BT-Drucksache 17/10895

Kontrollen durch die Bundespolizei an Binnengrenzen der Europäischen Union

Vom 28. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10895
17. Wahlperiode 28. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Herbert Behrens,
Sevim Dag˘delen, Annette Groth, Andrej Hunko, Niema Movassat, Thomas Nord,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Kontrollen durch die Bundespolizei an Binnengrenzen der Europäischen Union

Die „die tageszeitung“ (taz) berichtete am 18. September 2012 („Halten Sie ihren
Pass bereit“) über zunehmende Kontrollen der Bundespolizei an deutschen
Flughäfen bei Reisen innerhalb der Europäischen Union. Demnach führe die
Bundespolizei sowohl in Stuttgart als auch in München seit mehr als zwei Jahren
bei Flugreisenden aus Griechenland regelmäßig penible Passkontrollen durch,
ausländisch aussehende Passagiere würden gesondert befragt. Laut Auskunft ei-
nes Bundespolizisten gäbe es solche Kontrollen an allen deutschen Flughäfen
bei Flügen aus Griechenland und Italien.

Die Bundespolizei hat dem Zeitungsartikel zufolge erklärt, es handele sich
„nicht um Kontrollen, auch wenn Reisende dies so empfinden mögen“. Es gehe
vielmehr um „Dokumentensichtungen bzw. Befragungen im Sinne des Schenge-
ner Durchführungsübereinkommens in Verbindung mit dem Bundespolizeige-
setz“. Ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern habe erklärt, die Kon-
trollen seien zulässig und erfolgten „aufgrund von Lageerkenntnissen oder
grenzpolizeilicher Erfahrung“ und seien auf die Verhinderung grenzüberschrei-
tender Kriminalität gerichtet. Dies geschehe „auf der Grundlage von Stichpro-
ben und in nicht systematischer Art“, konkrete Zahlen zur Häufigkeit der Kon-
trollen gebe es nicht.

Die griechische Botschaft in Berlin bestätigte dem Artikel zufolge, dass Kon-
trollen in den letzten Monaten verschärft worden seien, nachdem im Frühjahr in
Griechenland und Bulgarien Passfälscherwerkstätten ausgehoben worden seien –
das geschehe aber nicht im Einvernehmen mit den griechischen Behörden.

Es bestehen rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Kontrollen.

Im Schengener Grenzkodex (SGK) der EU ist in Artikel 20 geregelt, dass die
EU-Binnengrenzen grundsätzlich „unabhängig von der Staatsangehörigkeit […]
an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden“ dürfen. Arti-
kel 21 SGK sieht zwar Ausnahmeregeln für polizeiliche Maßnahmen in natio-
naler Zuständigkeit vor, die jedoch nicht die „gleiche Wirkung wie Grenzkon-
trollen“ haben dürfen: Sie müssen sich „eindeutig von systematischen Personen-

kontrollen an den Außengrenzen“ unterscheiden und dürfen nur „auf der
Grundlage von Stichproben durchgeführt werden“. Sicherheitskontrollen in
Flughäfen sind nur insoweit zulässig, wie sie auch bei gewöhnlichen Inlands-
flügen erfolgen. Ziel solcher Kontrollen darf es nicht sein zu prüfen, ob die kon-
trollierten Personen ein- oder ausreisen dürfen.

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Die Bundesregierung hält solche Kontrollen nach nationalem Recht insbeson-
dere für zulässig, wenn diese „keine Grenzkontrollen zum Ziel haben, auf allge-
meinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche
Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Be-
kämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen sowie in einer Weise
konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen
Grenzkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet, und stichprobenartig vor-
genommen werden“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10597, zu Frage 32). Diese
Ausführung entspricht dem sogenannten Melki-Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs (EuGH) vom 22. Juni 2010 (C-188/10 und 189/10, Rn. 69 f). Der
EuGH monierte darin allerdings auch, dass die beanstandeten nationalen Vor-
schriften (in Frankreich) keine „genaueren Regelungen noch Einschränkungen“
hinsichtlich der Intensität und Häufigkeit möglicher Kontrollen auf nationaler
Grundlage enthielten, die verhinderten, dass diese Kontrollen „die gleiche Wir-
kung wie Grenzübertrittskontrollen haben“ (a. a. O., Rn. 73). Dies spiegelt sich
wider im zweiten Leitsatz des Melki-Urteils, wonach eine nationale Regelung
europarechtswidrig ist, „die den Polizeibehörden des betreffenden Mitglied-
staats die Befugnis einräumt, in einem [20-Kilometer-Grenz-]Gebiet […] die
Identität jeder Person unabhängig von deren Verhalten und vom Vorliegen be-
sonderer Umstände, aus denen sich die Gefahr einer Beeinträchtigung der öf-
fentlichen Ordnung ergibt, zu kontrollieren, um die Einhaltung der gesetzlichen
Verpflichtungen in Bezug auf den Besitz, das Mitführen und das Vorzeigen von
Urkunden und Bescheinigungen zu überprüfen, ohne dass diese Regelung den
erforderlichen Rahmen für die Befugnis vorgibt, der gewährleistet, dass die tat-
sächliche Ausübung der Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrol-
len haben kann“.

