BT-Drucksache 17/12509

Zwei Jahre Fukushima - Ohne ehrlichen Atomausstieg keine erfolgreiche Energiewende

Vom 27. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12509
17. Wahlperiode 27. 02. 2013

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Oliver
Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann E. Ott,
Dorothea Steiner, Sven-Christian Kindler, Ute Koczy, Manuel Sarrazin, Cornelia
Behm, Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn,
Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zwei Jahre Fukushima – Ohne ehrlichen Atomausstieg keine erfolgreiche
Energiewende

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 11. März 2011 kam es infolge einer tragischen Naturkatastrophe zu der wohl
schwersten zivilisatorisch bedingten Katastrophe der letzten Jahrzehnte. Auf
eine verheerende Flutwelle, die über 15 000 Menschen das Leben kostete, folgte
die Atomkatstrophe von Fukushima, die mehr als 100 000 Menschen zwang, ihr
Heim zu verlassen, und zu großflächigen Kontaminationen von Böden, Wäldern
und Gewässern führte. Der Deutsche Bundestag gedenkt der Opfer.

Die Atomkatastrophe von Fukushima wurde zur Zäsur der Atomkraftnutzung.
Vor den Augen der Welt wurde das Restrisiko zur Realität und das Unfassbare
offensichtlich: Selbst ein Hochtechnologieland wie Japan war mit der atomaren
Notlage hoffnungslos überfordert und konnte die fortschreitenden Kern-
schmelzen nicht verhindern. Betreiber und Behörden ließen die betroffenen
Menschen in der Region lange im Unklaren über die Gefahren, denen sie aus-
gesetzt waren.

Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Noch immer sind Böden, Wälder und
Gewässer kontaminiert und Betreiber wie Behörden überfordert. So lagern
beispielsweise in einem Abklingbecken der havarierten Anlage noch immer
mehr als 1 500 hochgefährliche Brennelemente nahezu ungeschützt. Die not-
dürftigen Stabilisierungsarbeiten bieten keinen verlässlichen Schutz davor, dass
ein erneutes Beben die Konstruktion zum Einsturz bringt oder das Becken leck
schlägt.

Doch der zweite Jahrestag von Fukushima erinnert nicht nur daran, welche
dauerhaft verheerenden Spuren ein atomarer Super-GAU hinterlässt. Er zeigt

auch, wie schnell bei Regierungen Erkenntnisse, die im Lichte einer ein-
schneidenden Katastrophe richtigerweise gewonnen wurden, wieder in Ver-
gessenheit geraten können.

In Japan will eine neue, der Atomindustrie nahestehende Regierung vom Aus-
stiegsbeschluss der Vorgängerregierung nichts mehr wissen – gegen den Willen
der eigenen Bevölkerung. In Deutschland verliert die Bundesregierung seit dem
Laufzeiten-Konsens immer mehr das Interesse an einem ehrlichen und ernst-

Drucksache 17/12509 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

haften Atomausstieg. Der Vorsitzende des Verbandes Bund für Umwelt und
Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) brachte dies unlängst treffend auf den
Punkt: Man hat den Eindruck, die Bundesregierung schämt sich mittlerweile für
den Atomausstieg.

Ihr Bekenntnis zum Atomausstieg vom Sommer 2011 ist geschrumpft auf bloße
Abschaltdaten. Bis heute hat sie den Atomausstieg nicht verinnerlicht. Es fehlen
der Wille und die Kraft. Stattdessen gewinnt die ursprüngliche Klientelpolitik
für große Konzerne und die Atomwirtschaft wieder Raum.

Zu einem ehrlichen Atomausstieg würde gehören, sich für strenge Sicherheits-
anforderungen einzusetzen und diese bei einem unwilligen Bundesland im
Zweifel auch konsequent durchzusetzen. Doch als Bayern im letzten Jahr ver-
suchte, die Sicherheitsanforderungen für Atomkraftwerke aufzuweichen, trat
die Bundesregierung dem unsäglichen Vorstoß nicht entgegen.

Neue Sicherheitsanforderungen bringen nichts, wenn sie nur auf dem Papier
stehen. Sie müssen konsequent angewendet werden und zu realen Nachrüstun-
gen führen. Es wäre die Pflicht der Bundesregierung, bei unwilligen Ländern
wie Bayern im Interesse der Sicherheit durchzugreifen. Nachrüstanforderungen
dürfen nicht ökonomischen Sachzwängen untergeordnet werden. Wenn sich
Nachrüstungen für die Betreiber nicht mehr rechnen, muss das Kraftwerk vom
Netz.

