BT-Drucksache 17/11903

Wertschöpfung in ländlichen Räumen

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11903
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Werner Dreibus,
Katrin Kunert, Kornelia Möller, Jens Petermann, Kersten Steinke, Sabine Stüber,
Johanna Voß und der Fraktion DIE LINKE.

Wertschöpfung in ländlichen Räumen

Das Grundgesetz (GG) verpflichtet den Gesetzgeber in Artikel 72 Absatz 2 zur
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Dies ist auch
erklärtermaßen die politische Leitvorstellung der Bundesregierung (siehe Fort-
schrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume; Bundes-
tagsdrucksache 17/8499. Im Folgenden: „Fortschrittsbericht“).

Die Struktur der Landwirtschaft in Deutschland ist sehr differenziert. Die Unter-
schiede in der Betriebsgröße zwischen Ost und West und, in geringerem Um-
fang, auch Nord und Süd, sind erheblich: Laut Statistischem Jahrbuch 2011 be-
trägt der Anteil der Betriebe mit mehr als 200 Hektar landwirtschaftlicher Fläche
in Bayern 4,9 Prozent, in Nordrhein-Westfalen 7,4 Prozent, in Niedersachsen
19,4 Prozent, im Saarland 20 Prozent, in Schleswig-Holstein 25,1 Prozent, in
Sachsen 79,6 Prozent, in Brandenburg und Thüringen 87,1 Prozent, in Sachsen-
Anhalt 88 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 89,3 Prozent.

Ein ökonomisches Problem besteht darin, dass die Intensivierung der Landwirt-
schaft für den einzelnen Betrieb Vorteile bringen kann, für die Allgemeinheit
jedoch sozialer und ökologischer Schaden entsteht, zum Beispiel durch die
Nitratbelastung des Grundwassers, vor allem aber durch den Rückgang der Ar-
tenvielfalt nicht zuletzt durch den Einsatz von Glyphosat. Ein großes Problem ist
auch der Energieverbrauch der Agrarwirtschaft hierzulande: Um 50 Nahrungs-
kalorien zu erzeugen, werden bis zu 5 000 Kalorien Energie verbraucht (vgl.
Henkel, Gerhard, 2004. Der Ländliche Raum. Gegenwart und Wandlungspro-
zesse seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland. Berlin und Stuttgart: Gebrüder
Borntraeger, S. 132). Dies konterkariert zum Teil die ökologische Wirkung des
Anbaus von Energiepflanzen. Mit dem Anbau von Energiepflanzen ist darüber-
hinaus der „Teller-Tank-Konflikt“ verbunden, mit der Intensivtierhaltung zu-
sätzlich der „Teller-Trog-Konflikt“. Die Intensivtierhaltung hierzulande ist nur
möglich durch den indirekten Import von Ackerfläche durch die Einfuhr von Fut-
termitteln, die in Übersee zum Teil unter katastrophalen sozialen und ökologi-
schen Bedingungen produziert wurden. Ein nicht geringer Teil des in Intensiv-
tierhaltung erzeugten Fleisches wiederum ist für den Export bestimmt.
Es stellt sich die Frage, welche Parameter – von wirtschaftlicher Rentabilität
abgesehen – in eine Wertung des Nutzens landwirtschaftlicher Betriebe und Nut-
zungsformen einfließen sollen. Hier kann Agrarpolitik als Scharnier zwischen
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik verstanden werden.

Ländliche Räume sollten – abgesehen von hochveredelten und speziellen Pro-
dukten – ihre Wertschöpfung weniger durch Orientierung an volatilen Welt-

Drucksache 17/11903 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

märkten als vielmehr durch vielfältige regionale Kreisläufe sichern und stärken.
Die neoliberale Politik der Konzentration auf städtische Metropolregionen als
wirtschaftliche und kulturelle Zentren führte im Gegenzug zu einer rapide ab-
nehmenden wirtschaftlichen und kulturellen Attraktivität ländlicher Räume.

