BT-Drucksache 17/11651

Klimakonferenz Doha - Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter

Vom 27. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11651
17. Wahlperiode 27. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Frank Schwabe, Ulrich Kelber, Dirk Becker, Gerd Bollmann,
Marco Bülow, Ingrid Arndt-Brauer, Edelgard Bulmahn, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra
Ernstberger, Martin Gerster, Iris Gleicke, Dr. Barbara Hendricks, Dr. Bärbel Kofler,
Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch, Thomas Oppermann,
Dr. Sascha Raabe, Stefan Rebmann, Karin Roth (Esslingen), Wolfgang Tiefensee,
Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, Uwe
Kekeritz, Ute Koczy, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine
Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Cornelia Behm, Harald
Ebner, Bettina Herlitzius, Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn, Friedrich
Ostendorff, Claudia Roth (Augsburg), Daniela Wagner, Beate Walter-Rosenheimer,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimakonferenz Doha – Kein internationaler Erfolg ohne nationale Vorreiter

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Klimakatastrophe wird immer deutlicher spürbar

Nicht nur die Finanzkrise macht Griechenland, Spanien und Italien zu schaffen.
Anhaltende Hitze und Trockenheit lagen im Sommer d. J. über Südeuropa,
heftige Waldbrände verwüsteten ganze Landstriche. Auch der Rest der Welt war
massiv betroffen, in den USA gab es die schwerste Dürre seit über 50 Jahren.
Die Ernteausfälle dort und in Indien führen zu steigenden Weltmarktpreisen für
Lebensmittel. In Malawi, im Süden Afrikas, verlieren aufgrund anhaltender
Dürre eineinhalb Millionen Menschen gerade ihre Nahrungsgrundlage, weil der
zweitgrößte See dort dabei ist, auszutrocknen. Und der Regen lässt weiter auf
sich warten. Auch die Kornkammer am Schwarzen Meer mit den Export-
nationen Russland, Ukraine und Kasachstan litt 2012 schwer unter Hitze und
Dürre. Russlands Ernteprognose ist auf die Auslöseschwelle nahe dem Eigen-
bedarf zur Verhängung eines Exportstopps von 72 Millionen Tonnen zusammen-
geschmolzen. In Australien folgten auf die jahrelange Milleniumdürre im
Murray-Darling-Becken verheerende Überschwemmungen. Dieselbe Misere
erlebte China 2011. Der Hurrikan „Sandy“ war einer der schwersten der ameri-

kanischen Geschichte und hat Milliardenschäden in den USA, Mittelamerika
und der Karibik verursacht. Die Wissenschaft geht davon aus, dass solche
Wetterereignisse bedingt durch den Klimawandel zukünftig häufiger werden.
Während die internationalen Klimaverhandlungen kaum vorankommen, schrei-
tet der Klimawandel unbeirrt weiter voran und seine Folgen treffen insbesondere
die ärmsten Menschen in sogenannten Entwicklungsländern, die am wenigstens
Schutz erfahren.

Drucksache 17/11651 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Globale Emissionen steigen weiter ungebremst

Im Jahr 2011 stiegen die CO2-Emissionen weltweit um 3,2 Prozent auf inzwi-
schen 31,6 Gigatonnen. Die CO2-Konzentration ist in den letzten zehn Jahren
schneller angestiegen als in den Dekaden davor. Nach Angaben des Umwelt-
bundesamtes betrug die mittlere Wachstumsrate in den letzen Dekaden des
20. Jahrhunderts noch 1,4 ppm/Jahr, in der Dekade von 2001 bis 2010 erreichte
sie 2 ppm/Jahr. Das Jahr 2010 war global gesehen eines der wärmsten seit
Beginn der Wetteraufzeichnungen. Auch die Eisschmelze in der Arktis nimmt
immer dramatischere Formen an. Mehr als die Hälfte des Meereises schmilzt
mittlerweile in den Sommermonaten und die verbleibende Eisdecke wird immer
dünner. Bei dem gegenwärtigen Tempo wäre die arktische See rund um den
Nordpol bis 2030 im Sommer komplett eisfrei.

