BT-Drucksache 17/12186

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung - Drucksachen 17/11685, 17/12096 - Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 29. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12186
17. Wahlperiode 29. 01. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich,
Niema Movassat, Thomas Nord, Alexander Ulrich, Katrin Werner und
der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/11685, 17/12096 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
(International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolution 1386 (2001) und folgenden Resolutionen,
zuletzt Resolution 2069 (2012) vom 9. Oktober 2012 des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Die Bundeswehr wird unverzüglich und vollständig mitsamt dem deutschen
Kriegsgerät aus Afghanistan abgezogen.

2. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich im Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen für eine neue Afghanistanresolution einzu-
setzen, die einen umfassenden zivilen Aufbau in Afghanistan unter Koordi-
nation der Vereinten Nationen unterstützt und den Abzug der ausländischen
Truppen voraussetzt. Die Mitnahme des gesamten militärischen Materials
soll hierbei gegenüber der UNO dokumentiert werden.

Berlin, den 29. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung

Die Bilanz des bereits elf Jahre dauernden Krieges in Afghanistan ist er-
schreckend. Dieser Krieg hat mehr als 70 000 Menschen (IPPNW 2012) das
Leben gekostet und Hundertausende wurden verwundet. Im ersten Halbjahr
2012 kamen nach Angaben der UN-Mission für Afghanistan bereits 3 149 Zivi-

Drucksache 17/12186 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

listinnen und Zivilisten ums Leben. Bis Oktober 2012 wurden bereits wieder
rund 20 000 Sicherheitsvorfälle registriert.

Im Jahr 2011 sind laut der IPPNW-Studie „Body Count“ wieder mindestens
9 717 Menschen ums Leben gekommen. Darunter 2 262 Zivilistinnen und Zivi-
listen, 1 155 afghanische Sicherheitskräfte, 566 ISAF-Soldatinnen und -Solda-
ten, 270 Angehörige ausländischer Sicherheitsfirmen, 31 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und 5 703 Afghaninnen und Afghanen, die
den Taliban zugerechnet werden.

2,7 Millionen Menschen aus Afghanistan sind nach Angaben des Flüchtlings-
hilfswerks der Vereinten Nationen, UNHCR, auf der Flucht. Hinzu kommen
rund 200 000 Binnenflüchtlinge.

Bis Ende 2013 wird der deutsche ISAF-Einsatz 7,5 Mrd. Euro gekostet haben.

Der Global Peace Index 2012 wertet Afghanistan nach Somalia immer noch als
das zweitunfriedlichste Land der Welt.

Das von der Bundesregierung vorgelegte Mandat führt nicht zu einem Abzug,
sondern setzt den Krieg fort. Die Reduzierung der Obergrenze der einzusetzen-
den Soldatinnen und Soldaten von 4 900 auf 3 300 ist nicht im Mandat festge-
schrieben und soll nur unter dem Vorbehalt umgesetzt werden, dass die Sicher-
heitslage dies zulässt. Die Höchstgrenze der einzusetzenden Soldatinnen und
Soldaten ist im Mandat auf 4 400 festgelegt, dies entspricht nur einer Reduzie-
rung um 500 Soldatinnen und Soldaten im Vergleich zum Vorgängermandat.
Damit sind noch immer mehr als dreimal so viele deutsche Soldatinnen und
Soldaten in Afghanistan im Einsatz, als das Ursprungsmandat festlegte.

Da die Bundesregierung selbst davon spricht, dass sich die Sicherheitslage nur
geringfügig verbessert hätte, ist eine tatsächliche Reduzierung der eingesetzten
Truppen auch nicht absehbar.

Mit der Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, die US-amerikanische
Führungsrolle in Afghanistan abgeben zu wollen, zeigt sich erneut, dass zahl-
reiche NATO-Partner beginnen, eigene Strategien im Umgang mit dem Afgha-
nistankrieg zu entwickeln, die nicht im Bündnis abgestimmt sind. Das von der
Bundesregierung vertretene Motto „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“ hat
seine Gültigkeit verloren. So sind Kanada und die Niederlande bereits weit-
gehend abgezogen, Frankreich hat bereits auf 1 300 Soldatinnen und Soldaten
reduziert und wird ab Mitte 2013 nur 500 Soldatinnen und Soldaten im Land
lassen. Zahlreiche weitere Länder wie Großbritannien, Belgien, Dänemark und
Norwegen haben ihren Abzug angekündigt.

Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass nach Informationen der USA nach
2014 noch ca. 18 000 Soldaten in Afghanistan bleiben sollen. Deutschland soll
sich nach dem Willen der Bundesregierung auf ähnlichem Niveau wie jetzt am
Einsatz beteiligen. Das bedeutet, dass sich auch nach 2014 noch rund 1 500
deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan befinden werden.

Die Auftragsbeschreibung des Mandates umfasst neben Beiträgen zur Ausbil-
dung des afghanischen Militärs und der zivil-militärischen Zusammenarbeit
weiterhin die Aufrechterhaltung der Sicherheit, die Sicherung des Arbeitsum-
feldes des afghanischen Militärs, die Mitwirkung an der Führung von ISAF und
der Erstellung eines Lagebildes und die Mitwirkung an der boden- und luft-
gestützten Koordinierung des afghanischen Luftraumes. Hierfür bleiben auch
die AWACS-Flugzeuge und Recce-Tornados weiter im Einsatz. Die mit ihrer
Hilfe erfassten Daten können auch für Drohnenangriffe und gezielte Tötungen
genutzt werden.

Die Neuverlegung von vier Tiger-Kampfhubschraubern, die bei Bodenopera-

tionen eingesetzt werden, verweist auf weitere Kampfeinsätze der Bundeswehr.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12186

Das Mandat schließt Offensivoperationen eindeutig nicht aus. Das heißt auch,
dass kein Strategiewechsel eingeläutet wird. Die NATO und die Bundesregie-
rung halten sich für Afghanistan weiterhin alle Kriegsoptionen offen.

Nach elf Jahren Krieg sind sich zahlreiche poltische Akteure und Vertreter der
afghanischen Zivilgesellschaft darüber einig, dass unter den Bedingungen der
Besatzung des Landes kein Friedensprozess und keine zivile Entwicklung mög-
lich sind. Die Beendigung des Einsatzes ausländischer Truppen in Afghanistan
ist zum zentralen Punkt für eine politische Lösung des Konfliktes geworden. Für
die Zeit nach 2014 bedarf es einer neuen Resolution des Weltsicherheitsrates.
Diese Resolution muss ausschließlich zivil und auf den Wiederaufbau in Afgha-
nistan gerichtet sein. Eine solche Resolution des Weltsicherheitsrates bedarf
vorheriger Verhandlungen mit allen Konfliktparteien und erfordert deren Ein-
verständnis. Die NATO verfolgt jedoch nach wie vor die Strategie, alle „Auf-
ständischen“ militärisch so zu schwächen, dass diese zu Verhandlungen unter
den Bedingungen der NATO gezwungen werden können. Diese Strategie ist
bisher erfolglos geblieben. Deshalb ist eine politische Lösung des Konfliktes in
Afghanistan in weite Ferne gerückt.

Weder die Einrichtung der Friedensjirga noch der aus ihr hervorgegangene
Hohe Friedensrat konnten den innerafghanischen Friedensprozess voranbrin-
gen. Nach dem Scheitern des Katar-Prozesses, bei dem Deutschland geheime
Gespräche zwischen Taliban und US-Regierung vermittelt hatte, konnten keine
aussichtsreichen Verhandlungsfäden aufgenommen werden. Die drei Haupt-
akteure der Aufstandsbewegung Taliban, Islamische Partei (Hezv-e Islami
Gulbuddin) und Haqqani Netzwerk verständigten sich im November 2011
darauf, dass die Bedingung für einen Waffenstillstand der Abzug aller auslän-
dischen Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan sei (Stiftung Wissenschaft
und Politik 2012).

Statt weiterhin mit der Bundeswehr militärisch in Afghanistan zu agieren, sollte
die Bundesregierung endlich Anstrengungen zu einer politischen Lösung des
Konfliktes aufnehmen.

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