Der Erhalt des ländlichen Raumes in seiner spezifischen Naturbeschaffenheit
und Besiedlungsweise ist ein hohes Gut für die ländliche Bevölkerung unmittel-
bar sowie von unschätzbarem Wert für die gesamte Gesellschaft, insbesondere
im Hinblick auf Erholung und gesunde, nachhaltige regionale Ernährung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche ländlichen Landkreise weisen nach Kenntnis der Bundesregierung
eine überdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung auf (bitte nach Bun-
desländern aufgliedern)?

2. Welche ländlichen Landkreise weisen nach Kenntnis der Bundesregierung
eine unterdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung auf (bitte nach Bun-
desländern aufgliedern)?

3. Wie hat sich die Investitionstätigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften
in ländlichen Räumen nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr
2005 entwickelt (bitte nach Bundesländern und kommunalen Gebietskörper-
schaftsgruppen sowie nach Bau- und sonstigen Investitionsmaßnahmen auf-
gliedern)?

4. Welche Potenziale und Risiken sieht die Bundesregierung in den deutlichen
Unterschieden vor allem zwischen Ost und West, aber auch zwischen Nord
und Süd, bezüglich der Agrarstruktur, insbesondere der Größe landwirt-
schaftlicher Betriebe?

Beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen zu veranlassen oder zu unter-
stützen, die zum Ausgleich dieser Unterschiede beitragen könnten (z. B. die
Gründung von Erzeugergemeinschaften oder Genossenschaften)?

5. Sieht die Bundesregierung in Genossenschaften eine Organisationsform, die
für die ganze Bundesrepublik Deutschland Zukunft hat und deren Gründung
erleichtert werden sollte?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ein breit gestreutes Grund-
eigentum ein wichtiger Beitrag zu einer positiven sozioökonomischen Ent-
wicklung ist, und wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie aus dieser Auf-
fassung?

7. Wie schätzt die Bundesregierung die Chancen ein, dass bei der Kappung der
Direktzahlungen der Europäischen Union (EU) die Zahl der Beschäftigten
eine Rolle spielen wird?

8. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber wie viele Landwirtinnen und
Landwirte ein Recht auf Sozialleistungen nach den Sozialgesetzbüchern
(SGB) haben, diese aber nicht beantragen?

Wenn nein, beabsichtigt die Bundesregierung, diesbezüglich Informationen
einzuholen?

9. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung in Deutschland von Frauen geleitet (bitte nach Betriebsgröße, kon-
ventioneller Landbewirtschaftung bzw. Ökolandbau und Bundesland auf-
schlüsseln)?

Wie sieht diese Situation nach Kenntnis der Bundesregierung in den anderen
EU-Mitgliedstaaten aus?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11903

10. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der „Sozial-
brache“ an der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Bundesrepublik
Deutschland (bitte nach Bundesländern und Landkreisen aufgliedern)?

11. Wie ist die Preisentwicklung für Grün- und Ackerland nach Kenntnis der
Bundesregierung zwischen den Jahren 1990 und 2011 (bitte nach Bundes-
ländern und Landkreisen aufgliedern)?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Umsetzung der im Fortschrittsbericht
unter „Handlungsfeld 3: Natur und Umwelt“ genannten Maßnahmen zur
Verringerung der Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrs-
zwecke?

13. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung bezüglich der Steigerung
der Eigenversorgung mit Eiweißpflanzen auch vor dem Hintergrund der
vorgeschlagenen 7-Prozent-Regelung für ökologische Vorrangflächen im
EU-Vorschlag zur Förderperiode in den Jahren 2014 bis 2020?

14. Hat die Bundesregierung die Absicht, Tiermehl als Dünger oder Futter wie-
der zuzulassen bzw. sich innerhalb der EU für dessen Wiederzulassung ein-
zusetzen?

15. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung gegen Agrarexporte (vor
allem Hähnchenfleisch) zu Dumpingpreisen insbesondere nach Westafrika
unternehmen?

16. Wann ist mit der Weiterentwicklung des Landwirtschaftsgesetzes, die sich
die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP
vorgenommen hat, zu rechnen?

17. Wann und wie gedenkt die Bundesregierung ihr Vorhaben zum Abbau von
Agrarsubventionen, zu dem sie sich in ihrem Koalitionsvertrag bekannt hat,
umzusetzen?

