BT-Drucksache 17/13246

Mit einem Nationalen Aktionsplan die Chancen des demografischen Wandels ergreifen

Vom 24. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13246
17. Wahlperiode 24. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Tabea Rößner, Memet Kilic, Dr. Tobias Lindner, Brigitte
Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ekin Deligöz,
Katja Dörner, Kai Gehring, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Krista Sager, Ulrich
Schneider, Arfst Wagner (Schleswig), Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit einem Nationalen Aktionsplan die Chancen des demografischen Wandels
ergreifen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der demografische Wandel ist schon jetzt eine der größten Herausforderungen
Deutschlands. Während die Weltbevölkerung nach wie vor rasant wächst,
bleibt es in Deutschland beim gegenteiligen Trend: Ohne Zuwanderung gäbe es
längst eine anhaltende Schrumpfung. Prognosen nach, kommt es in den nächs-
ten 40 Jahren neben einem Bevölkerungsrückgang von ca. 7 Millionen Ein-
wohnern zu einer deutlichen Alterung der Bevölkerung. Das hat Auswirkungen
auf die soziale und ökonomische Situation Deutschlands. Die Menschen wer-
den anders arbeiten, anders zusammenleben, anders mobil sein. Mit der
demografischen Entwicklung sind Chancen, jedoch auch große Herausforde-
rungen verbunden. Dies betrifft sowohl die Ausgaben und Einnahmen der öf-
fentlichen Haushalte wie auch die Anpassung der öffentlichen Infrastruktur und
die sozialen Sicherungssysteme. Um diesen Herausforderungen gerecht zu wer-
den, braucht Deutschland einen Nationalen Aktionsplan, der alle betroffenen
Politikbereiche umfasst und zukünftige Generationen nicht zusätzlich belastet.
Dieser muss über eine allgemeine und abstrakte Strategie hinausgehen und
klare und explizite Schritte zur Bewältigung des demografischen Wandels vor-
sehen.

Was ein solcher Aktionsplan beinhalten muss, wird beispielhaft an einem Be-
reich aufgezeigt, der eines der drängendsten Probleme des demografischen
Wandels betrifft: Bereits heute gibt es einen Fachkräftemangel in den Pflege-
und Erziehungsberufen sowie in den technischen Berufen, und dieser wird sich
aufgrund des erheblichen Rückgangs der Zahl der (sozialversicherungspflichti-
gen) Erwerbspersonen noch weiter verschärfen. Um dieser Entwicklung ent-
gegenzuwirken, schlägt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Maß-
nahmenpaket für die Handlungsfelder Arbeitsmarkt, Einwanderung, Bildung

und Gleichstellung vor. Wenn diese Bereiche mit den weiteren vom demogra-
fischen Wandel betroffenen Politikfeldern zusammengedacht werden – die Um-
strukturierung der kommunalen Finanzen und Verwaltung, Stadt- und Landes-
entwicklung, Bauen und Wohnen, Gesundheit, Pflege und selbstbestimmtes
Leben im Alter, Sicherung einen auskömmlichen Einkommens im Alter, Finan-
zierung der sozialen Sicherungssysteme, Mobilität und Teilhabe – kann es

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gelingen, den Wandel als Chance für mehr Teilhabe und Gerechtigkeit inner-
halb der Gesellschaft und als Motor für vielfältige Reformen zu gestalten.

Erstes Handlungsfeld: Arbeitsmarkt

Schon heute zeichnet sich ab, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen
Alter abnimmt. Der demografische Wandel in Verbindung mit unterlassenem
politischen Handeln hat bereits jetzt Folgen für die Arbeitswelt: Belegschaften
altern und Fachkräfte fehlen. In einigen Berufsfeldern und Regionen macht sich
der fehlende Nachwuchs bereits heute bemerkbar, Arbeits- und Ausbildungs-
plätze können nicht vergeben und Fachkräfte nicht gefunden werden. Beson-
ders schlecht sieht es bei zukunftsorientierten Berufen wie der Pflege, Betreu-
ung und Erziehung, aber auch im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich
aus. Die Bundesregierung hat dieses Problem ignoriert und vernachlässigt.
Auch der 2012 gestarteten Fachkräfteoffensive fehlt eine ganzheitliche Strate-
gie. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sollten neben wirtschaftlichen Aspek-
ten immer auch die Perspektive der Betroffenen im Blick haben. So wünschen
sich die meisten Menschen mit Blick auf ihren Arbeitsplatz und ihre Lebens-
qualität mehr Mitsprache und Gestaltungsspielraum bei ihrer Arbeitszeit.