Zu einem ehrlichen Atomausstieg würde gehören, die Gefahren, die von Atom-
kraftwerken (AKW) im europäischen Ausland ausgehen, ernst zu nehmen. Das
nukleare Risiko macht nicht an der Grenze halt. In unmittelbarer Nähe zu
Deutschland gibt es mehrere unsichere Alt-AKW. Der Deutsche Bundestag er-
wartet, dass die Bundesregierung ihre bilateralen Möglichkeiten sowie jene auf
EU-Ebene besser nutzt, diese Altmeiler abzuwickeln und sich dafür einzusetzen,
dass es nicht zu Laufzeitverlängerungen wie denen für die Altmeiler Borssele
und Tihange 1 in den Niederlanden und Belgien kommt. Diese sind ebenso
unverantwortlich und unnötig wie z. B. das Neubauvorhaben Temelin 3 und 4 in
Tschechien, gegenüber dem sich die Bundesregierung nicht länger aus der Ver-
antwortung stehlen darf. Allgemein muss die Bundesregierung dafür sorgen,
dass die deutsche Öffentlichkeit wesentlich stärker in die Bürgerbeteiligung bei
der Planung von Atomkraftwerksprojekten wie in Tschechien, Kaliningrad und
Großbritannien einbezogen wird.

Der Deutsche Bundestag erwartet außerdem, dass die Bundesregierung die
bilaterale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Nuklearsicherheit verbessert,
insbesondere durch Einbezug aller relevanten AKW in unseren Nachbarländern
und die Bitte an Belgien, ein bilaterales Nuklearsicherheitsabkommen ab-
zuschließen. Dass die Bundesregierung Atomkraftwerke, die 70 und 200 Kilo-
meter von Deutschland entfernt sind, für kein relevantes Risiko hält, ist absurd
und ignorant.

Zu einem ehrlichen Atomausstieg würde gehören, keine Bürgschaften mehr für
Atomexporte durch Hermes-Deckungen zu vergeben. Die schwarz-gelbe Bun-
desregierung hat mit Amtsantritt die seit 2001 geltenden nationalen Hermes-
Umweltleitlinien außer Kraft gesetzt und damit den Ausschluss der Exportför-
derung von Atomtechnologie aufgehoben. Kraftwerksprojekte im Bereich der
Atomenergie sowie Projekte zur Produktion von nuklearen Brennelementen sind
aus Sicht des Deutschen Bundestages nicht weiter förderfähig und sollten nicht
mehr mit Hermes-Bürgschaften unterstützt werden, wie es auch der Parlamen-
tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestages ver-
abschiedet hat.

Zu einem ehrlichen Atomausstieg würde auch gehören, dass Deutschland sich

endlich seiner Verantwortung beim Abbau des für die Atomstromproduktion
nötigen Urans stellt. Deutschland als Importeur ist mitverantwortlich für die

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12509

massiven Schäden und Gefahren vor Ort. Wir brauchen Klarheit und Trans-
parenz in Bezug auf die Herkunft des Urans. Langfristig spricht sich der
Deutsche Bundestag für eine Ächtung des Uranabbaus auf internationaler
Ebene aus.

Es mangelt an einem konsequenten und glaubwürdigen Atomausstieg in der
deutschen Energieforschungspolitik. Nach wie vor fließt mehr als ein Drittel des
2,7 Mrd. Euro schweren 6. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung
(2011 bis 2014) in atomare Forschung. Nur 300 Mio. Euro davon gehen in die
notwendige Sicherheits- und Endlagerforschung. Mit mindestens 600 Mio. Euro
wird die Erforschung von Kernfusion und Transmutation gefördert. Technolo-
gien, die bei Anwendung Wiedereinstieg in atomare Großtechnologie bedeuten
würden. Über den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft
(Euratom) ist Deutschland auch an Finanzierung und Bau des Kernfusionsver-
suchsreaktors ITER beteiligt: ein Milliardengrab mit geringen Erfolgs-
aussichten, das den Weg für den Ausbau der Erneuerbaren blockiert.