18. Welche agrarpolitischen Vorschläge und Ideen hat die Bundesregierung im
Blick auf die Förderperiode ab dem Jahr 2020?

19. Was tut die Bundesregierung gegen den Aufkauf landwirtschaftlicher Flä-
chen durch Personen und Konzerne, die überwiegend nicht in der Landwirt-
schaft tätig sind, und den damit verbundenen Anstieg der Bodenpreise?

20. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung gegen fehlende Frucht-
folgewechsel beim Anbau von Energiepflanzen?

21. Wie schätzt die Bundesregierung die Bedeutung des Ökolandbaus für die
Wertschöpfung in ländlichen Räumen ein, und wie gedenkt sie, zu dessen
Ausbau (Fläche, Anzahl der Betriebe) künftig beizutragen?

22. Welchen Beitrag kann aus Sicht der Bundesregierung der Tourismus im
ländlichen Raum leisten, um Fehlentwicklungen im Strukturwandel der
Landwirtschaft entgegenzuwirken?

23. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen den Jahren
1990 und 2011 die Anzahl handwerklicher Betriebe und die Anzahl in hand-
werklichen Betrieben Beschäftigter entwickelt (bitte nach Bundesländern
und Größe der Gemeinde untergliedern)?

24. Welche Entwicklungsmöglichkeiten sieht die Bundesregierung für Arbeit-
geberzusammenschlüsse (AGZ) in den ländlichen Räumen?

25. Ist die Bundesregierung immer noch der Ansicht, dass es durch den Bund
keinen Bedarf zur Förderung von AGZ gibt (vgl. Bundestagsdrucksache
16/8936)?

Drucksache 17/11903 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
26. Welche Bilanz zieht die Bundesregierung hinsichtlich der Entwicklung der
Wirtschaftskraft des ländlichen Raums in Ostdeutschland

– im Bereich der konventionellen Landwirtschaft,

– im Bereich der ökologischen Landwirtschaft,

– im Bereich des Gartenbaus,

– im Bereich der Binnenfischerei und Aquakultur,

– im Bereich der Forst- und Holzwirtschaft,

– im Bereich der verarbeitenden Industrie in der Lebensmittelbranche,

– im Bereich der verarbeitenden Industrie und

– in der Branche der erneuerbaren Energieträger?

27. Hält die Bundesregierung die in ländlichen Räumen vielerorts unternom-
menen Anstrengungen, energieversorgungsautarke regionale Kreisläufe zu
schaffen, für ausreichend (bitte begründen)?

Welche dieser Anstrengungen sind aus der Sicht der Bundesregierung be-
sonders bedeutungsvoll?

28. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erfahrungen, die im länd-
lichen Raum in Ostdeutschland mit der „doppelten Transformation“ – Trans-
formation der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch Her-
stellung der deutschen Einheit und Veränderungen der landwirtschaftlichen
Produktionsweise (Entwicklung des ökologischen Landbaus und Entwick-
lung erneuerbarer Energieträger) – gewonnen worden sind, zu einem ost-
deutschen Erfahrungsvorsprung geführt haben?

Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus?

29. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung den Konversionsleistungen,
die in den vergangenen beiden Jahrzehnten in ostdeutschen ländlichen Räu-
men an ehemaligen Militärstützpunkten und an Bergbaustandorten (Wismut
in Sachsen und Thüringen; Braunkohlereviere in Brandenburg, Sachsen
und Sachsen-Anhalt) erbracht worden sind, für die künftige Entwicklung
ländlicher Räume bei?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung Versuche, die Konversion für die Ent-
wicklung zukunftsträchtiger Ansiedlungs- und Produktionsformen zu nut-
zen, und welche dieser Versuche hält die Bundesregierung für besonders
bedeutsam?

31. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung regionalen Wirtschafts-
und Energiekreisläufen zur Stärkung der Wertschöpfung in ländlichen Räu-
men bei, und wie gedenkt sie, diese zu fördern?

32. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung Maßnahmen zur Stärkung
der Lebensqualität in ländlichen Räumen bei, und welche diesbezüglichen
Maßnahmen plant sie zu ergreifen?

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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