BT-Drucksache 17/1316

Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns

Vom 6. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1316
17. Wahlperiode 06. 04. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Werner
Dreibus, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann und der Fraktion DIE LINKE.

Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die Notwendigkeit eines
gesetzlichen Mindestlohns

In Deutschland sind Niedriglöhne auf dem Vormarsch wie kaum in einem ande-
ren Land der Europäischen Union. Laut Statistischem Bundesamt treffen Nied-
riglöhne vor allem atypisch Beschäftigte, dabei insbesondere Frauen. Atypische
Beschäftigung umfasst Minijobs, Leiharbeitsverhältnisse, Teilzeit sowie Be-
fristungen. Mit der atypischen Beschäftigung wuchsen auch die Niedriglöhne.

Wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist die Hartz-Gesetzgebung aus der
Zeit der Schröder-Regierung. Bis heute hat keine der Nachfolgeregierungen hier
wesentliche Korrekturen vorgenommen. Die derzeitige Bundesregierung will
jetzt sogar noch sachgrundlose Befristungen und Minijobs ausweiten, Hinzuver-
dienstgrenzen erhöhen und damit unsichere und schlecht bezahlte Beschäfti-
gungsverhältnisse weiter fördern.

Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte den Niedriglohnsektor eindämmen. In der
Europäischen Union haben derzeit 20 Länder gesetzliche Mindestlöhne. „Ein ge-
setzlicher Mindestlohn ist dringlicher denn je“, heißt es im Aufruf des Deutschen
Gewerkschaftsbundes und seiner Gewerkschaften zum 1. Mai diesen Jahres. Seit
Jahren unterstützt eine breite Mehrheit der Bevölkerung die Forderung nach ei-
nem gesetzlichen Mindestlohn. Das Statistische Bundesamt hat ausgehend von
einer Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (OECD) für Deutschland die Niedriglohnschwelle von 9,85 Euro pro
Stunde berechnet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland die Zahl der
Niedriglöhne entwickelt (bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und
Alter differenzieren sowie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

2. Wie hat sich in den vergangenen 15 Jahren der Niedriglohnsektor in Deutsch-
land im Vergleich zu den anderen EU-Ländern entwickelt (bitte auch relative
Zahlen nennen)?
3. Welche Personengruppen sind nach Ansicht der Bundesregierung in Deutsch-
land besonders von Niedriglöhnen betroffen?

4. Welche Branchen sind nach Ansicht der Bundesregierung in Deutschland
besonders von Niedriglöhnen betroffen?

Drucksache 17/1316 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung von atypisch Beschäf-
tigten und niedrigen Löhnen?

Leitet sie hieraus gesetzgeberischen Handlungsbedarf ab?

Wenn ja, welchen?

Wenn nein, warum nicht?

6. Was sind die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les beauftragten Studie des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur
(IWAK) hinsichtlich der Einstellungen der Menschen in Deutschland zum
Thema Mindestlohn?

7. Wie begründet die Bundesregierung ihre Ablehnung gegenüber einem ge-
setzlichen Mindestlohn?

8. Ergibt sich aus Sicht der Bundesregierung mit dem Inkrafttreten der unein-
geschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit im Jahr 2011 ein besonderer Hand-
lungsbedarf, und wie begründet sie ihre Antwort?

9. Inwiefern schützt das Vorhaben der Bundesregierung, die Rechtsprechung
zum Verbot sittenwidriger Löhne gesetzlich festzuschreiben, vor Nied-
riglöhnen, wenn etwa bei einem geltenden Tarifvertrag von 7 Euro der Ar-
beitgeber Stundenlöhne von weniger als 5 Euro zahlen darf?

10. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die von ihr geplante Stärkung
der Minijobs und Hinzuverdienstregelung zu einer Verdrängung regulärer,
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse führt, und wenn
ja, worauf gründet sie diese optimistische Sichtweise?

11. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, die Entwicklung im Einzelhan-
del würde diese Verdrängung exemplarisch belegen, und wenn nein, welche
empirischen Belege hat sie, die diese Einschätzung widerlegen?

12. Wie hoch ist der Zuwachs bzw. Rückgang der sozialversicherungspflichti-
gen Vollzeitarbeitsplätze, der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeits-
plätze und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen im Einzelhandel in
den vergangenen 10 Jahren (bitte jeweils für die drei Kategorien einzeln auf-
führen)?

13. Ist die Bundesregierung der Meinung „Jede Arbeit ist besser als keine“, auch
wenn Beschäftigte wegen eines zu niedrigen Stundenlohns nicht aus der Be-
dürftigkeit herauskommt und der Staat somit die Lohnkosten des Unterneh-
mers finanziert?

Wie begründet sie ihre Antwort?

14. Wie hoch waren die aufstockenden Leistungen für Erwerbstätige nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im Jahr 2009?