Das Überschreiten gefährlicher Kipppunkte im Klimasystem droht

Die Erwärmung muss gestoppt und Strategien zur Trendumkehr müssen er-
forscht werden. Die Klimawissenschaft geht davon aus, dass bei einer Begren-
zung der Erderwärmung auf maximal 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen
Niveau ein „gefährlicher“ Klimawandel, gerade noch vermieden wird. Die
aktuellen Entwicklungen lassen befürchten, dass schon vor Erreichen der 2 Grad
Erwärmung irreversible Veränderungen auftreten können. Steigt die Erwärmung
darüber hinaus, beschleunigt sich der Klimawandel zusätzlich durch das Über-
schreiten sogenannter Kipppunkte (z. B. zusätzliche Treibhausgasemissionen
durch das Auftauen der Permafrostböden). Die weltweiten Emissionen von
Treibhausgasen müssen bis zum Jahr 2050 um mehr als 50 Prozent gegenüber
1990 gesenkt werden, um das Risiko einer Erwärmung von mehr als 2 Grad zu
begrenzen. Das bedeutet für die Industriestaaten eine Emissionsminderung um
mindestens 25 bis 40 Prozent bis 2020 und von mindestens 80 bis 95 Prozent bis
2050. Die derzeitigen Selbstverpflichtungen (pledges) der Staaten führen jedoch
zu einer globalen Temperaturerhöhung von 3 bis 4 Grad. Nach Berechnungen
der Internationalen Energieagentur darf weltweit bis zum Jahr 2050 nur noch
rund ein Drittel der bekannten Energiereserven aus der Erde geholt und ver-
brannt werden, um noch das 2-Grad-Ziel zu erreichen.

Verbindliche Emissionsminderungen laufen 2012 aus

Ende des Jahres 2012 läuft die erste Verpflichtungsperiode (2008 bis 2012) des
Kyoto-Protokolls aus, in dem sich die Industrieländer zu einer Minderung ihrer
jährlichen Treibhausgasemissionen um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber
dem Stand von 1990 verpflichtet haben. Dem Kyoto-Protokoll unterliegen je-
doch nicht die weltgrößten Emittenten wie die USA, die das Kyoto-Protokoll nie
ratifiziert haben, und China, das als Schwellenland nicht verpflichtet wurde.
Viele Schlupflöcher und die Möglichkeit zur Nutzung sog. flexibler Instrumente
wie zum Beispiel Clean Development Mechanism (CDM) oder Joint Implemen-
tation (JI) machen es möglich, das Kyoto-Ziel zumindest theoretisch zu er-
reichen, ohne dass für das Klima substanziell etwas gewonnen würde.

Bislang gibt es für die 2012 auslaufende Verpflichtungsperiode des Kyoto-Pro-
tokolls noch keine rechtlich verbindliche Anschlussregelung. Zwar wurde auf
der Klimakonferenz von Durban beschlossen, dass es eine zweite Verpflich-
tungsperiode des Kyoto-Protokolls geben soll. Es sind jedoch noch eine Reihe
von Fragen zu klären, damit diese in Kraft treten kann. Ob die Klärung dieser
Fragen tatsächlich gelingt, ist angesichts der bisherigen Verhandlungsergebnisse
ungewiss.

Die internationale Klimapolitik tritt auf der Stelle

Es wäre der falsche Weg, das schwer errungene und von der internationalen Ge-

meinschaft bestätigte 2-Grad-Ziel leichtfertig aufzugeben. Um das 2-Grad-Ziel
noch zu erreichen, müssen die Anstrengungen in der Klimapolitik vervielfacht

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11651

werden. Die Klimaverhandlungen verlaufen jedoch zäh und langsam. Mit dem
in Durban beschlossenen Fahrplan, dass ein neues Klimaschutzabkommen bis
spätestens zum Jahr 2020 in Kraft treten soll, ist das 2-Grad-Ziel nur schwer zu
erreichen. Für das 2-Grad-Ziel müssen die Treibhausgasemissionen schon vor
dem Jahr 2020 deutlich sinken. Deshalb sollte es neben dem UN-Klimaprozess
neue Allianzen der klimapolitisch fortschrittlichen Staaten geben, um mehr Ver-
bindlichkeit, ambitionierte Zusagen zur Treibhausgasreduktion sowie zur Finan-
zierung zu erreichen. Diese Allianz der Vorreiter kann vorangehen, ohne auf den
Letzten zu warten. Den Druck auf die Bremser beim Klimaschutz gilt es so zu
erhöhen: Einerseits im Rahmen der weiteren Verhandlungen, andererseits durch
das erfolgreiche Beispiel der Vorreiter, die zeigen, dass Klimaschutz Chancen
bietet.

