BT-Drucksache 17/11006

Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren und im digitalen Zeitalter zugänglich machen

Vom 16. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11006
17. Wahlperiode 16. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Johannes Selle, Dorothee Bär,
Dr. Reinhard Brandl, Gitta Connemann, Michael Frieser, Reinhard Grindel,
Michael Grosse-Brömer, Monika Grütters, Ansgar Heveling, Michael Kretschmer,
Dr. Günter Krings, Maria Michalk, Stefan Müller (Erlangen), Beatrix Philipp,
Christoph Poland, Erika Steinbach, Thomas Strobl (Heilbronn),
Marco Wanderwitz, Dagmar G. Wöhrl, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Claudia Winterstein, Burkhardt Müller-Sönksen,
Reiner Deutschmann, Sebastian Blumenthal, Patrick Kurth (Kyffhäuser), Helga
Daub, Lars Lindemann, Jimmy Schulz, Rainer Brüderle und der Fraktion der FDP

Das Filmerbe stärken, die Kulturschätze für die Nachwelt bewahren und im
digitalen Zeitalter zugänglich machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat die Filmgeschichte ein umfangreiches
Werk geschaffen, das ein Spiegelbild der zeitgeschichtlichen ästhetischen,
sozialen sowie ökonomischen Entwicklungen darstellt. Die Erhaltung des
nationalen Filmerbes ist daher eine Aufgabe von gesamtgesellschaftlichem
Interesse. Deutschland reagiert darauf mit der öffentlichen Finanzierung der im
Kinematheksverbund zusammengeschlossenen Hauptmitglieder – Bundesarchiv/
Filmarchiv, Stiftung Deutsche Kinemathek und Deutsches Filminstitut – DIF e. V.
Durch die fortschreitende Digitalisierung verändert sich die Medienlandschaft
in einer Art und Weise, die auch die Erhaltung des Filmerbes vor neue Heraus-
forderungen stellt. Ziele sind die dauerhafte Sicherung und öffentliche Zugäng-
lichmachung des Filmerbes.

Die bisherigen Maßnahmen zu einer umfassenden Sicherung des filmischen Er-
bes Deutschlands reichen angesichts der sich rasant verändernden Situation
nicht mehr aus. Mit der im Jahr 2004 eingeführten Pflichthinterlegung für
öffentlich geförderte Kinofilme wurde eine Basis geschaffen, um die Erhaltung
des Filmerbes zu verbessern. Nach geschätzten Angaben des Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) aus dem Jahr 2009 betrifft die
Pflichthinterlegung bisher 80 bis 90 Prozent der jährlich in Deutschland produ-

zierten Kinofilme. Die Erfahrung aus der bisherigen Hinterlegungspraxis hat
allerdings gezeigt, dass durch die unterschiedlichen Abgabepraxen der Länder-
förderer, voneinander abweichende technische Prüfungsvorgänge sowie eine
unterschiedliche statistische Erfassung der Belegkopien eine stärkere Verein-
heitlichung der Sicherungs- und Erfassungsmethoden erfolgen sollte. Im der-
zeitigen, dezentralen Verfahren wird eine ungeklärte Anzahl deutscher Filme,
die für eine Archivierung in Frage kommen, nicht berücksichtigt.

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Wir begrüßen eine im Bundesarchivgesetz zu verankernde Pflichtregistrierung.
Diese schafft die Voraussetzung für eine spätere Entscheidung über eine mög-
liche allgemeine Pflichthinterlegung. Mit ihrer Einführung sollen Produzenten
künftig verpflichtet werden, Angaben zu ihren aktuellen Filmen an das Bundes-
archiv zu übermitteln. In Vorbereitung darauf hat der Deutsche Bundestag dem
Bundesarchiv/Filmarchiv 350 000 Euro für das Haushaltsjahr 2012 für „Maß-
nahmen zum Erhalt des Filmerbes“ bewilligt.

