BT-Drucksache 17/11720

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/10754, 17/11269, 17/11705 - Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11720
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), Ulrich Kelber,
Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, Sören Bartol, Dirk Becker, Uwe Beckmeyer,
Gerd Bollmann, Marco Bülow, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Petra
Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Gabriele Groneberg, Michael Groß,
Petra Hinz (Essen), Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Dr. Matthias
Miersch, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Gerold Reichenbach,
Frank Schwabe, Dr. Martin Schwanholz, Rita Schwarzelühr-Sutter, Wolfgang
Tiefensee, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/10754, 17/11269, 17/11705 –

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher
Vorschriften

Der Bundestag wolle beschließen:

A) „Offshore-Umlage“

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Stromerzeugung mittels Windkraftanlagen auf See weist einige Vorteile ge-
genüber konventionellen Windkraftanlagen an Land auf. Offshore-Anlagen er-
reichen eine höhere Volllaststundenzahl und stabilisieren die Stromversorgung
aus erneuerbaren Energien.

Die aufgetretenen Haftungsfragen bei verspäteten Anschlüssen an das weiter-
führende Netz machen deutlich, dass bei der Offshore-Strategie von der Bundes-
regierung Fehler gemacht wurden. Insbesondere wurden der zeitliche und tech-
nologische Aufwand bei der Entwicklung der Einzelkomponenten und der Er-
richtung der Anlagen auf Hoher See unterschätzt. Auch hat der forcierte Ausbau
der Offshore-Windenergie zu Kapazitätsengpässen bei der Verfügbarkeit von
Anlagenkomponenten sowie der Verlege- und Errichterinfrastruktur gesorgt.
Notwendig ist eine realistische Planung, die den Ausbau der Offshore-Wind-
energie nicht auf Schadensersatzfragen reduziert. Eine Risikominimierung und

eine Strategie der Schadensvermeidung müssen Bestandteil jeglicher Planung
sein. Darüber hinaus hat die Bundesregierung nicht bedacht, welche betriebs-
wirtschaftlichen Implikationen die einzelnen ordnungsrechtlichen Vorgaben bei
den Akteuren hervorrufen.

Die Bundesregierung stellt ihre Politik als alternativlos dar, so auch bei der Lö-
sung des Problems der offenen Haftungsfragen bei der Netzanbindung von Off-

Drucksache 17/11720 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

shore-Windparks. Alternativen wie beim konkreten Beispiel die Schaffung einer
Netzgesellschaft unter Beteiligung der öffentlichen Hand werden nicht geprüft.

Der Gesetzentwurf regelt im Wesentlichen den Systemwechsel hin zu einem Off-
shore-Netzentwicklungsplan und ordnet im Fall einer verzögerten Anbindung
von Offshore-Anlagen die Schadensersatzansprüche gegen den anbindungs-
pflichtigen Übertragungsnetzbetreiber. Die Bundesregierung verfolgt hiermit
offensichtlich die Absicht, Investitionen von Offshore-Anlagen abzusichern und
garantiert den Betreibern somit bei Verzögerungen ab dem elften Tag nach dem
avisierten Fertigstellungstermin eine nahezu vollständige Entschädigung zu
Lasten des Übertragungsnetzbetreibers. Diese Regelung soll auch rückwirkend
für die bereits im Bau befindlichen Anlagen gelten.

Der für die Anbindung der meisten Offshore-Windparks in deutschen Hoheits-
gewässern zuständige Übertragungsnetzbetreiber hat somit bereits jetzt eine
Entschädigung in Höhe von mindestens 1 Mrd. Euro zu tragen. Zusätzlich soll
er künftig für alle Sachschäden eine Haftung in Höhe von bis zu 100 Mio. Euro
tragen – und dieses bei einem Netzanschluss, der dem Netzbetreiber nach Lage
der Dinge innerhalb der Abschreibephase höchstens einen Ertrag in Höhe von
etwa 36 Mio. Euro p. a. in Form von Margen aus Netzentgelten verspricht.

Die im Deutschen Bundestag durchgeführte Anhörung hat ergeben, dass auch
unabhängige Beobachter in einer solchen Schadensersatzpflicht eine unausge-
wogene Risikoverteilung sehen, die in der Praxis sehr schnell an eine Grenze
stoßen wird. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass bei jeglicher
Störung der Netzanbindung oder einem verspäteten Anschluss dem Netzbetrei-
ber pauschal ein fahrlässiges Handeln unterstellt wird.