Internationale Vorreiterallianzen müssen vorangehen

Um zu zeigen, dass Klimaschutz Chancen bietet, könnte zunächst eine Klima-
schutzallianz von 32 europäischen Staaten – darunter alle EU-Mitglieder – mit
32 Schwellen- und Entwicklungsländern Afrikas und Lateinamerikas gebildet
werden. Diese 64 Staaten könnten auf allen internationalen Treffen und in allen
internationalen Organisationen geschlossen auftreten. Inzwischen mehren sich
die Stimmen derer, die die Idee einer Vorreiterallianz mehr und mehr unterstützen.
Zuletzt hatte das Quasischeitern des diesjährigen Nachhaltigkeitsgipfels in Rio
neue Unterstützer für die Idee von Vorreiterallianzen hervorgebracht, darunter
auch den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltver-
änderungen (WBGU). In dieser Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwin-
digkeiten wird Klimapolitik nicht von Verweigerern abhängig gemacht. Sollte
die beste Lösung – also ein Abkommen unter Einschluss aller großen „Ver-
schmutzer“ – nicht zu erreichen sein, so muss auf die zweitbeste Lösung aus-
gewichen werden: ein Vertrag zwischen so vielen Industrie- und Entwicklungs-
ländern wie möglich. Eine zweite Enttäuschung wie in Kopenhagen kann sich
die Klimapolitik nicht leisten.

Die europäische Klimapolitik wird der selbsterklärten Vorreiterrolle nicht ge-
recht

Um wieder eine Vorreiterrolle einzunehmen, muss die Europäische Union ihr
Klimaziel erhöhen, die Finanzierung von Klimaschutz in ärmeren Ländern si-
cherstellen und die Verwässerung der Klimaziele durch die Verwendung über-
schüssiger Emissionserlaubnisse, sogenannter AAU, verhindern. Die EU hat
schon eine Reduktion ihrer Emissionen von 18 Prozent erreicht und somit das
zugesagte Klimaziel von 20 Prozent bis 2020 fast erfüllt. Ohne die längst über-
fällige Erhöhung des Klimaziels auf 30 Prozent würde die EU in den nächsten
Jahren praktisch keinen Klimaschutz betreiben müssen.

Die EU braucht einen Fahrplan mit Zwischenzielen, indem sie beschreibt, wie
sie das Klimaziel im Jahr 2050 erreichen möchte (Klima-Roadmap). Eine Ver-
abschiedung dieser Roadmap scheitert seit eineinhalb Jahren am Widerstand
Polens, dessen Energieversorgung maßgeblich von der Kohle abhängt. Anstatt
zu führen, ist die EU zerstritten und gelähmt.

Der EU gelingt es darüber hinaus nicht, ein Schlupfloch im Zertifikatehandel auf
Staatenebene unter dem Kyoto-Protokoll zu schließen, das den Klimaschutz ad
absurdum führen wird, da so viele Zertifikate zur Verfügung stehen könnten,
dass die Staaten nur wenig für den Klimaschutz machen müssten. Den Staaten,
die am Kyoto-Protokoll teilnehmen, wurden viel mehr Emissionserlaubnisse zu-
geteilt, als benötigt wurden. Die Summe dieser Überschüsse entspricht bis zu
13 Gigatonnen CO2. Für die ökologische Integrität der nächsten Kyoto-Ver-
pflichtungsperiode ist es wichtig, dass die überschüssigen Emissionserlaubnisse

nicht von der jetzigen in die nächste Periode übertragen werden können. An-
sonsten müsste kaum Klimaschutz betrieben werden, denn die Teilnehmer könn-

Drucksache 17/11651 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ten sich mit den überschüssigen Emissionserlaubnissen freikaufen. Die EU wird
andere Länder nicht von wirkungsvollem Klimaschutz überzeugen können,
wenn ihre eigenen Reduktionsverpflichtungen so gering sind und dazu noch
zahlreiche Schlupflöcher beinhalten.

