BT-Drucksache 17/11698

Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11698
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Christine Buchholz, Inge Höger, Harald
Koch, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Agnes Alpers, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Stefan
Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Raju Sharma, Alexander Ulrich, Katrin
Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Angriffskrieg verfassungs- und völkerrechtskonform unter Strafe stellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die direkte und indirekte Beteiligung an der Durchführung von Angriffs-
kriegen ist genauso unter Strafe zu stellen wie die Planung und Vorbereitung
von Angriffskriegen. Die Entscheidungen der Bundesanwaltschaft 2003, die
Strafanzeigen gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen der vielfältigen
deutschen Unterstützungsleistungen für den völkerrechtswidrigen Angriffs-
krieg der USA auf den Irak 2003 abzulehnen mit der Begründung, dass es
sich nicht um im Sinne des § 80 des Strafgesetzbuchs (StGB) erhebliche
Beiträge gehandelt habe und zudem nur die Vorbereitung von Angriffskrie-
gen, nicht aber deren Durchführung strafrechtsrelevant sei, haben gezeigt,
dass die deutsche Strafgesetzgebung im Sinne von Artikel 26 des Grund-
gesetzes (GG) angepasst werden muss, um sämtliche Formen der Beteili-
gung an Angriffskriegen unter Strafe zu stellen.

2. Artikel 26 Absatz 1 GG bestimmt als Verfassungsauftrag einen umfassenden
Friedensschutz: Es werden „Handlungen, die geeignet sind und in der Ab-
sicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu
stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“ als
verfassungswidrig normiert. Sie seien „unter Strafe zu stellen“. Die Formu-
lierung des Artikels betrachtet nicht nur den Angriffskrieg, wenn auch ge-
sondert hervorgehoben, sondern auch andere nicht näher definierte Handlun-
gen als friedensstörend. Er ist bewusst umfassend gefasst, da er aus den Er-
fahrungen zweier Weltkriege, die von Deutschland ausgingen, rührt, und das
politische Bekenntnis „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausge-
hen“ normiert.

3. Die Bundesregierung hat kürzlich die Änderungen vom 10. und 11. Juni
2010 des Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshofs vom 17. Juli

1998 ratifiziert. Dies bietet die Gelegenheit, endlich eine Anpassung des
nationalen Strafrechts vorzunehmen, um auch die bislang unzureichende
Umsetzung der Verfassungsnorm (Artikel 26 GG) zu realisieren.

a) Die bislang geltende Rechtsnorm des § 80 StGB erweist sich in zentralen
Punkten als unzulänglich. Er lautet: „Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26
Absatz 1 GG), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein
soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundes-

Drucksache 17/11698 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

republik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe
oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“

• Das Tatbestandsmerkmal „an dem die Bundesrepublik Deutschland be-
teiligt sein soll“ wird bisher anders als der Beteiligungsbegriff des
Allgemeinen Strafrecht in den §§ 25 ff. StGB eng verstanden. Er soll
sowohl den Fall umfassen, dass die Bundesrepublik Deutschland
angreift, wie auch den, dass sie angegriffen werden soll, nicht aber jede
Beteiligung in Form bloßer Beihilfe an einem fremden Angriffskrieg,
die die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer Kriegspartei macht.
Als eine Krieg führende Macht wird Deutschland aber erst bei einem
Einsatz der Streitkräfte oder in ähnlich massiver Weise angesehen. So
wird der Anwendungsbereich ungerechtfertigter Weise erheblich ein-
geschränkt. Auch ergibt sich aus der Formulierung des Tatbestands-
merkmals „Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland“
nicht eindeutig genug, dass keineswegs deutsches Territorium betrof-
fen sein muss.

• § 80 StGB erfasst in seinem Wortlaut lediglich die „Vorbereitung“,
nicht jedoch die Androhung, die Auslösung, die Durchführung oder die
Unterstützung eines Angriffskrieges. Diese Begrenzung auf die „Vor-
bereitung“ wurde zwar seitens des Sonderausschusses für die Straf-
rechtsreform aus dem Jahre 1968 (Bundestagsdrucksache 5/2860, S. 2)
mit einem Analogieschluss bestritten (㤠80 umfasst nicht nur, wie der
Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines
Angriffskrieges, sondern erst recht die den der Auslösung eines sol-
chen Krieges“). Es besteht aber das in Artikel 103 Absatz 2 GG veran-
kerte Analogieverbot im Strafrecht.

• Der Begriff „Angriffskrieg“ ist weder in der Verfassungs- noch in der
Strafrechtsnorm präzisiert. Auf diese Problematik verwies bereits der
Sonderausschuss für die Strafrechtsreform (Bundestagsdrucksache 5/
2860, S. 2) im Jahr 1968.