Zu einem ehrlichen Atomausstieg gehört schließlich auch der Atomausstieg in
der deutschen Energieforschungspolitik. Öffentliche Forschungsgelder, die der-
zeit in die atomare Forschung fließen, müssen umgewidmet werden und einen
Beitrag zum erfolgreichen Gelingen der Energiewende leisten. Die bislang
beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) angesiedel-
ten Forschungsmittel für Atomsicherheit sind auf das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zu übertragen.

Wer zurück in alte schwarz-gelbe Muster zugunsten der großen Stromkonzerne
und der Atomindustrie verfällt, hat nicht nur die Risiken der Atomkraft noch
immer nicht verstanden, er kann auch nicht im Interesse der Energiewende
denken und handeln.

Mit dem Atomausstieg wurde der Weg in Deutschland frei für eine vollständige
Energiewende, die die Umstellung auf erneuerbare Energien, die Steigerung der
Energieeffizienz und die Senkung des Energieverbrauchs zum Ziel hat. Diese
große Herausforderung ist nur zu bewältigen mit einem breit angelegten Umbau
des Energiemarktes und des gesamten Energieversorgungssystems, dem for-
cierten Ausbau erneuerbarer Energien, dem Um- und Ausbau der Netzinfra-
struktur und der Speichermöglichkeiten sowie der Förderung energiesparender
Technologien in allen Bereichen.

Auf mittlere Sicht brauchen wir ein neues Strommarktdesign, wo sich die fossi-
len Kraftwerke den erneuerbaren Energien anpassen. Denn an der derzeitigen
Strombörse können sich Windräder und Solaranlagen nicht finanzieren. Dort
wird der Strompreis durch die Betriebskosten des teuersten laufenden Kraft-
werks bestimmt. Bei Wind- und Sonnenenergie, die keine fossilen Brennstoffe
brauchen, liegen diese Stromproduktionskosten hingegen nahe Null. In Zeiten
mit viel Wind- oder Sonnenstrom sinken die Börsenpreise daher drastisch –
Fotovoltaik und Wind machen sich ihre eigenen Preise kaputt. Deshalb sind alle
Versuche, Wind und Sonnenstrom in den bestehenden Strommarkt zu inte-
grieren, letztlich zum Scheitern verurteilt. Für die erneuerbaren Energien
braucht es ein neues Marktdesign mit einem anderen Mechanismus der Preis-
findung. Klimaschutz, Flexibilität und Versorgungssicherheit sollten über den
neuen Markt honoriert werden. Die Diskussion um die Struktur eines solchen
neuen Marktdesigns muss jetzt in den Mittelpunkt der energiepolitischen Dis-
kussion gestellt werden.

Angesichts dieser Aufgaben greift das Energiekonzept der Bundesregierung viel
zu kurz. Es setzt falsche Prioritäten und verschenkt Zeit. Dazu kommt eine zu-
nehmende soziale Schieflage bei der Verteilung der Kosten. So hat die Bundes-
regierung die Zahl der von der EEG-Umlage (EEG – Erneuerbare-Energien-

Gesetz) ganz oder teilweise befreiten Unternehmen vervierfacht und die In-

Drucksache 17/12509 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dustrie großzügig von den Netzentgelten befreit. Die Einnahmeverluste müssen
Privatkunden und Mittelstand ausgleichen, für die Strom somit teurer wird.

Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die Bundesregierung die Energiewende
nicht wie erforderlich vorantreibt. Tatsächlich wäre es bei richtiger politischer
Weichenstellung möglich, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 gegenüber
heute zu verdoppeln. Doch die nicht endende Debatte über teils drastische Ver-
gütungskürzungen für Strom aus erneuerbaren Energien oder gar einen System-
wechsel hin zu staatlich verordneten Quoten für Ökostrom zerstört jegliche
Planungssicherheit für Investoren und treibt die Kapitalkosten für den Neubau
von Ökostromanlagen in die Höhe. Der weitere Ausbau wird dadurch massiv ge-
fährdet. Auch die geplanten Offshore-Windparks kommen nicht voran, hier
kommt dazu, dass die Bundesregierung nicht die richtigen Weichen für den
Netzanschluss gestellt hat.

Auf europäischer Ebene ist die Bundesregierung längst zum Bremsklotz der
Energieeffizienz geworden. Es ist ein verheerendes Signal an die anderen EU-
Staaten, dass sich Deutschland von einer wirksamen Effizienzstrategie ab-
wendet und das von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Jahr 2007
durchgesetzte EU-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 jetzt kippen will.