Die Generation der einstigen Baby-Boomer dominiert den Arbeitsmarkt heute.
In wenigen Jahren wird sie jedoch als größte Kohorte der Beschäftigten kurz
vor dem Ende ihrer Berufstätigkeit stehen bzw. in Rente gehen. Es ist dringend
erforderlich, die Beschäftigungsquote und die sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung Älterer über das erreichte Niveau hinaus zu verbessern. Dazu
sind die Erhöhung des Erwerbsbeteiligungsvolumens von Frauen und die bes-
sere Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten dringend erfor-
derlich. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels muss darüber hin-
aus bezüglich älterer Beschäftigter ein Umdenken einsetzen, denn ohne die
Einbeziehung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird sich die de-
mografische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beschleunigen. Jahrzehntelang
wurden ältere Beschäftigte innerbetrieblich aufs Abstellgleis verschoben, bei
Neueinstellungen diskriminiert und durch eine Frühverrentungspolitik aus dem
Arbeitsleben gedrängt. Ein längeres Erwerbsleben mit flexiblen Übergängen in
den Ruhestand ist – wenn die Menschen nicht überfordert werden – die Chance
auf mehr Teilhabe und ein erfüllteres Leben. Auch für Unternehmen ergeben
sich dadurch Chancen: Die Arbeitskraft und die Kompetenzen Älterer sind für
die wirtschaftliche Leistungskraft unverzichtbar, und auch eine moderne Unter-
nehmenskultur, die auf Vielfalt setzt, kommt nicht ohne eine gute Mischung der
Generationen aus.

Zweites Handlungsfeld: Einwanderung und Integration

Die bessere Förderung inländischer Arbeitskräfte und verstärkte Integration
von Frauen und Älteren in den Arbeitsmarkt wird nicht ausreichen, um den
Bedarf an Fachkräften zu sichern. Ein bislang weitgehend unausgeschöpftes
Potenzial liegt bei gut ausgebildeten Migrantinnen und Migranten, die derzeit
oft unter ihrem Qualifizierungsniveau und abseits ihres erlernten Berufes
arbeiten müssen, da ihre ausländischen Abschlüsse nicht hinreichend anerkannt
werden. Fachkräftemangel herrscht beispielsweise im Bereich der Ingenieure,
Ärzte, Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Erzieherinnen und Erzieher
und bald auch Lehrerinnen und Lehrer. Dennoch verweigern Bund und Länder
bestimmten Berufsgruppen bzw. Drittstaatsqualifizierten den gleichwertigen
Arbeitsmarktzugang. Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und
Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen von 2012 und der
schrittweisen Umsetzung der dazugehörigen Landesanerkennungsgesetze setzt
eine Verbesserung ein. Jedoch sind viele akademische Berufe von diesen Ver-

besserungen ausgeschlossen. Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet, aber die
Türschwelle ist nach wie vor zu hoch. Deshalb brauchen wir flankierende

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Förder- und Beratungsmaßnahmen, eine gemeinsame Anerkennungskultur der
Länder und eine flächendeckende Nachqualifizierungsstruktur, um Fachkräften
mit im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen gerecht zu werden und
damit einen effektiven Beitrag zur Gestaltung des demographischen Wandels
zu leisten.

Damit sich mehr Menschen für ein Leben und eine Arbeitsaufnahme in
Deutschland entscheiden, braucht es neben dem Abbau bürokratischer Hemm-
nisse und erleichterter Zuzugsregelungen, auch attraktive einwanderungs- und
integrationspolitische Rahmenbedingungen, mit Perspektiven für die Partnerin-
nen und Partner und Bildungschancen für ihre Kinder.

