BT-Drucksache 17/11797

Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in Griechenland im Rahmen der Anpassungsprogramme

Vom 10. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11797
17. Wahlperiode 10. 12. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Dr. Diether Dehm, Andrej Hunko, Michael
Schlecht, Sahra Wagenknecht, Christine Buchholz, Annette Groth, Inge Höger,
Stefan Liebich, Niema Movassat, Paul Schäfer (Köln), Kathrin Vogler, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen in Griechenland im Rahmen der
Anpassungsprogramme

Seit März 2010 wurde mit zahlreichen so genannten Anpassungsprogrammen,
die an die Vergabe öffentlicher Kredite gekoppelt wurden, auf die Finanzkrise in
Griechenland reagiert. Sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Lage des
Landes haben sich seither zusehends verschlechtert. Das Bundesministerium der
Finanzen (BMF) geht davon aus, dass die griechische Wirtschaftsleistung zwi-
schen den Jahren 2010 und 2013 um 22,2 Prozent zurückgehen wird. Die offi-
zielle Arbeitslosenquote ist von 2010 bis 2012 von 9,5 Prozent auf fast 25 Prozent
gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei deutlich über 50 Prozent. Die
öffentliche Verschuldung konnte durch die Anpassungsmaßnahmen nicht ab-
gebaut werden. Im Gegenteil, seit dem Jahr 2010 ist die Schuldenquote des
griechischen Staates von 130 Prozent auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung
gestiegen.

In den vergangenen Jahren mussten die Europäische Union (EU) und der Inter-
nationale Währungsfonds (IWF) ihre Prognosen zur wirtschaftlichen Entwick-
lung und zur Haushaltsentwicklung Griechenlands regelmäßig nach unten kor-
rigieren. Zuletzt gab die Troika an, für das Jahr 2012 einen Rückgang der
griechischen Wirtschaft von 6 Prozent statt wie zuvor angegeben von 4,7 Pro-
zent zu erwarten. Auch für das Jahr 2013 wird nun entgegen den bisherigen An-
nahmen ein weiterer Rückgang erwartet. Durch diese Korrektur der Prognose er-
gibt sich die Notwendigkeit einer Verschiebung der Konsolidierungsziele, die
wiederum zu einer Finanzierungslücke von rund 14 Mrd. Euro führt. In Reak-
tion darauf hat der Deutsche Bundestag am 30. November 2012 einem Antrag
des BMF stattgegeben, der Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm
für Griechenland vorsieht, die erstmals auch zu einer direkten Belastung des
Bundeshaushalts führen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Auswirkungen haben die Anpassungsmaßnahmen aus dem ersten
Griechenland-Paket sowie die Anpassungsmaßnahmen, die gekoppelt an
Kredite der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) in den
Memoranden of Understanding in Griechenland implementiert wurden, auf
die griechische Binnennachfrage?

Drucksache 17/11797 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In welchem Umfang wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch die
genannten Maßnahmen die Kaufkraft und das Durchschnittseinkommen der
griechischen Bevölkerung reduziert?

2. Welche Auswirkungen auf die griechische Binnennachfrage erwartet die
Bundesregierung durch die Maßnahmen der mittelfristigen Haushaltsstrate-
gie bis zum Jahr 2016?

3. Welcher Teil des vom BMF für Griechenland im Zeitraum von 2010 bis 2013
erwarteten wirtschaftlichen Gesamtrückgangs von 22,2 Prozent lässt sich
durch die Anpassungsmaßnahmen aus dem ersten Griechenland-Paket sowie
den Anpassungsmaßnahmen, die gekoppelt an EFSF-Kredite in den Memo-
randen of Understanding in Griechenland implementiert wurden, erklären?

4. Welche Auswirkungen auf die Steuereinnahmen durch die Anpassungsmaß-
nahmen aus dem ersten Griechenland-Paket sowie die Anpassungsmaßnah-
men, die gekoppelt an EFSF-Kredite in den Memoranden of Understanding
in Griechenland implementiert wurden, erwartet die Bundesregierung jeweils
in den Jahren 2010 bis 2016?

5. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2010 durch
die mit der Rezession einhergehende steigende Arbeitslosigkeit die griechi-
schen Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung entwickelt?

Wie hätten sie sich nach Einschätzung der Bundesregierung entwickelt, wenn
es in diesem Bereich keine Anpassungsmaßnahmen gegeben hätte?

6. Wie viel Prozent

a) der griechischen Bevölkerung und

b) der griechischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

waren nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2009 im öffentlichen Sek-
tor beschäftigt?

Wie viel Prozent werden es gemäß der Erwartung der Bundesregierung nach
Umsetzung aller bereits vollzogenen und vorgesehenen Anpassungsmaßnah-
men, zu denen auch eine Reduzierung des Personalbestands im öffentlichen
Sektor um 150 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehört, im Jahr 2016
sein?