Eigentlich müsste auch der Bundesregierung bekannt sein, dass das Projekt des
Offshore-Ausbaus Neuland bedeutet; denn es handelt sich um einen sehr jungen
Technologiezweig, der Risiken birgt und für den auch auf internationaler Ebene
bisher kaum belastbare Erfahrungen vorliegen. Die Offshore-Anlagen stehen
weit vor der Küste, so dass ein herkömmlicher Netzanschluss in Wechselstrom-
technik nicht möglich ist und die bislang in dieser Dimension unerprobte Gleich-
stromtechnik genutzt werden muss. Alle auf den Netzanschluss bezogenen Bau-
elemente sind Einzelanfertigungen mit langen Lieferzeiten und werden zum Teil
lediglich von einem Hersteller angeboten. Demgegenüber existiert für die
eigentlichen Offshore-Windanlagen bereits eine ausgereifte Technik.

Das Offshore-Projekt ist daher in der Realisierung als Gesamtanlage einschließ-
lich der Netzanbindung an Land eine technische Herausforderung für alle betei-
ligten Akteure. Gleichwohl sichert die Bundesregierung nun die Finanzierung
einseitig zu Lasten der Übertragerseite ab.

Zwar ermöglicht der Gesetzentwurf der Übertragerseite eine Wälzung der Ent-
schädigungsansprüche auf die Allgemeinheit der Stromkunden, begrenzt sie
aber auf 0,25 Cent pro Kilowattstunde. Unabhängig von der Frage, ob die Strom-
kunden für die Beseitigung der unternehmerischen Risiken in die Pflicht genom-
men werden sollten, bedeutet die vorgesehene Regelung, dass der betroffene
Netzbetreiber für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren allein für die bereits bis
heute entstandenen Entschädigungsansprüche aufkommen müsste. Weitere An-
sprüche könnten in diesem Zeitraum nicht mehr umgelegt werden.

Die Wälzung von Kosten im Zuge der Entwicklung von Infrastruktur auf die
Endverbraucher ist insbesondere bei der Absicherung von unternehmerischen
Risiken kein gangbarer Weg. Es müssen Alternativen entwickelt werden, wie die
vorhandene Investitionsbereitschaft ohne Inanspruchnahme der Bürgerinnen
und Bürger weiter gefestigt werden kann.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11720

Die sogenannte unechte Rückwirkung, die dieses Gesetz entfaltet, ist insofern
problematisch, als aktuell bereits der Gerichtsweg zur Klärung der Entschädi-
gungsansprüche beschritten wird.

Da die Stromerzeugung durch Offshore-Anlagen eine zentrales Element in der
Stromversorgung werden soll, hätte der Verzicht auf eine doppelte Leitungsfüh-
rung zum Festlandnetz (n-0) gravierende Auswirkungen auf die Versorgungs-
sicherheit. Zu prüfen wäre, ob die Verteuerung durch eine redundante Anbin-
dung nicht doch in Kauf genommen werden sollte, weil sie im Zweifel günstiger
ist als ein Versorgungsausfall. Es reicht nicht, wie im Gesetzentwurf ausgeführt,
die Mehrkosten von n-1 allein gegen die Schadensumlage zu rechnen. Zu prüfen
ist auch, ob eine Vermaschung benachbarter Windparkanbindungen auf See
dazu beitragen könnte, das Ausfallrisiko zu verringern.

Der bislang vorliegende Gesetzentwurf löst keines der bei der Nutzung der Off-
shore-Windenergie aufgetretenen Probleme zufriedenstellend. Stattdessen führ-
ten die unausgegorenen Haftungsregeln zum Attentismus bei Investoren.
Gleichzeitig ist die Realisierung bereits geplanter Windparkprojekte durch den
beschriebenen Systemwechsel akut gefährdet bzw. schon jetzt gestoppt. Die er-
folgreiche Netzanbindung der Offshore-Windparks und damit die Absicherung
der Offshore-Investitionen ist aber wichtig und maßgeblich für den Erfolg wei-
terer Projekte. Der Bau und die Errichtung von Offshore-Anlagen hat auch zu
einer beachtlichen Wertschöpfung bei den Unternehmen in den Küstenländern
geführt. Das bedeutet, dass auch der Bund für den Erfolg Verantwortung trägt.
Eine adäquate Lösung ist eine öffentlich-rechtliche Beteiligung über die
KfW Bankengruppe an dem Netzanschluss für Offshore-Anlagen in Form einer
Netz-AG.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

mit den anschlussverpflichteten Netzbetreibern eine gemeinsame Netzgesell-
schaft zu bilden, um den bedarfsgerechten Ausbau der Netze und die Bereitstel-
lung der notwendigen seeseitigen Netzanschlüsse sicherzustellen. Ein solches
Angebot soll auch zur Absicherung von Investitionen eine Schadensersatzrege-
lung enthalten.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen,