Auch international muss die Bundesregierung die Energiewende stärker ver-
ankern. Das Interesse an der Energiewende ist groß, viele potenzielle Nach-
ahmer-Staaten blicken auf Deutschland. Diese Chance muss genutzt und die
Energiewende konsequent in den deutschen Außenbeziehungen verankert wer-
den. Dafür bedarf es einer Abstimmung und gemeinsamen Strategie der betei-
ligten Bundesministerien. Ausgestaltung und Zielrichtung des von dem Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Peter Altmaier an-
gekündigten Clubs der Erneuerbare-Energien-Staaten bleiben bislang unklar.
Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländer wird der Energiebedarf weiter
steigen. Deshalb müssen die Partnerinnen und Partner dabei unterstützt werden,
den Zugang zu erneuerbarer, bezahlbarer und verlässlicher Energie massiv aus-
zubauen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit muss verlässliche Part-
nerin für die Bekämpfung von Energiearmut werden. Dazu gehören die notwen-
dige Finanzierung, das nötige Capacity Development und der Technologietrans-
fer im großen Stil.

Der Deutsche Bundestag erkennt, dass die Bundesregierung von den Maß-
nahmen früherer Bundesregierungen profitiert. Doch der weitere Erfolg der
Energiewende ist hochgradig gefährdet. Durch Entscheidungen gegen erneuer-
bare Energien und Energieeffizienz und die unsoziale Verteilung der Kosten ge-
fährdet die Bundesregierung die Energiewende in zunehmendem Maße. Dies
gilt zumal, da sie zugleich unverzichtbare Förderprogramme wie den Energie-
effizienzfonds und das Marktanreizprogramm für erneuerbar erzeugte Wärme
wegen der wegbrechenden Einnahmen des Energie- und Klimafonds drastisch
kürzt und bei der Finanzierung der Gebäudesanierung deutlich hinter den An-
strengungen vergangener Jahre zurückbleibt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Japan und den Opfern der Fukushima-Katastrophe weiterhin Hilfe und
Unterstützung bei der Überwindung der Folgen anzubieten und auf die neue
japanische Regierung einzuwirken, auf den geplanten Wiedereinstieg in die
dauerhafte Atomkraftnutzung zu verzichten und stattdessen den Aufbau
einer Versorgung mit erneuerbaren Energien zu beginnen;

2. sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen,

• die Atomkraftnutzung weltweit zu beenden und in diesem Zusammen-

hang ab sofort keine Hermes-Bürgschaften oder weitere deutsche Unter-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12509

stützungen für den Export von Atomtechnologien mehr zu vergeben so-
wie die in alten Abkommen noch verankerte Förderung der Atomkraft
durch Kündigung oder Novellierung dieser Abkommen abzuschaffen,

• dass in benachbarten Ländern und bei der Internationalen Atomenergie-
Organisation (IAEO) die geltenden Sicherheitsstandards und die Haftungs-
anforderungen deutlich erhöht werden,

• dass die bilaterale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomsicherheit
insbesondere mit unseren Nachbarländern verbessert wird, zum Beispiel
beim nuklearen Katastrophenschutz, durch besseren Austausch von
Unterlagen und den Abschluss eines Nuklearsicherheitsabkommens mit
Belgien,

• dass deutschen Bürgerinnen und Bürgern für grenznahe AKW-Planungen
in Nachbarstaaten Anhörungstermine in Deutschland ermöglicht werden,

• dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unabhängig von der IAEO
über die Gefahren und Auswirkungen von radioaktiver Strahlung forschen
und berichten kann,

• dass Uranabbau weltweit geächtet wird und als Zwischenschritt im
Hinblick auf das nach Deutschland und in die EU importierte Uran Trans-
parenz über die Herkunft sowie substanzielle und verbindliche öko-
logische, soziale und menschenrechtliche Standards beim Abbau einzu-
fordern,

• dass falsche Anreizsysteme wie etwa Subventionen für fossile Energien
abgebaut werden;

3. in Deutschland den Atomausstieg ernsthaft und sicher zu vollenden, indem
sie

• die Sicherheitsanforderungen für alle Atomanlagen erhöht,

• das neue kerntechnische Regelwerk zügig und sicherheitsgerichtet ab-
schließt, durch eine rasche und vor weiteren Abschwächungsversuchen
von AKW-Betreibern und Ländern wie Bayern geschützte Erstellung des
Interpretationsbands zum Regelwerk,