Durch die Einführung einer Pflichtregistrierung würden alle neu produzierten
deutschen Kinofilme erfasst. Momentan gelten zahlreiche Filmwerke als für
immer verloren und einige Filmepochen weisen nach Auskunft der Archive
deutliche Bestandslücken auf. Die Pflichtregistrierung ist daher ein Instrument,
um solche Bestandslücken im Filmerbe in der Zukunft zu verhindern.

Perspektivisch sollte im Anschluss die Einführung einer allgemeinen Pflicht-
hinterlegung aller deutschen Filme geprüft werden. Da für diese bisher nur
Schätzungen über die Anzahl der in Deutschland produzierten Filme vorliegen,
könnte die zunächst einzuführende Pflichtregistrierung Auskunft über das jähr-
liche Produktionsvolumen geben, um eine verlässliche Berechnung der Kosten
einer später ggf. einzuführenden allgemeinen Pflichthinterlegung aller deut-
schen Filme zu ermöglichen.

Allerdings garantiert die Pflichthinterlegung einer Filmkopie nicht per se die
dauerhafte Sicherung eines Filmwerkes. Vielmehr bedarf es für die archivali-
sche Sicherung eines Filmwerkes idealerweise des Zugriffes auf Ausgangsma-
terial (z. B. das Originalnegativ). Auf einer freiwilligen Grundlage wäre über
die Pflichthinterlegung hinaus eine Hinterlegung von unbenutztem Ausgangs-
material wünschenswert.

Derzeit liegen sowohl beim Deutschen Filminstitut als auch bei der Stiftung
Deutsche Kinemathek, dem Bundesarchiv/Filmarchiv sowie einigen weiteren
Einrichtungen Kopien und Materialien von Filmwerken vor. Zur Sicherung des
Filmerbes wäre ein zentrales Verzeichnis von Vorteil, das über den jeweiligen
Standort, das Format und den physischen Zustand eines neuen oder älteren
deutschen Films Auskunft gibt.

Die im Kinematheksverbund zusammengeschlossenen Einrichtungen streben
für diese Aufgabe zunächst eine bisher noch nicht existierende Bestandsauf-
nahme noch vorhandener deutscher Filme an. Seit 2005 ist über die zentrale In-
ternetplattform www.filmportal.de des Deutschen Filminstituts die deutsche
Filmografie online verfügbar, d. h. die systematisch erfassten Daten aller deut-
schen Kinoproduktionen von 1895 bis heute. Die durch das Filmportal fortlau-
fend ergänzte und recherchierbare deutsche Filmografie stellt die datentechni-
sche Basis dar, um zukünftig – neben den filmwissenschaftlichen Daten – auch
die dezentral durch die jeweiligen Archive zu erfassenden Angaben zu den tat-
sächlich noch vorhandenen Beständen zentral vorzuhalten. Mit dem jüngst er-
folgten Ausbau der technischen Infrastruktur von filmportal.de, der durch die
Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung gefördert wurde,
ist der kollaborative Aufbau eines zentralen Bestandsverzeichnisses nun tech-
nisch grundsätzlich möglich.

Der Zustand der gelagerten Filmmaterialien offenbart nicht nur bei den Stumm-
filmen aus der Frühzeit des Filmschaffens Handlungsbedarf; dieser ist zum Teil
auch schon bei Dokumentar- und Experimentalfilmen der 60er- bis 90er-Jahre
und auch bei den Farbfilmen zwischen 1939 und den 90er-Jahren feststellbar.
Zahlreiche Filmwerke der Vergangenheit gelten – trotz sämtlicher Bemühungen
zum Erhalt des Filmerbes – bereits als verloren. Diesem Bereich widmet sich
insbesondere die Deutsche Kinemathek mit der Website www.lost-films.eu.
Hier werden in Zusammenarbeit mit mehreren europäischen Archiven als ver-

loren geltende Filme durch die in den Archiven überlieferten filmbegleitenden

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Materialien – z. B. Drehbücher, Fotos, Architekturskizzen oder Rezensionen –
dokumentiert. Mit diesen Dokumenten können verschollene Filme wieder in
das Bewusstsein der Forschung und der interessierten Öffentlichkeit gebracht
werden.