Das Instrument des Emissionshandels steht massiv unter Druck

Das Leitinstrument des europäischen Klimaschutzes, der Emissionshandel, steht
derzeit massiv unter Druck. Bedingt durch eine Überausstattung mit Emissions-
zertifikaten (u. a. durch das Krisenjahr 2009), eine insgesamt wenig ambitio-
nierte EU-Emissionsobergrenze und eine Schwemme von Zertifikaten aus Dritt-
staaten (CDM-Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern) liegt der Zerti-
fikatepreis von ursprünglich erwarteten 17 bis 20 Euro pro Tonne emittiertes
CO2 jetzt langfristig unterhalb von 8 Euro pro Tonne. Angesichts dieses nied-
rigen Preises lohnen Investitionen in Klimaschutz im Emissionshandelssektor
kaum noch, der Verkauf von Zertifikaten ist unbedeutend und die Einnahmen
aus dem Emissionshandel für die öffentlichen Haushalte bleiben weit hinter den
Erwartungen zurück. Verschärft wird das Problem dadurch, dass überschüssige
Zertifikate auch in die ab dem 1. Januar 2013 beginnende dritte Handelsperiode
übertragen werden können. Dies wird den Emissionshandel weiter schwächen,
obwohl die dritte Handelsperiode insgesamt deutlich ambitioniertere Bedingun-
gen bringen sollte.

Erhöhung des europäischen Klimaziels auf 30 Prozent ist unverzichtbar

Werden keine strukturellen Maßnahmen wie eine EU-Klimazielerhöhung auf
30 Prozent beschlossen, wird dies zu einem jahrelangen Siechtum des Emis-
sionshandels mit CO2-Preisen knapp über der Nulllinie führen und seine Eig-
nung als wirksames Instrument der Klimapolitik in Frage stellen. Verliert der
Emissionshandel der EU seine Wirksamkeit, so werden sich keine Verknüpfun-
gen mit anderen Systemen in der Welt ergeben. Es ist jedoch ökologisch und
ökonomisch sinnvoll und war allseits anerkannte und notwendige Strategie, be-
stehende und zukünftig entstehende Emissionshandelssysteme zu verbinden.
Ein funktionierender weltweiter Emissionshandel würde sowohl faire Wettbe-
werbsbedingungen für die Unternehmen bringen als auch der Klimapolitik neue
Schlagkraft geben.

Das Instrument des Emissionshandels ermöglicht zudem eine technologieoffene
Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen in den Ländern.

Nationale Klimapolitik: Blockade der Energiewende und Stillstand beim Klima-
schutz

Die Bundesregierung hat kein Konzept, wie sie ihre Klimaschutzziele erreichen
kann, ihre Bundesministerien blockieren sich gegenseitig. Die Bundesregierung
hat sich mit dem nationalen Minderungsziel von minus 40 Prozent bis 2020 ein
durchaus ehrgeiziges Klimaziel gesetzt, das sie aber nicht mit den notwendigen
Maßnahmen unterfüttert, um dies zu erreichen. Nach bisherigen Berechnungen
werden 2020 bestenfalls minus 34 Prozent erreicht, von denen aber ein großer
Teil auf die Effekte der Wiedervereinigung und die zurückgehende Industriepro-
duktion in Ostdeutschland zurückzuführen ist (Wall-Fall-Profits). Deswegen
muss das 40-Prozent-Klimaziel mit weitergehenden Maßnahmen unterlegt wer-
den, um dieses Ziel sicher zu erreichen. Das muss Maßnahmen in der Steigerung
der Energieeffizienz sowie zusätzliche Emissionsminderungen im Strom-,
Gebäude- sowie im Verkehrssektor umfassen, aber auch weitere Maßnahmen
zur Klimabewusstseinsbildung, um so die notwendige sozial-ökologische
Transformation zu stemmen. Zentral sind eine langfristige Perspektive und eine
vorhersehbare Entwicklung. Durch ein Klimaschutzgesetz müssen die Ziele ver-

bindlich festgeschrieben werden und die Zielerreichung durch ein unabhängiges
Gremium muss ständig kontrolliert werden.

