und Niedriglöhne gefördert. Und sie hält die Hürden für die All-
gemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen hoch. So wird befördert, dass Arbeit-
geber sich den Tarifverträgen entziehen und auf Kosten der Beschäftigten den
Wettbewerb über die Löhne und Arbeitsbedingungen austragen. Bereits vor über
zehn Jahren beendeten die Arbeitgeber ihre Unterstützung der bis dahin üb-
lichen Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Der Versuch, einen Bran-
chenmindestlohn einzuführen, ist bislang gescheitert.

Diese Entwicklung ist bedenklich, nicht nur aus Sicht der Beschäftigten, son-
dern auch aus Sicht der Gesellschaft. Im Einzelhandel werden Niedriglöhne in
Form von Hartz-IV-Leistungen durch Steuergelder aufgestockt. Für die Politik
stellt sich die Frage, inwiefern sie den Arbeitsmarkt zu Gunsten der Beschäftig-
ten regulieren und Maßnahmen zur Stärkung des Tarifvertragssystems unterneh-
men will.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Beschäftigte arbeiten derzeit im Einzelhandel, und wie hoch ist der
Anteil der Frauen?

Wie hat sich von 2000 bis 2012 die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel
entwickelt (bitte jährlich nach insgesamt und sozialversicherungspflichtiger
Vollzeit, Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung aufgliedern)?

Drucksache 17/13408 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Situation im Einzelhandel aus Sicht
der Beschäftigten ein?

Wie hat sich deren Lage, gemessen an Arbeitsbedingungen und Lohn, in
den letzten Jahren entwickelt, und welche Schlussfolgerungen zieht die
Bundesregierung daraus für ihr politisches Handeln?

3. Inwiefern war die Bundesregierung über die Kündigung der Manteltarifver-
träge durch die Arbeitgeber im Vorfeld informiert?

Gab es in den zurückliegenden zwei Jahren Kontakte mit Vertretern von Ar-
beitgeber- oder Branchenverbänden aus dem Einzelhandel, deren Gegen-
stand auch geplante tarifpolitische Änderungen waren?

4. Wie hat sich von 2000 bis 2012 im Einzelhandel die Anzahl und der Anteil
der atypischen Beschäftigung entwickelt (bitte jährlich aufgliedern)?

5. Wie hoch ist die Zahl der im Einzelhandel eingesetzten Leiharbeitskräfte
und der Beschäftigten, die nach einem Werkvertrag arbeiten?

Welche Schätzungen, Branchenumfragen o. Ä. gibt es dazu, sofern der Bun-
desregierung dazu keine verlässlichen Statistiken vorliegen?

Von wie vielen Leiharbeits- und Werkvertragsverhältnissen geht die Bun-
desregierung selbst aus?

6. Wie haben sich die Löhne im Einzelhandel von 2000 bis 2012 entwickelt,
und wie im Vergleich dazu die Löhne in der Gesamtwirtschaft (bitte soweit
möglich als Reallöhne für jedes Jahr einzeln die Stundenlöhne und Monats-
löhne nennen)?

7. Wie haben sich von 2000 bis 2012 im Einzelhandel die Zahl und der Anteil
der Niedriglohnbeschäftigten entwickelt (bitte nach Geschlecht differenzie-
ren)?

8. Wie hoch ist die Zahl und der Anteil der Beschäftigten im Einzelhandel, die
einen Lohn unterhalb von 8,50 Euro und unterhalb von 10 Euro in der
Stunde erhalten?

9. Wie hoch ist die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel mit aufstockenden
Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)?

10. Wie viele Gelder wurden seit 2005 im Handel für aufstockende Leistungen
nach dem SGB II aufgebracht (bitte mit jeweiligen Jahresdaten nennen, so-
fern möglich für den Einzelhandel gesondert ausweisen oder falls dies nicht
möglich zur Eingrenzung den Anteil der Aufstocker im Einzelhandel an
allen Aufstockern im Handel benennen)?

11. Wie haben sich von 2000 bis 2012 die Gewinne im Einzelhandel entwickelt
(bitte jährlich angeben und soweit verfügbar vor und nach Steuern)?

12. Wie erklärt die Bundesregierung den Umstand, dass es im Einzelhandel
einerseits eine hohe Zahl von Niedriglohnbeschäftigten gibt, und anderer-
seits auffällig viele Eigentümerfamilien großer Handelsketten in der Liste
der reichsten Deutschen (Forbes-Liste) geführt werden?

13. Wie hat sich im Handel insgesamt in den zurückliegenden 20 Jahren die Ta-
rifbindung sowohl nach Betrieben als auch nach Beschäftigten entwickelt
(soweit möglich bitte jeweils Jahresdaten nennen)?

Inwiefern liegen gesonderte Daten zum Einzelhandel vor?

14. Welchen Stellenwert hat für die Bundesregierung eine hohe Tarifbindung,
und wie bewertet die Bundesregierung die allgemeine Tendenz zur abneh-
menden Tarifbindung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13408

15. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, weshalb das Bran-
chenmindestlohnverfahren im Einzelhandel nicht weiter verfolgt wird?

16. Wie stellt sich die Bundesregierung zu Vorschlägen, vorhandene Hürden für
die Allgemeinverbindlichkeit abzubauen, indem

a) das 50-Prozent-Quorum durch das Kriterium Repräsentativität ersetzt
wird,

b) den Arbeitgeberverbänden nicht mehr die Möglichkeit gegeben wird,
eine Allgemeinverbindlichkeit durch ein Vetorecht zu verhindern,

c) das Arbeitnehmerentsendegesetz auf weitere Branchen ausgeweitet
wird?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Vordringen von Leih-
arbeit und Werkverträgen im Einzelhandel zwecks Lohndumping und zur
Umgehung bestehender Tarifverträge, und inwiefern sieht sie hier politi-
schen Handlungsbedarf?

18. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Problem zunehmen-
der „Privatisierungen“ im Lebensmittelhandel, wonach unter dem Deck-
mantel von Konzernen und Verbundgruppen, wie beispielsweise Edeka
oder Rewe, selbstständige Unternehmer Tarifflucht begehen, und inwiefern
sieht sie hier politischen Handlungsbedarf?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des Kurzberichtes des
Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für
Arbeit 7/2013 zu den Vermittlungsproblemen der ehemaligen Schlecker-
Beschäftigten, die unter anderem darin bestehen würden, dass die vormals
nach Tarif bezahlten Beschäftigten keine Stellen mit deutlich niedrigeren
Löhnen akzeptieren würden?

Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass bei den Beschäftigten hier ein
„Umdenken“ stattfinden muss (vgl. Bericht S. 6), und dass eine vormals
tarifliche Bezahlung ein Vermittlungshemmnis ist oder ist die Bundesregie-
rung der Ansicht, dass die Qualität der offenen Stellen im Einzelhandel
erhöht werden sollte?

20. Inwiefern wurden und werden Unternehmen der Einzelhandelsbranche
durch staatliche Förderprogramme subventioniert?

Welche Zahlen zum Fördervolumen liegen vor?

21. Wie passt es zusammen, dass die Bundesregierung insbesondere für Frauen
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern will, und gleichzeitig
nichts gegen die familienfeindlichen Arbeitsbedingungen im Einzelhandel
sowie gegen Vorstöße, die Bedingungen noch weiter zu verschlechtern, un-
ternimmt?

Berlin, den 8. Mai 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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