BT-Drucksache 17/11591

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87a)

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11591
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike
Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat,
Thomas Nord, Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87a)

A. Problem

Im Zuge der 1968 in Kraft getretenen Notstandsgesetze wurden der Bundes-
regierung durch die Einfügung des Artikels 87a in das Grundgesetz (GG) weit-
reichende Vollmachten für den Einsatz der Streitkräfte im Inneren gegeben. Un-
ter anderem dürfen gemäß Artikel 87a Absatz 4 GG Streitkräfte „Zur Abwehr ei-
ner drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische
Grundordnung des Bundes oder eines Landes“ eingesetzt werden. Sie dürfen
„bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“
eingesetzt werden. Gleichzeitig wurde mit Artikel 35 GG Absatz 2 und 3 dem
Bundesgrenzschutz die Möglichkeit eingeräumt, auch bei Naturkatastrophen
und bei einem besonders schweren Unglücksfall im Inland eingesetzt zu werden,
ohne explizit die Art und Weise des Einsatzes zu spezifizieren. Während das
Bundesverfassungsgericht zuletzt in seinem Urteil von 2006 den Einsatz von mi-
litärischen Kampfmitteln im Inneren nicht vom Grundgesetz gedeckt sah, hat das
Gesamtplenum des Gerichts mit seiner Entscheidung vom Juli 2012 aus Arti-
kel 35 Absatz 2 und 3 i. V. m. Artikel 87a GG doch Anhaltspunkte für die Mög-
lichkeit der Verwendung militärischer Waffen abgeleitet. Zudem hat sich in der
Regierungspraxis gezeigt, dass auch bei Artikel 35 Absatz 1 GG (Rechts-, Amts-
und Katastrophenhilfe) als Legitimation zum Einsatz militärischen Geräts bei
Demonstrationen und anderen Großereignissen herangezogen wird, wie bei-
spielsweise beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Damit ist deutlich gewor-
den, dass der Grundgesetzgeber hier Klarheit schaffen muss. Es ist zu gewähr-
leisten, dass innere und äußere Sicherheit weiter klar getrennte Bereiche bleiben
und die Menschen in Deutschland sich darauf verlassen können, dass die Waffen
der Bundeswehr nicht auf sie gerichtet werden.

B. Lösung
Ziel ist es, durch die Aufhebung von Artikel 87a Absatz 4 des Grundgesetzes
sicherzustellen, dass es keinen bewaffneten Einsatz von Streitkräften in Deutsch-
land gegen die eigenen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger geben wird. Durch
die Präzisierungen in Artikel 35 GG, dass im Rahmen der Amtshilfe keine be-
waffneten Soldatinnen und Soldaten sowie militärischen Kampfmittel einge-
setzt werden dürfen, wird die bestehende Unklarheit für den Katastrophen-
schutz und bei Unglücksfällen beseitigt.

Drucksache 17/11591 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine.

D. Kosten

Bund, Länder und Kommunen werden durch die Novellierung nicht mit Kosten
belastet.

Berlin, den 20. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11591

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87a)

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Absatz 2 des
Grundgesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1,
veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Arti-
kel 1 des Gesetzes vom 11. Juli 2012 (BGBl. I S. 1478) ge-
ändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In Artikel 9 Absatz 3 Satz 3 werden die Wörter „ , Arti-
kel 87a Abs. 4“ gestrichen.

2. Artikel 35 wird wie folgt geändert:

a) Dem Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Die Amtshilfe durch die Bundeswehr erfolgt durch
unbewaffnete Einheiten.“

b) Absatz 2 Satz 2 wird wie folgt gefasst:

„Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem
besonders schweren Unglücksfall kann ein Land

Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtun-
gen anderer Verwaltungen und des Bundesgrenz-
schutzes sowie unbewaffnete Einheiten der Streit-
kräfte anfordern.“

c) Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

„Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücks-
fall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die
Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämp-
fung erforderlich ist, den Landesregierungen die Wei-
sung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Ver-
fügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenz-
schutzes und unbewaffnete Einheiten der Streitkräfte
zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen.“

3. Artikel 87a Absatz 4 wird aufgehoben.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

derer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der schließt. Damit ist offensichtlich geworden, dass der Grund-

Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall
das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregie-

gesetzgeber hier rechtliche Klarheit und Eindeutigkeit schaf-
fen muss, die sich an drei wesentlichen Feststellungen orien-
tiert:
Drucksache 17/11591 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Am 22. Mai 1956 trat die im Deutschen Bundestag mit gro-
ßer Mehrheit beschlossene Wehrverfassung in Kraft. Durch
die Ergänzung des Grundgesetzes durch Artikel 87a wurde
festgelegt, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf-
stellt. Die gegen breite gesellschaftliche Proteste durch-
gesetzte Wiederbewaffnung Deutschlands wurde mit der
Notwendigkeit eines militärischen Beitrages zur NATO und
der Verteidigung gegen einen möglichen Angriff durch den
Warschauer Pakt begründet. Der Einsatz der Bundeswehr im
Inneren gegen eigene Staatsbürger stand angesichts der Er-
fahrungen aus der Weimarer Republik und der national-
sozialistischen Diktatur nicht zur Debatte.