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Erfolg der Energiewende von internationaler Bedeutung

Die Energiewende in Deutschland wird international sehr genau beobachtet.
Viele Staaten werden im Klimaschutz nur folgen, wenn sie sehen, dass die
Energiewende ökonomisch und ökologisch erfolgreich ist. Die Energiewende ist
deshalb für ein erfolgreiches Voranschreiten des Klimaschutzes von größter Be-
deutung. Der Gedanke eines potenziellen Scheiterns der Energiewende in
Deutschland darf nicht aufkommen – scheitert die Energiewende, scheitert der
Klimaschutz. Auch das Signal für den internationalen Klimaschutz wäre fatal.
Wenn es gelingt, in einem Industrieland wie Deutschland eine klimaneutrale und
atomfreie Energieversorgung aufzubauen, hat dies international eine entspre-
chende Vorbildfunktion und ermutigt andere Staaten nachzuziehen. Den interna-
tionalen Klimaschutz würde dies einen gewaltigen Schritt voranbringen.

Statt sich um Netzausbau und Energieeffizienz zu kümmern, blockiert und ver-
langsamt die Bundesregierung jedoch den Ausbau der erneuerbaren Energien in
Deutschland. Die Bundesregierung hat die Kosten für die EEG-Umlage (EEG:
Erneuerbare-Energien-Gesetz) künstlich in die Höhe getrieben und macht nun
die erneuerbaren Energien dafür verantwortlich. Die Bundesregierung muss die
Befreiung von Unternehmen von EEG-Umlage, KWK-Umlage (KWK: Kraft-
Wärme-Kopplung) und Netzgebühren wieder auf den Kreis von Unternehmen
konzentrieren, die mit hohen Energiekosten im internationalen Wettbewerb ste-
hen und alle betriebswirtschaftlichen rentablen Energieeffizienzmaßnahmen
durchgeführt haben. Es sind die Kosten der Energiewende transparent, sozial-
verträglich und gerecht zu verteilen und alle Möglichkeiten der Energieeinspa-
rung zu nutzen. Der Umstieg auf eine zunehmende Versorgung mit erneuerbaren
Energien zwingt zu einem forcierten Netzausbau. Ziel ist es jedoch, mit mög-
lichst wenigen neuen Leitungen auszukommen. Ein solch fundamentaler Um-
bau unseres Energiesystems verlangt nach einer neuen Beteiligungskultur.
Transparenz ist das oberste Gebot.

Klimaschutzmaßahmen aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) sind unsicher
und unterfinanziert

Ein Großteil der Mittel, die in Deutschland in den Klimaschutz investiert werden
sollen (u. a. für das Gebäudesanierungsprogramm der KfW Bankengruppe),
kommt aus dem Energie- und Klimafonds der Bundesregierung und ist damit
direkt abhängig vom CO2-Preis, da die Einnahmen aus dem Emissionshandel
den Fonds speisen. Bedingt durch den aktuellen geringen Zertifikatepreis fehlen
derzeit so die notwendigen Finanzmittel, um die Energiewende mit notwendigen
Investitionen zu unterstützen. Diese Abhängigkeit muss beendet, der Schatten-
haushalt EKF aufgelöst und die wichtigen Programme müssen wieder in den
ordentlichen Haushalt überführt werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass
die Einnahmen aus dem Emissionshandel weiterhin vollständig für die Finanzie-
rung von Energiewende und Klimaschutz zur Verfügung stehen. Daher ist eine
Steigerung des CO2-Preises als solide Finanzierungsquelle unerlässlich. Zudem
müssen aber auch weitere klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. Eine
kurzfristige Herausnahme der CO2-Zertifikate aus dem Markt wird nicht ausrei-
chen, um den Überschuss an Zertifikaten zu reduzieren und ein wirksames Preis-
signal sicherzustellen. Hierzu bedarf es einer Erhöhung des Klimaziels der EU
auf 30 Prozent und einer dementsprechenden verstärkenden Wirkung des Emis-
sionshandels.