Diese Vorgabe des EuGH spiegelt sich in den bundes- und landesgesetzlichen
Polizeiregelungen nicht wider – was nach Ansicht der Fragesteller zur Europa-
rechtswidrigkeit der gesetzlichen Vorschriften und auch der oben beschriebenen
Praxis der Bundespolizei führt.

Auf EU-Ebene wird über eine Änderung der Möglichkeiten zur vorübergehen-
den Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen verhan-
delt (Artikel 23 ff. SGK). Wegen erheblicher Kompetenzstreitigkeiten zwischen
dem Rat und dem Europäischen Parlament liegen diese Verhandlungen derzeit
jedoch auf Eis. Geplant ist seitens des Rates die Möglichkeit der Wiedereinfüh-
rung von Binnengrenzkontrollen, wenn ein EU-Mitgliedstaat seine Außengren-
zen nicht effektiv abschottet und es dadurch zu einer unkontrollierten Binnen-
migration von Flüchtlingen und irregulären Migrantinnen und Migranten in
andere Mitgliedstaaten kommt. Derzeit gibt es eine solche rechtliche Möglich-
keit wohlgemerkt noch nicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit kann die Bundesregierung die in der Vorbemerkung zusammenge-
fassten Informationen der „taz“ vom 18. September 2012 („Halten Sie ihren
Pass bereit“) zu regelmäßigen Kontrollen der Bundespolizei an deutschen
Flughäfen bei Flügen aus Griechenland und Italien bestätigen bzw. wider-
legen, und wie bewertet sie dies (bitte so ausführlich wie möglich darstellen
und wenn die Darstellung bestritten wird, wie verhält es sich nach Ansicht
der Bundesregierung jeweils tatsächlich)?

2. In welcher Weise, in welchem Umfang, nach welchen Regeln und aufgrund
welcher gesetzlichen und internen Vorgaben (bitte genau bezeichnen) nimmt
die Bundespolizei bei innerhalb der EU Reisenden Kontrollen welcher Art

(bitte genau bezeichnen) an welchen Flughäfen und bei welchen Reisenden
bzw. Flügen aus welchen Mitgliedstaaten vor (bitte insbesondere auf Flüge

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aus Griechenland und Italien eingehen), und welche Veränderungen gab es
diesbezüglich wann und aus welchen Gründen insbesondere seit dem Jahr
2008 (bitte genau ausführen)?

3. Welche Erkenntnisse, Einschätzungen und statistischen Daten liegen dazu vor,
zu welchen Ergebnissen und Konsequenzen Kontrollen der Bundespolizei an
deutschen Flughäfen bei Binnen-EU-Flugreisenden (insbesondere aus Italien
und Griechenland) geführt haben (bitte soweit möglich nach Mitgliedstaaten,
Staatsangehörigkeiten und Jahren differenzieren und beispielsweise Angaben
machen zur Anzahl eingeleiteter Strafverfahren auf welcher Rechtsgrund-
lage, zur Anzahl von Zurückweisungen und Zurückschiebungen, Festnahmen
aus welchen Gründen usw.)?

4. Wie begründet die Bundesregierung, dass die Kontrollpraxis der Bundes-
polizei an Flughäfen bei Flugreisenden aus Griechenland und/oder Italien
verhältnismäßig und erforderlich ist, um mögliche Bedrohungen der öffent-
lichen Sicherheit abzuwenden bzw. um grenzüberschreitende Kriminalität
bekämpfen zu können – immer vor dem Hintergrund, dass die Kontrollen nur
stichpunktartig erfolgen und nicht die Wirkung von Grenzkontrollen haben
dürfen (bitte ausführen)?