Zwischenzeitlich wurden auf internationaler Ebene jedoch zwei Be-
schlüsse über eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs vorgenommen:
Zum einen hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1974
in der Resolution A/RES/3314 (XXIX) eine umfassende Angriffsdefi-
nition vorgelegt. Zum anderen haben sich die Staaten auf der ersten
Revisionskonferenz zum Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
(Rom-Statut) im Jahre 2010 in Kampala ein Konsens über eine Be-
griffsbestimmung hergestellt, der wiederum im Wesentlichen mit den
Bestimmungen der UN-Resolution A/RES/3314 (XXIX) Generalver-
sammlung übereinstimmt. Allerdings bleibt offen, ob der Konsens von
Kampala völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangen wird, da mindes-
tens 30 Vertragsstaaten diese Regelung ratifizieren müssen.

Insgesamt betrachtet beruht die Resolution der UN-Generalversamm-
lung also gegenwärtig auf einer breiteren demokratischen Legitima-
tionsbasis und auch inhaltlich sprechen drei Gründe dafür, die Resolu-
tion als Bezugspunkt für die Konkretisierung der nationalen Straf-
gesetzgebung vorzuziehen: Erstens erlaubt Artikel 3 der Resolution der
Generalversammlung eine Weiterentwicklung der Definition des An-
griffskrieges während im Kompromiss von Kampala die angeführten
Handlungen eher als abschließend verstanden werden müssen. Zwei-
tens wird die strafrechtliche Verfolgung nicht auf die oberste Führungs-
ebene beschränkt, sondern im Prinzip können auch Befehlsgeber und
Befehlsempfänger der mittleren und unteren Ebenen zur Rechenschaft
gezogen werden. Drittens spielt für die Definition aus den Artikeln 1

und 3 der Resolution der Generalversammlung zur Annahme einer
Aggression die Quantität und Qualität der Aggression zunächst keine

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11698

Rolle, wohingegen Artikel 8bis Absatz 1 des Rom-Statuts von vornher-
ein nur Angriffshandlungen erfasst, die ihrer Art, ihrer Schwere und
ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Ver-
einten Nationen (UN-Charta) darstellen und so z. B. Raum für „huma-
nitäre Interventionen“ lässt.

b) „Handlungen, die geeignet sind, und in der Absicht vorgenommen wer-
den, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“, die sich jen-
seits der besonders benannten Qualität des Angriffskrieges bewegen,
sind, obschon als Verfassungsauftrag benannt, auf den Straftatbestand der
„Aufstachelung“ (§ 80a StGB Aufstachelung zum Angriffskrieg) be-
grenzt. Weitere „Handlungen“ und entsprechende Definitionen sind bis-
lang nicht von der Strafbarkeit erfasst.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die juristisch und politisch unhaltbare Verkürzung des Verfassungsauftrages
angesichts zunehmend praktizierter Auslandseinsätze der Bundeswehr bzw.
Unterstützung von Militäreinsätzen befreundeter Drittstaaten zu beenden
und eine überfällige Rechtsklarheit im § 80 StGB zu schaffen;

2. anhand der folgenden Vorgaben einen Gesetzentwurf zu den §§ 80 ff. StGB
vorzulegen, der den Verfassungsauftrag aus Artikel 26 Absatz 1 GG so deut-
lich wie möglich umsetzt:

• § 80 StGB ist so zu formulieren, dass jegliche direkten und indirekten
Beteiligungsformen an einem Angriffskrieg, unabhängig von ihrer Quan-
tität und Qualität erfasst werden, wie beispielsweise die Gewährung von
Überflugrechten gegenüber einem einen Angriffskrieg führenden Staat
oder die Weitergabe von militärischen Informationen an den selbigen.

• Im Straftatbestand des § 80 StGB ist sicherzustellen, dass neben der Vor-
bereitung eines Angriffskrieges auch die Handlungsformen der Andro-
hung, Auslösung, Durchführung und Unterstützung eines solchen unter
Strafe gestellt werden.

• Beim Strafmaß im Rahmen des § 80 StGB ist eine Differenzierung vorzu-
nehmen, die sicherstellt, dass führende Regierungsmitglieder und Perso-
nen in verantwortlicher staatlicher Funktion weiterhin mit mindestens
zehn Jahren oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht werden, aber
auch Befehlsempfänger, die solche Handlungen durchführen, strafrecht-
lich zur Verantwortung gezogen werden, allerdings mit einen Strafmaß,
dass dem geringeren Maß ihrer Schuld entspricht.

• Die Definition des Begriffs „Angriffskrieg“ (Artikel 1), die expliziten
Handlungen, die einen Angriffskrieg darstellen (Artikel 3) sowie die Nicht-
wirksamkeit von Rechtfertigungen für einen Aggressionsakt (Artikel 5
Nummer 1) nach der Resolution A/RES/3314 (XXIX) der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen in die Strafrechtsnorm § 80 StGB sind
zu übernehmen und unter Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes nach
Artikel 103 Absatz 2 GG zu formulieren. Unberührt davon bleiben militä-
rische Handlungen nach den Artikeln 42 und 51 der UN-Charta.

• Es ist zu prüfen und gegebenenfalls zu definieren und zu ergänzen, welche
Handlungen jenseits der in § 80 und § 80a StGB genannten Handlungen
„geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche
Zusammenleben der Völker zu stören“ und daher mit Strafe belegt werden
sollten, wie es Artikel 26 Absatz 1 GG fordert.

Berlin, den 28. November 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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