Den internationalen Waldschutz voranbringen und mit dem Schutz von indige-
nen Völkern und Menschenrechten verknüpfen

Die internationalen Klimaschutzziele sind neben der Reduktion von Treibhaus-

gasen auch durch aktiven Waldschutz durchsetzbar, denn ca. 17 Prozent der
weltweiten CO2-Emissionen entstehen durch die Entwaldung. Das Programm

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„Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation“ (REDD+) in
Developing Countries leistet einen wichtigen Beitrag für den Wald als Kohlen-
stoffsenke und -speicher. Allerdings wurde bisher nur beschlossen, finanzielle
Anreizstrukturen für einen effizienten Waldschutz zu entwickeln, ohne dabei
den Schutz der biologischen Vielfalt in Wäldern ausreichend zu berücksich-
tigen. Ferner müssen auch soziale Leitplanken (REDD+) noch immer rechtsver-
bindlich ausgestaltet werden. Dabei leben weltweit rund 1,6 Milliarden Men-
schen direkt und indirekt vom und im Wald. Die finanzielle Inwertsetzung des
Waldes durch REDD+ birgt ohne entsprechende soziale und ökologische Leit-
planken, sogenannte Safeguards, ernstzunehmende Gefahren insbesondere für
indigene Bevölkerungsgruppen und die biologische Vielfalt. Die Bundesregie-
rung ist gefordert, international für einen Waldschutz einzutreten, der die
Menschenrechte und Rechte indigener Völker wahrt und achtet und neben der
Klimarelevanz des Waldes auch seinen ökologischen Wert durch die reiche
Artenvielfalt und seine Schutzfunktion für die Böden und die Grund- und Ober-
flächengewässer anerkennt und schützt.

Bundesregierung hat Vorreiterfunktion im Klimaschutz aufgegeben

Deutschland ist nicht mehr Vorreiter im Klimaschutz. Es fehlen Maßnahmen,
um das nationale Klimaziel zu erreichen, es fehlen ein Klimaschutzgesetz für
verbindliche Ziele und ein stetiges Monitoring, es fehlt eine stringente Klima-
außenpolitik und es fehlt an Engagement auf EU-Ebene. Die Bundesregierung
treibt die Diskussion um ein höheres EU-Klimaziel nicht an, schweigt zur Wei-
terentwicklung des Emissionshandels, kann sich nicht einmal darauf einigen, in
Brüssel gegen den Import von besonders klimaschädlichen Kraftstoffen aus
Teersanden zu stimmen. Viele Mitgliedstaaten der EU warten auf ein deutliches
Signal aus Deutschland. Dieses Signal kommt jedoch nicht, da sich die zustän-
digen Bundesminister nicht einigen können und Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel nicht eingreift. Anstatt die zugesagte Finanzierung von Klimaschutz in
ärmeren Ländern aus frischem Geld zu bestreiten, wurden schon einmal ge-
gebene Zusagen von einer Tasche in die andere Tasche umgeschichtet. Dadurch
wurde die Glaubwürdigkeit Deutschlands beschädigt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– den Kampf gegen den Klimawandel wieder zum wichtigen Anliegen der
deutschen Politik zu machen. Hierzu gehören Maßnahmen auf nationaler
Ebene, um das Klimaziel von 40 Prozent zu erreichen, ein engagiertes und
abgestimmtes Eintreten für eine ambitionierte Klimapolitik der EU, eine Vor-
reiterrolle in der internationalen Klimapolitik und das Schließen von Allian-
zen, um das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen;

– sich für ein verbindliches Klimaregime unter dem Dach des Rahmenüberein-
kommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (United Nations
Framework Convention on Climate Change – UNFCCC) einzusetzen, das In-
dustrienationen und Schwellen- und Entwicklungsländer umfasst und bis
2015 verabschiedet wird. In Doha müssen Arbeitspläne und konkrete Mei-
lensteine für die Zeit bis 2015 vereinbart werden;

