BT-Drucksache 17/1145

Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen - Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen

Vom 23. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1145
17. Wahlperiode 23. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun Dittrich, Diana
Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Stabilisierung des Rentenniveaus: Riester-Faktor streichen –
Keine nachholenden Rentendämpfungen vornehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die rot-grüne Bundesregierung hat die langfristige Absenkung des Renten-
niveaus beschlossen und zu diesem Zwecke so genannte Dämpfungsfaktoren in
die Rentenformel eingeführt. Seitdem hat es – abgesehen von den zwei Jahren,
in denen der Anstieg des Altersvorsorgefaktors (Riester-Faktor) ausgesetzt war –
Nullrunden oder allenfalls minimale Erhöhungen der Renten gegeben. Die
Dämpfungsfaktoren führen dazu, dass das Rentenniveau bis 2030 um ein Viertel
sinken wird. Eine Rente von ehedem 1 000 Euro wird dann nur noch 750 Euro
Wert haben.

Aufgrund der Schutzklausel nach § 68a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB VI) ist zwar ausgeschlossen, dass die Renten durch die Dämpfungen no-
minal sinken. 2009 wurde die Schutzklausel erweitert, um auch bei negativer
Lohnentwicklung ein Absinken der Renten zu verhindern (Rentengarantie). Beide
greifen in diesem Jahr und verhindern, dass die Renten um 2,1 Prozent im Westen
und 0,54 Prozent im Osten verringert werden müssen.

Ein Absenken der Renten in der Krise zu verhindern war richtig, da sonst die
Kaufkraft und damit die Binnennachfrage weiter geschwächt worden wären.
Real bedeutet aber auch eine Nullrunde einen Wertverlust der Renten. Die Rent-
nerinnen und Rentner hatten aufgrund der durch die Dämpfungsfaktoren verur-
sachten Nullrunden und Minianpassungen seit 2004 insgesamt bereits einen
Kaufkraftverlust von über zehn Prozent zu verkraften.

Unterbliebene Dämpfungen führen außerdem dazu, dass eine Art Minuskonto
aufgebaut wird, das in den Folgejahren immer dann abgebaut werden muss, wenn
die Rente eigentlich erhöht werden könnte. Auch die in diesem Jahr wirksame
Rentengarantie muss von den Rentnerinnen und Rentnern durch künftig gerin-
gere Anpassungen zurückgezahlt werden. Bis mindestens 2016 wird es deshalb

keine nennenswerten Rentenerhöhungen geben (vgl. Gutachten des Sozialbei-
rats zum Rentenversicherungsbericht 2009, Bundestagsdrucksache 17/52, S. 73,
Rn. 18). Die Kaufkraft der Renten und das Rentenniveau werden dadurch weiter
erheblich sinken.

Wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, werden in Zukunft selbst langjährig Ver-
sicherte nur noch schwerlich auf eine Rente oberhalb des Niveaus der Grund-
sicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kommen, wenn sie nicht über-

Drucksache 17/1145 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

durchschnittlich verdienen. Infolgedessen wird sich Altersarmut ausbreiten und
das öffentliche Pflichtversicherungssystem wird an Akzeptanz verlieren.

Dem muss dringend entgegen gesteuert werden. Das Rentenniveau muss stabi-
lisiert werden. Langjährig Versicherte müssen auch in Zukunft Renten aus der
gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, die deutlich oberhalb der Grund-
sicherung liegen. Die Kaufkraft der Bestandsrenten darf nicht weiter sinken. Die
einseitige Orientierung der Rentenpolitik auf die Deckelung des Beitragssatzes
zur gesetzlichen Rentenversicherung muss zugunsten einer Orientierung am
Leistungsniveau aufgegeben werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. den Altersvorsorgefaktor (Riester-Faktor) aus der Rentenanpassungsformel
zu streichen,

2. keine nachholenden Dämpfungen der Rentenanpassungen vorzunehmen und

3. die Ziele der Beitragssatzdeckelung aus dem SGB VI zu streichen.

