BT-Drucksache 17/10896

Einreiseverweigerung in Schengen-Staaten im sogenannten Konsultationsverfahren unter Geheimhaltung von Gründen

Vom 28. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10896
17. Wahlperiode 28. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Thomas Nord, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Einreiseverweigerung in Schengen-Staaten im sogenannten
Konsultationsverfahren unter Geheimhaltung von Gründen

Wer auf einem Konsulat eines Schengen-Staates einen Antrag auf Erteilung
eines Schengen-Visums stellt, muss nicht nur nachweisen, dass er oder sie über
die nötigen finanziellen Mittel für die Reise, über eine Krankenversicherung u. a.
verfügt. Zur Erteilung eines Visums ist ferner vorgeschrieben, dass kein Eintrag
zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS) vorliegt.

Daneben erlaubt es das sogenannte Konsultationsverfahren den Schengen-
Mitgliedstaaten in Fällen des Artikels 22 des Visakodex, die Visumvergabe zu
blockieren. Dafür reicht es, wenn ein anderer Schengen-Staat aus Gründen der
öffentlichen Ordnung, der inneren Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder
der Gefährdung der internationalen Beziehungen ein Veto einlegt.

Demnach kann ein Mitgliedstaat „verlangen, dass die zentralen Behörden ande-
rer Mitgliedstaaten seine zentralen Behörden bei der Prüfung der von Staatsan-
gehörigen spezifischer Drittländer oder von spezifischen Gruppen von Staatsan-
gehörigen dieser Länder eingereichten Anträge konsultieren“. Die Konsultation
der „zentralen Behörden“ erfolgt über das „VISION“-Netz (Visa Inquiry Open
Border Network). Die zentralen Behörden ziehen in diesen Fällen gegebenen-
falls weitere Behörden (Polizeibehörden, Nachrichtendienste) zu Rate. Legen
die konsultierten Mitgliedstaaten ein Veto gegen die jeweilige Visumvergabe
ein, dann kann der Mitgliedstaat, bei dessen Auslandsvertretung das Visum be-
antragt wurde, dem Betroffenen nur noch eine auf sein Territorium beschränkte
Einreiseerlaubnis erteilen. Jedoch bleibt diese nur auf humanitäre Zwecke bzw.
ein besonderes nationales Interesse beschränkt.

Die in Zürich erscheinende „Wochenzeitung“ (WOZ) berichtete in ihrer Aus-
gabe vom 30. August 2012 über den Fall eines Iraners, dem die schweizerische
Botschaft in Teheran die Erteilung eines Schengen-Visums verweigert hat. Der
Betroffene, der sich zuvor bereits ohne Probleme für einen Deutschkurs in
Deutschland sowie zu einem weiteren Besuch in der Schweiz aufgehalten hatte,
erhielt nur die Information, dass „ein oder mehrere Mitgliedstaaten“ ihn als eine
Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit einstuften. Er er-

fuhr jedoch weder, welcher Staat die Vergabe des Visums blockiert hat noch aus
welchen Gründen er eine Gefahr darstellen sollte. Aus diesem Grunde war es
ihm auch nicht möglich, die ihn belastende Information zu korrigieren bzw. dar-
zulegen, dass es sich anscheinend um eine Verwechselung handelte.

Nach Angaben der schweizerischen Behörden erfolgt dieses Konsultations-
verfahren „teilautomatisch“, so dass in diesen Fällen weder das zuständige Kon-
sulat noch das Schweizerische Bundesamt für Migration (BFM) als zentrale Be-

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hörde im Visumverfahren erfahre, welcher Staat die Visumvergabe blockiert hat.
Lediglich das beim BFM angesiedelte „VISION“-Büro wird informiert.

