BT-Drucksache 17/13054

Umsetzung der Empfehlungen der deutsch-italienischen Historikerkommission

Vom 11. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13054
17. Wahlperiode 11. 04. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Jens
Petermann, Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Empfehlungen der deutsch-italienischen Historikerkommission

Die Bundesregierung hat sich seit langem dafür entschieden, italienischen NS-
Opfern – darunter Überlebende von Massakern bzw. die Angehörigen der von
deutschen Soldaten Ermordeten – keine Entschädigung zu gewähren (zuletzt
auf Bundestagsdrucksache 17/10480). Italienischen Gerichtsurteilen, die
Deutschland zu Entschädigungszahlungen verpflichtet hatten, begegnete sie
mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof, weil sie in der Pflicht zur
Entschädigung für NS-Unrecht eine Verletzung der „Staatenimmunität“ sah.

Statt die Forderungen der Überlebenden bzw. Angehörigen zu erfüllen, einigte
sich die Bundesregierung mit der italienischen Regierung auf die Gründung
einer Historikerkommission, deren Abschlussbericht Ende 2012 in Rom vorge-
stellt wurde.

Der Bundesverband Information & Beratung NS-Verfolgte e. V. nannte es
„traurig und für die deutsche Seite erneut peinlich, dass die Historikerkommis-
sion sich noch nicht einmal zu einem Appell an die deutsche Regierung durch-
ringen konnte, den überlebenden IMI (Italienische Militärinternierte) die Ent-
schädigung zukommen zu lassen, um die sie bisher betrogen worden sind“
(www.nsberatung.de).

Allerdings findet sich im Bericht folgende Einschätzung: „Als im Juni 1961 das
deutsch-italienische Wiedergutmachungsabkommen abgeschlossen wurde, wa-
ren die deutschen Kriegsverbrechen in Italien noch nicht in vollem Umfang be-
kannt. Es bestand bei den politisch Verantwortlichen noch kein ausreichendes
Bewusstsein für die deutsche Verantwortung für viele Massaker an der italieni-
schen Bevölkerung.“ Die Kommission zählt diese Opfer zu den lange „verges-
senen Opfern nationalsozialistischer Gewalttaten“. Diese Feststellung bestätigt
aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragestellern ihre seit langem getroffene
Aussage, dass die im Jahre 1961 gezahlte sogenannte Wiedergutmachung längst
nicht allen zugute kam, die Opfer von NS-Verbrechen geworden waren.

Schon vor der Veröffentlichung des Berichtes hatte die Bundesregierung in ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. erklärt, sie werde
„die Vorschläge der Kommission aufgreifen, die zur Schaffung einer deutsch-

italienischen Erinnerungskultur beitragen“ (Bundestagsdrucksache 17/10480).
Nach dem Stand der Umsetzung ist nunmehr zu fragen.

Drucksache 17/13054 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Schließt sich die Bundesregierung den Einschätzungen und Feststellungen
der Kommission an?

a) In welchen Punkten hat sie abweichende Einschätzungen?

b) Inwiefern hat nach ihrer Kenntnis die italienische Regierung abweichende
Einschätzungen?

2. Inwiefern will die Bundesregierung die Empfehlungen der Kommission um-
setzen, und welche Schritte hat sie dazu im Einzelnen bereits unternommen?

3. Was unternimmt die Bundesregierung, um im ehemaligen Zwangsarbeiter-
lager Berlin-Niederschöneweide eine Gedenkstätte für die italienischen
Militärinternierten (IMI) einzurichten?

a) Soll diese Gedenkstätte die von der Kommission empfohlenen Funktionen
(sowohl Erinnerungsort als auch Lernort mit wissenschaftlichen und ge-
schichtsdidaktischen Daueraufgaben) erfüllen, und wenn nein, warum
nicht, und welche stattdessen?

b) Bis wann wird voraussichtlich ein konkreter Plan bzw. eine Konzeption
für diese Gedenkstätte vorgelegt, und wie genau will die Bundesregie-
rung dabei vorgehen?

c) Wie viele Beschäftigte (bitte nach Funktionen aufgliedern) sollen in der
Erinnerungsstätte arbeiten?

d) Bis wann ist mit der Umsetzung und Betriebsaufnahme der Einrichtung
dieser Gedenkstätte zu rechnen?

e) Mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung in diesem Zusammen-
hang?

4. Inwiefern beteiligt sich Deutschland an der Schaffung bzw. Unterstützung
entsprechender Erinnerungsstätten in Italien (bitte vollständig auflisten),
und welche Kosten entstehen dabei insgesamt sowie für die deutsche Seite?

5. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Anlage eines Totengedenk-
buches, das die Namen der zwischen September 1943 und Mai 1945 getöteten
IMI enthält, zu unterstützen, und bis wann ist mit seiner Vorlage zu rechnen?

6. Inwiefern hat sich die Bundesregierung bezüglich der Umsetzung der Kom-
missionsempfehlungen bereits mit den Verbänden ehemaliger Militärinter-
nierter aus Italien zusammengesetzt?

Wenn es mit diesen noch keine Kontaktaufnahme gab, warum nicht?

