BT-Drucksache 17/125

Moratorium für Stuttgart 21 - Wirtschaftlichkeit des Großprojektes vor Baubeginn sicherstellen

Vom 2. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/125
17. Wahlperiode 02. 12. 2009

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Alexander
Bonde, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Sylvia Kotting-Uhl, Fritz Kuhn, Agnes
Malczak, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, Dr. Anton
Hofreiter, Ingrid Nestle, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Oliver Krischer, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea
Steiner, Markus Tressel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Moratorium für Stuttgart 21 –
Wirtschaftlichkeit des Großprojektes vor Baubeginn sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Projekt Stuttgart 21 ist eines der größten und teuersten Eisenbahninfra-
strukturvorhaben, die je in Deutschland gebaut wurden. Das Gesamtprojekt
Stuttgart 21 umfasst die vollständige Neuordnung und Modernisierung des
Bahnknotens Stuttgart, die Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs von
einem traditionellen Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof
sowie die unterirdische Zuführung zur Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Im
Rahmen des Bahnhofsumbaus sollen die Gleisführungen vom und zum neuen
unterirdischen Hauptbahnhof Stuttgart in Tunnel von 33 Kilometer Länge ver-
legt werden. Die dadurch frei werdenden oberirdischen Gleisflächen mit einer
Fläche von ca. 100 Hektar sollen geräumt und der Stadtentwicklung zur Verfü-
gung gestellt werden.

Die Gesamtkosten zur Durchführung des Projektes betragen laut Finanzie-
rungsvereinbarung zwischen dem Bund, dem Land Baden-Württemberg und
der Deutschen Bahn AG 3,076 Mrd. Euro. Mehrkosten, die darüber hinaus
während der Durchführung des Projektes entstehen, sind durch einen Risiko-
fonds in Höhe von 1,450 Mrd. Euro abgesichert. Mit dem Risikofonds soll den
Erfahrungen (Baugrund- und Tunnelbaurisiken) aus anderen Bahnprojekten
ebenso Rechnung getragen werden, wie allgemeinen Baupreissteigerungen
während der Bauphase.

Eine grundlegende Voraussetzung für die vorzeitige Unterzeichnung der Finan-
zierungsvereinbarung und die Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel
durch den Bund ist die Verbindung der beiden Teil-Projekte (Tiefbahnhof Stutt-

gart 21 und Neubaustrecke Wendlingen–Ulm) in einem Junktim: Nur wenn die
Neubaustrecke zeitgleich mit dem Tiefbahnhof in Betrieb geht, kann eine ver-
kehrlich sinnvolle Anbindung des unterirdischen Bahnhofs sichergestellt wer-
den. Der Bund hat daher einer Beteiligung des Landes Baden-Württemberg am
Bau der Neubaustrecke an deren Finanzierung zugestimmt, damit die Realisie-
rung schon ab 2010 beginnen kann, obwohl eine Bundesfinanzierung der Neu-

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baustrecke erst ab 2016 vorgesehen ist. Das Kostensteigerungsrisiko für dieses
Projekt läge allerdings allein beim Bund.

Im April 2009 unterzeichneten der Bund, die Deutsche Bahn AG (DB AG) so-
wie das Land Baden-Württemberg und seine regionalen Vertragspartner eine
Finanzierungsvereinbarung für das Projekt Stuttgart 21. Um die Wirtschaftlich-
keit des Projektes Stuttgart 21 sicherzustellen, vereinbarten die Vertragspartner
darin, Verhandlungen aufzunehmen für den Fall, dass nach Abschluss der Ent-
wurfsplanung, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2009, eine Erhöhung
der für das Projekt aufzuwendenden Gesamtkosten zu erwarten ist, welche zu-
sätzlich die vereinbarte Risikosumme übersteigt. „Kann danach die Finanzie-
rung nicht sichergestellt werden, wird das Projekt qualifiziert abgeschlossen.“
(Finanzierungsvereinbarung S. 6).

Die Wirtschaftlichkeit des Projektes Stuttgart 21 kann nach derzeitigem Pla-
nungsstand nicht sichergestellt werden. Die Bedingungen für das in Kraft treten
der Finanzierungsvereinbarung werden nicht erfüllt:

Der in der Finanzierungsvereinbarung vereinbarte Gesamtbetrag für die Finan-
zierung des Projektes Stuttgart 21 von 3,076 Mrd. Euro wird voraussichtlich
schon in der Planungsphase überschritten.