– die derzeitige internationale Verhandlungsblockade durch eine Klimapolitik
der unterschiedlichen Geschwindigkeiten (KluG) aufzulösen. Vorreiterstaaten
müssen sich zusammenschließen und mit einer ambitionierten Klimapolitik
vorangehen, ohne dies von Verweigerern, wie den USA, abhängig zu ma-
chen. Intensiver Technologietransfer und Kooperationen zwischen den Mit-
gliedern der Vorreiterallianz (z. B. EU gemeinsam mit wichtigen Schwellen-
und Entwicklungsländern) sollen innerhalb dieser Allianz u. a. zur zunehmen-

den Unabhängigkeit von Rohstoffimporten und zu regionaler Wertschöpfung
führen – verbunden mit der Schaffung neuer, sicherer Jobs. Eine erfolgreiche

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/11651

Vorreiterallianz soll andere Staaten motivieren, sich anzuschließen, um dann
ebenfalls im Gegenzug für ambitionierte Klimaziele vom Know-how der
Vorreiterallianz zu profitieren;

– sich bei anderen Industrieländern dafür einzusetzen, dass diese sich Treibhaus-
gasminderungsziele im Bereich von mindestens 25 bis 40 Prozent setzen, mit
denen insgesamt das Erreichen des 2-Grad-Zieles mit hoher Wahrscheinlich-
keit möglich wird, und hierbei auch die Schwellenländer nach einem diffe-
renzierten Verteilungsschlüssel mit in die Verantwortung zu nehmen;

– sich dafür einzusetzen, dass in Doha eine zweite Verpflichtungsperiode des
Kyoto-Protokolls beschlossen wird. Die Umweltintegrität des Kyoto-Proto-
kolls muss dabei vergrößert werden. Überschüssige Emissionsrechte aus der
ersten Verpflichtungsperiode dürfen nicht in eine zweite Periode übernom-
men werden, Schlupflöcher wie zum Beispiel Kohlenstoffsenken, insbeson-
dere aus der Forstwirtschaft, müssen geschlossen werden;

– sich dafür einzusetzen, dass die Finanzierung von Klimaschutz und von natio-
nalen Anpassungsstrategien und -maßnahmen an die Folgen des Klimawan-
dels in Entwicklungsländern ab dem Jahr 2013 gesichert ist und dabei insbe-
sondere auch privates Kapital in den Klimaschutz gelenkt wird. Es muss ge-
klärt werden, wie der Aufwuchspfad für die Klimafinanzierung für die Jahre
2013 bis 2020 gestaltet wird, welche Zwischenziele erreicht werden sollen
und wie für den Green Climate Fund eine solide und zuverlässige Finanzie-
rung garantiert werden wird;

– sich dafür einzusetzen, dass der internationale Waldschutz durch verlässliche
und langfristige Finanzierungszusagen gestärkt wird und dass REDD+ durch
öffentliche und nicht durch marktbasierte Finanzierungsinstrumente finan-
ziert wird, solange der Emissionshandel keine sehr guten Evaluierungs-
ergebnisse erzielt;

– sich außerdem dafür einzusetzen, dass der internationale Waldschutz mit dem
Schutz von indigenen Völkern und Menschenrechten verknüpft wird, da die
finanzielle Inwertsetzung des Waldes durch REDD+ ohne entsprechende so-
ziale und ökologische Leitplanken, sogenannte Safeguards, ernstzuneh-
mende Gefahren insbesondere für indigene Bevölkerungsgruppen und alle,
die im und vom Wald leben, sowie die biologische Vielfalt birgt;

– sich an der ecuadorianischen ITT-Initiative (ITT: Ishpingo-Tambococha-Tipu-
fini) zum Schutz des Yasuni-Nationalparkes zu beteiligen und entsprechend
finanzielle Mittel für den UN-Treuhandfonds bereitzustellen;

– sich dafür einzusetzen, dass die EU jetzt ihr Klimaziel ohne Vorbedingungen
auf minus 30 Prozent anhebt. Dies führt 1. zu einer Stabilisierung des CO2-
Preises im Emissionshandel, da bei einer Zielverschärfung entsprechend we-
niger Zertifikate zur Verfügung stehen. Dies ist 2. die Voraussetzung dafür,
dass Deutschland sein nationales Klimaziel (minus 40 Prozent bis 2020)
überhaupt schafft. Und schließlich ist die Erhöhung des Klimaziels für die
EU notwendig, um dem Anspruch eines Vorreiters gerecht zu werden und die
internationalen Verhandlungen voranzubringen;