Die Sicherung des Filmerbes kann nur in enger Zusammenarbeit mit der Film-
wirtschaft gelingen. Dabei sollten die Interessen der Filmwirtschaft angemes-
sen berücksichtigt werden. Programme wie „Images for the Future“ in den
Niederlanden könnten Vorbild einer beispielgebenden Zusammenarbeit zwi-
schen Filmarchiven und Filmwirtschaft sein. Zudem hoben mehrere Sachver-
ständige beim Expertengespräch im Ausschuss für Kultur und Medien des
Deutschen Bundestages am 9. November 2011 hervor, dass ein „Paradigmen-
wechsel“ notwendig sei. Bei der Filmförderung muss zukünftig der spätere Er-
halt des zu fördernden Films von Anbeginn an mit bedacht werden.

Die im Filmbereich tätigen Archive, Museen, Stiftungen und sonstigen Einrich-
tungen, insbesondere die Stiftung Deutsche Kinemathek und das Deutsche
Filminstitut, stehen bei der Zugänglichmachung des Filmerbes vor neuen Her-
ausforderungen. Analoge Kopien können in mit digitaler Projektion ausgestat-
teten Kinos nicht mehr für das öffentliche Abspiel genutzt werden. Die Digita-
lisierung der Kinos schreitet auch durch die Digitalisierungsförderung von
Filmtheatern durch den BKM, die Filmförderungsanstalt (FFA) und die Länder
erfreulich rasch voran. Hierdurch sind jedoch immer weniger Kinos in der
Lage, analoge Materialien wie die 35-mm-Kinokopie abzuspielen. Langfristig
wird also nur das digitalisierte Filmerbe für ein breites Publikum zugänglich
sein. Wir begrüßen daher, dass die Bundesregierung in den Referentenentwurf
zur sechsten Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) als neue Aufgabe
der FFA aufgenommen hat, „Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung
und der Zugänglichmachung des deutschen Filmerbes durchzuführen“ (§ 2 Ab-
satz 1 Nummer 3).

Darüber hinaus verändern die digitalen Technologien grundlegend die Art und
Weise, wie das Filmerbe langfristig gesammelt, wiederhergestellt und erhalten
werden kann. Dazu notwendige digitale Speichermedien machen eine turnus-
mäßige Migration der Daten auf neue Träger erforderlich, um eine Sicherung
zu gewährleisten. Zwar werden in den nächsten Jahren überwiegend nur noch
digitale Filmkopien erstellt werden, so dass die Digitalisierungskosten für neue
Filme nicht mehr bzw. nur noch in geringer Höhe anfallen werden. Die Frage
der digitalen Langzeitarchivierung und der Finanzierung der zusätzlichen Kos-
tenpositionen für die Migration und Speicherung der digitalen Bestände muss
jedoch vor dem Hintergrund der Digitalisierungsoffensive langfristig gelöst
werden.

Ähnlich wie bei der Bestandsaufnahme der bereits produzierten Filme brau-
chen wir auch bei der Digitalisierung einen Überblick über bereits digitalisierte
Filme, um Doppelkosten zu vermeiden. Da sich in Deutschland die Gesamtheit
aller Filme über zahlreiche Archive verteilt, kann hier der angestrebte Be-
standskatalog deutscher Filme – erweitert um Angaben von Verleihern, Produ-
zenten und Auswertern – die Grundlage für die statistische Erfassung sein. Ne-
ben einer Bestandsaufnahme der erhaltenen Filme muss auch eine Verständi-
gung darüber erfolgen, welche Filme für die Gegebenheiten des digitalen Zeit-
alters aufbereitet werden müssen.

