BT-Drucksache 17/11706

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen Fortschritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11706
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Dr. Axel Troost, Dr. Diether Dehm,
Andrej Hunko, Thomas Nord, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister
der Finanzen

Fortschritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag lehnt die von der Bundesregierung in der Nacht
vom 26. zum 27. November 2012 in Brüssel ausgehandelten Veränderungen
an dem erst am Anfang diesen Jahres beschlossenen sogenannten zweiten
Anpassungsprogramm für Griechenland ab, weil sie keinerlei Beitrag zur
Überwindung der Krise in Griechenland und der Krise der Europäischen
Währungsunion leisten. Griechenland war aus vielen, auch hausgemachten
Gründen 2010 in einer schwierigen Situation. Die seit dem vor allem auf
Druck der deutschen Bundesregierung aufgezwungene Sparpolitik hat aus
dieser schwierigen eine fast aussichtslose Lage gemacht, aus der Griechen-
land nur durch eine Abkehr vom Sparkurs, durch eine massive Investitions-
offensive mit aktiver Wirtschaftspolitik und durch einen Schuldenschnitt
herausfinden kann. Das laufende Anpassungsprogramm ist hingegen ins-
gesamt nicht zielführend, da es die Krise verschärft und durch eine diktierte
Politik des sozialen Kahlschlags die weit überwiegende griechische Bevöl-
kerungsmehrheit leiden lässt.

2. Im Rahmen des ersten sogenannten Anpassungsprogramms wurde Grie-
chenland zu historisch unvergleichbaren Kürzungen bei Löhnen, Renten und
Sozialleistungen in Höhe von 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)
gezwungen. In den Jahren 2013 und 2014 sollen im Rahmen des zweiten
sogenannten Anpassungsprogramms weitere 7 Prozent des griechischen BIP
gekürzt werden, davon zwei Drittel bei Löhnen und Renten. Durch die
Kürzungen ist ein Fünftel der griechischen Wirtschaft zerstört worden. Grie-
chenlands Wirtschaftsleistung ist in den letzten drei Jahren um knapp
20 Prozent eingebrochen. Die offizielle Arbeitslosenrate ist in den Jahren

2010 bis 2012 um das Zweieinhalbfache von 9,5 auf fast 25 Prozent gestie-
gen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt inzwischen bei fast 60 Prozent. In Grie-
chenland grassiert Obdachlosigkeit, immer mehr Menschen sind auf Sup-
penküchen angewiesen, die Selbstmordrate ist in den letzen beiden Jahren
um 40 Prozent gestiegen. Von der katastrophalen Lage profitiert die extreme
Rechte. Die neonazistische Partei Goldene Morgendämmerung rangiert bei
repräsentativen Umfragen im Herbst 2012 bereits bei 12 Prozent.

Drucksache 17/11706 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. In den ökonomischen Daten Griechenlands der letzten zwei Jahre manifes-
tiert sich das Scheitern der Eurokrisenpolitik der Bundesregierung und der
Troika. Offizielles Ziel dieser Politik war und ist angeblich die Herstellung
der Schuldentragfähigkeit Griechenlands. Das Gegenteil wurde erreicht. Seit
2010 ist die Schuldenquote des griechischen Staates von 130 auf aktuell
knapp 180 Prozent des BIP weiter gestiegen. Das bedeutet in absoluten Zah-
len eine Steigerung um rund 60 Mrd. Euro. Nach dem aktuellen Troika-Be-
richt wird erwartet, dass die Schuldenquote im Jahr 2014 – trotz weiterer
Umsetzung der diktierten Kürzungspolitik – auf 190 Prozent angestiegen
sein wird. Die Bundesregierung, die die Hauptverantwortung für den aufge-
zwungenen Sozialkahlschlag trägt, hat nicht nur die Griechinnen und Grie-
chen massiv geschädigt. Sie hat damit zugleich dafür gesorgt, dass die an
Griechenland vergebenen Kredite wohl kaum jemals zurückgezahlt werden
können, denn durch den Sparkurs schrumpft die griechische Wirtschaft nun
im vierten Jahr in Folge – und damit auch die Steuereinnahmen. Solange der
Sparkurs fortgesetzt wird, besteht keine Hoffnung auf Besserung der wirt-
schaftlichen Lage. Griechenland wird zu weiteren Haushaltsdefiziten ge-
zwungen und die Bundesregierung ruiniert damit die Chancen der Gläubiger
– auch der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler –, ihr Geld jemals zurückzu-
bekommen.

4. Die beschlossenen Stundungen der Zinszahlungen führen spätestens im Jahr
2022 zu einer katastrophalen Belastung des griechischen Haushalts. Mit den
Ergebnissen vom 26./27. November 2012 in Brüssel ist eine Schuldenquote,
die „substantiell“ im Jahr 2022 unter 110 Prozent liegt, nicht zu erreichen.
Dass der Internationale Währungsfonds (IWF) in dieser Hinsicht ebenso Be-
denken hat, hat er deutlich damit zum Ausdruck gebracht, indem er weitere
Auszahlungen eigener Kredittranchen von der eigenen Bewertung des ge-
planten Schuldenrückkaufprogramms abhängig macht.