Die Liste der „Drittländer, in Bezug auf deren Staatsangehörige oder bestimmte
Gruppen von deren Staatsangehörigen eine vorherige Konsultation erforderlich
ist“, umfasst derzeit anscheinend 29 Staaten und zusätzlich drei Personengrup-
pen: Staatenlose, Flüchtlinge sowie Palästinenserinnen und Palästinenser.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Staaten gelten derzeit als „Drittländer, in Bezug auf deren Staats-
angehörige oder bestimmte Gruppen von deren Staatsangehörigen eine vor-
herige Konsultation erforderlich ist“?

a) Die Zugehörigkeit zu welchen weiteren „Personengruppen“ erfordert
ebenfalls ein sogenanntes Konsultationsverfahren?

b) Wie wurden diese „Personengruppen“ definiert?

c) Auf wessen Veranlassung gelangten diese „Personengruppen“ auf die
Liste?

2. Nach welchem Verfahren kann ein Schengen-Staat einen Drittstaat bzw. eine
„Personengruppe“ auf diese Liste setzen lassen?

a) Wem muss dies nach welchem Verfahren mitgeteilt werden?

b) Inwieweit haben andere Schengen-Staaten oder sonstige Institutionen die
Möglichkeit, diese jeweilige Einstufung anzufechten?

c) Nach welchem Zeitraum ab der ersten Mitteilung eines Wunsches nach
Aufnahme in die Liste durch einen Schengen-Staat ist dies für die anderen
Schengen-Staaten verbindlich und muss angewendet werden?

3. Welche der „Drittländer, in Bezug auf deren Staatsangehörige oder be-
stimmte Gruppen von deren Staatsangehörigen eine vorherige Konsultation
erforderlich ist“ bzw. Personengruppen sind auf Initiative der Bundesrepu-
blik Deutschland auf diese Liste gesetzt worden?

a) Welche Gründe bzw. sonstigen Annahmen lagen hierfür jeweils vor?

b) Nach welchem Verfahren wird innerhalb der Bundesregierung eine Ent-
scheidung über die Aufnahme in diese Liste getroffen?

c) Welche bundesdeutschen Stellen entscheiden schließlich, ob ein Staat auf
diese Liste gesetzt wird?

4. Welche Staaten sind für die Listung der anderen, nicht von Deutschland
gelisteten Staaten bzw. „Personengruppen“, verantwortlich?

5. In wie vielen Fällen von Visumanträgen bei den Auslandsvertretungen ande-
rer Schengen-Staaten ist die Bundesrepublik Deutschland in den vergange-
nen fünf Jahren jeweils konsultiert worden (bitte für jedes Jahr einzeln nach-
weisen)?

In wie vielen Fällen hat sie die Visumvergabe blockiert (bitte nach Drittstaa-
ten bzw. Personengruppen aufschlüsseln)?

6. Inwieweit haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung in der Vergangen-
heit Schengen-Staaten (auch Deutschland) über diese Regelung hinweg-
gesetzt und trotz Einspruch im „Konsultationsverfahren“ ein Schengen-
Visum erteilt?

7. Wo ist das „VISION“-Büro der Bundesrepublik Deutschland angesiedelt?
a) Wann wurde die Einrichtung gegründet, und über welche Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter verfügt sie?

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b) Über welche jährlichen Haushaltsmittel verfügt das Büro, und wie wer-
den diese bestritten?

c) Welche technischen Mittel werden vom „VISION“-Büro genutzt?

d) Auf welche Datenbanken oder andere Informationsquellen kann das
„VISION“-Büro mittelbar und unmittelbar zugreifen?

8. Welche deutschen Behörden oder sonstigen Einrichtungen werden bei einer
„Konsultation“ hinzugezogen?

a) Welche Abteilungen der jeweiligen Behörden sind dafür zuständig?

b) Welche deutschen und internationalen Informationssysteme welcher
Behörden werden abgefragt?

c) Inwieweit sind derartige Abfragen automatisiert oder „teilautoma-
tisiert“?

d) Trifft es zu, dass sich die zuständigen deutschen Stellen nicht weiter mit
einem Visumantrag befassen, wenn eine Ausschreibung im SIS vorliegt,
mithin der Antrag gar nicht erst an die „zentrale Behörde“ weitergereicht
wird?