15. Hat die Bundesregierung bisher mit den Regierungen derjenigen EU-Länder
über die Wirksamkeit von Mindestlöhnen gesprochen, die einen gesetz-
lichen Mindestlohn haben, oder plant sie dies zu tun?

16. Wie hoch ist der Durchschnitt der gesetzlichen Mindestlöhne in den mit
Deutschland vergleichbaren westeuropäischen Euro-Nachbarstaaten Frank-
reich, Belgien, Niederlande, Luxemburg und Irland (bitte arithmetisch ge-
mittelt und gewichtet nach der Anzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer angeben)?

17. Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag des Direktors des Instituts
der Wirtschaft, Michael Hüther, einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe
von 5 Euro einzuführen?
18. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der Gewerkschaften, ein
Mindestlohn würde die Tarifautonomie stärken?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1316

19. Wie viele Menschen arbeiten derzeit zu einem Bruttostundenlohn von

a) weniger als 5 Euro,

b) weniger als 8,50 Euro,

c) weniger als 10 Euro

(bitte nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren sowie in ab-
soluten und relativen Zahlen darstellen)?

20. Wie viele Menschen sind in einem Leiharbeitsverhältnis beschäftigt (bitte
nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren sowie in absoluten
und relativen Zahlen darstellen)?

Wie viele von ihnen erhalten einen Bruttostundenlohn von

a) weniger als 8,50 Euro,

b) weniger als 10 Euro pro Stunde

(bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren so-
wie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

21. Wie viele Menschen sind in einem zeitlich befristeten Arbeitsverhältnis be-
schäftigt (bitte nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren
sowie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

Wie viele von ihnen erhalten einen Bruttostundenlohn von

a) weniger als 8,50 Euro,

b) weniger als 10 Euro

(bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren so-
wie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

22. Wie viele Menschen sind geringfügig beschäftigt (bitte nach Bundesländern,
Geschlecht und Alter differenzieren sowie in absoluten und relativen Zahlen
darstellen)?

Wie viele von ihnen erhalten einen Bruttostundenlohn von

a) weniger als 8,50 Euro,

b) weniger als 10 Euro

(bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren so-
wie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

23. Wie viele Menschen sind in Teilzeit beschäftigt (bitte nach Bundesländern,
Geschlecht und Alter differenzieren sowie in absoluten und relativen Zahlen
darstellen)?

Wie viele von ihnen erhalten einen Bruttostundenlohn von

a) weniger als 8,50 Euro,

b) weniger als 10 Euro

(bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren so-
wie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

24. Wie viele Menschen sind in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis
(Vollzeit, unbefristet, in soziale Sicherungssysteme integriert, Übereinstim-
mung von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis) beschäftigt (bitte nach
Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren sowie in absoluten und
relativen Zahlen darstellen)?

Drucksache 17/1316 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wie viele von ihnen erhalten einen Bruttostundenlohn von

a) weniger als 8,50 Euro,

b) weniger als 10 Euro

(bitte ebenfalls nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren so-
wie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

25. Wie haben sich die Zahlen der geringfügig Beschäftigten, der Leiharbeits-
kräfte, der befristeten Arbeitsverträge, der Teilzeitbeschäftigten und der
Normalarbeitsverhältnisse im Zeitraum von 1998 bis heute entwickelt (bitte
nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differenzieren sowie in absoluten
und relativen Zahlen darstellen)?

Wie hat sich für jede dieser Beschäftigungsformen im gleichen Zeitraum der
Anteil der Beschäftigten entwickelt, die für einen Lohn unterhalb von

a) 8,50 Euro pro Stunde,

b) 10 Euro pro Stunde arbeiten

(bitte ebenfalls jährlich, nach Bundesländern, Geschlecht und Alter differen-
zieren sowie in absoluten und relativen Zahlen darstellen)?

26. Was sind die zehn Branchen, in denen die meisten Menschen zu einem Brut-
tostundenlohn von weniger als 10 Euro arbeiten?

Wie hoch ist jeweils in diesem Branchen der durchschnittliche Bruttostun-
denlohn, wie viele Beschäftigte arbeiten in den jeweiligen Branchen?

27. Wie hoch sind rechnerischen Mehreinnahmen bei Sozialversicherungen und
Steuern, die sich aus einem Anstieg der untersten Löhne in Deutschland auf
mindestens

a) 8,50 Euro,

b) 10 Euro ergeben?

28. Wie groß ist der rechnerische Minderbedarf an Sozialleistungen, der sich aus
einem Anstieg der untersten Löhne in Deutschland auf mindestens

a) 8,50 Euro,

b) 10 Euro ergibt?

29. Wie hoch ist die rechnerische Kaufkrafterhöhung, die sich aus einem An-
stieg der untersten Löhne in Deutschland auf mindestens

a) 8,50 Euro,

b) 10 Euro ergibt?

Berlin, den 6. April 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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