BT-Drucksache 17/11975

Verkauf der URENCO und Verbreitung von Atomwaffentechnik

Vom 20. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11975
17. Wahlperiode 20. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dorothee Menzner, Kathrin Vogler, Dr. Barbara Höll, Christine
Buchholz, Eva Bulling-Schröter, Annette Groth, Harald Koch, Ralph Lenkert, Paul
Schäfer (Köln), Sabine Stüber, Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

Verkauf der URENCO und Verbreitung von Atomwaffentechnik

Der Deutsche Bundestag hat nach der Katastrophe von Fukushima den Ausstieg
aus der Atomenergie beschlossen und den Betrieb der Atomkraftwerke bis spä-
testens 2022 befristet. Die URENCO-Urananreicherungsanlage in Gronau so-
wie die AREVA-Brennelementefabrik in Lingen sind von dieser Befristung je-
doch nicht betroffen und können weiterhin unbefristet Uranbrennstoff für den
Betrieb in Atomkraftwerken herstellen. Damit tragen diese beiden Atomanlagen
dazu bei, dass Katastrophen wie in Fukushima in der Bundesrepublik Deutsch-
land und in anderen Ländern weiterhin stattfinden können.

Medienberichten zufolge stehen offenbar mindestens zwei Drittel der Anteile
des multinationalen Urananreicherers URENCO zum Verkauf. Demnach planen
RWE AG und E.ON SE den Verkauf ihres gemeinsam über die Uranit GmbH ge-
haltenen Drittels. Außerdem will die britische Regierung ihr Drittel an der
URENCO verkaufen. Auch in den Niederlanden, die das dritte Drittel an
URENCO besitzen, wird über die zukünftige Beteiligung an URENCO disku-
tiert.

Mit Urananreicherungsanlagen in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden
und den USA versorgt die URENCO inzwischen rund ein Drittel des Weltmarkts
mit angereichertem Uran zur Fertigung von Brennelementen. Die Urananreiche-
rungsanlagen versorgen aber nicht nur die Atomkraftwerke in aller Welt mit dem
erforderlichen Uranbrennstoff. Die Technologie der Gaszentrifugen der URENCO
ist grundsätzlich auch zur Herstellung von waffenfähigem Uran geeignet.

Zur URENCO gehört auch die Enrichment Technology Company (ETC), die
seit 2007 zu gleichen Anteilen mit der AREVA betrieben wird. Die ETC ist für
Forschung und Entwicklung sowie den Bau von Gaszentrifugenanlagen zur
Urananreicherung zuständig und ist unter anderem an den Standorten Gronau
und Jülich tätig.

Der Verkauf von Anteilen an der URENCO stellt grundsätzlich ein Risiko zur
Verbreitung von Kernwaffentechniken dar. Vor diesem Hintergrund bedeutet ein
Verkauf von URENCO-Anteilen an neue Unternehmen bzw. Partner, dass diese
Technologien einem erweiterten Kreis zugänglich gemacht werden und daher

die Risiken einer Weiterverbreitung von Know-how über die Urananreicherung
per Gaszentrifugentechnik wachsen.

Mit den Verträgen von Almelo, Cardiff und Washington hat die Bundesrepublik
Deutschland sich einerseits verpflichtet, die Forschung und Entwicklung sowie
die Technik der Gaszentrifugentechnologie der URENCO zu kommerziellen
Zwecken zu fördern. Andererseits verpflichten sich die Vertragsstaaten, in den
URENCO-Anlagen zur Urananreicherung keinerlei waffenfähiges Uran herzu-

