BT-Drucksache 17/10635

Polizeiliche Zusammenarbeit mit autoritären, nichtdemokratischen Staaten und Kontrollmöglichkeiten von Parlament und Öffentlichkeit

Vom 6. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10635
17. Wahlperiode 06. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Herbert Behrens, Heidrun Dittrich, Jens Petermann,
Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Polizeiliche Zusammenarbeit mit autoritären, nichtdemokratischen Staaten
und Kontrollmöglichkeiten von Parlament und Öffentlichkeit

Nach langer Verzögerung und nur auf großen öffentlichen Druck hin gab die
Bundesregierung in den letzten Tagen konkrete Einzelheiten der Polizeihilfe und
Polizeiausbildungsmaßnahmen mit Belarus zu. Kritische Maßnahmen von
Grenzsicherungen zur Bekämpfung der illegalen Migration weit vor den deut-
schen Grenzen bis hin zu inzwischen eingestandenen Ausrüstungshilfen und
Lehrgängen zum Umgang mit inneren Konflikten („Erläuterung polizeilicher
Lagen in einer Stadt (Ballungsräume), Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/8119)
und der eigenen Bevölkerung wurden dabei offensichtlich bewusst in Kauf ge-
nommen. Das legt ein Zitat eines Mitarbeiters des Auswärtigen Amts nahe, mit
dem er im April 2008 grünes Licht für die Zusammenarbeit mit dem Regime in
Belarus gab. Die Maßnahmen sollten „aber gegebenenfalls etwas flach gehalten
(werden), damit keine unschönen Schlagzeilen entstehen“ (DIE WELT.online
vom 25. August 2012).

Diese für die Bundesregierungen seit 2008 befürchteten unschönen Schlagzeilen
sind jetzt da.

Die Fragen, die gestellt werden müssen, betreffen nicht nur die konkrete
Kollaboration mit dem immer autoritärer werdenden Regime von Alexander
Lukaschenko über die manipulierten Wahlen 2010 hinaus.

Untersucht und geändert werden muss das gesamte, immer weiter ausdifferen-
zierte System deutscher und europäischer Polizeikooperationen. Diese Verfei-
nerung des Systems hat es immer unkontrollierbarer und undurchschaubarer
gemacht, mit dem Schlagwort der „Stärkung rechtsstaatlicher Strukturen und
Entwicklungen“ werden damit seit Jahren Kooperationen mit autoritären Re-
gimen von Libyen bis Belarus gerechtfertigt. Dabei findet der Wille, deutschen
Unternehmen wie EADS den Verkauf modernster Grenzsicherungsanlagen in
Saudi-Arabien zu ermöglichen, genauso seinen Weg, wie der Verkauf von Über-
wachungstechnologie an das „vorrevolutionäre“ Ägypten oder Computer,
Kameras und andere Hightechinstrumente an das totalitäre Belarus.
Abgesichert wird diese kontinuierliche Ausweitung polizeilicher Kooperation,
Ausbildungs- und Ausstattungshilfe durch eine ganze Reihe organisatorischer
und konzeptioneller Maßnahmen bei den Polizeien in der Bundesrepublik
Deutschland selbst.

Seit Jahren experimentiert die Bundespolizei mit hohem Aufwand und wenig
Erfolg mit verschiedenen Modellen von Auslandseinheiten.

Drucksache 17/10635 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In der vorletzten Reform der Bundespolizei wurde die Einrichtung eines Aus-
landspools bekanntgegeben, der die personelle Belastung reduzieren sollte. Die-
ses Modell scheint inzwischen ebenso gescheitert zu sein, wie das der ständigen
Auslandseinheiten.

2009 hat auch das Bundeskriminalamt (BKA) einen „Personalpool zur Aus-
landsverwendung“ eingerichtet. Ebenso wurde im Bundespolizeipräsidium für
Bundespolizisten des höheren Dienstes ein „Interessenpool“ konstituiert, um
Bewerber für EU- und VN-Missionen zu ermitteln. Das „Zentrum für Interna-
tionale Friedenseinsätze“ (ZIF) betreut einen Expertenpool, der „einzelfallbezo-
gen“ auch pensionierte Polizeibeamte einbezieht.

Immer unklarer werden auch die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und
Ländern für bilaterale Einsätze, Auslands- und internationale Missionen, sowie
zwischen Bundespolizei und der Führung der Bereitschaftspolizeien der Länder
im Bundesministerium des Innern.

So besteht die Bundesregierung bis heute darauf „vor dem Hintergrund föderaler
Strukturen und Verantwortlichkeiten der Länder“ (Antwort der Bundesregie-
rung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf
Bundestagsdrucksache 17/9535) in Antworten auf parlamentarische Anfragen
konkrete Antworten nur für den Bund zu geben. Dabei wurde schon 1994 von
der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren (IMK) „gemeinsam
mit dem Bund“ (Bundestagsdrucksache 17/9535) die Bund-Länder-Arbeits-
gruppe Internationale Polizeimissionen (AG IPM) gegründet. Diese AG wie-
derum „bedient sich“ (Bundestagsdrucksache 17/9535) zur Vorbereitung, Orga-
nisation und Koordination von Maßnahmen einer im Bundesministerium des
Innern (BMI) eingerichteten Geschäftsstelle. Engste Verflechtungen zwischen
Bund und Ländern bei internationalen Friedensmissionen, gemeinsam abge-
stimmte und verbindliche Leitlinien prägen also das Konzept der Auslandshilfen
und Auslandseinsätze. Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Weg zur Koopera-
tion mit Belarus der Alleingang einer Behörde oder eines Polizeiführers war.