Ein Nationaler Aktionsplan zur Gestaltung des demografischen Wandels muss
nicht zuletzt einen Beitrag zu einer Kultur der Teilhabe für Migrantinnen und
Migranten leisten. Dazu gehören erleichterte Zugänge zu Bildung und Weiter-
bildung, zum Arbeitsmarkt und zur sozialen Förderung. Rechtliche Benachtei-
ligungen müssen abgebaut werden.

Drittes Handlungsfeld: Bildung

Bereits heute, aber erst Recht in den kommenden Jahrzehnten mit vermutlich
immer weniger Neugeborenen, kann es sich unsere Gesellschaft nicht weiter
leisten, Kinder durch unser Bildungssystem fallen zu lassen. Es darf kein Talent
zurückgelassen werden. Beste Bildungschancen für alle sind damit ein Gebot
der Gerechtigkeit und der ökonomischen Innovations- und Zukunftsfähigkeit.
Bislang gibt es viel zu viele Bildungsverlierer. Die Zahl der Jugendlichen, die
die Schule abbrechen, der funktionalen Analphabeten, der Jugendlichen in
Warteschleifen und der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss ist nach wie
vor zu hoch. Überdies hängen Bildungschancen in Deutschland in unverant-
wortlicher Weise von der sozialen Herkunft ab. Es herrscht ein Mangel an Kita-,
Ganztagsschul-, Ausbildungs- und Studienplätzen bei gleichzeitiger Zunahme
des Fachkräftemangels. Unser Bildungs- und Hochschulsystem muss daher
durch den quantitativen und qualitativen Ausbau der Infrastruktur, durch Inklu-
sivität und bessere Übergänge demografiefest gemacht werden. Durch bessere
Bildungschancen, Zugänge und Übergänge wird mehr Teilhabe erreicht. Alle
jungen Menschen sollen zu einem beruflichen Abschluss geführt werden.

Auch in schrumpfenden Regionen müssen eine angemessene Bildungsinfra-
struktur erhalten und kleine Schulen etwa durch jahrgangsübergreifendes
Lernen und multifunktionale Nutzung gesichert werden. Gerade im ländlichen
Raum führt die demografische Entwicklung zu einer doppelten Problemlage:
Zum einen bleiben viele Ausbildungsstellen unbesetzt. Zum anderen gibt es
Gegenden, die nur über wenige oder kleine Betriebe verfügen. Hier kann mit
dem Modell „DualPlus“ die Leistungsfähigkeit des regionalen Ausbildungs-
sektors gestärkt werden.

Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch Arbeitsuchende sind in
Deutschland bisher viel zu wenig an der Fort- und Weiterbildung beteiligt. Der
demografische Wandel macht eine weiterbildungsaktive Gesellschaft immer
notwendiger. Lebenslanges Lernen muss dabei durch das Zusammenwirken
von guter Beratung, Zeit für Weiterbildung und klugen Finanzierungsinstru-
menten wie dem Weiterbildungs-BAföG gefördert werden.

Viertes Handlungsfeld: Frauen- und Familienpolitik

Der internationale Vergleich zeigt: mit einer modernen Familienpolitik ent-
scheiden sich mehr Menschen für Kinder. Viele junge Frauen und Männer
möchten durchaus Kinder haben, sehen sich aber vor Hindernisse gestellt. Vor
allem die Verwirklichung eines partnerschaftlichen egalitären Familienmodells,

das von der Mehrheit der jungen Menschen gewünscht wird, ist in Deutschland

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nach wie vor schwer. Immer noch sind es aber zumeist Frauen, die einen
großen Teil der privaten Erziehungs- und Pflegeleistungen erbringen und dafür,
trotz guter Ausbildung und beruflicher Qualifikation, ganz oder teilweise aus
dem Beruf aussteigen. Die eklatante Infrastrukturschwäche von der Kinder-
betreuung bis zur Verankerung von Wohn- und Hilfsangeboten für ältere Men-
schen und die vorhandenen Fehlanreize im Steuer- und Sozialsystem befördern
die Ausgrenzung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt. Dabei ist die Erhöhung der
Erwerbsbeteiligung von Frauen eine zentrale Stellschraube zur Bewältigung
des demografischen Wandels.