• der eine sachgerechte Risikoverteilung unter Berücksichtigung aller Akteure
beim Bau von Offshore-Windanlagen vorsieht,

• der durch eine formale Risikominimierungsvorgabe Schadensersatzansprüche
nahezu ausschließt,

• der die Haftungsregelung auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt,

• der keine rückwirkende Wirkung entfaltet,

• der das Stauchungsmodell im Erneuerbare-Energien-Gesetz so öffnet, dass
die bislang unter den heutigen Prämissen projektierten Windparks trotz der
entstandenen zeitlichen Verzögerungen noch von dieser Förderung profitie-
ren können,

• dem eine Modellrechnung zu Grunde liegt, inwiefern eine „n-0-Ausführung“
insgesamt günstiger ausfällt,

• der das Ergebnis der Prüfung einer Vermaschung der Offshore-Netze um-
setzt,
• der den Begriff der „Betriebsbereitschaft“ für den Anspruch auf Entschädi-
gung dahingehend definiert, dass neben den Fundamenten der Windanlage

Drucksache 17/11720 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
nur die Fundamente der dazugehörenden Umspannanlage fertiggestellt sein
müssen.

B) „Formulierungshilfe“ zur Findung eines Änderungsantrags der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutsche Bundestages
wurde zu diesem Gesetzgebungsverfahren eine Formulierungshilfe unbekannter
Herkunft zur Kenntnis gebracht, die in Form eines Änderungsantrags zum Ge-
setzentwurf ein völlig neues Sachgebiet in das Energiewirtschaftsgesetz ein-
führt. Darin wird angeregt, geplante Kraftwerksstillegungen zum Zwecke der
Versorgungssicherheit zu konditionieren. Nachdem die Bundesnetzagentur be-
reits im August 2011 auf die Gefährdung der Stromversorgung im vergangenen
und im kommenden Winter hingewiesen hat, wird dem Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie nun nach 15 Monaten zugemutet, im Ad-hoc-Verfahren eine
Regelung zu debattieren, die in dem von der Bundesnetzagentur als problema-
tisch eingestuften Zeitrahmen keine Wirkung mehr entfalten wird.

Die vorgeschlagenen Regelungen greifen in die Eigentumsrechte der Betreiber
ein und müssen vor dem Hintergrund der daraus abgeleiteten Schadensersatz-
pflicht sorgfältig abgewogen werden. Die Vorlage eines Gesetzentwurfs unter
Umgehung der Eingangsberatung und einer Stellungnahme des Bundesrates so-
wie der Ersten Lesung im Deutschen Bundestag bietet keine Grundlage für eine
angemessene Auseinandersetzung mit dem Problem der regionalen und tempo-
rären Versorgungsunsicherheit.

Durch den Versorgungsengpass im Februar 2012 ist das Problem der System-
relevanz von Gaskraftwerken deutlich geworden. Ein für das Stromnetz sys-
temrelevantes Gaskraftwerk war in seiner Gasversorgung als nachrangig einge-
stuft worden und wurde wegen Versorgungsengpässen im Gasnetz von diesem
getrennt. Eine solche Konkurrenz in der Systemrelevanz der beiden Netze kann
aber nicht einfach – wie in der Formulierungshilfe vorgesehen – zu Gunsten des
Stromnetzes entschieden werden, ohne zu wissen, welche Ausfallrisiken damit
für das andere Netz verbunden sind. Diese Formulierungshilfe hat dann in abge-
wandelter Form Eingang gefunden in den Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorzulegen, der

• eine Regelung zur Sicherstellung von ausreichenden Erzeugungskapazitäten
für die unterbrechungslose Versorgung beinhaltet,

• ein Verfahren vorsieht, das eine völlige Transparenz zu den Eckdaten der
stillzulegenden Anlagen herstellt,

• es in der Konkurrenz der Systemrelevanz von Strom- und Gasnetzen vermei-
det, dass eine Verlagerung der Probleme in die Nachbarregion entsteht.

Berlin, den 27. November 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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