BT-Drucksache 17/13189

EU-Forschungsprojekte zur polizeilichen Handhabung von Gipfelprotesten und Sportereignissen

Vom 17. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13189
17. Wahlperiode 17. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Nicole Gohlke, Annette Groth, Ulla Jelpke,
Harald Koch, Niema Movassat, Jens Petermann, Dr. Petra Sitte, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

EU-Forschungsprojekte zur polizeilichen Handhabung von Gipfelprotesten und
Sportereignissen

Mit mehreren Vorhaben beforscht die Europäische Union (EU) die Vereinheit-
lichung von Sicherheitsarchitekturen bei polizeilichen Großlagen. Nicht immer
wird zwischen Sportereignissen oder politischen Ereignissen unterschieden. Als
sogenannte Major Events gelten Gipfeltreffen, aber auch Fußballmeisterschaf-
ten oder olympische Spiele. Im Programm „Coordinating National Research
Programmes on Security during Major Events in Europe“ (EU-SEC) wollten
Beteiligte aus 22 EU-Mitgliedstaaten entsprechende Standards für Polizeien ent-
wickeln. Das Programm wurde als EU-SEC II verlängert und lief 2011 aus. Ein
Abschlussbericht sollte nach Auskunft der Bundesregierung im Herbst 2011
präsentiert werden (Bundestagsdrucksache 17/7018), bleibt aber bis heute unter
Verschluss. Nach Ende von EU-SEC und EU-SEC II werden die erarbeiteten
Standards und Zusammenarbeitsformen im von der EU geförderten Vorhaben
„Enhancing European Coordination for National Research Programmes in the
Area of Security at Major Events“ (THE HOUSE) weitergeführt. THE HOUSE
will Polizeien bei Großlagen unterstützen und hat bereits „operational assis-
tance“ bei früheren Ereignissen geleistet. Auf der Webseite des 7. EU-For-
schungsrahmenprogramms wird davon gesprochen, im Rahmen von THE
HOUSE einen „European Coordinator for Major Events“ zu bestimmen
(www.tinyurl.com/ccb69pc).

Ähnliche Forschungen wie in EU-SEC, EU-SEC II und THE HOUSE werden
im Programm „Good practice for dialogue and communication as strategic prin-
ciples for policing political manifestations in Europe” (GODIAC) betrieben. In
zehn „Feldstudien“ werden Versammlungen in mehreren Ländern beobachtet
und die polizeiliche Einsatztaktik und -technik ausgewertet. GODIAC wird vom
Swedish National Police Board geleitet und endet im Juli 2013. Das Projekt wird
zu 70 Prozent über das EU-Programm „Prevention of and Fight against Crime“
gefördert, den Rest steuert die schwedische Polizei bei. Zum Projektende sollen
Ergebnisse auf einer Konferenz in Stockholm präsentiert werden.

GODIAC adressiert grenzüberschreitend aktive Protestbewegungen. In der Pro-
jektbeschreibung werden die Gipfel von 2009 genannt, darunter der NATO-Gip-

fel in Strasbourg und Baden-Baden, der G20-Gipfel in London und der G8-Gip-
fel im italienischen Erdbebengebiet in L’Aquila (www.statewatch.org/news/
2010/nov/eu-policing-protests-godiac-project.pdf). Als „Problem“ wird umris-
sen, dass die Gipfel jeweils „Tausende internationaler Demonstranten und Akti-
visten“ mobilisieren. Diese „Internationalisierung“ würde zudem mit einer Ent-
wicklung neuer Taktiken einhergehen, die eine „große Herausforderung für
Polizeibehörden in ganz Europa“ darstellten. GODIAC will polizeiliches Wis-

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sen über „Demonstranten und Aktivisten, ihre Ideologie, Mobilität und Strate-
gien gegenüber der Polizei“ deshalb ebenfalls internationalisieren. Zu den 20 be-
teiligten Organisationen gehören elf Innenministerien und Polizeien aus EU-
Mitgliedstaaten, darunter aus Österreich, Zypern, Ungarn und Großbritannien.
Rumänien ist sowohl mit dem Ministerium als auch mit seiner quasimilitäri-
schen Gendarmerie vertreten. Deutsche Projektpartner sind die Polizei Nieder-
sachsen und wie bei EU-SEC die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster.
„Forschungsbeiträge“ der deutschen Polizei galten einem „Media Management
bei Großereignissen“ und wurden „in Zusammenarbeit mit den Vertretern
Frankreichs, Spaniens, der Slowakei und Bulgariens erbracht“ (Bundestags-
drucksache 17/7018). Zu den „Partnern“ gehört auch die EU-Polizeihochschule
CEPOL. Die erste „Feldstudie“ führte GODIAC anlässlich des Castor-Trans-
ports 2010 im Wendland durch, als Tausende Aktivistinnen und Aktivisten
durch den Einsatz von über 2 000 Reizgaskartuschen am Protest gehindert wur-
den (Bundestagsdrucksache 17/4013). In der Antwort auf eine parlamentarische
Anfrage erklärt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann, dass
„insgesamt acht Angehörige der Polizeien Schwedens, der Niederlande, Portu-
gals, Österreichs und Englands sowie ein ungarischer Wissenschaftler“ für
GODIAC die Castor-Proteste beobachteten (Sitzung des Niedersächsischen
Landtages am 9. Dezember 2010; Plenarprotokoll 16/92, Anlage 26). Die aus-
ländischen Polizisten waren hierfür vom Sozialwissenschaftlichen Dienst der
Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen unterstützt worden und führten „Inter-
views mit Polizeibeamten sowie Demonstrationsteilnehmern“ durch.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Forschungen werden nach Kenntnis der Bundesregierung hinsicht-
lich der Ausgestaltung von Sicherheitsarchitekturen bei polizeilichen Groß-
lagen auf Ebene der EU betrieben?