• die erforderlichen Nachrüstungen der verbleibenden AKW rasch durch-
setzt und allen Änderungen an AKW nur zustimmt, wenn sie dem stren-
gen Stand von Wissenschaft und Technik genügen,

• dafür sorgt, dass bei den bis 2020 abzuschaltenden Atomkraftwerken auf
alle Fälle noch eine Periodische Sicherheitsüberprüfung durchgeführt
wird und bei den nach 2020 abzuschaltenden je zwei,

• den nuklearen Katastrophenschutz hierzulande unverzüglich verbessert,

• Atommüllexporte ins Ausland verbietet,

• die Atomtransporte minimiert und sicherer macht, z. B. durch stärkere
Verlagerung von der Straße auf die Schiene,

• die bislang beim BMWi angesiedelten Mittel für Atomsicherheit-For-
schungsvorhaben auf das BMU überträgt und keine die Atomindustrie
fördernde Vorhaben mehr zu vergeben, sondern ausschließlich ausstiegs-
und sicherheitsorientierte;

4. die Energieforschungspolitik in Deutschland konsequent am Atomausstiegs-
beschluss des Deutschen Bundestages auszurichten, indem die Bundes-
regierung

• die noch nicht verausgabten finanziellen Mittel des 6. Energieforschungs-

programms der Bundesregierung, die in die Erforschung von Kernfusion,

Drucksache 17/12509 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Transmutation und Reaktoren der IV. Generation fließen, umwidmet in
die Bereiche erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Infrastruktur und
gesellschaftliche Begleitforschung,

• künftige Energieforschungsprogramme so ausrichtet, dass sie öffentliche
Mittel nicht mehr für Atomforschung, die bei Anwendung einen Wieder-
einstieg in Atomtechnik bedeutet, vorsieht, sondern diese Mittel statt-
dessen zum Gelingen der Energiewende einsetzt,

• die deutsche Beteiligung an dem Projekt des Fusionsreaktors ITER auf-
kündigt,

• sich auf europäischer Ebene für eine Revision von Euratom was die Son-
derstellung der Atomkraft betrifft, einsetzt. Sollte diese Revision nicht
durchsetzbar sein, ist der Euratom-Vertrag von deutscher Seite aus zu
kündigen;

5. die Energiewende in Deutschland mit aller Kraft voranzutreiben und die
Weichenstellung durch folgende Maßnahmen zu korrigieren:

a) Ausbau erneuerbarer Energien

• Das Ausbauziel für erneuerbare Energien im Stromsektor soll auf über
45 Prozent im Jahr 2020 angehoben werden.

• Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll als verlässliche Basis für den
forcierten Ausbau erneuerbarer Energien weiterentwickelt und ins-
besondere auch als Instrument zur direkten Beteiligung der Bürgerin-
nen und Bürger erhalten werden.

• Zur Kostensenkung im EEG sollen insbesondere die Ausnahmetat-
bestände für die Industrie wieder auf den Stand von 2009 zurück-
geführt und der Mindestbeitrag der Industrie deutlich erhöht werden
und nur noch energieintensive Unternehmen von Ausnahmen profitie-
ren, die im internationalen Wettbewerb stehen.

• Die Kürzungen beim Marktanreizprogramm für erneuerbare Wärme im
Umweltetat sollen zurückgenommen und das Erneuerbare-Energien-
Wärmegesetz auf Bestandsbauten ausgedehnt werden.

b) Marktdesign

• Der bestehende Strommarkt muss durch neue Marktstrukturen ergänzt
werden, die Beiträge zu Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Netz-
stabilität belohnen. Stromnetze, Kraftwerke und Stromnachfrage müs-
sen an die volatile Stromeinspeisung angepasst sowie neue Speicher-
technologien erforscht und eingesetzt werden.

• Über Kapazitätsmärkte sollen die benötigten Kapazitäten marktwirt-
schaftlich ausgeschrieben werden. Hierbei müssen hohe Anforderun-
gen an Effizienz, Emissionen, Flexibilität, Regionalität und Verfügbar-
keit gelten, so dass der Einsatz von Speicherpotentialen, Laststeuerung
und hocheffizienten Gaskraftwerken bevorzugt wird und klimaschäd-
liche und unflexible Kohlekraftwerke dagegen von vornherein aus-
geschlossen sind.