5. Die Bundesregierung hat mit ihrer fahrlässigen Politik die Eurokrise in Grie-
chenland an einen Punkt gebracht, an dem milliardenschwere Schäden für die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland und Europa nicht mehr
zu vermeiden sind. Zwei von drei Troika-Mitgliedern, die Europäische Zen-
tralbank (EZB) und der IWF, fordern bereits einen erneuten Schuldenschnitt,
der ausschließlich die öffentlichen Kreditgeber treffen würde. Mit dem bei
der Sondersitzung am 26./27. November 2012 in Brüssel ausgehandelten
Sammelsurium an Maßnahmen versucht die Bundesregierung zu verschlei-
ern, dass sie im Fall Griechenlands Steuergelder in zweistelliger Milliarden-
höhe veruntreut hat. Durch die ständige Verzögerung eines notwendigen
Schuldenschnitts werden auf die öffentliche Hand immer höhere Milliarden-
risiken übertragen. Viele der privaten Gläubiger haben Griechenland-An-
leihen erst in jüngster Zeit mit spekulativen Motiven erworben. Es ist völlig
angemessen, dass diese Gläubiger ihre Forderungen komplett abschreiben
müssen. Nicht zuletzt, um derartigen Spekulanten in Zukunft das Handwerk
zu legen, muss ein Schuldenschnitt eine differenzierte Behandlung der Gläu-
biger im Rahmen eines fairen und transparenten Entschuldungsverfahrens
ermöglichen.

6. Die bisherige angebliche Hilfe für Griechenland und die sogenannte Privat-
sektorbeteiligung waren bisher in Wirklichkeit Rettungspakete für die Gläu-
biger, finanziert durch öffentliche Kredite, für welche die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler jetzt haften. Von den 194 Mrd. Euro, die bis Ende 2012 aus
dem ersten und zweiten Hilfspaket an Griechenland ausgezahlt sein sollten,
flossen und fließen rund 175 Mrd. Euro durch Zins-, Tilgungs- und Baraus-
zahlungen sowie Rekapitalisierungen direkt in die Hände von Banken und
anderen privaten Gläubigern, die so aus der Haftung für das überschuldete

Griechenland befreit werden. Das beschlossene Rückkaufprogramm zu
einem Preis, der über dem Marktpreis liegt, ist ein weiteres Geschenk an die

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11706

privaten Gläubiger und wird den Schaden für die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler bei einem zukünftigen Schuldenschnitt weiter erhöhen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der Vereinbarung, die von den Euro-Finanzministern in der Nacht vom
26. zum 27. November 2012 in Brüssel ausgehandelt wurden, nicht zuzu-
stimmen;

2. sich für eine sofortige Rücknahme der krisenverschärfenden Kürzungspoli-
tik einzusetzen;

3. sich stattdessen dafür einzusetzen, dass die öffentlichen Haushalte der Euro-
Zone von den Finanzmärkten abgeschirmt werden, indem eine öffentliche
Bank ohne Umweg über private Banken und ohne Zinsaufschlag den Staaten
Kredit einräumt und sich bei der EZB refinanziert;

4. sich für eine nachhaltige Entschuldung Griechenlands einzusetzen, bei wel-
cher der Schaden für die öffentlichen Kassen so gering wie möglich gehalten
wird, indem sichergestellt wird, dass die verbliebenen privaten Forderungen
– größtenteils von Banken und Hedgefonds – nicht mehr bedient werden;

5. sich für eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre einzusetzen,
damit die Profiteure der Krise an den Kosten des Schuldenschnitts beteiligt
werden können, ein europäisches Investitionswiederaufbauprogramm
finanziert wird und eine weitere Senkung der Staatsschulden erfolgen kann;

6. schnellstmöglich geeignete Maßnahmen (wie z. B. einen gesetzlichen Min-
destlohn von 10 Euro) zur Steigerung der deutschen Binnennachfrage zu
verabschieden, um dadurch einen Beitrag zum Abbau der Handelsbilanz-
ungleichgewichte zu leisten.

Berlin, den 28. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Griechenlands Zahlungsfähigkeit wird seit Mai 2010 durch öffentliche Kredite
sichergestellt, damit das Land die Forderungen seiner Gläubiger bedienen kann.
Seither wurden an private Gläubiger – insbesondere Banken und Hedgefonds –
Kredite im Volumen von 70 Mrd. Euro ohne Abschlag zurückgezahlt. Außer-
dem wurden im selben Zeitraum Zinsforderungen über 30 Mrd. Euro ebenfalls
in voller Höhe und ohne Abschlag beglichen, und die privaten Gläubiger erhiel-
ten im Rahmen der zweiten sogenannten Gläubigerbeteiligung, die Anfang 2012
abgewickelt wurde, eine quasi – erneut öffentlich finanzierte – Barauszahlung in
Höhe von 30 Mrd. Euro. Sogar bei einem jetzt komplett erzwungenen Forde-
rungsverzicht auf die noch von privaten Gläubigern gehaltenen Anleihen in
Höhe von rund 70 Mrd. Euro wäre damit nur ein Bruchteil eines 50-Pro-
zent-Schuldenschnitts abgedeckt, der selbst vom IWF und der EZB für nötig
angesehen wird, um Griechenlands Zahlungsfähigkeit mittelfristig wiederher-
zustellen. Die Hälfte der griechischen Staatsschulden belaufen sich gegenwärtig
auf 180 Mrd. Euro. Da sich der IWF und die EZB aufgrund ihrer Statuten nicht
an einem Forderungsverzicht beteiligen können, würde ein 50-prozentiger
Schuldenschnitt nur durch einen entsprechend höheren Schnitt bei den öffent-
lichen Krediten, für welche die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften, mög-

lich sein.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.