Fast ein Viertel (4,7 Millionen) der Frauen zwischen 25 und 55 Jahren ist in
Deutschland nicht erwerbstätig. Diejenigen, die es sind, sind zumeist in Teilzeit
beschäftigt. Und zwar nicht in der häufig gewünschten großen Teilzeit, die bei
32 bis 35 Wochenstunden liegt, sondern in Minijobs oder 50-Prozent-Stellen.
Häufig entspricht eine Teilzeittätigkeit nur für eine bestimmte Lebensphase den
Arbeitszeitwünschen von Eltern. Ein mangelndes Recht auf Rückkehr in die
Vollzeit sorgt jedoch dafür, dass Teilzeit häufig zur Falle wird, in der vor allem
Frauen ungewollt verharren müssen.

Die meisten Frauen würden gerne (mehr) arbeiten, scheitern jedoch oft an den
Hindernissen bei der Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben. Das liegt
unter anderem an einer vielerorts mangelhaften Betreuungs- und Pflegeinfra-
struktur und einer familienunfreundlichen Arbeitswelt, in der Arbeitszeiten und
Arbeitsumfang wenig flexibel sind und die Zeitsouveränität nicht den Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern obliegt. Unabhängig von der Vereinbarkeits-
problematik, führen vor allem niedrige Löhne in typischen Frauenberufen, die
steuerliche Begünstigung der traditionellen Aufgabenteilung in den Familien
durch das Ehegattensplitting, die Ausweitung der Minijobs und Lohnungleich-
heit zu einem geringerem Erwerbsvolumen von Frauen.

Der demografische Wandel bedeutet für die Gesellschaft eine große Herausfor-
derung, die jedoch zu Chancen für bisher vielfach ausgebremste Menschen ge-
macht werden können. Gleichzeitig wird es gelingen, auf diese Weise auch die
Lebensqualität vieler Menschen zu erhöhen.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen umfassenden Aktionsplan vorzulegen, der sich auf alle für den demogra-
fischen Wandel relevanten Handlungsbereiche erstreckt, d. h. kommunale
Finanzen und Verwaltung, Stadt- und Landesentwicklung, Bauen und Wohnen,
Gesundheit, Pflege und selbstbestimmtes Leben im Alter, Sicherung einen aus-
kömmlichen Einkommens im Alter, Finanzierung der sozialen Sicherungs-
systeme, Mobilität und Teilhabe. Folgende Maßnahmenpakete sollen für die
Felder Arbeitsmarkt-, Integrations-, Bildungs-, Frauen- und Familienpolitik
umgesetzt werden:

1. Es sind Rahmenbedingungen für einen alters- und alternsgerechten Arbeits-
markt zu schaffen, indem Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen
verbessert, lebenslanges Lernen gefördert und in die Gesundheitsförderung
investiert wird. Gemeinsam mit den Sozialpartnern müssen die Anforderun-
gen an den gesetzlichen Arbeitsschutz angepasst werden und der Gesund-
heitsschutz und die Arbeitsbedingungen und Beschäftigungschancen gerade
für die älteren Beschäftigten verbessert werden. Flexible Arbeitszeitmodelle
sind ebenso notwendig wie flexible individuelle Übergänge in den Ruhe-
stand. Folgende Maßnahmen sind dafür umzusetzen:

a) Unternehmen sollen mithilfe von Beratungen dabei unterstützt werden,
betriebsspezifische Lösungen im Bereich Arbeitsorganisation (z. B. alters-

gemischte Teamarbeit, Tandemlösungen von jüngeren und älteren Be-

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schäftigten, Arbeitszeitmodelle) und Gesundheitsförderung (z. B. Arbeits-
platzgestaltung) zu entwickeln.