Drucksache 17/11975 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

stellen und dafür Sorge zu tragen, dass Kenntnisse aus Forschung und Entwick-
lung der Gaszentrifugentechnik im Rahmen der URENCO nicht für militärische
Zwecke – auch nicht bei den Vertragsstaaten – genutzt werden dürfen. Dass aber
militärisch äußerst brisante Informationen gestohlen werden können, hat schon
der Fall des pakistanischen Wissenschaftlers Khan in den 70er-Jahren bewiesen.
Im Rahmen der genannten Staatsverträge gilt das Prinzip der Einvernehmlich-
keit der Beschlüsse. Die Vertragsstaaten haben daher ein Vetorecht. Im Vertrag
von Cardiff ist der Viererausschuss in Artikel III Absatz 2 entsprechend geregelt.
Im Vertrag von Almelo ist ein „gemeinsamer Ausschuss“ geregelt und in Arti-
kel II Absatz 2 das Vetorecht bestimmt.
Nach britischen Medienberichten sowie einem Bericht der „vdi-Nachrichten“
vom 16. November 2012 gelten derzeit als Interessenten für den Kauf von
URENCO Anteilen: Cameco, Toshiba-Westinghouse, AREVA sowie die Kapi-
talanleger Apax, KKR, Carlyle und CVC. Außerdem wird ein chinesischer
Milliardär genannt, ebenso Tenex und Rosatom. Auch soll ein direkter Verkauf
an ein Konsortium unter Führung eines ehemaligen URENCO-Direktors im Ge-
spräch sein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Verkauf von
URENCO-Anteilen der britischen Regierung und der Unternehmen RWE
AG, E.ON SE und Uranit GmbH?

2. Mit welchen Unternehmen oder Interessenten wurden bereits oder werden
derzeit seitens der Bundesregierung oder nachrangiger Behörden Gespräche
über einen geplanten Verkauf der URENCO-Anteile geführt?

3. Welches Bundesministerium ist seitens der Bundesregierung für die Ver-
kaufsverhandlungen federführend zuständig?

4. Welche weiteren Bundesministerien und nachrangigen Behörden sind bei
den Verkaufsverhandlungen zudem zustimmungspflichtig oder haben eine
beratende Funktion?

5. Hat es bereits innerhalb der Bundesregierung einen Abstimmungsprozess
zum Verkauf der URENCO-Anteile gegeben?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

6. Ist die Bundesregierung bzw. sind Vertreter der Bundesregierung an den
Verkaufsgesprächen direkt beteiligt?

Wenn ja, wer, in welchem Rahmen, und wann jeweils?

7. In welcher Weise ist die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen an den
Verkaufsverhandlungen beteiligt oder durch die gesetzlichen Vorgaben mit
einzubeziehen?

8. Gab es mit Blick auf die Verhandlungen zum URENCO-Verkauf bereits Ge-
spräche zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung in Nord-
rhein-Westfalen?

Wenn ja, wer war daran beteiligt, und was war das Ergebnis?

9. Ist für einen Verkauf der URENCO-Anteile seitens der Bundesregierung die
Zustimmung des Landes Nordrhein-Westfalen notwendig?

10. Ist es zutreffend, dass E.ON SE und RWE AG und/oder Uranit GmbH von
Merrill Lynch (Bank of America) beraten werden, die niederländische
Regierung von Credit Suisse (bzw. nun von ABN Amro) und die britische
Regierung von Morgan Stanley?

Wenn nein, welche Banken beraten welches Unternehmen?

11. Haben die genannten Finanzinstitute bereits mit der Bundesregierung Ge-

spräche geführt?

Wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11975

12. Hat es Gespräche zwischen der E.ON SE, RWE AG sowie Uranit GmbH
und der Bundesregierung über den geplanten Verkauf von URENCO-Antei-
len gegeben?

Wenn ja, wann fanden diese statt, wer nahm an ihnen teil, und was wurde
bei diesen Treffen mit welchen Ergebnissen besprochen?

13. Lässt sich die Bundesregierung beim Verkauf der URENCO-Anteile von
externen Beratern vertreten?

Wenn ja, warum, und von wem konkret?

14. Plant auch die niederländische Regierung nach Kenntnis der Bundesregie-
rung den Verkauf ihrer Anteile an der URENCO?

Wenn ja, seit wann, und auf welchem Weg hat die Bundesregierung davon
Kenntnis erhalten?

15. Wenn nein, aus welchen Gründen sind die Niederlande an den Verkaufsver-
handlungen beteiligt, bzw. wie genau lautet der Auftrag der Credit Suisse
bzw. von ABN Amro?

16. Ist die in der Vorbemerkung aufgeführte Auflistung der möglichen Kauf-
interessenten nach Kenntnis der Bundesregierung zutreffend?

17. Welche anderen konkreten und potentiellen Kaufinteressenten sind der Bun-
desregierung bekannt?

18. Wann sollen die Verkaufsverhandlungen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung abgeschlossen werden?

19. Ist über die Verkaufsabsichten in den Ausschüssen, die in den Verträgen von
Almelo, Washington und Cardiff festgelegt wurden, oder an anderer Stelle
bereits gesprochen worden?