Berlin, den 23. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Der Riester-Faktor dämpft den Rentenanstieg jährlich um 0,64 Prozent. Durch
die Schutzklausel nach § 68a SGB VI ist zwar ausgeschlossen, dass die Renten
aufgrund der Dämpfungen nominal sinken. Seit 2009 ist eine nominale Senkung
der Renten auch bei einer negativen Lohnentwicklung ausgeschlossen (Renten-
garantie). Sie greift in diesem Jahr. Die so genannte modifizierte Schutzklausel
(Nachholfaktor) sieht jedoch vor, dass die nicht erfolgten Dämpfungen bzw.
Minderungen in den Folgejahren nachgeholt werden, indem eine eventuelle
positive Rentenanpassung um die Hälfte gemindert wird.

Der Ausgleichsbedarf, der in den alten Ländern bis dato 1,75 Prozent betrug,
steigt durch die in 2010 unterbleibende Rentenminderung auf 3,81 Prozent, im
Osten von 1,30 auf 1,80 Prozent (vgl. sopoaktuell Nr. 91 vom 17. März 2010).
Die „Rentengarantie“ ist dabei nur zum Teil für den Anstieg des Ausgleichs-
bedarfs verantwortlich. In der Konsequenz wird es bis mindestens 2016 kaum
Rentenerhöhungen geben (vgl. Rentenversicherungsbericht 2009, Bundestags-
drucksache 17/52, S. 73, Rn. 18), was zu einem weiteren Kaufkraftverlust der
Renten führen wird. Auch die Absenkung des Rentenniveaus wird ungebremst
fortschreiten.

Wird die drastische Absenkung des Rentenniveaus wieder aufgenommen und
fortgeführt, wird dies dazu führen, dass in Zukunft selbst langjährig Versicherte
nur noch schwerlich auf eine Rente oberhalb des Niveaus der Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung kommen, wenn sie nicht überdurchschnitt-
lich verdienen. Sind heute für einen Durchschnittsverdienenden etwa 28 Bei-
tragsjahre nötig, um auf eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu
kommen, werden es 2030 34 Jahre sein. Ein Beschäftigter im Niedriglohnsektor
braucht dafür heute 37 Jahre, 2030 werden es 45 Jahre sein (vgl. Steffen, Johan-
nes 2008: Info-Grafik Sozialpolitik „Rürups Sockelrente“, Bremen).
Die Kompensation der Niveauabsenkung der gesetzlichen Rente durch private
und betriebliche Vorsorge wird für viele Versicherte nicht möglich sein, weil sie

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1145

nicht zusätzlich vorsorgen bzw. vorsorgen können. Derzeit haben nur gut
37 Prozent der Förderberechtigten einen Riester-Vertrag abgeschlossen (vgl.
Hagen, Cornelia/Reisch, Lucia A. 2010: Riesterrente: Politik ohne Marktbeob-
achtung, in: DIW-Wochenbericht Nr. 8/2010). Der Anteil der Geringverdienen-
den unter den Geförderten liegt deutlich unter ihrem Anteil an der Gesamt-
bevölkerung (Geyer, Johannes/Steiner, Victor 2009: Zahl der Riester-Renten
steigt sprunghaft – aber Geringverdienende halten sich noch zurück, in: DIW-
Wochenbericht Nr. 32/2009). Auch steht zu befürchten, dass die zusätzlich ge-
troffene Altersvorsorge aufgrund ihrer Ineffizienz und Krisenanfälligkeit nicht
den gewünschten Kompensationseffekt bringen wird. Viele langjährig Versi-
cherte werden dann im Alter in Armut leben. Damit steht auch die Akzeptanz
des gesetzlichen Pflichtversicherungssystems auf dem Spiel.

Der Verzicht auf den Riester-Faktor und den Nachholfaktor ist geeignet, das
Rentenniveau zu stabilisieren und den Akzeptanzverlust des gesetzlichen Ren-
tensystems gerade auch bei Jüngeren zu verhindern. Er impliziert aber auch den
Verzicht auf die Deckelung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung. Diese hat ohnehin nur zu einer Entlastung der Arbeitgeber geführt. Die
Versicherten sind durch die ihnen abverlangte zusätzliche private und betrieb-
liche Altersvorsorge weit stärker belastet als sie es bei einer paritätischen Finan-
zierung guter Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wären.

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