BT-Drucksache 17/10785

Kultur gut stärken - Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern

Vom 25. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10785 (neu)
17. Wahlperiode 25. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Jan Korte, Agnes Alpers,
Herbert Behrens, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Petra Pau, Jens Petermann,
Kathrin Senger-Schäfer, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der
Fraktion DIE LINKE.

Kultur gut stärken – Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Kultur ist kein Ornament. Sie ist das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft
steht und auf das sie baut. Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu sichern und zu
stärken.“ – heißt es im Vorwort des Abschlussberichts der Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ aus dem Jahr 2007. Diesem Anliegen ist der Deutsche
Bundestag nach wie vor verpflichtet.

Die Bundesrepublik Deutschland versteht sich als Kulturstaat und hat dieses
Bekenntnis nach der deutschen Wiedervereinigung in Artikel 35 des Einigungs-
vertrages erneuert, in dem sie betont: „Stellung und Ansehen eines vereinten
Deutschlands in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und sei-
ner Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab.“ Kulturelle
Vielfalt und die Künste in all ihren Ausdrucksformen sind unverzichtbar für eine
demokratische Gesellschaft. Der Schutz und die Förderung von Kultur ist daher
Aufgabe aller staatlichen Ebenen.

Im Grundgesetz (GG) kommt diese Aufgabe bislang nicht ausreichend zum
Ausdruck. Dort gibt es bereits Staatszielbestimmungen, die die materiellen Be-
dingungen menschlicher Existenz erfassen, so das Sozialstaatsprinzip in Arti-
kel 20 Absatz 1 GG sowie den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der
Tiere in Artikel 20a GG. Für die geistigen und kulturellen Dimensionen aber
fehlt eine entsprechende Bestimmung.

Die vom Deutschen Bundestag in der 15. Wahlperiode eingesetzte und in der
16. Wahlperiode fortgeführte Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ hat
sich aus diesem Grunde für eine Aufnahme des Staatsziels Kultur in das Grund-
gesetz ausgesprochen (Bundestagsdrucksache 16/7000, S. 68). Sie empfahl,
einen neuen Artikel 20b in das Grundgesetz aufzunehmen mit dem Wortlaut:
„Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ Der Grundgesetzgeber ist dieser
Empfehlung bis heute nicht gefolgt.

Die Verankerung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz wurde in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrmals intensiv diskutiert. Mehrere
Länder, zuletzt Sachsen-Anhalt, haben sich in den letzten Jahren dafür ausge-
sprochen. Es ist an der Zeit, nun Taten folgen zu lassen.

Die kulturelle Infrastruktur ist derzeit in verschiedener Weise gefährdet, nicht
zuletzt durch die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie führt insbeson-

Drucksache 17/10785 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

dere in den Ländern und Kommunen zu einer äußerst schwierigen Haushaltslage
und stellt eine Bedrohung für den Erhalt der vielfältigen Kulturlandschaft dar.
Öffentliche Kulturförderung steht in dieser Situation unter einem hohen Legi-
timationsdruck. Es ist Zeit, ein deutliches Zeichen für den Wert der Kultur in
dieser Gesellschaft zu setzen und zugleich die Ziele und Kriterien öffentlicher
Kulturförderung zu präzisieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. darauf hinzuwirken, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, auf
der Grundlage der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“,

2. unter Einbeziehung der kommunalen Spitzenverbände und der Kulturver-
bände mit den Ländervertretern über die weitere Ausgestaltung des koopera-
tiven Kulturföderalismus und die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von
Bund, Ländern und Kommunen zum Schutz und zur Förderung der Kultur zu
beraten,

3. in der Finanz- und Steuerpolitik des Bundes die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass die Länder und Kommunen ihren Aufgaben zur Daseinsvor-
sorge auch im kulturellen Bereich nachkommen können und

4. die begonnene öffentliche Debatte über die Rolle von Kultur in der Gesell-
schaft, das Kulturverständnis und die Ziele und Kriterien öffentlicher Kultur-
förderung unter den gegenwärtigen veränderten Bedingungen kultureller
Produktion und Verbreitung zu befördern.