Wie lauten die vergleichbaren Werte

a) für Deutschland,

b) für die Eurozone und

c) für die EU?

7. a) Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die offizielle Arbeitslosen-
quote in Griechenland bereits im Jahr 2012 auf rund 25 Prozent angestie-
gen ist, nachdem die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. vom 25. Juni 2010 davon ausging, dass
die griechische „Arbeitslosenquote mit nahe 15 Prozent im Jahr 2015
ihren Höchststand erreichen und danach wieder zurückgehen wird.“, und
wie rechtfertigt sie die mit der deutlich höheren Arbeitslosigkeit verbun-
denen hohen sozialen Kosten der Anpassungsprogramme?

b) Ist die von der Europäischen Kommission geforderte Beschäftigungsga-
rantie für Jugendliche nach Meinung der Bundesregierung mit dem grie-
chischen Anpassungsprogramm vereinbar und ihre Umsetzung realis-
tisch?

c) Für welche Maßnahmen zur direkten Schaffung von Arbeitsplätzen in

Griechenland setzt sich die Bundesregierung ein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11797

d) Unterstützt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forde-
rung des Europäischen Gewerkschaftsbundes nach einem europäischen
Investitionsprogramm in Höhe von 1 Prozent des europäischen Bruttoin-
landsprodukts (bitte begründen)?

8. Welche Auswirkungen der bereits umgesetzten und vorgesehenen Anpas-
sungsmaßnahmen erwartet die Bundesregierung im Zeitraum von 2010 bis
2016 auf

a) die Armutsgefährdungsquote,

b) die Armutsgefährdungsschwelle und

c) die Einkommensverteilung

in Griechenland?

9. a) Was sind nach Auffassung der Bundesregierung die Ursachen für die
regelmäßigen Fehleinschätzungen der Entwicklung der griechischen
Ökonomie durch die EU und den IWF, deren Prognosen für die wirt-
schaftliche Entwicklung in Griechenland in Bezug auf das Wirtschafts-
wachstum, die Staatsschuldenquote und die Arbeitslosigkeit seit der
Einführung der ersten Anpassungsmaßnahmen kontinuierlich zu positiv
ausgefallen sind und wiederholt nach unten korrigiert werden mussten?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den in der
Regel zu positiven Prognosen für kommende Maßnahmen, die Grie-
chenland nach Meinung der Bundesregierung auferlegt werden sollten,
um die Krise zu überwinden?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Entwicklung der Privati-
sierungsmaßnahmen, zu denen sich Griechenland in den Memoranden of
Understanding verpflichtet hat?

a) Wie hoch waren die erwarteten und die tatsächlich realisierten Einnah-
men aus den einzelnen, bereits in diesem Rahmen umgesetzten Privati-
sierungsmaßnahmen?

b) In welchem Umfang haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung
welche deutschen Unternehmen an Privatisierungsmaßnahmen im ge-
nannten Rahmen als Käufer beteiligt?

11. Wie viel Kapital wurde nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2007 aus
Griechenland abgezogen, und welchen Effekt hat dieser Prozess auf die
griechische Volkswirtschaft?

a) Für welche Maßnahmen in Bezug auf die Eindämmung der Kapitalflucht
hat sich die Bundesregierung in den Verhandlungen um die in Griechen-
land zu treffenden Maßnahmen zur Krisenbewältigung eingesetzt?

b) Auf welchen Wert schätzt die Bundesregierung private Geldvermögen
von griechischen Millionärinnen und Millionären auf nichtgriechischen
Konten?

c) Welche Maßnahmen gegen Steuerflucht und -hinterziehung sind nach
Kenntnis der Bundesregierung in Griechenland seit Ausbruch der Krise
umgesetzt worden?

Welche weiteren Maßnahmen sind vorgesehen?

Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für sinnvoll?

Drucksache 17/11797 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
d) Für welche Maßnahmen in Bezug auf die Heranziehung griechischer
Millionärinnen und Millionäre zur Finanzierung der Krisenkosten (z. B.
durch eine Vermögensabgabe und/oder Vermögensteuer) hat sich die
Bundesregierung in den Verhandlungen um die in Griechenland zu tref-
fenden Maßnahmen zur Krisenbewältigung eingesetzt?

12. Sieht die Bundesregierung angesichts der angespannten Situation des grie-
chischen Gesundheitssystems und des Rückgangs der Wirtschaftsleistung
die durch ein Memorandum of Understanding vereinbarte Deckelung der
Staatsausgaben für Gesundheit bei 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
weiterhin als gerechtfertigt und zielführend an?

Berlin, den 10. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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