2. Welche Ziele werden in den einzelnen Projekten verfolgt?

3. Inwiefern dienten oder dienen die Vorhaben dem Zweck, Register über tech-
nische und personelle Kapazitäten von Polizeien einzelner Mitgliedstaaten
zu erstellen?

4. Welche Mitgliedstaaten beteiligen sich nach Kenntnis der Bundesregierung
mit welchen Behörden und welchen Beiträgen an den jeweiligen Projekten?

5. Welche nichtstaatlichen Akteurinnen oder Akteure beteiligen sich an wel-
chen Projekten bzw. sind in diese eingebunden, und was sind deren spezifi-
sche Beiträge?

6. Inwiefern nehmen an den Projekten auch Gendarmerien teil, die unter mili-
tärischem Kommando stehen bzw. gestellt werden können?

7. Mit welchen Einrichtungen und mit welcher Zielsetzung beteiligt sich die
EU an den jeweiligen Projekten?

8. Unter welcher Leitung stehen die jeweiligen Projekte bzw. damit verbunde-
nen Arbeitsgruppen?

9. Wie werden die einzelnen Projekte jeweils finanziert, und inwiefern bzw. in
welcher Höhe beteiligen sich nichtstaatliche Finanziers?

10. Mit welchen Kapazitäten, Einrichtungen, Abteilungen, Finanzmitteln und
Beiträgen sind welche Angehörigen der Bundesregierung an einer Finanzie-
rung beteiligt?

11. Welche Schlüsse zog die Deutsche Hochschule der Polizei aus EU-SEC und
EU-SEC II, da ihre Beteiligung nach Auskunft der Bundesregierung dem
Zweck diente, „Wissen zu erwerben, wie der Bedarf der Polizei besser und

kostengünstiger zu decken ist“ (Antwort auf die Schriftliche Frage 31 auf
Bundestagsdrucksache 17/4639)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13189

12. Worin bestanden deutsche Beiträge, die laut einem „EU-SEC MANUAL“
(www.unicri.it/topics/major_events_security/the_house/EU-SEC_manual_
english.pdf) unter anderem zu „Ethical issues related to security during major
events“ angekündigt waren?

13. Worum handelt es sich bei den im „EU-SEC MANUAL“ erwähnten Doku-
menten oder „Studies and reports into security evaluation during major
events by country“, die aus Deutschland zu den Themen „Reports of Former
Events“, „Manuals“, „Lesson“, „Reports or Checklists“ und „Rules/Orders
and Legislation“ eingebracht wurden?

14. Worum handelt es sich bei den im „EU-SEC MANUAL“ erwähnten natio-
nalen „Research Centres“, wonach aus Deutschland nicht nur die Deutsche
Hochschule der Polizei, sondern darüberhinaus die Beteiligten „Police or
Ministry of Interior“, „Universities“ und „Independent centres“ Beiträge für
EU-SEC erbrachten?

15. Inwiefern und mit welchem Ergebnis befasste sich EU-SEC auch mit der
Ausrüstung von Polizeien bei „Major Events“, und welche Rolle spielte
hierbei die Joint Organisation for Armaments Cooperation (OCCAR)?

16. Welche innerhalb von EU-SEC und EU-SEC II entwickelten Standards und
Zusammenarbeitsformen hält die Bundesregierung aus welchen Gründen
für besonders bedeutsam?

17. Aus welchem Grund wird der Abschlussbericht von EU-SEC II nicht öffent-
lich zugänglich gemacht, und welche Haltung vertritt die Bundesregierung
hierzu?

18. In welchem Stadium befindet sich das Projekt „Good practice for dialogue
and communication as strategic principles for policing political manifesta-
tions in Europe” (GODIAC)?

19. In welchen Ländern wurden welche „Feldstudien“ oder ähnliche Maßnah-
men im Zusammenhang mit GODIAC durchgeführt?

20. Wer nahm daran jeweils teil?

21. Wer waren die jeweiligen Partnerinnen und Partner bzw. sonstige Beteiligte
der Maßnahmen, und wer hat diese geleitet?

22. Wann und wo werden Ergebnisse von GODIAC präsentiert?

23. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Ergebnisse
von GODIAC öffentlich verfügbar sein sollten?

