BT-Drucksache 17/12326

Anpassungsprogramme, Rezession und soziale Notlage in Griechenland

Vom 11. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12326
17. Wahlperiode 11. 02. 2013

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Annette Groth, Inge Höger,
Stefan Liebich, Thomas Nord, Michael Schlecht, Kathrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.

Anpassungsprogramme, Rezession und soziale Notlage in Griechenland

Das Jahr 2013 ist das sechste Jahr in Folge, in dem die griechische Volkswirt-
schaft schrumpft. Die Bundesregierung erwartet für den Zeitraum 2010 bis 2013
einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 22,2 Prozent. Zusammengenom-
men mit der Schrumpfung aus den Jahren 2008 und 2009 ergibt das einen
Gesamtrückgang von ca. 25 Prozent. Dabei gehen die Bundesregierung und die
Europäische Kommission davon aus, dass es im Jahr 2014 wieder zu Wachstum
kommt. In den letzten Jahren wurden die Prognosen zur wirtschaftlichen und
fiskalischen Entwicklung Griechenlands jedoch häufig deutlich nach unten kor-
rigiert.

Eine Ursache für die tiefe Rezession sind die Kürzungsmaßnahmen, zu denen
sich Griechenland im Rahmen der Kreditprogramme verpflichtet hat. Die Bun-
desregierung gibt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/11996) an, dass der öffentliche und private
Konsum in Griechenland zuletzt um jährlich rund 7 Prozent zurückgegangen ist,
dass sich die Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung trotz Kürzungen auf-
grund der stark gestiegenen Arbeitslosigkeit von 2007 bis 2011 fast verdreifacht
haben und dass das Steueraufkommen des griechischen Staates im Jahr 2013 im
Verhältnis zum Vorjahr um 3,5 Mrd. Euro zurückgeht.

Die tiefe Rezession verursacht einerseits eine deutliche Verschlechterung der
sozialen Lage. Laut Angaben der Bundesregierung ist die Armutsquote zwischen
2009 und 2011 von rund 20 Prozent auf rund 30 Prozent angestiegen. Anderer-
seits verursacht die Rezession weiteren Druck auf die öffentlichen Haushalte.
Während die griechische Staatsschuldenquote im Jahr 2008 noch 112,9 Prozent
betrug, ist sie bis zum Jahr 2011 auf 170,6 Prozent gestiegen. Ein weiterer An-
stieg auf rund 190 Prozent wird für das laufende Jahr erwartet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Beziehen sich die Zahlen, die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache

17/11996 tabellarisch zu den (erwarteten) Steuereinnahmen Griechen-
lands im Zeitraum 2010 bis 2016 anführt (Antwort zu Frage 4), lediglich
auf Steuern, die auf Staatsebene erzielt werden, oder sind auch lokale
Steuern mit einberechnet?

Falls Ersteres zutrifft, wie lauten die Zahlen für denselben Zeitraum,
wenn alle von griechischen Gebietskörperschaften erzielten Steuerein-
nahmen einbezogen werden?

Drucksache 17/12326 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

b) Wie lauten die Zahlen für denselben Zeitraum jeweils für direkte und in-
direkte Steuern?

c) Wie lauten die Zahlen für denselben Zeitraum im Einzelnen für die Mehr-
wertsteuer, vermögensbezogene Steuern und Einkommensteuern?

2. Wie hoch liegen im Zeitraum 2010 bis 2016 nach Kenntnis der Bundesregie-
rung die realisierten bzw. erwarteten Einsparungen bei der Arbeits-
losenunterstützung in Griechenland, die durch die Anpassungsmaßnahmen
erreicht werden?

3. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten ein, effektive Maß-
nahmen einzuleiten, mit denen die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit von
mehr als 55 Prozent in Griechenland verringert werden kann, angesichts
dessen, dass die Aufwendungen für aktive arbeitsmarktpolitische Maßnah-
men je arbeitsloser Person laut Jahreswachstumsbericht der Europäischen
Kommission rückläufig sind?

4. Wie könnte nach Ansicht der Bundesregierung die Durchführung der soge-
nannten Jugendgarantie, die von der Europäischen Kommission im Dezem-
ber 2012 vorgeschlagen wurde, in Griechenland finanziert werden?

a) Hat die Bundesregierung Kenntnis von der zu erwartenden Höhe der zur
Umsetzung der Jugendgarantie in Griechenland erforderlichen Mittel?

b) Mit welchen konkreten Maßnahmen und welchem voraussichtlichen
Finanzbedarf soll die Umsetzung der Jugendgarantie in Griechenland
durch europäische Finanzierungsinstrumente, wie den Kohäsionsfonds, ge-
fördert werden, auf die die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 17/11996) sehr
allgemein verweist?

Hat die Bundesregierung Kenntnis über den Stand der Umsetzung durch
die griechische Regierung?

5. Wie hat sich der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit-
beschäftigungen, geringfügige Beschäftigungen, befristete Beschäftigungen,
Zeitarbeitsverhältnisse) der jungen Menschen bis 25 Jahre seit 2010 in Grie-
chenland entwickelt?

6. Welche Rolle spielte beim unerwartet schlechten Ergebnis der Privatisie-
rungsmaßnahmen in Griechenland nach Einschätzung der Bundesregierung
der Druck auf die Preise, der dadurch entsteht, dass potenzielle Investoren
wissen, dass Griechenland verkaufen muss?