Wir brauchen eine Digitalisierungsstrategie des Filmerbes, da sonst mittelfristig
erhebliche Teile des deutschen Filmerbes nicht mehr für öffentliche Kinovor-
führungen oder andere Verbreitungswege bereitgestellt werden können und
somit für zukünftige Generationen nicht mehr zugänglich sind. Mit Blick auf
die anzustrebende, retrospektive Digitalisierung historisch relevanter Teile des

Filmerbes ist zu prüfen, welche Finanzierungs- und Kooperationsmodelle eine
möglichst breite Zugänglichmachung ermöglichen. Im Bereich öffentlich

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finanzierter bzw. kofinanzierter Digitalisierungen sind zudem insbesondere die
Filmerbeinstitutionen des deutschen Kinematheksverbunds, die seit Jahrzehn-
ten für den Erhalt und die Vermittlung des Filmerbes arbeiten, in die Überle-
gungen mit einzubeziehen. Ein Kriterium sollte dabei die mögliche Zugäng-
lichmachung mittels öffentlicher digitaler Plattformen sein. Dazu zählen neben
filmportal.de auch die nationalen bzw. europäischen spartenübergreifenden
Netzinitiativen Deutsche Digitale Bibliothek und Europeana. Neben der Zu-
gänglichmachung gemeinfreier Werke sind hier auch Kooperationen zwischen
Rechteinhabern und öffentlichen Institutionen zu befördern, etwa im Rahmen
von Public Private Partnerships, um gangbare Wege für eine möglichst umfas-
sende öffentliche Verfügbarkeit des deutschen Filmerbes zu entwickeln und zu
implementieren.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

1. dass die Bundesregierung die Einführung der Pflichtregistrierung im Bun-
desarchivgesetz zügig umsetzen wird;

2. dass das online zugängliche Filmportal (www.filmportal.de) mit Unterstüt-
zung der Bundesregierung fortgeführt und ausgebaut wird;

3. dass die Deutsche Kinemathek die Initiative ergriffen hat, verschollene deut-
sche Filme durch filmbegleitende Materialien auf einer Website zu doku-
mentieren;

4. dass die Filmförderungsanstalt als Repräsentantin der Filmbranche seit
Oktober 2012 die Digitalisierung des Filmerbes fördert und dafür in ihrem
Haushalt 1 Mio. Euro bereitgestellt hat;

5. dass die Bundesregierung die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und die
DEFA-Stiftung bei der Digitalisierung von Filmerbeklassikern unterstützt.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel

1. eine Kostenschätzung einer allgemeinen Pflichthinterlegung aller deutschen
Filme auf Basis der Pflichtregistrierung (jährliche Produktionsvolumen)
durchzuführen;

2. die Prüfung kostengünstiger und transparenter Hinterlegungsmodelle voran-
zutreiben;

3. unter Federführung des Kinematheksverbunds einen kollaborativen Be-
standskatalog aufzubauen, der klärt, an welchem Ort in Deutschland Film-
kopien eines Werkes in welchem Format vorliegen und vor allem in wel-
chem Zustand diese dort archiviert sind;

4. ein Konzept zur Digitalisierung des Filmerbes zu erarbeiten und auf dieser
Basis eine Kostenschätzung vorzunehmen;

5. zu prüfen, inwieweit im Haushalt des BKM Finanzmittel für den Aufbau
eines Bestandskatalogs deutscher Filme, für die Digitalisierung des Filmer-
bes sowie für dessen öffentliche Zugänglichmachung bereitgestellt werden
können;

6. die Auswahl des zu digitalisierenden und restaurierenden Materials, die
Festlegung von Prioritäten und die Bestimmung des Umfangs der Metada-
ten, die zur Langzeitarchivierung sinnvollerweise aufzunehmen sind, vorzu-
bereiten;

7. zu prüfen, ob weitere Anreizmöglichkeiten in das FFG aufgenommen wer-

den können. In die Filmförderung sollte die Digitalisierung des deutschen

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Filmerbes eingeschlossen werden, dies unter Beteiligung der Privatwirt-
schaft;

8. zu prüfen, welche Erfahrungen bei der Digitalisierung von Filmerbe, die an-
dere Länder gemacht haben, in Deutschland berücksichtigt werden sollten;

9. im Rahmen der Forschungsförderung zu klären, mit welchem technischen
Standard auf internationaler Ebene die Langzeitarchivierung begonnen wer-
den kann.

Berlin, den 16. Oktober 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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