b) Die Träger der Berufsgenossenschaften und der betrieblichen Gesund-
heitsförderung müssen ihre Aktivitäten ausbauen und stärker auf Be-
schäftigte in kleinen und mittleren Betrieben sowie weibliche Beschäf-
tigte ausrichten.

c) Das Instrument des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM)
nach § 84 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX)
muss in sämtlichen Betrieben zur Anwendung kommen, damit Beschäf-
tigte, die aufgrund ihres Alters, eines Unfalls oder einer Krankheit ihrer
regulären Arbeit nicht mehr in gewohntem Maße nachkommen können,
auf sie zugeschnittene Arbeitsbedingungen, Hilfsmittel bzw. Assistenz
bekommen.

d) Gefährdungsbeurteilungen sind ein zentrales Instrument im Arbeits-
schutzgesetz. Eine flächendeckende Umsetzung der Regelungen und
bessere Kontrollen sind notwendig. Der betriebliche Arbeitsschutz muss
darüber hinaus durch eine Anti-Stress-Verordnung, mehr als heute vor
Stress und psychischer Überlastung schützen.

e) Beschäftigungspakte und Demografie-Tarifverträge zwischen den Sozial-
partnern, die die Integration Älterer ins Arbeitsleben und alters- und
alternsgerechte Arbeit fördern, sind zu unterstützen.

f) Eine Teilrente bei Verringerung der Arbeitszeit ab dem 60. Lebensjahr
wird eingeführt. Sie wird auch für Menschen jenseits der Regelalters-
grenze attraktiv ausgestaltet, um einen längeren Verbleib in Erwerbstätig-
keit zu ermöglichen. Dabei sollen die Hinzuverdienstgrenzen transparen-
ter gestaltet und insbesondere für Geringverdienende verbessert werden.

g) Innerhalb der Betriebe müssen Anreize für Fortbildungen und Qualifizie-
rungsmaßnahmen, für alle Beschäftigten, unabhängig von Alter, Ge-
schlecht und Qualifizierung, geschaffen werden. Dabei werden kleine
und mittlere Unternehmen durch Beratung und vernetzte Angebote ge-
zielt gefördert, um ihre Weiterbildungsaktivitäten zu erhöhen und eine
altersgerechte Personalentwicklung zu realisieren. Die Betriebe sollen
vor allem dabei unterstützt werden, diejenigen zu fördern, deren beruf-
liche Qualifikationen veraltet sind.

h) Ältere Arbeitslose müssen durch Qualifizierungen effektiver wieder ins
Erwerbsleben integriert werden. Alle Regelungen, die nicht auf die Inte-
gration, sondern auf die Ausgrenzung älterer Arbeitsloser zielen, sind zu
streichen. Das betrifft sowohl die Regelung in § 53a Absatz 2 SGB II,
nach der über 58-jährige erwerbsfähige Leistungsbezieher und -beziehe-
rinnen unter bestimmten Bedingungen nicht mehr als arbeitslos gelten,
als auch die mögliche Zwangsverrentung Arbeitsuchender nach § 12a
Absatz 1 Satz 2 SGB II.

i) Der Berufseinstieg für junge Menschen muss erleichtert werden. Für
Praktika müssen eindeutige Regelungen und Mindestbedingungen gelten:
ein schriftlicher Vertrag, ein Zeugnis, eine Mindestaufwandsentschädi-
gung und eine festgelegte zeitliche Begrenzung.

