BT-Drucksache 17/11007

Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstellen

Vom 16. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11007
17. Wahlperiode 16. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Jan Korte, Herbert Behrens, Nicole
Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens
Petermann, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der
Fraktion DIE LINKE.

Finanzierung zur Bewahrung des deutschen Filmerbes endlich sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Thema Sicherung des deutschen Filmerbes ist erfreulicherweise erneut
Gegenstand im parlamentarischen Verfahren des Deutschen Bundestages. Be-
sonderen Anlass zur Freude gibt, dass unter allen Fraktionen Einigkeit darüber
besteht, dass es sich hier um eine kulturelle Aufgabe von grundlegender Bedeu-
tung handelt.

Aufgrund bislang unzureichender digitaler Speicherverfahren ist davon auszu-
gehen, dass eine Langzeitarchivierung des Filmbestandes in annehmbarer Qua-
lität bis auf weiteres analog erfolgen muss. Ferner sollte im Bemühen um den
Erhalt und die Sicherung des Filmerbes ein starkes Augenmerk auch auf Mag-
netbandaufzeichnungen gelegt werden: Ein Großteil der politischen und gesell-
schaftlichen Prozesse – dazu zählt auch die Videokunst – wurde auf Ton- und
Videobändern aufgezeichnet, die einem dramatisch schnelleren Alterungs- und
Verfallsprozess unterworfen sind, als das Medium Film. Magnetbandaufzeich-
nungen sind daher in die Sicherung des audiovisuellen Erbes einzubeziehen.

Weiterhin ungeklärt ist bedauerlicherweise, welche Kosten eine Langzeitkon-
servierung bestehender Archivbestände insgesamt verursachen würde und wer
die finanziellen Mittel dazu aufbringen sollte. Ein Blick auf die große Zahl zu
konservierender Bestände im Einklang mit entsprechenden Kalkulationen betei-
ligter Institutionen zeigt, dass hier ein Finanzbedarf von 90 Mio. Euro und mehr
gegeben ist.

Inzwischen gibt es erneut von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages An-
träge zur Digitalisierung des Filmerbes. Damit wiederholt sich das für die Dring-
lichkeit des Gegenstandes ziemlich unwürdige Schauspiel aus der 16. Wahl-
periode, wonach die Fraktionen CDU/CSU, FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zwar in jeweils eigenen Anträgen Handlungsbedarf sehen, daraus

aber keinerlei finanzielle Konsequenzen zu ziehen gewillt sind. Der Rückbe-
zug auf die Umsetzung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Antrags „Das deutsche Filmerbe
sichern“ (Bundestagsdrucksache 16/8504), der ja davon ausging, dass die Be-
wahrung des nationalen Filmerbes „ohne zusätzliche Belastungen der öffentlichen
Haushalte zu realisieren“ sei, zeugt davon. Dieser Vorstellung wird nach wie vor
von namhaften Experten – so auch im öffentlichen Expertengespräch des Aus-

Drucksache 17/11007 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schusses für Kultur und Medien zum Thema „Filmerbe – Archivierung und Di-
gitalisierung“ am 9. November 2011 – widersprochen. Die Verwaltungsgremien
der großen deutschen Filmstiftungen äußerten sich auch bei anderer Gelegenheit
immer wieder ähnlich.

Angesichts der notwendigen enormen Finanzmittel bedarf es gemeinsamer An-
strengungen von Filmwirtschaft, öffentlicher Hand sowie der Kinobesucherin-
nen und Kinobesucher. Die Filmproduzentinnen und -produzenten sollen dazu
in Form einer Pflichtabgabe für alle neuproduzierten Filme eingebunden werden
und somit wesentlich zur Bewahrung des zukünftigen Bestandes beitragen. Bei-
träge zur Restaurierung und Archivierung der vorhandenen Bestände sollen zu
gleichen Teilen die öffentliche Hand, die Film- und filmtreibende Werbewirt-
schaft sowie die Kinobesucherinnen und Kinobesucher leisten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, um

