BT-Drucksache 17/117

Für eine zügige und umfassende Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen

Vom 2. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/117
17. Wahlperiode 02. 12. 2009

Antrag
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie
Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Wolfgang Neskovic,
Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine zügige und umfassende Anerkennung von im Ausland erworbenen
Qualifikationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die ungenügenden gesetzlichen Vorschriften und praktischen Regelungen zur
Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen
stellen eine schwerwiegende strukturelle Benachteiligung von Migrantinnen und
Migranten auf dem deutschen Arbeitsmarkt dar. Unter anderem deshalb ist die
formelle Qualifikationsstruktur der eingewanderten im Vergleich zur übrigen
Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich
besonders schlecht. Auf eine zusätzliche Diskriminierung deutet hin, dass die
Arbeitslosenquote von Migrantinnen und Migranten mit akademischem Ab-
schluss fast dreimal so hoch ist wie bei Akademikerinnen und Akademikern ohne
Migrationshintergrund und überdies höher als in den meisten anderen Ländern
der OECD.

Die vormalige Bundesregierung hat innerhalb von vier Jahren unverantwort-
licherweise keine wirksamen Maßnahmen zur Beseitigung dieser systemati-
schen Diskriminierung ergriffen, obwohl die Problemlage spätestens seit der
Vorlage des Sechsten Berichts zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in
Deutschland im Juni 2005 bekannt ist.

Die seit Jahrzehnten andauernde strukturelle Benachteiligung von Migrantinnen
und Migranten und die bislang ausgebliebenen gesetzgeberischen und prakti-
schen Korrekturen zeigen beispielhaft, dass die öffentliche Debatte über einen
angeblich verbreiteten mangelnden „Integrationswillen“ von den strukturellen
gesellschaftlichen Ursachen der Ausgrenzung und Ungleichbehandlung von
Migrantinnen und Migranten ablenken soll. Immer deutlicher wird auch, dass die
öffentlichkeitswirksame Integrationspolitik der vormaligen Bundesregierung
(„Integrationsgipfel“, „Nationaler Integrationsplan“ usw.) jenseits symbolischer
Akte keine wesentlichen konkreten Verbesserungen für hier lebende Migrantin-
nen und Migranten erbracht hat.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich ein Anerkennungsgesetz vorzulegen, das einen Rechtsanspruch
auf Feststellung, Bewertung und Bescheinigung der im Ausland erworbenen
Bildungs- und Berufsqualifikationen für alle eingewanderten Menschen un-
abhängig von ihrer Staatsangehörigkeit vorsieht, um keine Zeit mehr verstrei-
chen zu lassen und die biographischen Lebensleistungen von Migrantinnen
und Migranten nicht länger ungeachtet zu lassen. Auch praktisch angeeigne-

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tes Wissen und langjährige Berufserfahrungen müssen in einem solchen ge-
setzlich geregelten Anerkennungsverfahren Berücksichtigung finden. Die
Verfahren müssen innerhalb eines kurzen Zeitraumes abgeschlossen sein und
unter Umständen auch bereits vor der Einreise eingeleitet werden können.
Soweit erforderlich müssen diesen Verfahren, die auch Teil- oder vorläufige
Anerkennungen beinhalten können, Angebote zur Zusatzausbildung und
sonstigen Förderung, Beratung und Qualifizierung in Bezug auf die spezi-
fischen Erfordernisse des deutschen Arbeitsmarkts unmittelbar folgen;

2. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, der Kultusministerkonferenz
(KMK), dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), regierungsunabhän-
gigen Sachverständigen und allen maßgeblichen Akteuren (Migrantinnen-
und Migrantenorganisationen, Berufsverbänden, Gewerkschaften usw.)
schnellstmöglich ein Konzept für eine bundeseinheitliche Struktur und klaren
institutionellen Zuständigkeitsregelungen zu entwickeln, soweit dies in die
Kompetenzen der Bundesländer fällt;

3. den Bundestag umfassend und mindestens halbjährlich über konkrete Maß-
nahmen zur Erreichung der oben formulierten Forderungen zu unterrichten.

Berlin, den 2. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration, Prof. Dr. Maria Böhmer, bezeichnete im Plenum des
Deutschen Bundestages die mangelnde Anerkennung von ausländischen Quali-
fikationen als einen „Skandal“ und „untragbaren Zustand“, der „schnellstmög-
lich beendet“ werden müsse (Plenarprotokoll 16/227, S. 25338 (A)). Die Pro-
blemlage ist jedoch spätestens seit der Vorlage des Sechsten Berichts zur Lage
der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland im Juni 2005 bekannt (vgl.
Bundestagsdrucksache 15/5826, S. 46 f.). Deshalb besteht der Skandal vor allem
darin, dass die vormalige Bundesregierung innerhalb von vier Jahren keine wirk-
samen Maßnahmen zur Beseitigung dieser systematischen Diskriminierung er-
griffen hat. Insbesondere fehlten auch in der Erklärung des Bundes zum Nationa-
len Integrationsplan jegliche verbindliche Zusagen zu diesem Thema. Schlim-
mer noch: Infolge von Kürzungen der personellen Ressourcen der Zentralstelle
für ausländisches Bildungswesen (ZAB) um ca. 40 Prozent erhöhte sich die
Dauer der bisherigen gutachterlichen Verfahren zur Bewertung von auslän-
dischen Qualifikationen noch einmal deutlich und die Datenbank ANABIN
konnte nicht in dem erforderlichen Maß ausgebaut und aktualisiert werden (vgl.
Bundestagsdrucksache 16/13981, S. 2). Die Schwierigkeiten bei der Aner-
kennung der Berufsqualifikationen und Hochschulabschlüsse von Spätaussied-
lerinnen und Spätaussiedlern zeigen, dass die Schaffung gesetzlicher Rechts-
ansprüche allein nicht ausreichend ist.

Die Fraktion DIE LINKE. hat bereits in der 16. Wahlperiode Ende 2007 mit
einem Antrag für die erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen
Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen (Bundestagsdrucksache 16/7109) die
Bundesregierung auf die drängenden Probleme hingewiesen und zahlreiche
konkrete Handlungsvorschläge gemacht.

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