Berlin, den 25. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Kultur entscheidet zunehmend über die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft als
Ganzes und die Lebensqualität aller Menschen. Das verlangt, die kulturelle Viel-
falt in der Bundesrepublik Deutschland zu fördern. Es müssen gesellschaftliche
Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, allen Menschen die Möglichkeit
zur Teilhabe am kulturellen Leben zu geben.

Die Aufnahme von Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz würde dazu beitragen,
diesem Ziel ein Stück näher zu kommen. Sie wäre auf allen Ebenen ein wichtiges
Signal zur bundesweiten Stärkung von Kultur. Staat, Länder und Kommunen
wären damit zum Schutz und zur Förderung von Kultur verpflichtet. Für die
Gemeinden wäre dies eine Unterstützung in der Wahrnehmung ihres Kulturauf-
trages.

In fast allen Bundesländern ist die Förderung von Kunst und Kultur schon eine
staatliche Aufgabe von Verfassungsrang. Auf Bundesebene findet der Kultur-
auftrag hingegen lediglich Ausdruck in dem Grundrecht des Artikels 5 Absatz 3
GG sowie im Artikel 35 des Einigungsvertrages. Eine Verankerung als Staatsziel
im Grundgesetz fehlt bislang. Deshalb empfahl die Enquete-Kommission „Kul-
tur in Deutschland“ eine Ergänzung des Grundgesetzes durch einen neuen Arti-
kel 20b mit dem Auftrag an alle staatlichen Ebenen, Kultur zu schützen und zu
fördern. Die geforderte Ergänzung des Grundgesetzes beinhaltet sowohl die
Aufgabe, das gegenwärtige kulturelle Leben zu fördern als auch das kulturelle

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10785

Erbe zu schützen und zu bewahren. Diese Änderung greift in den kulturellen
Auftrag der Länder nicht ein, sondern stützt ihn.

Auch der europäische und internationale Kontext fordert zu diesem Schritt
heraus. Artikel 167 des Vertrages von Lissabon untersetzt den Beitrag der Euro-
päischen Union zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung
ihrer nationalen und regionalen Vielfalt bei gleichzeitiger Hervorhebung des ge-
meinsamen kulturellen Erbes. Er benennt als konkrete Aufgabenfelder ihrer
Tätigkeit unter anderem die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den
Mitgliedstaaten und die Unterstützung deren Tätigkeit bei der Verbesserung der
Kenntnis und Verbreitung der Kultur und Geschichte der europäischen Völker,
beim Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes von europäischer Bedeutung, beim
nichtkommerziellen Kulturaustausch sowie beim künstlerischen und litera-
rischen Schaffen. Das ist in den Verfassungen anderer Mitgliedstaaten bereits
explizit festgeschrieben.

Auch mit dem im Jahr 2005 von 148 Staaten verabschiedeten UNESCO-Über-
einkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucks-
formen werden die Vertragsstaaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland,
auf diese kulturellen Ziele verpflichtet.

Das Staatsziel Kultur ist bei allen Entscheidungen, in der Rechtsprechung, wie
in der Verwaltung, zu berücksichtigen, bleibt aber föderalismusneutral. Ohne die
Kulturhoheit der Länder einzuschränken, würde die Verankerung eines Staats-
zieles Kultur im Grundgesetz das Gewicht der Kultur auf Verfassungsebene
erhöhen und einen wirksamen Beitrag leisten können, die Kulturförderung ge-
gen kurzsichtige haushaltspolitische Entscheidungen und Privatisierungs- wie
Ökonomisierungsbestrebungen zu verteidigen.

In Bezug auf die Haushaltssituation der Kommunen kann keine Entwarnung
gegeben werden, sie ist weiterhin schwierig. Das betonten die zu einem öffent-
lichen Fachgespräch des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen
Bundestages zum Thema „Kulturfinanzierung in den Kommunen“ am 8. Feb-
ruar 2012 eingeladenen Vertreter des Deutschen Städtetages und des Deutschen
Landkreistages. Die finanziellen Defizite der Städte sind zwar geringer gewor-
den – die Strukturkrise aber bleibt und die Schere zwischen armen und reichen
Städten geht immer weiter auseinander. Das Einsetzen der Schuldenbremse wird
die Spielräume für öffentliche Kulturförderung voraussichtlich weiter verklei-
nern. Zugleich wurde von den Experten auf die Notwendigkeit und auch auf die
Möglichkeiten eines Zusammenwirkens von Bund, Ländern und Kommunen in
dieser schwierigen Situation hingewiesen.