1. im Bundesarchivgesetz eine Regelung für eine Pflichtabgabe zur Einlage-
rung öffentlich aufgeführter Filme (Werbe-, Kultur-, Dokumentar-, Anima-
tions-, Kurz- und Spielfilme) im Bundesarchiv-Filmarchiv zu schaffen, die

a) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von mehr als 1 Mio. Euro
in Form eines Separation Masters,

b) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von bis zu 1 Mio. Euro
zunächst in Form einer Positivkopie und fünf Jahre nach Auswertungsbe-
ginn in Form des Originalnegativs,

c) für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von unter 100 000 Euro
in Form einer Anerkenntnis zur Archivierungspflicht und fünf Jahre nach
Fertigstellung des Films durch Hinterlegung des Originalnegativs zu leis-
ten ist;

2. im Filmförderungsgesetz (FFG) Regelungen zur Bewahrung des Filmerbes
aufzunehmen und sicherzustellen, dass dazu

a) aus dem Bundeshaushalt jährlich Mittel in Höhe von 6 Mio. Euro bereit-
gestellt werden;

b) Beiträge in Höhe von jährlich 6 Mio. Euro aus einer Abgabe der Filmwirt-
schaft und filmtreibenden Werbewirtschaft bereitgestellt werden;

c) auf jede Kinokarte eine zweckgebundene Abgabe in Höhe von 5 Cent er-
hoben wird;

d) vor Ablauf der Fünfjahresfrist des FFG eine Überprüfung erfolgt, ob diese
Regelungen im Folgezeitraum nach § 75 Absatz 1 FFG fortzuführen sind.

Berlin, den 16. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Bislang liegen keine genauen Zahlen über die Archivbestände insgesamt vor.
Nach einer Befragung von entsprechenden Institutionen ergibt sich das folgende

Bild:

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11007

Bundesarchiv-
Filmarchiv 148 000 Filmkopien

Stiftung Deutsche Kine-
In die Liste nicht aufgenommen wurden Bestandszahlen aus Landesarchiven
und Bildstellen. Beispielsweise besitzt das Bayerische Hauptstaatsarchiv Archi-
valien in Filmform mit 150 000 Einheiten, das Landesarchiv Berlin Bestände im
Umfang von 3 300 000 Filmmetern (627 laufende Meter), das Medienzentrum
des Landesverbandes Westfalen-Lippe für Westfalen 3 000 Filme und Filmteile,
das Sächsische Staatsarchiv 9 558 Lauffilme und das Landesarchiv Schleswig-
Holstein 350 Filme.

Die Angaben zum Umfang der Bestände sagen allerdings nicht unmittelbar et-
was aus über den Erhaltungszustand des Materials, den Umfang von Material zu
gleichen Titeln, das Vorhandensein von Material zum gleichen Titel in mehreren
Archiven sowie den bereits auf Film langfristig gesicherten Anteil an Altbestän-
den. Sie können deshalb nicht zur Grundlage von Hochrechnungen für die Kos-
ten der Langzeitarchivierung insgesamt benutzt werden. Auch sind entspre-
chende Restaurierungs- und Umkopierkosten abhängig vom Material (Nitro-
cellulose, Triacetat, Polyester) und Format (vorwiegend 35 mm und 16 mm),
wobei die Bearbeitung von seltenen Formaten (70 mm, 9,5 mm u. a.) in den
meisten Fällen in Deutschland nicht mehr möglich ist. Die Kostenbreite pro
Film reicht daher von 2 500 Euro zur archivarischen Sicherung einer kurzen
35- mm-Schwarz-Weiß-Produktion über 25 000 bis 40 000 Euro für abendfül-
lende Farbproduktionen bis hin zu aufwendigen fotochemischen und digitalen

mathek (SDK) 13 000 Filmkopien

Deutsches Filminstitut e. V.
(DIF) 14 000 Filmkopien

Friedrich-Wilhelm-Murnau-
Stiftung 6 000 Filmkopien

DEFA-Stiftung 9 0001 Videokassetten

IWF Wissen und
Medien gGmbH i. L. 30 0002 Filmkopien 9 6002 Videokopien

CHRONOS-MEDIA GmbH 10 000 Filmrollen

Deutsches Filmmuseum,
Frankfurt am Main 7 000 Filmkopien

Filmmuseum Düsseldorf 5 000 Filmkopien

Filmmuseum München 5 000 Filmkopien

Filmmuseum Potsdam 2 0003 Filmkopien

HAUS DES
DOKUMENTARFILMS
Europäisches Medienforum
Stuttgart e. V. 11 000 Filmkopien

Stiftung Deutsches Rund-
funkarchiv (DRA) 100 000 Videokopien

251 000 Filmkopien 118 600 Videokopien.