Andauernde gesellschaftliche Proteste gegen Missstände in
Politik und Wirtschaft sowie die fehlende Bereitschaft der
Bundesregierung konstruktiv darauf zu reagieren und diese
Missstände zu korrigieren, stärkten in den beiden Regie-
rungsparteien der CDU und SPD diejenigen, die per Grund-
gesetzänderung weitreichende Vollmachten für den Einsatz
von Sicherheitskräften bei Unruhen haben wollten. 1968
wurden die sogenannten Notstandsgesetze verabschiedet,
die neben der Einschränkung von Grundrechten (Briefge-
heimnis, Fernmeldegeheimnis und Freizügigkeit) auch den
bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren erlaubten.
Art. 87a Absatz 4 GG bestimmt:

„Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder
die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes
oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die
Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die
´Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausrei-
chen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bun-
desgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei
der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter
Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist
einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es ver-
langen.“

Außerdem wurde Artikel 35 eingefügt, der der Bundeswehr
im Rahmen der Amtshilfe ein weiteres breites Aufgabenfeld
für den Einsatz im Inneren eröffnete:

„(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich
gegenseitig Rechts- und Amtshilfe.

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öf-
fentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen
von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des
Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei an-
fordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Auf-
gabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfül-
len könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei
einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land
Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen an-

anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten
des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstüt-
zung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundes-
regierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bun-
desrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Ge-
fahr aufzuheben.“

Einschränkend wurde in Art. 9 Absatz 3 GG lediglich fest-
gehalten:

„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für je-
dermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die die-
ses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nich-
tig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maß-
nahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a
Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe
richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des
Satzes 1 geführt werden.“

Damit blieb ein breites Spektrum möglicher bewaffneter
Einsatzoptionen für die Bundeswehr. Vor allem durch die
nach den terroristischen Anschlägen auf das World Trade
Center am 11. September 2001 einsetzende Vermischung
von Terrorismus und Krieg in den sicherheitspolitischen und
verteidigungspolitischen Konzeptionen der NATO-Staaten
veränderte sich die politische und militärische Interpretation
der Grundgesetzartikel 35 und 87a. Terroristische Aktivitä-
ten im Inland wurden in die Nähe von „Unglücksfällen“ ge-
rückt, Großereignisse wie der G8-Gipfel in Heiligendamm,
wie die privatwirtschaftliche Veranstaltung der Fußball-WM
2006 oder der Papstbesuch wurden zu potentiellen terroristi-
schen Anschlagszielen erklärt, um einen Einsatz der Bundes-
wehr zu ermöglichen. Die Bundeswehr selber reagiert auf
diesen Bedeutungswandel, auf die zunehmende konzep-
tionelle Vermischung von Innerer und Äußerer Sicherheit,
indem zum einen die Kooperation mit zivilen Trägern der
Gefahren-, Terrorismus- und Katastrophenabwehr inten-
siviert wird und zum anderen weitere Kapazitäten für den
bewaffneten Einsatz im Inneren aufgestellt werden, wie sich
in der Aufstellung der neuen Regionalen Sicherheits- und
Unterstützungskräfte zeigt.

Die für eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit solcher Ein-
sätze maßgeblichen Grundgesetzartikel 35 und 87a genügen
in ihrer jetzigen Formulierung nicht mehr den Ansprüchen
einer modernen Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht
hat in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz 2006 klarge-
stellt, dass der Einsatz von militärischen Kampfmitteln im
Inland unter keinen Umständen erlaubt ist. Gleichzeitig hat
das Bundesverfassungsgericht mit einem Plenarbeschluss im
Juli 2012 eingeschränkt, dass Artikel 35 GG nicht kate-
gorisch den Einsatz von militärischen Kampfmitteln aus-
rung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist,
den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte

• Der Kalte Krieg ist vorbei und die Gefahr einer Unter-
wanderung der deutschen Gesellschaft durch einen ande-

Deutscher Bundestag – 17. rucksache 17/11591
Wahlperiode – 5 – D

ren Staat oder ein anderes Staatenbündnis bzw. das
fremdgesteuerte Schüren von Aufständen besteht nicht.

• Die Bekämpfung des Terrorismus in Deutschland ist
eine polizeiliche Aufgabe.

• Der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr gegen deutsche
Staatsbürger wäre ein Rückschritt in die dunklen Zeiten
der deutschen Geschichte.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Die Grundgesetzesänderung soll rechtliche Klarheit schaffen
und gewährleisten, dass in Deutschland keine Streitkräfte ge-
gen deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eingesetzt
werden können.

Zu Artikel 2

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

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