2. Die Bundesregierung wird aufgefordert, durch einen Nationalen Aktions-
plan zum demografischen Wandel die berufliche Anerkennung der bereits
hier lebenden Migrantinnen und Migranten zu verbessern, Zuwanderung zu
erleichtern und Fachkräfteeinwanderung transparent zu gestalten. Dafür sol-
len folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

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a) Es wird ein Punktesystem eingeführt, um Einwanderung in den deutschen
Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dieses Modell schafft die Möglichkeit, die
Arbeitskräfteeinwanderung anhand eines bestimmten, gesellschaftlich
abgestimmten Kriterienkatalogs zu steuern. Danach vergibt der Staat für
bestimmte Variablen (wie Bildungsabschluss, berufliche Qualifikation,
Berufserfahrung und Sprach-/Deutschkenntnisse der Antragstellerinnen
und Antragsteller) Punkte, wobei sich diejenigen mit den höchsten Punkt-
zahlen für eine Einwanderung qualifizieren.

b) Um weitere Anreize für die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte zu
schaffen, sollten die hierfür notwendigen rechtlichen Vorgaben verein-
facht und transparent gestaltet werden.

c) Es müssen ausreichende Möglichkeiten geschaffen werden, damit sich alle
Erwerbsfähigen ihren Kompetenzen und Potenzialen entsprechend entwi-
ckeln und qualifizieren können. Dazu gehören ein erleichterter Zugang zur
Anerkennung der im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikationen
durch eine kunden- und kompetenzorientierte Arbeitsvermittlung, einen
bundesweiten Beratungsanspruch, eine gemeinsame Anerkennungskultur
der Länder und eine flächendeckende Nachqualifizierungsstruktur flan-
kiert von Förder- und Stipendienprogrammen. Die angemessene Förde-
rung dieser Weiterbildungsmaßnahmen für Menschen im und außerhalb
des Leistungsbezug muss sichergestellt werden.

d) Eine Verankerung der berufsbezogenen Sprachförderung wird als Ele-
ment der aktiven Arbeitsmarktpolitik im SGB III und insbesondere im
SGB II als Regelinstrument sichergestellt.

3. Die Bundesregierung wird aufgefordert, durch einen Nationalen Aktions-
plan zum demografischen Wandel, das Bildungs-, Hochschul- und Ausbil-
dungssystem demografiefest zu machen und ein qualitativ und quantitativ
ausreichendes Bildungsangebot durch folgende Maßnahmen zu sichern:

a) Gemeinsam mit den Ländern wird über die Aufhebung des Kooperations-
verbots im Bildungsbereich verhandelt, um diese insbesondere bei der
Schaffung eines flächendeckenden Angebots an Ganztagsschulen zu
unterstützen.

b) Gemeinsam mit den Ländern werden die Bildungszugänge sowie die
Übergänge zwischen einzelnen Bildungsschritten verbessert und gerade
benachteiligte Menschen etwa durch bessere Möglichkeiten der Sprach-
bildung und Alphabetisierung unterstützt.

c) Gemeinsam mit den Ländern wird eine Strukturreform der beruflichen
Bildung im Sinne des grünen Modells „DualPlus“ durchgeführt, damit
ein breites und gutes regionales Ausbildungsangebot aufrechterhalten
werden kann und alle Ausbildungswilligen auch einen Ausbildungs-
abschluss erreichen können. Die wenig effizienten Maßnahmen des bis-
herigen Übergangssystems werden damit in eine effektive Förderung
überführt, die betriebliche Ausbildung konjunkturunabhängiger macht,
individuelle Lern- und Ausbildungspfade ermöglicht und Ausbildungs-
betriebe besser unterstützt.

d) Um Weiterbildung für Zukunftsberufe zu stärken, sollen die Mittel der
Arbeitsförderung auf Qualifizierungsangebote für zukunftsorientierte
Berufe, wie zum Beispiel Pflegefachberufe, Betreuung, Erziehung und
weitere regional identifizierte Zukunftsberufe konzentriert werden. Ins-
besondere die Umschulungen im Erziehungsbereich sollen auch über
zwei Jahre hinaus gefördert werden.