5. Inwieweit unterscheiden sich die von der „taz“ geschilderten polizeilichen
Maßnahmen, das heißt regelmäßige (von Ausnahmefällen abgesehen) Pass-
kontrollen von Flugreisenden aus Griechenland und/oder Italien, von unions-
rechtlich verbotenen Binnengrenzkontrollen (bitte ausführlich beantworten,
auch in Auseinandersetzung mit der unionsrechtlichen Gesetzeslage und der
Rechtsprechung des EuGH, wie in der Vorbemerkung zitiert)?

6. Ist es zutreffend, wie die „taz“ berichtet, dass „ausländisch aussehende Pas-
sagiere“ bei den genannten Kontrollen herausgewunken und gesondert be-
fragt werden, wenn nein, was ist der Fall, wenn ja, wie wird dies insbesondere
angesichts des Diskriminierungsverbots begründet, und auf welcher Rechts-
grundlage erfolgt dies?

7. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die der
„taz“ gegebene Erklärung der Bundespolizei, es handele sich „nicht um Kon-
trollen, auch wenn Reisende dies so empfinden mögen“, bereits ein Indiz für
die Europarechtswidrigkeit der Polizeimaßnahmen ist, weil die Kontrollen
auf nationaler Grundlage gerade nicht die „Wirkung“ von Grenzkontrollen
haben dürfen, was aber wohl der Fall ist, wenn dies von den Reisenden so
empfunden werden (bitte ausführen)?

8. Wie ist die Auskunft der Bundespolizei genau zu verstehen, es gehe um
„Dokumentensichtungen bzw. Befragungen im Sinne des Schengener Durch-
führungsübereinkommens in Verbindung mit dem Bundespolizeigesetz“
(bitte darlegen, welche Dokumente aus welchen Gründen regelmäßig ge-
sichtet werden müssen und wie die genaue Rechtsgrundlage mit Paragrafen-
angaben ist)?

9. Inwieweit sind diese polizeilichen Kontrollmaßnahmen („Dokumentensich-
tungen bzw. Befragungen im Sinne des Schengener Durchführungsüberein-
kommens in Verbindung mit dem Bundespolizeigesetz“) mit den Artikeln 20
und 21 SGK vereinbar, da sie wohl offenkundig nicht „in einer Weise kon-
zipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen
Grenzkontrollen an den Außengrenzen unterscheidet, und stichprobenartig
vorgenommen werden“, wie es auch die Bundesregierung verlangt (vgl. Ant-
wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
auf Bundestagsdrucksache 17/10597, zu Frage 32), da die Kontrollen jeden-
falls nicht nur „stichpunktartig“ erfolgen, sondern regelmäßig alle Reisenden

der jeweiligen Flugzeuge betroffen sind (bitte ausführlich begründen)?

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10. Was konkret bedeutet nach Ansicht der Bundesregierung „stichpunktartig“
im Zusammenhang mit den nach ihrer Auffassung nur zulässigen stich-
punktartigen Kontrollen auf nationaler Grundlage (bitte ausführen), und
inwieweit kann die regelmäßige Kontrolle aller Reisender eines Flugzeugs
bzw. aller oder vieler Flugzeuge aus bestimmten Mitgliedstaaten als „stich-
punktartig“ gewertet werden (bitte darlegen)?

11. Wo genau ist im Bundespolizeigesetz eine Regelung enthalten, die nach
dem Melki-Urteil des EuGH für eine unionsrechtsgemäße Ausgestaltung
nationaler Kontrollregelungen erforderlich ist (vgl. Vorbemerkung, zweiter
Leitsatz des Urteils), die „den erforderlichen Rahmen für die Befugnis vor-
gibt, der gewährleistet, dass die tatsächliche Ausübung der Befugnis nicht
die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben kann“, und falls dies nicht
der Fall ist, wie begründet dies die Bundesregierung in Auseinandersetzung
mit dem Melki-Urteil des EuGH, und warum wurde nicht längst eine dies-
bezügliche Gesetzesänderung vorgenommen oder vorbereitet, um Verstöße
gegen Unionsrecht bei Kontrollen auf nationaler Rechtsgrundlage zu ver-
hindern (bitte ausführlich begründen)?

12. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die Vor-
gabe im zweiten Leitsatz des Melki-Urteils des EuGH, wonach es im natio-
nalen Recht Regelungen geben muss, die sicherstellen, dass Kontrollen auf
nationaler Rechtsgrundlage nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen
haben, die im Hinblick auf Kontrollen innerhalb eines bis zu 20 bzw. 50 Ki-
lometer weiten Grenzraums getroffen wurde, erst recht gelten muss bei
Kontrollen, die direkt nach einer Einreise am Flughafen erfolgen, weil sich
hier die verbotene Wirkung einer Grenzkontrolle aufgrund der örtlichen
Verhältnisse und dem direkten zeitlichen Zusammenhang zur Einreise
schneller einstellt (bitte ausführlich begründen)?

13. Was unternimmt die Bundesregierung, um die nach Ansicht der Fragesteller
offenkundig unionsrechtswidrige Kontrollpraxis der Bundespolizei auf
deutschen Flughäfen bei Flugreisenden aus Italien und Griechenland zu
unterbinden?

14. Wie muss nach Ansicht der Bundesregierung eine Regelung ausgestaltet
sein, die der Vorgabe des Melki-Urteils (zweiter Leitsatz) gerecht wird, das
heißt die sicherstellt, dass „die tatsächliche Ausübung der [nationalen Kon-
troll-]Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen
haben kann“ (bitte ausführen)?

a) Welche konkreteren Vorgaben müssen in einer solchen Regelung enthal-
ten sein – neben der allgemeinen Vorgabe, dass es sich nur um stichpro-
benartige Kontrollen handeln darf, die keine Grenzkontrolle zum Ziel
haben dürfen und sich auch systematisch von diesen Unterscheiden müs-
sen –, wenn die Bundesregierung „eine Begrenzung der Anzahl solcher
polizeilicher Kontrollen“ offenbar nicht vornehmen will (vgl. Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
auf Bundestagsdrucksache 17/10597, zu Frage 32)?

b) Wie soll durch Betroffene, Menschenrechtsorganisationen und auch
durch Aufsichtsbehörden wirksam kontrolliert werden können, dass
Kontrollen der Bundespolizei tatsächlich nur stichprobenartig vorkom-
men, verhältnismäßig sind und nicht den Charakter von Grenzkontrollen
annehmen, wenn es weder klare Vorgaben zur Intensität bzw. Häufigkeit
noch statistische Erhebungen zur Zahl und Häufigkeit solcher Kontrol-
len gibt (bitte ausführen)?

15. Wie sehen die ermessensleitenden Regelungen in der Verwaltungsvorschrift

zum baden-württembergischen Polizeigesetz aus, auf die sich das Land
Baden-Württemberg bei seiner Antwort zu Frage 32 auf Bundestagsdruck-

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sache 17/10597 bezieht, und hält die Bundesregierung die landespolizei-
lichen Regelungen in Baden-Württemberg mit dem Melki-Urteil des EuGH
für vereinbar, da das dortige Polizeigesetz (§ 26 Absatz 1 Nummer 6) keine
Regelung enthält, die „gewährleistet, dass die tatsächliche Ausübung der
[Kontroll-]Befugnis nicht die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen haben
kann“, wie im Melki-Urteil gefordert (bitte ausführlich begründen), und
was unternimmt sie diesbezüglich, auch vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung trotz der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutsch-
land auf eine umfassende Beachtung von Unionsrecht in Deutschland hin-
wirken muss (bitte ausführlich darlegen)?

16. Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung Artikel 13 Absatz 1
Nummer 5 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) mit Unions-
recht und insbesondere dem Melki-Urteil des EuGH vereinbar, weil dort
ausdrücklich Kontrollen unter anderem „zur Verhütung oder Unterbindung
der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze“ vorgesehen sind, das
heißt unionsrechtlich verbotene Binnengrenzübertrittskontrollen (bitte be-
gründen)?

a) Inwieweit wird die Anmerkung des Landes Bayern in seiner Antwort zu
Frage 32 auf Bundestagsdrucksache 17/10597, diese Regelung sei „inso-
fern obsolet, als die klassische Grenzübertrittskontrolle entfallen ist“,
nach Ansicht der Bundesregierung der Vorgabe des Melki-Urteils ge-
recht, wonach es klare Regelungen im nationalen Recht geben muss, die
Kontrollen mit der Wirkung von Grenzkontrollen auch innerhalb des na-
tionalen Hoheitsgebiets verhindern (bitte begründen)?

b) Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung der Verweis des
Landes Bayern in der genannten Antwort auf den im bayerischen Poli-
zeirecht stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor dem
Hintergrund der oben genannten Vorgabe des Melki-Urteils ausreichend,
um sicherzustellen, dass Kontrollen auf Stichproben beschränkt bleiben
und nicht die Wirkung von Grenzkontrollen haben (bitte begründen)?

17. Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen auf EU-Ebene zur Änderung
des SGK zur Möglichkeit der (zeitweiligen) Wiedereinführung von Binnen-
grenzkontrollen, welche Regelung genau ist derzeit diesbezüglich im Rat
bzw. im Trilog vereinbart, und welche Position vertritt die Bundesregierung
hierbei (bitte so ausführlich wie möglich antworten)?

18. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass die angestrebte künf-
tige Regelung zur möglichen Wiedereinführung von Binnengrenzkontrol-
len in Fällen, in denen Mitgliedstaaten ihre EU-Außengrenzen nicht ausrei-
chend „abgesichert“ haben und es deshalb zu einer unkontrollierten
Binnenwanderung von Schutzsuchenden bzw. irregulären Migrantinnen
und Migranten kommt,

a) dem Grundsatz eines wirksamen Flüchtlingsschutzes entgegenwirkt,
weil eine konsequente Abschottung an den EU-Außengrenzen mit der
höchstrichterlichen europäischen Rechtsprechung unvereinbar ist, wo-
nach Zurückweisungen Schutzsuchender an den Grenzen (und sei es auf
extraterritorialem Gebiet auf Hoher See) ohne inhaltliche Prüfung ihres
Schutzgesuchs unionsrechtswidrig sind,

b) die bisher schon höchst ungleiche Verteilung von Schutzsuchenden und
irregulären Migrantinnen und Migranten in der EU weiter verschärfen
wird,

c) den insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger der EU so wichtigen
Grundsatz der Reisefreiheit innerhalb der EU gefährdet
(bitte jeweils begründet darlegen)?

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19. Welche Daten, Einschätzungen und Anhaltspunkte liegen der Bundesregie-
rung dazu vor, ob es derzeit und in der Vergangenheit zu einer unkontrol-
lierten Binnenwanderung von Schutzsuchenden bzw. irregulären Migran-
tinnen und Migranten gekommen ist, weil EU-Mitgliedstaaten ihre
Außengrenzen nicht ausreichend „abgesichert“ haben, und inwieweit war
oder ist insbesondere die Bundesrepublik Deutschland hiervon konkret be-
troffen (bitte ausführlich darlegen)?

20. Inwieweit könnte einer unerwünschten Binnenwanderung von Schutz-
suchenden bzw. irregulären Migrantinnen und Migranten in der EU nicht
dadurch begegnet werden, dass Schutzsuchende das Land ihrer Antrag-
stellung in der EU selbst aussuchen können (entsprechend familiärer Kon-
takte, sozialer Bindungen, eigener Sprachkenntnisse usw.) und mögliche
Ungleichgewichte in der EU dann vor allem auf finanzieller Ebene aus-
geglichen werden, und inwieweit wird sich die Bundesregierung für eine
solche Regelung einsetzen, die auf Zwangsmaßnahmen gegenüber den
Betroffenen verzichtet und den Grundsatz der Reisefreiheit innerhalb der
EU nicht gefährdet (bitte begründet darlegen)?

21. Wie beurteilt die Bundesregierung die zunehmende rassistische Gewalt ins-
besondere gegen Schutzsuchende und irreguläre Migrantinnen und Migran-
ten in Griechenland bzw. Italien, und inwieweit sieht sie eine Mitverant-
wortung der gesamten EU für diese Situation, da sich die beiden Länder
bzw. Teile ihrer Bevölkerung von der EU mit ihren Problemen allein gelas-
sen fühlen, zumal eine von diesen Ländern anfänglich noch eingeforderte
grundlegend andere Verantwortungsteilungsregelung in der EU von an-
deren Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, strikt abgelehnt wurde
(bitte ausführen)?

Berlin, den 27. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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