Geklärt werden müssen dringend politische Grundsätze, konkrete Verantwort-
lichkeiten und bessere Kontrollmöglichkeiten dieser Variante deutscher Außen-
politik.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welcher der Staaten, in denen deutsche Polizisten in irgendeiner Kooperation
oder Mission seit 2006 tätig waren, müssen nach Ansicht der Bundesregie-
rung als nichtdemokratisch, autoritär, totalitär oder nichtwestlichen demokra-
tischen Standards entsprechend bezeichnet werden (bitte konkret auflisten)?

2. In welchen dieser Staaten waren die Einrichtung von Grenzregimen und
Maßnahmen zur Migrationskontrolle Ausgangspunkt der Kooperation, und
wie sahen Lehrgänge, praktische Übungen, Übungen an welchen technischen
Gerätschaften und Lieferung von Ausrüstungsgegenständen jeweils aus (bitte
konkret auflisten)?

3. In welchen dieser Staaten waren Lehrgänge, Übungen und Lieferungen von
Ausrüstungen für andere polizeiliche Aufgaben und Lagen Gegenstand der
Kooperation (bitte konkret für jedes Land mit Angaben zur jeweiligen Auf-
gabe und Ausrüstung angeben)?

4. Aus welchen dieser Länder haben Polizei-, Miliz- oder Militärangehörige an
deutschen oder europäischen Polizeiübungen teilgenommen, und aus wel-
chen Ländern haben Vertreterinnen oder Vertreter aus den genannten Organi-
sationen an Demonstrationen in der Bundesrepublik Deutschland in welcher

Form teilgenommen, und wer hat jeweils die Einladung ausgesprochen und
verantwortet (bitte konkret auflisten, wer woran teilgenommen hat)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10635

5. Welche der unter den Fragen 1 bis 3 erfragten Maßnahmen war in direktem
oder indirektem Zusammenhang mit Kooperationen oder Lieferungen von
Privatunternehmen durchgeführt oder in zeitlichem Zusammenhang durch
solche ergänzt worden?

6. Welcher Unterschied besteht für die Bundesregierung bei Fragen der Poli-
zeikooperation zwischen der Errichtung eines Grenzregimes zur Migra-
tionskontrolle und -abwehr und der Ausbildung, Ausrüstung oder anderen
Unterstützungsleistungen für sonstige polizeiliche Lagen?

7. Welche gemeinsamen verbindlichen Leitlinien, in denen die Zuständigkei-
ten und Voraussetzungen für den Einsatz von Polizisten von Bund und Län-
dern geregelt sind und die den erforderlichen Rahmen für das Engagement
Deutschlands schaffen, wurden von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe IPM
erarbeitet (bitte die Leitlinien in der aktuell gültigen Fassung anhängen)?

8. Wonach wird entschieden, ob in der Auswahlkommission beim Assesse-
ment-Center des BKA für Auslandseinsätze ein Vertreter der Abteilung SO
(für Organisierte Kriminalität) oder ST (für Staatsschutz) sitzt, und für wel-
che Länder, in denen seit 2008 deutsche Polizisten eingesetzt sind, würde
das eine oder das andere gelten?

9. Wie ist das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze zusammengesetzt,
und welchen Umfang hat der von ihm betreute Expertenpool?

10. In welchem Umfang haben bisher pensionierte Beamte welcher deutschen
Sicherheitsbehörde an welchen Auslandskooperationen oder -aufgaben teil-
genommen, und wie war dann ihr genauer rechtlicher Status?

11. Sieht die Bundesregierung die über den Einsatz in Belarus bekanntgewor-
denen Einzelheiten durch die in Frage 7 angesprochenen Leitlinien gedeckt?
In Gänze oder welche nicht?

12. Für welche der unter den Fragen 1 bis 3 erfragten Länder und Maßnahmen
sieht die Bundesregierung das oberste Ziel deutscher Polizeikooperationen
– die Stärkung und Entwicklung rechtsstaatlicher Strukturen und Verfahren –
realisiert (bitte getrennt nach Grenzregime und -kontrolle sowie sonstigen
polizeilichen Aufgaben und Lagen pro Land beantworten)?

13. Ist die Bundesregierung bereit, dem Parlament umfangreichere Informa-
tions- und Kontrollrechte – wie zum Beispiel Vorabinformation bei
bestimmten Einsätzen und Ausweitung des Parlamentsvorbehalts, Rück-
holrechte – bezüglich der Auslandseinsätze und -missionen sowie der Aus-
bildungs- und Ausrüstungshilfen zuzugestehen?
Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 6. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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