Die Entwurfsplanung kann nicht wie vorgesehen bis zum Jahresende 2009 ab-
geschlossen werden. Bei der Analyse der DB AG, die mögliche Kosten und
Kostenänderungen der Entwurfsplanung gegenüber der Vorplanung detailliert
ausweisen muss, werden zwei Planfeststellungsbeschlüsse nicht berücksichtigt,
da sie noch nicht vorliegen und auch die laufenden Planänderungsverfahren
können nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm wird gegenwärtig
im Rahmen der Überprüfung, der noch nicht begonnenen Vorhaben des Be-
darfsplans für Bundesschienenwege, durch das Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung neu ermittelt. Die Ergebnisse werden jedoch erst im
Frühjahr 2010 erwartet. Mögliche Kostensteigerungen bleiben bisher unbe-
rücksichtigt.

Solange die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm nicht ge-
währleistet werden kann, ist wegen der gegenseitigen Bedingtheit zwischen
beiden Projekte auch die Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojektes nicht sicher-
gestellt.

Die Absicherung unvorhersehbarer Kostensteigerungen während der Bauphase
des Projektes durch den Risikofonds ist nicht mehr gewährleistet.

Der Bundesrechnungshof (Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages 2008), namhafte Verkehrswissenschaftler und externe Gut-
achter wie das Münchner Ingenieurbüro Vieregg und Rößler (Gutachten Juli
2008) weisen schon lange auf den geringen Realitätsgehalt der bisherigen
Kostenschätzungen hin. Nun müssen auch die DB AG und das Land Baden-
Württemberg eingestehen, dass man sich mit großen Schritten diesen Zahlen
nähert.

Denn sowohl der Vorstandsvorsitzende der DB AG, Dr. Rüdiger Grube, als auch
der designierte Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus
(CDU), erwägen laut Medieninformationen den Risikofonds bereits in der Pla-
nungsphase auszuschöpfen. So räumte Dr. Rüdiger Grube in einem Interview
ein, dass sich der ursprünglich avisierte Kostenrahmen für das Projekt „Stuttgart
21“ nicht halten lasse. In der „Stuttgarter Zeitung“ vom 9. November 2009 wird
Dr. Rüdiger Grube wie folgt zitiert: „Wir werden in der Tat nicht mit 3,076 Mil-
liarden Euro auskommen!“ Und weiter: „Bis 4,5 Milliarden ist das Projekt ab-

gesichert. Würde es teurer, müssten die Partner neu verhandeln.“ Ähnlich äu-
ßerte sich Stefan Mappus in einem SWR-Interview am 13. November 2009,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/125

indem er feststellte, dass es „sicherlich schwer vermittelbar“ sei, wenn das Pro-
jekt mehr als 4,5 Mrd. Euro kosten würde.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– dem Deutschen Bundestag das Wirtschaftlichkeitsgutachten zum Projekt
Stuttgart 21 als Entscheidungsgrundlage zugänglich zu machen und aktuali-
sierte Nutzen-Kosten-Analysen vorzulegen;

– ein Moratorium für das Projekt Stuttgart 21 zu erklären, bis die Wirtschaft-
lichkeit des gesamten Projektes einschließlich der Neubaustrecke Wend-
lingen–Ulm eindeutig geklärt ist. Das heißt, solange Nutzen-Kosten-Verhält-
nis, Kostenrisiken und Bauzeiten nicht geklärt sind, sollen keine Bauaufträge
vergeben werden;

– mit den Vertragspartnern der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 um-
gehend Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, dass die in § 2 Absatz 2
Satz 3 vereinbarte Frist „spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2009“ auf-
gehoben wird, so dass eine zuverlässige Beurteilung der Kostenrisiken nach
Vorliegen aussagekräftiger Entwurfsplanungen möglich wird;

– sicherzustellen, dass der Risikofonds in der Planungsphase unberührt bleibt;

– dafür Sorge zu tragen, dass die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm entweder
voll güterverkehrstauglich ist oder ausschließlich für den Personenverkehr
geplant wird, so dass sie deutlich günstiger gebaut werden kann;

– aufgrund des prognostizierten steigenden Schienengüterverkehrsaufkom-
mens auch die Altstrecke im Filstal (mit Geislinger Steige) zu ertüchtigen.

Berlin, den 2. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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