1 Nur Bestände aus dem Archiv bei der DEFA-Stiftung. Dazu zählen das Zeitzeugen-Archiv Thomas
Grimm bei der DEFA-Stiftung, das Cintec-Archiv, der Filmbestand des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten der DDR, zudem im Auftrag der Stiftung produzierte Interviews mit Künstlerinnen
und Künst lern der DEFA. Nicht mitgezählt sind 12 000 Titel des DEFA-Filmstocks im Eigentum des

Bundesarchivs.

2 Jeweils ohne Vertriebskopien.
3 Inklusive Videokopien.

Drucksache 17/11007 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Restaurierungsarbeiten mit Ausbelichtung eines Bildnegativs im sechsstelligen
Bereich (z. B. „Metropolis“, 1927, ca. 120 Minuten, 166 000 Euro; „Die Nibe-
lungen“, 1924, ca. 300 Minuten, 365 000 Euro).

Dass zur Bewahrung des deutschen Filmerbes ein anzunehmender Finanzbedarf
von 90 Mio. Euro und mehr realistisch ist, zeigen jedoch Aussagen von entspre-
chenden Institutionen. Das Bundesarchiv-Filmarchiv beispielsweise veranschlagt
die Kosten für die Restaurierung und Umkopierung von allein 68 000 Cellulose-
nitratfilmen in seinem Bestand auf über 50 Mio. Euro. Die CHRONOS-MEDIA
GmbH benennt für die Umkopierung ihres Filmbestands im Umfang von
10 000 Filmrollen Kosten in Höhe von mehr als 5 Mio. Euro, die sich durch
Berücksichtigung von Skaleneffekten durch Umkopierung in großer Zahl auf
ca. die Hälfte reduzieren ließen. Die Stiftung Deutsche Kinemathek geht davon
aus, jährlich mindestens etwa 3 Mio. Euro für die Digitalisierung aufwenden zu
müssen (Stand: Ende 2011).

Das Bundesarchiv-Filmarchiv kalkuliert ferner die zusätzlichen Kosten (Sach-
kosten für die Archivierung inkl. Lagerung, Kosten für die Einrichtung einer Re-
gistrierungsdatenbank und Personalkosten) für eine umfängliche Pflichtarchi-
vierung mit ca. 1 Mio. Euro. Für eine im Anschluss erfolgende flächendeckende
Nutzbarmachung des deutschen Filmerbes mit öffentlichen Mitteln werden wei-
tere 16 Mio. Euro veranschlagt.

Auf der Einnahmeseite erbringt die Finanzierung zur Bewahrung des deutschen
Filmerbes im Fünfjahreszeitraum des FFG 90 Mio. Euro: 30 Mio. Euro durch
einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt von jährlich 6 Mio. Euro; 30 Mio. Euro
durch eine Abgabe der Film- und filmtreibenden Werbewirtschaft in Höhe von
jährlich 6 Mio. Euro; 30 Mio. Euro durch eine zweckgebundene Abgabe für jede
Kinokarte in Höhe von 5 Cent jährlich bei anzunehmenden Einnahmen von 6 Mio.
Euro (berechnet nach Angaben der FFA Filmförderungsanstalt und auf Basis
von 129,6 Millionen Kinobesucherinnen und Kinobesucher im Jahre 2011
(www.ffa.
de/downloads/marktdaten/1_Fuenf_Jahre_Blick/06bis11_jahresabschluss.pdf).

Für neuproduzierte Filme mit Produktionskosten von mehr als 1 Mio. Euro ent-
stünden den Filmproduzenten Kosten in Höhe von 50 000 Euro für die Pflicht-
abgabe in Form eines Separation Masters. Dieses Format entspricht den Emp-
fehlungen des Wissenschafts- und Technologierats der Academy of Motion
Pictures Arts and Sciences (AMPAS) in Los Angeles. Für neuproduzierte Filme
mit Produktionskosten zwischen 100 000 Euro bis 1 Mio. Euro entstünden le-
diglich Kosten für eine Positivkopie in Höhe von 4 000 bis 6 000 Euro. Für die
Abgabe der ohnehin zu produzierenden Negativkopie fünf Jahre nach Auswer-
tungsbeginn würden keine weiteren Kosten anfallen. (Diese Angaben beziehen
sich auf Filme in Spielfilmlänge.)

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