Wenn nein, wann ist dies vorgesehen?

Wenn ja, wann wurde über die Verkaufspläne in welchem Gremium jeweils
gesprochen, und was waren die wesentlichen Informationen und Ergeb-
nisse?

20. Ist die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) an den Gesprächen
über einen geplanten Verkauf von URENCO-Anteilen beteiligt?

Wenn ja, in welcher Weise, und mit welchem Inhalt?

Wann fanden diese Gespräche mit welchen Teilnehmern statt?

21. Sind EU-Behörden oder US-Behörden an den Verkaufsverhandlungen di-
rekt oder indirekt beteiligt?

Wenn ja, welche Behörden konkret, mit welchem konkreten Auftrag und
mit welchen konkreten Mitsprache- oder Beratungsrechten?

22. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Verkauf von Anteilen an
der URENCO grundsätzlich ein Risiko zur Verbreitung von Kernwaffen-
techniken darstellt?

Wenn ja, in welcher Weise will die Bundesregierung sicherstellen, dass eine
weitere Verbreitung von Technik zur Herstellung von Atomwaffen über den
Verkauf von URENCO-Anteilen nicht erfolgt?

Wenn nein, wie beurteilt die Bundesregierung den geplanten Verkauf vor
dem Hintergrund des Risikos der Weiterverbreitung von Atomwaffentech-
nik?

23. Welche politischen und wirtschaftlichen Ausschlusskriterien gelten für die

Bundesregierung beim Verkauf der URENCO-Anteile?

Drucksache 17/11975 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
24. Wird die Bundesregierung gegen einen Verkauf von URENCO-Anteilen
von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um die weitere Verbreitung von
Atomwaffentechnik zu verhindern?

Wenn nein, warum nicht?

25. Hat die Bundesregierung bereits Kaufinteressenten abgelehnt?

Wenn ja, welche, und aus welchen Gründen?

26. Wie kontrolliert die Bundesregierung, ob sich Vertragspartner über die
URENCO oder die ETC Zugriff auf die Gaszentrifugentechnik für eigene
militärische Zwecke verschaffen?

27. Gab es von Vertragspartnern der URENCO diesbezüglich schon einmal An-
fragen?

Wenn ja, von wem, und wann, und mit welchem Ergebnis?

28. Wer wäre nach einem möglichen Verkauf der deutschen Anteile an
URENCO für die Entsorgung des Uranmülls verantwortlich, der bisher in
Gronau angefallen ist und sich noch in Gronau, in Russland, Frankreich und
anderswo befindet?

29. Wie erklärt die Bundesregierung den Widerspruch, dass in Deutschland
zwar der Atomausstieg beschlossen und der Betrieb der Atomkraftwerke
befristet wurde, die Herstellung von Uranbrennstoff in Gronau und Lingen
aber unbefristet über das Jahr 2022 hinaus weitergeführt wird und Deutsch-
land damit zum Betrieb von Atomkraftwerken im Ausland entscheidend
beiträgt?

30. Ist seitens der Bundesregierung vorgesehen, den Betrieb der Atomanlagen
in Gronau und Lingen zu befristen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, in welcher Weise, und wann?

31. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung vor dem Hinter-
grund der Verkaufsgespräche aus der Tatsache, dass die Regierungsparteien
in Nordrhein-Westfalen in ihrem Koalitionsvertrag von 2012 die Stilllegung
der Urananreicherungsanlage Gronau zum politischen Ziel erklärt haben?

32. Haben schon Gespräche zwischen Bundesregierung und der Landesregie-
rung in Nordrhein-Westfalen zur Zukunft bzw. Stilllegung der Uran-
anreicherungsanlage in Gronau stattgefunden?

Wenn ja, wann, auf welcher Ebene, und mit welchem Ergebnis?

33. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die endgültige Stilllegung
der Urananlagen in Gronau und Lingen spätestens mit der Abschaltung der
letzten in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland im Jahr
2022 erfolgen sollte?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche Schritte wird die Bundesregierung dazu unternehmen?

34. Wird die Bundesregierung vor einer Zustimmung oder Ablehnung eines
möglichen Verkaufsdeals bei der URENCO zuvor den Deutschen Bundes-
tag beteiligen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wann?

Berlin, den 20. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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