7. a) Welche Auswirkungen hätte nach Einschätzung der Bundesregierung
eine Einschränkung des Kapitalverkehrs, der den Abzug aus Griechen-
land minimiert hätte, in den letzten Jahren auf die Entwicklung der grie-
chischen Volkswirtschaft gehabt vor dem Hintergrund, dass die Bundes-
regierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/11996 anhand einer Grafik deut-
lich gemacht hat, dass die Einlagen privater Unternehmen und Haushalte
bei griechischen Banken von Anfang 2010 bis Mitte 2012 um ca. ein
Drittel zurückgegangen sind und auf die Kapitalverkehrsfreiheit (Ant-
wort zu Frage 11) verwiesen hat?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Erfahrungen mit zeitweiligen Ka-
pitalverkehrskontrollen in Island, die nach der Finanzkrise eingeführt und
vom Internationalen Währungsfonds (IWF) als wesentliches Instrument
zur Krisenbewältigung eingeschätzt wurden (vgl. Press Release No. 09/
375, 28. Oktober 2009)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12326

c) Unter welchen künftigen Umständen wäre nach Auffassung der Bundes-
regierung eine vorübergehende Einschränkung und Kontrolle des Kapi-
talverkehrs angemessen?

d) Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung, um die Möglichkeit ei-
ner vorübergehenden Ausnahme vom Verbot von Kapitalverkehrskon-
trollen in die EU-Verträge einzuführen (falls sie keine Initiativen er-
greift, bitte begründen, warum nicht)?

8. Wie viel Prozent der durch die bisher beschlossenen Anpassungspro-
gramme angestrebten fiskalischen Anpassung des griechischen Haushalts
ergeben sich durch zusätzliche Einnahmen, und wie viel durch Ausgaben-
kürzungen?

Welcher Anteil an der gesamten Anpassung wird nach Erwartung der Bun-
desregierung auf die Steuerreform zurückgehen, auf die sie in ihrer Ant-
wort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdruck-
sache 17/11996, Antwort zu Frage 4) verweist?

9. Wie wurde die Besteuerung von Motor- und Heizöl in Griechenland durch
die Anpassungsprogramme verändert, bzw. welche Veränderungen sind
vorgesehen?

Welche Auswirkungen haben die steuerrechtlichen Veränderungen bezüg-
lich des Heizöls nach Kenntnis der Bundesregierung auf die wärmetechni-
sche Versorgung der Bevölkerung, insbesondere im Norden Griechen-
lands?

10. Welche Steuersätze sind im neuen Steuersystem für Selbständige in Grie-
chenland vorgesehen?

Wie verändert sich die Steuerlast dadurch für

a) Selbständige, deren Einkommen knapp über der Armutsgefährdungs-
grenze liegt und

b) Selbständige mit einem jährlichen Einkommen von über 100 000 Euro?

Wie werden Eingangs- und Spitzensteuersatz für Selbständige verändert?

11. Wie hat sich der private und öffentliche Konsum in Griechenland in den
Jahren 2010 und 2011 entwickelt?

12. Wie hat sich seit 2010 das Durchschnittseinkommen der griechischen Be-
völkerung entwickelt?

Wie hat sich im selben Zeitraum das Preisniveau entwickelt?

13. Wie haben sich absolute und relative Armut in Griechenland im Jahr 2012
entwickelt?

Welche Entwicklungen erwartet die Bundesregierung für die Jahre 2013
und 2014?

14. Wie hoch war der Anteil der öffentlichen Ausgaben für den Gesundheits-
sektor in Relation zur Wirtschaftsleistung in Griechenland, bzw. wie hoch
wird er bei vollständiger Umsetzung der Ausgabendeckelung jährlich im
Zeitraum 2010 bis 2016 sein?

a) Wie lauten die entsprechenden Vergleichsdaten für Deutschland, die
Eurozone und die EU?

b) Welche Auswirkungen der Ausgabendeckelung sind nach Kenntnis der
Bundesregierung, für Qualität und Leistungsumfang der öffentlichen
Gesundheitsversorgung für die griechische Bevölkerung zu erwarten?

Drucksache 17/12326 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
c) Wie positioniert sich die Bundesregierung gegenüber den wiederholten
Medienberichten, die im Gegensatz zur Troika das griechische Gesund-
heitssystem infolge der Kürzungsprogramme „nahe dem Kollaps“ (u. a.
ARD-Mittagsmagazin vom 1. Februar 2013) sehen?

15. Wie hat sich das durchschnittliche Einkommensniveau für Ärztinnen und
Ärzte in Griechenland seit 2010 verändert (bitte nach ambulantem und
stationärem Sektor aufgliedern)?

a) Wie hat sich das Einkommensniveau für Krankenpflegekräfte in Grie-
chenland seit 2010 verändert?

b) Wie hoch sind die Verbindlichkeiten der staatlichen Krankenversiche-
rung EOPYY gegenüber Ärzten, Kliniken, Apotheken und Versicherten,
die gegenüber den Leistungserbringern in Vorleistung getreten sind?

Wie hoch waren demgegenüber die jährlichen Einnahmen in den Jahren
2010, 2011 und 2012?

16. In welchem Umfang hat der griechische Schuldenschnitt zu Abschreibun-
gen im zyprischen Finanzsektor geführt?

Welche zyprischen Institute waren davon wie umfassend betroffen?

Berlin, den 11. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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