• Die Logik am Strommarkt muss umgedreht werden, weil in Zukunft
die Erneuerbaren im Mittelpunkt stehen werden und die fossilen
Energieträger sich nach der Verfügbarkeit von Sonne und Wind flexi-
bel richten müssen.

c) Energieeffizienz
• Die von der EU-Kommission vorgelegte Energieeffizienz-Richtlinie
soll zügig in nationales Recht umgesetzt werden, insbesondere ist da-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12509

bei ein verbindliches Einsparziel festzulegen und die Einsparverpflich-
tung der Energieversorger in Höhe von 1,5 Prozent des Jahresabsatzes
einzuführen.

• Ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro soll zur Förde-
rung der energetischen Sanierung von Stadtquartieren mit einem hohen
Anteil niedriger Einkommen sowie zur Stromeinsparung in Privat-
haushalten und Unternehmen eingerichtet werden.

• Planungs- und Investitionssicherheit für die Energiewende im Gebäude-
bereich schaffen: die Mittel für die Gebäudesanierungsprogramme der
KfW Bankengruppe sollten dauerhaft und langfristig in einer Höhe von
2 Mrd. Euro festgeschrieben werden.

• Ein europäischer Top-Runner-Ansatz sowie ambitionierte Energie-
verbrauchsgrenzen für Elektrogeräte, Autos und Gebäude sollen ein-
geführt werden.

• Ein Energiebedarfsausweis mit verbraucherorientierten und nach-
vollziehbaren Angaben über den Energiebedarf von Wohnungen und
Gebäuden soll verpflichtend werden.

• Der Anteil der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) an der
Stromerzeugung soll bis 2020 von derzeit 14 auf mindestens 25 Pro-
zent erhöht und bürokratische Hürden für den Ausbau der KWK besei-
tigt werden.

d) Netzausbau

• Lokale Konflikte beim Neubau von Leitungstrassen sollen dadurch
vermieden oder gelöst werden, dass eine frühzeitigere und umfassen-
dere Bürgerbeteiligung stattfindet und eine Teil-Erdverkabelung er-
möglicht wird, inklusive der Umlage anfallender Mehrkosten auf die
Netzentgelte.

• Für die dringend benötigten Offshore-Anschlüsse muss kurzfristig eine
Mitfinanzierung der öffentlichen Hand, z.B. über die KfW Banken-
gruppe, sichergestellt werden. Dadurch sollen Anteile an diesen Lei-
tungen, und später auch an den neu zu bauenden Hochspannungs-
Gleichstrom-Leitungen, in öffentliche Kontrolle gelangen. In einer neu
zu gründenden bundesweiten Deutschen Netzgesellschaft werden die
Anteile gebündelt.

• Konkrete Vorschläge für ein Anleihen-Modell zu entwickeln und um-
zusetzen, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger finanziell zu festen
Zinssätzen am Bau neuer Stromleitungen beteiligen können.

e) Finanzierung

• Die Einnahmen aus dem Emissionshandel werden stabilisiert durch
die Anhebung der EU-Klimaziele auf 30 Prozent CO2-Reduktion bis
2020, die Einbehaltung von Zertifikaten („set-aside“) und die Ein-
führung eines CO2-Mindestpreises.

• Der Energie- und Klimafonds wird aufgelöst. Bislang aus dem Energie-
und Klimaschutzfonds zu finanzierende klimaschädliche Programme
werden zugunsten der Förderung von erneuerbaren Energien, Effizienz
und Einsparung gestrichen. Die Klimaschutz- und Energiewende-
programme werden in die jeweiligen Fachetats umgeschichtet.

• Zur zusätzlichen Stabilisierung der Finanzierung werden klima- und
umweltschädliche Subventionen mit einem Volumen von 8,5 Mrd.

Euro pro Jahr abgeschafft;

Drucksache 17/12509 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
6. die Energiewende konsequent in den deutschen Außenbeziehungen zu ver-
ankern und die diesbezüglichen Maßnahmen der verschiedenen Ressorts
stärker als bisher abzustimmen und zu bündeln;

7. im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Energiearmut in
Entwicklungs- und Schwellenländern durch verlässliche Finanzierung,
Capacity Development und den Transfer von Technologie zu bekämpfen.

Berlin, den 26. Februar 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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