– sich für weitere preisstabilisierende Maßnahmen im EU-Emissionshandel
stark zu machen, wie z. B. bei dem von der EU-Kommission bereits ange-
kündigten vorübergehenden Aussetzen von Versteigerungsterminen für Zer-
tifikate („backloading“), sowie die EU-Kommission konstruktiv bei ihren
Bemühungen zur Stabilisierung des CO2-Preises und bei strukturellen Maß-
nahmen im Bereich des Emissionshandels zu unterstützen;

– den klima- und energiepolitischen Dialog mit osteuropäischen Staaten zu

verstärken und für einen Übergang in eine CO2-arme Wirtschaft zu werben.
Mit diesen Staaten sollten die Vorteile einer emissionsfreien und auf erneuer-

Drucksache 17/11651 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
bare Energien bauenden Wirtschaft diskutiert werden und Angebote gemacht
werden, um diese bei der Transformation ihrer Energieversorgung hin zu den
erneuerbaren Energien und maximaler Energieeffizienz zu unterstützen. Nur
so können die EU-Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel Polen, die dem Klima-
schutz kritisch gegenüberstehen, zukünftig zu einem Verbündeten des Klima-
schutzes in der EU werden und langfristige Klimaschutzstrategien wie eine
Klima-Roadmap 2050 der EU verabschieden;

– ihre bisherige weitgehendende Tatenlosigkeit beim nationalen Klimaschutz
zu beenden und ein zur Erreichung des nationalen Klimaziels von minus
40 Prozent bis 2020 geeignetes Maßnahmenpaket zu verabschieden, das
Maßnahmen in den Sektoren Strom, Gebäude und Verkehr umfasst; dazu ge-
hören insbesondere die Steigerung der Energieeffizienz durch eine ehrgeizige
Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie, Energiesparverpflichtungen für
Energieversorger oder -verteiler im Rahmen der EU-Energieeffizienz-Richt-
linie, ein ausreichend ausgestatteter Energiespar- bzw. Energieeffizienz-
fonds, der dynamische Ausbau der erneuerbaren Energien auf einen Anteil
von über 45 Prozent an der Stromversorgung und über 25 Prozent an der
Wärmeversorgung, eine deutliche Beschleunigung und verbesserte Finanz-
ausstattung der energetischen Gebäudesanierung und die verstärkte Förde-
rung der energetischen Quartierssanierung analog zur Städtebauförderung,
der verstärkte Ausbau der Schiene und des öffentlichen Personennahver-
kehrs, ambitionierte CO2-Grenzwerte für Pkw und Nutzfahrzeuge für 2020
und darüber hinaus eine Förderstrategie zur Ausweitung des Radverkehrs;

– ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Der Klimaschutz muss als
treibende Kraft für die Energiewende rechtlich verankert werden. Dazu
braucht es ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen CO2-Reduktionszielen
von 40 Prozent bis 2020, 60 Prozent bis 2030 und 95 Prozent bis 2050 sowie
verbindliche Sektorziele u. a. für den Verkehrs-, Wärme- und Strombereich.
Die Fortschritte müssen durch ein jährliches Monitoring überprüft und die
Klimaschutzmaßnahmen bei Verfehlung der Ziele verstärkt werden;

– die unsichere Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen aus dem EKF zu be-
enden, das Sondervermögen aufzulösen, die Programme in den Bundeshaus-
halt zu integrieren und deren Finanzierung auf eine breitere Basis zu stellen
und ein solides und nachhaltiges Konzept zur Finanzierung von Energiewende
und Klimaschutz in Deutschland vorzulegen. Dazu müssen unter anderem
auch immer noch bestehende umweltschädliche Subventionen abgebaut wer-
den. Diese zusätzlichen Einnahmen beseitigen nicht nur auch bestehende
Fehlanreize, sondern leisten einen Beitrag zur Unterstützung der Finanzierung
der Energiewende;

– auch international ein entsprechendes Maßnahmenpaket zu schnüren, wel-
ches den Ausbau erneuerbarer Energien weltweit voranbringt, wobei insbe-
sondere der Kampf gegen Energiearmut im Zentrum stehen muss.

Berlin, den 27. November 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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