24. Sofern sie dies verneint, wie begründet sie ihre Haltung?

25. Wie bewertet die Bundesregierung das Ziel von GODIAC (vgl. Präsentation
vom 1. November 2010 auf www.statewatch.org), wonach als „Problem“
umrissen wird, dass Gipfelproteste jeweils „Tausende internationaler De-
monstranten und Aktivisten“ mobilisieren würden, und diese „Internationa-
lisierung“ mit neuen Taktiken der Demonstrierenden einhergingen, die eine
„große Herausforderung für Polizeibehörden in ganz Europa“ darstellen?

26. Worin besteht nach Kenntnis der Bundesregierung der Beitrag der Polizei
Niedersachsen für GODIAC?

27. Inwiefern trifft es zu, dass die ausländischen Polizisten innerhalb von
GODIAC beim Castor-Transport 2010 „Interviews mit Polizeibeamten
sowie Demonstrationsteilnehmern“ durchführten, und wie wurden diese
ausgewählt?

28. Worin bestand der Beitrag der Deutschen Hochschule der Polizei konkret,

den die Bundesregierung zunächst als „Media Management bei Großereig-
nissen“ umrissen hatte (Bundestagsdrucksache 17/7018)?

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29. Worin bestand die „Zusammenarbeit mit den Vertretern Frankreichs,
Spaniens, der Slowakei und Bulgariens“, und welche eigenen Beiträge wur-
den von den Beteiligten erbracht, bzw. inwiefern haben diese an dem Bei-
trag der Deutschen Hochschule der Polizei mitgewirkt?

30. Inwiefern hält es die Deutsche Hochschule der Polizei für erfolgreich im
Sinne von GODIAC, dass deutsche Länderpolizeien sowie die Bundespoli-
zei den Castor-Transport 2010 erst durch den Einsatz von über 2 000 Reiz-
gaskartuschen unter Kontrolle bringen konnten, und wie wird dies innerhalb
von GODIAC diskutiert und bewertet?

31. Welche innerhalb von GODIAC entwickelten Standards und Zusammenar-
beitsformen hält die Deutsche Hochschule der Polizei bislang aus welchen
Gründen für besonders bedeutsam?

32. Welche weiteren Details zu Zielen, Finanzierung und Beteiligten kann die
Bundesregierung zum 2012 begonnen Vorhaben „Enhancing European
Coordination for National Research Programmes in the Area of Security at
Major Events“ (THE HOUSE) mitteilen?

33. Auf wessen Initiative kam das Projekt zustande?

34. Welche Beiträge erbringt das United Nations Interregional Crime and
Justice Research Institute (UNICRI) für THE HOUSE?

35. Inwiefern stellt das Projekt THE HOUSE nach Einschätzung der Bundes-
regierung den Versuch dar, Initiativen und Maßnahmen des UNICRI-Insti-
tuts International Permanent Observatory (IPO) auf Ebene der EU zu mehr
Durchsetzungskraft zu verhelfen?

36. Inwiefern baut THE HOUSE auf Ergebnissen und Strukturen der Pro-
gramme EU-SEC und EU-SEC II auf, und welche sind dies konkret?

37. Welche konkreten Maßnahmen (auch Konferenzen, Seminare, Fortbildun-
gen) sind wann in welchen Ländern geplant bzw. wurden bereits durchge-
führt?

38. Worin bestand die „operational assistance“ von THE HOUSE beim UEFA
Euro Cup 2012 bzw. anderen, früheren Unterstützungsleistungen?

39. Inwiefern widmet sich THE HOUSE auch kommenden EU-Gipfeln, der
Fussballweltmeisterschaft in Brasilien 2014 bzw. sonstigen konkreten, zu-
künftigen Großereignissen?

40. Welche konkreten Beiträge sollen hierfür erbracht werden (bitte jeweils
kurz skizzieren)?

41. Was ist damit gemeint, wenn auf der Webseite des 7. EU-Forschungsrah-
menprogramms davon gesprochen wird, im Rahmen von THE HOUSE
einen „European Coordinator for Major Events“ zu bestimmen
(www.tinyurl.com/ccb69pc), und welche Haltung vertritt die Bundesregie-
rung hierzu?

42. Welche neueren Überlegungen existieren hinsichtlich der Frage, ob im Jahr
2014 ein neuer Mehrjahresplan als Folge des „Stockholmer Programms“
verabschiedet werden soll, und wie haben sich die EU-Mitgliedstaaten und
die Bundesregierung hierzu positioniert?

43. Worum handelt es sich bei den Initiativen „Polizeiliche Zusammenarbeit
mit Drittstaaten bei Sportveranstaltungen“ und „TE-Anhang zum Handbuch
für Sportgroßveranstaltungen“, die der Rat der Innen- und Justizminister am
13. Dezember 2012 verabschiedet hatte?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13189

44. Wer schlug die Maßnahmen vor, wer ist beteiligt, und wie wird sich die
Bundesregierung hierzu einbringen?

Berlin, den 17. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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