Soll das Staatsziel Kultur seine Wirkung entfalten, bedarf es weiterer Schritte
zur Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen und der Rahmenbedin-
gungen kultureller Arbeit. Und es bedarf auch einer neuen Debatte um die Ziele
und Kriterien öffentlicher Förderung von Kultur, da sich deren Bedingungen in
den letzten Jahren durch verschiedene Faktoren (wie z. B. den demografischen
Wandel, durch Globalisierung und Digitalisierung) deutlich verändert haben.
Ein alleiniges Beschwören des Werts von Kultur reicht nicht aus.

Die Geschichte der Diskussion um das Staatsziel Kultur ist lang. Eine von der
Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenkommission „Staatszielbestim-
mungen/Gesetzgebungsaufträge“ hatte sich schon 1983 mehrheitlich für die
Aufnahme einer Staatszielbestimmung zum Schutz der kulturellen Lebens-
grundlagen ausgesprochen. Im Rahmen der Verfassungsreform von 1992 wurde
dieses Staatsziel ebenfalls diskutiert, fand aber keine ausreichende Mehrheit.
Nach der Empfehlung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ aus
dem Jahr 2007 befasste sich zunächst der Bundesrat aufgrund einer Initiative des
Landes Berlin im Jahr 2008 mit der Aufnahme dieser Staatszielbestimmung ins
Grundgesetz, entschied sich aber mehrheitlich dagegen. Im Juni 2009 sprach

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sich dann auch der Deutsche Bundestag mehrheitlich gegen die Aufnahme des
Staatsziels Kultur in die Verfassung aus und lehnte einen entsprechenden Antrag
der Fraktion der FDP ab. Nur die Fraktion DIE LINKE. stimmte diesem Antrag
zu. Zuvor war Anfang 2008 in einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschus-
ses des Deutschen Bundestages über einen weiteren Vorschlag zur Formulierung
des Staatsziels Kultur in Verbindung mit dem Staatsziel Sport beraten worden.
Eine solche Kopplung wurde von der Mehrheit der Experten als nicht sach-
gerecht zurückgewiesen. Generell wurde vor einer Inflation von Staatszielen
gewarnt.

Die Kulturverbände aber bleiben bis heute bei ihrer Forderung und auch der
Staatsminister für Kultur und Medien tritt nach wie vor für die Einführung des
Staatsziels Kultur in das Grundgesetz ein, wie aus der Antwort der Bundesregie-
rung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD hervorgeht (Bundestags-
drucksache 17/6835). Inzwischen haben sich mehrere Landesparlamente für das
Staatsziel Kultur ausgesprochen. Die Fraktion DIE LINKE. hat sich in den letz-
ten Jahren in Bund und Ländern nachdrücklich für ein Staatsziel Kultur enga-
giert und in mehreren Landtagen Anträge dazu eingebracht – zunächst in Meck-
lenburg-Vorpommern und dann auch in Berlin, gemeinsam mit dem
Koalitionspartner SPD mit Erfolg. Und auch in Sachsen-Anhalt wurde im ver-
gangenen Jahr auf Initiative der Fraktion DIE LINKE. ein fraktionsübergreifen-
der Beschluss des Landtages für ein Staatsziel Kultur gefasst. Dies wurde mög-
lich, weil die Koalitionspartner der CDU und SPD schon in ihrem
Koalitionsvertrag für die Jahre 2011 bis 2016 vereinbart hatten, sich für das
Staatsziel Kultur einzusetzen.

Auf Bundesebene wurden zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode in der
Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und FDP Gespräche über eine
Änderung des Grundgesetzes mit den Fraktionen des Bundestages und den
Ländern angekündigt. Sie sind bis heute nicht erfolgt. Jetzt ist es höchste Zeit,
dies nachzuholen. Neben den materiellen müssen auch die kulturellen Lebens-
grundlagen in der Verfassung geschützt werden. Die Verankerung des Staats-
ziels Kultur im Grundgesetz ist überfällig.

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