BT-Drucksache 17/1279

Bürgschaften der Bundesregierung für die Ostsee-Pipeline

Vom 29. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1279
17. Wahlperiode 29. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Dr. Frithjof Schmidt,
Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln),
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bürgschaften der Bundesregierung für die Ostsee-Pipeline

Im April 2010 soll der Bau der so genannten Ostsee-Pipeline beginnen. Das Pro-
jekt „Ostsee-Pipeline“ wird von der Nord Stream AG betrieben, deren Mehr-
heitsaktionär der russische staatlich kontrollierte Erdgaskonzern Gazprom ist.

Die Leitung zum Transport von Erdgas von Russland durch die Ostsee nach
Deutschland und weiter in andere EU-Mitgliedstaaten soll 2012 fertiggestellt
werden. Ihre geplante Transportkapazität beträgt insgesamt 55 Mrd. Kubikmeter
jährlich.

Nach Einschätzungen der Betreiber aus dem Jahre 2008 belaufen sich die Kosten
für den Bau der Ostsee-Pipeline auf 7,4 Mrd. Euro. Damit haben sich die ge-
planten Kosten seit 2005 bereits um mehr als 2 Mrd. Euro erhöht. Mögliche kos-
tengünstigere Erweiterungen der Transportkapazitäten für russisches Gas wurden
nicht einmal ausreichend geprüft.

Nach Einschätzungen von Analysten ist das Projekt der Ostsee-Pipeline mit er-
heblichen Risiken verbunden. Das russische Institut für Energetik und Finanzen
stuft wirtschaftliche und technologische Risiken, die mit der Inbetriebnahme der
Ostsee-Pipeline verbunden sind, als „hoch wahrscheinlich“ ein.

Zudem weisen Experten darauf hin, dass die Reserven erschlossener, leicht zu-
gänglicher russischer Gasfelder sinken und daher Zweifel bestehen, ob genügend
Erdgas dauerhaft für die Pipeline zur Verfügung steht. Bereits für das Jahr 2012
wird ein deutlicher Rückgang der Fördermenge erwartet. Neue Gasvorkommen
seien unter viel schwierigeren Bedingungen zu erschließen, weil sie zum Teil
mehrere Kilometer unter dem Permafrostboden liegen oder sich in den arkti-
schen Schelfgebieten befinden. Wegen unzureichender Investitionen gebe es ei-
nen technologischen Rückstand, der die Ausbeutung der schwer zu fördernden
Vorkommen erschwere.

Die Folgen des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine Anfang 2008 auf
die Belieferung der EU-Mitgliedstaaten hat die Debatte über notwendige Diver-

sifizierungen von Energieträgern und Bezugsquellen europaweit in Gang ge-
setzt. Die vorrangige Orientierung auf russische Gaslieferungen wird gezielt in
Frage gestellt.

Der Bau der Gasleitung wurde durch Bürgschaften der Bundesregierung in Höhe
von ca. 2,8 Mrd. Euro möglich gemacht. Sie sollen die Aufträge von der Nord
Stream AG an deutsche Unternehmen sowie Risiken der Banken, die der Nord

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Stream AG Kredite zur Verfügung gestellt haben, absichern. Diese Risiken
scheinen seit dem Planungsbeginn des Projekts im Hinblick auf Bezugsquellen,
Nachfrage und Rentabilität gestiegen zu sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann wurde die Risikoeinschätzung des Projekts der Ostsee-Pipeline von
der Bundesregierung vorgenommen, und welche Ergebnisse hatte sie?

2. Inwiefern entspricht die Analyse dem gegenwärtigen Stand von Marktent-
wicklung und Projektplanung?

3. Weshalb gelangte die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass die Risi-
ken bei der Realisierung des Projekts der Ostsee-Pipeline die Gewährung der
Bürgschaften rechtfertigen?

4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung derzeit die Kosten der Ostsee-Pipe-
line ein?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Kostenentwicklung in der Planungs-
phase, und welche Prognose für die Kostenentwicklung in der Realisierungs-
phase leitet sie daraus ab?

6. Wie schätzt die Bundesregierung die zukünftige Lieferfähigkeit Russlands
für Erdgas ein, und wie bewertet sie insbesondere die Einschätzung des
SWP-Experten Roland Götz, dass „Russlands langfristige Lieferfähigkeit
[…] unter dem Vorbehalt der zügigen Erschließung der riesigen Gasvor-
kommen auf der Jamal-Halbinsel und in der Barentssee“ steht (WeltTrends
Nr. 66, Mai/Juni 2009)?

7. Aus welchen Gasfeldern soll nach Kenntnis der Bundesregierung Gas durch
den zweiten Strang der Ostsee-Pipeline geleitet werden, und wie ist der
Stand der Förderfähigkeit dieser Felder?

8. Beeinflusst aus Sicht der Bundesregierung die in Medien berichtete Verle-
gung des Beginns der Ausbeutung des Stockman-Gasfeldes in der Barents-
see vom bisherigen auf ein noch unbestimmtes späteres Datum das Risiko
einer nicht genügenden Auslastung des zweiten Strangs der Ostsee-Pipeline,
und wenn nein, warum nicht?

9. Wann ist nach Kenntnis der Bunderegierung der Beginn der Erschließung
der Gasvorkommen auf der Jamal-Halbinsel geplant?

10. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung ihres jetzigen Bundesministers
des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, aus dem Jahr 2006 in Bezug auf
die 2005 von Gazprom beantragten Bürgschaften für ein im Zusammenhang
mit der Ostsee-Pipeline stehendes Projekt, nach der es nicht angehe, „dass
der deutsche Steuerzahler für einen russischen Staatskonzern geradestehen
soll“ (FAZ, 24. Dezember 2009), und wie verhält sich diese Äußerung zu der
auch vom Bundesminister des Auswärtigen mitgetragenen Entscheidung
des interministeriellen Ausschusses im Dezember 2009, Bürgschaften für
die Nord Stream AG, deren Hauptaktionär Gazprom ist, in einem Volumen
zu bewilligen, das dreimal so hoch ist wie 2005 beantragt?

Berlin, den 29. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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