9. Wird das „Konsultationsverfahren“ nach der Inbetriebnahme des Visa-
Informationssystems VIS im vergangenen Oktober technisch neu geordnet?

10. Teilt eine deutsche Behörde der anfragenden zentralen Behörde eines
anderen Schengen-Staates mit, aus welchen Gründen sie die Visumvergabe
blockiert?

a) Wenn ja, auf welche Weise wird diese Mitteilung vorgenommen?

b) Welches Formular oder sonstige standardisierte Mitteilung wird hierfür
verwandt?

c) Welche „zentralen Behörden“ der 27 Schengen-Staaten nehmen diese
Mitteilungen entgegen, und wo sind diese nach Kenntnis der Bundes-
regierung angesiedelt (bitte als Tabelle beantworten)?

11. Wird die Praxis, den Antragstellern nicht mitzuteilen, welcher Schengen-
Staat sich gegen eine Einreise aussprach, nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in den Schengen-Staaten unterschiedlich gehandhabt?

Wenn ja, welche Schengen-Staaten teilen den Betroffenen dies nach Kennt-
nis der Bundesregierung aus welchen Gründen mit?

12. In wie vielen Fällen wurden die zentralen Behörden anderer Schengen-
Staaten über Visumanträge bei deutschen Auslandsvertretungen konsul-
tiert?

a) In wie vielen Fällen wurde die Vergabe eines Schengen-Visums blockiert?

b) In wie vielen Fällen hat die Bundesrepublik Deutschland den Betroffe-
nen ein auf ihr Territorium beschränktes Visum ausgestellt?

13. Übermitteln auch die deutschen Konsulate den Betroffenen im Falle einer
Visumverweigerung im Zuge des Konsultationsverfahrens nur die Informa-
tion – angekreuzt auf dem einheitlichen Formular zur Visumverweigerung
–, dass „ein oder mehrere Mitgliedstaaten der Auffassung (sind), dass Sie
eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffent-
liche Gesundheit […] oder die internationalen Beziehungen eines oder
mehrerer Mitgliedstaaten darstellen“?

a) Wenn ja, teilt das zuständige Konsulat oder das Auswärtige Amt bzw.
eine andere als „zentrale Behörde“ zuständige Stelle den Betroffenen

mit, um welchen Mitgliedstaat es sich handelt?

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b) Sofern eine solche Mitteilung unterbleibt, wird diese wenigstens auf Er-
suchen der Antragsteller hin mitgeteilt?

c) Wenn nein, auf welchem anderen Weg hat der Antragsteller die Möglich-
keit, sich über das blockierende Land bzw. den Grund der Ablehnung in
Kenntnis zu setzen?

14. Sofern eine Mitteilung über die Gründe für die Ablehnung eines Visums
auch auf Antrag der Betroffenen unterbleibt, welche Gründe haben die Bun-
desregierung zu dieser Praxis bewogen?

a) Trifft es zu, dass Betroffene im Falle einer Ablehnung aus Deutschland
hierüber erst Klarheit zu möglichen Gründen erhielten, wenn Auskunfts-
ersuchen in allen 16 Landeskriminalämtern, 16 Landesämtern für Ver-
fassungsschutz sowie dem Bundeskriminalamt und den Bundesgeheim-
diensten gestellt würden?

b) Wie sollen die Betroffenen nach Ansicht der Bundesregierung dennoch
ihr Recht auf ein faires und transparentes Verfahren zur Visumerteilung
wahrnehmen?

15. Auf welche rechtliche Grundlage stützt sich die deutsche Praxis, die Gründe
für ein faktisches Einreiseverbot nach dem „Konsultationsverfahren“ ge-
heim zu halten?

Inwieweit wird dazu der Artikel 47 des Schengener Visakodex herangezo-
gen, der allerdings nur vorschreibt, dass die besagte Länderliste veröffent-
licht werden muss, aber keine näheren Bestimmungen zur Geheimhaltung
weiterer Informationen trifft?

Berlin, den 28. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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