7. Was unternimmt die Bundesregierung, um das von der Kommission aufge-
fundene Archivmaterial zu erschließen und nutzbar zu machen?

Mit welchen Zeithorizonten rechnet sie damit, und welche Kosten sind
damit verbunden?

8. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Einrichtung einer deutsch-
italienischen Zeitgeschichtsstiftung zu unterstützen?

a) Was genau soll Zweck einer solchen Stiftung sein?

b) Welche Projekte sollen von ihr gefördert werden, und in welchem finan-
ziellen Umfang?

c) Wie soll die Stiftung aufgebaut werden?

d) Wer soll dem Stiftungsrat angehören, bzw. welche Organisationen sollen
Vertreter entsenden können?

e) Mit welchen finanziellen Mitteln ist die Bundesregierung bereit, zu einer

solchen Stiftung beizutragen, und inwiefern wird sich Italien finanziell da-
ran beteiligen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13054

9. Was unternimmt die Bundesregierung, um die wissenschaftliche Arbeit an
einer Gesamtdarstellung der Kriegsereignisse in Italien 1943 bis 1945 zu
unterstützen?

10. Was unternimmt die Bundesregierung, um die von der Kommission vorge-
legte Datensammlung zu deutschen Gewalttaten weiter zu entwickeln und
durch einen „Atlas der Gewalt“ zu ergänzen?

a) Welche Kosten entstehen dabei voraussichtlich?

b) Bis wann ist der Atlas voraussichtlich fertiggestellt?

c) Wo ist derzeit die Datenbank mit über 5 000 NS-Gewaltverbrechen ein-
zusehen?

11. Welche weiteren Aktivitäten unternimmt die Bundesregierung, um zur
Schaffung einer „gemeinsamen Erinnerungskultur“ beizutragen, und welche
Kosten sind damit voraussichtlich verbunden?

12. Welche weiteren „politischen Gesten“ beabsichtigt die Bundesregierung im
Zusammenhang mit der Erinnerung an bzw. Aufarbeitung von deutschen
Kriegsverbrechen in Italien, insbesondere solchen, deren Opfer keine Ent-
schädigung erhalten haben?

13. Inwiefern ist die italienische Regierung nach Kenntnis der Bundesregie-
rung darum bemüht, einen adäquaten Erinnerungsort in Rom zu finden,
welcher genau dort geplant wird, und inwiefern unterstützt die Bundesre-
gierung dieses Unterfangen (auch finanziell)?

14. Welche weiteren Anstrengungen unternimmt die italienische Regierung
nach Kenntnis der Bundesregierung, die Empfehlungen der Kommission
umzusetzen oder zu ergänzen, und inwiefern erfährt sie dabei Unterstüt-
zung durch die Bundesregierung, und inwiefern sind hier bereits Entschei-
dungen getroffen worden?

15. Aus welchem Budget sollen auf deutscher Seite die Kosten für die Umset-
zung der Kommissionsempfehlungen bestritten werden?

16. Welche Gesamtkosten sind bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Histo-
rikerberichtes entstanden (bitte möglichst nach den wichtigsten Kosten-
punkten aufgliedern und darstellen, welche Kosten Italien und welche
Deutschland übernommen hat)?

a) Sind nach Fertigstellung des Berichts weitere Kosten angefallen, und
wenn ja, in welcher Höhe, und wofür?

b) Fallen gegenwärtig und zukünftig weitere Kosten an, und wenn ja, in
welcher Höhe, wofür, und wie werden die Kosten zwischen Italien und
Deutschland aufgeteilt?

17. Teilt die Bundesregierung inhaltlich die Feststellung der Kommission, dass
die deutschen Kriegsverbrechen, „noch nicht in vollem Umfang bekannt“
waren, als im Juni 1961 das deutsch-italienische Wiedergutmachungs-
abkommen abgeschlossen wurde, und damals „bei den politisch Verant-
wortlichen noch kein ausreichendes Bewusstsein für die deutsche Verant-
wortung“ bestand?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja,

a) hält sie vor diesem Hintergrund die Auffassung der Fragestellerinnen
und Fragesteller für plausibel, dass die mit dem damaligen Abkommen
verbundene Zahlung von 40 Mio. DM für „typische“ NS-Opfer schon

deswegen nicht allen tatsächlichen Opfern deutscher Verbrechen zugu-
tekommen konnte, weil eben das Bewusstsein für die deutsche Verant-

Drucksache 17/13054 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
wortung nicht ausreichend gewesen ist und beispielsweise die Opfer
von Massakern der Wehrmacht und der Waffen-SS „zu den vergessenen
Opfern“ gehörten, wie die Kommission schreibt,

b) ist die Bundesregierung nunmehr, da dieses Bewusstsein zugenommen
hat, bereit, auch diesen ehedem vergessenen Opfern Entschädigung zu
gewähren, und wenn nein, warum nicht?

18. Wo ist derzeit die Anthologie zu Erfahrungsberichten von Militärinternier-
ten einzusehen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand und die Geschwindigkeit der
Umsetzung der Kommissionsempfehlungen?

Berlin, den 11. April 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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