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e) Der Hochschulpakt muss zu einem wirksamen Instrument werden, durch
das alle Studienberechtigten einen Studienplatz erhalten, sich die Studien-
bedingungen verbessern und die Hochschulen mehr Planungssicherheit
erhalten.

f) Die Studienfinanzierung wird kurzfristig gestärkt durch eine Erhöhung der
Freibeträge und Fördersätze beim BAföG und mittelfristig durch dessen
Ausbau zu einem Zwei-Säulen-Modell, um insbesondere mehr junge
Menschen aus finanziell schwachen Familien zu erreichen.

g) Lebenslanges Lernen wird durch ein Weiterbildungs-BAföG unterstützt.
Damit wird die Weiterbildungsbeteiligung vor allem der bisher unter-
repräsentierten Gruppen deutlich erhöht. Der Rechtsanspruch für eine
Förderung wird nicht an starre Altersgrenzen gebunden. Das neue Gesetz
wird die Finanzierung des Lebensunterhaltes in der Weiterbildungsphase
durch Zuschüsse und Darlehen abhängig von der individuellen Situation
der Berechtigten regeln.

4. Insbesondere das Potenzial von Frauen wird viel zu wenig genutzt. Obwohl
sie hervorragende Qualifikationen haben, sind sie noch immer unterdurch-
schnittlich erwerbstätig. Folgende Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit
von Beruf und Familie und für eine gleichberechtigte Bezahlung sind uner-
lässlich, um die Erwerbsbeteiligungsquote von Frauen zu erhöhen:

a) Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Elternschaft und
Erwerbsleben werden geschaffen, indem gemeinsam mit den Ländern
und Kommunen eine qualitativ hochwertige und flexible Betreuungs-
und Bildungsinfrastruktur zügig ausgebaut wird.

b) Die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Arbeitszeitgestaltung durch
Langzeitkonten, Teilzeitoptionen oder temporäre Freistellungen sind wei-
terzuentwickeln und auszubauen. Das im Teilzeit- und Befristungsgesetz
verankerte Recht auf Teilzeit ist um ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeit-
tätigkeit zu ergänzen.

c) Das Elterngeld soll dementsprechend weiter entwickelt werden, damit die
Zahlung eines Teilelterngeldes bei gleichzeitiger Teilzeittätigkeit beider
Eltern ohne doppelten Anspruchsverbrauch flexibel ermöglicht wird. Im
Zuge dessen ist das Modell der Partnermonate weiter zu entwickeln.

d) Die Elternzeitregelungen werden flexibilisiert, indem der Zeitraum der
übertragbaren Elternzeitmonate nach dem dritten Lebensjahr von bisher
zwölf auf dann 24 Monate ausgeweitet und die Inanspruchnahme der
Elternzeit bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ermöglicht wird.

e) Das Betreuungsgeld wird abgeschafft. Die dafür vorgesehenen Mittel
fließen in den quantitativen und qualitativen Kitaausbau.

f) Eine „grüne Pflegezeit“ von bis zu drei Monaten soll Angehörigen die
Möglichkeit eröffnen, für eine Pflege in Ruhe alles Notwendige zu
organisieren. Für die drei Monate gibt es eine Lohnersatzleistung und an-
schließend ein volles Rückkehrrecht in den Beruf zu den alten Kondi-
tionen. Darüber hinaus werden Entlastungsangebote für pflegende Ange-
hörige in Form von besseren ambulanten Versorgungs- und Beratungs-
angeboten für Pflegebedürftige und ihre Familien ausgebaut.

g) Mit einem Entgeltgleichheitsgesetz für beide Geschlechter wird gleicher
Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit durchgesetzt.

h) Der Niedriglohnsektor inklusive der Minijobs wird reformiert, um einen
leichteren Einstieg in sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde

Erwerbsarbeit zu erreichen.

Drucksache 17/13246 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
i) Ein gesetzlicher Mindestlohn und branchenspezifische Mindestlöhne
werden eingeführt.

j) Das Ehegattensplitting wird abgeschmolzen, um eine Individualbesteue-
rung mit einem auf die Partnerin/den Partner übertragbaren Grundfrei-
betrag zu schaffen. Gleiches Recht muss für eingetragene Lebenspartner-
schaften gelten. Die staatlichen Mehreinnahmen werden für die Familien
in Infrastrukturausbau und Kinderleistungen investiert.

Berlin, den 23. April 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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