BT-Drucksache 17/10609

Werbung der Bundeswehr unter Grundschülern im Projekt "Engel für Afghanistan"

Vom 6. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10609
17. Wahlperiode 06. 09. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth,
Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat,
Jens Petermann, Paul Schäfer (Köln), Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Werbung der Bundeswehr unter Grundschülern im Projekt
„Engel für Afghanistan“

An der Gemeinschaftsgrundschule des nordrhein-westfälischen Gummersbach-
Bernberg werden Schülerinnen und Schüler schon ab der ersten Klasse dazu
angehalten, sogenannte Schutzengel für deutsche Soldaten im Afghanistan-
Kriegseinsatz herzustellen. Die Kinder werden aufgefordert, täglich „die im
Einsatz befindlichen deutschen Soldaten in ihre morgendliche Gedanken“ ein-
zuschließen. Als Zeichen des Interesses am Alltag der Soldaten werden zudem
„aktuelle Informationen zum deutschen Einsatz in Afghanistan in den täglichen
Schulalltag der Erstklässler“ integriert (luftwaffe.de).

Inwiefern den Schülerinnen und Schülern erzählt wird, dass deutsche Soldaten
in Afghanistan Menschen töten bzw. deren Tod verursachen, ergibt sich aus
dem Bericht nicht. So sind bei dem Raketenangriff, den der damalige deutsche
Oberst Georg Klein Anfang September 2009 bei Kunduz befohlen hatte, über
100 Menschen getötet worden, darunter zahlreiche Kinder. Für die afghanische
Zivilbevölkerung werden aber offenbar keine „Schutzengel“ gebastelt.

Das Projekt kommt der Bundeswehr, so schließen die Fragesteller, höchst gele-
gen, zielt es doch offenbar auf die Herstellung eines positiven Verhältnisses der
Kinder zu den Bundeswehrsoldaten.

Die Fragesteller halten das Projekt für einen eklatanten Verstoß gegen bil-
dungspolitische Grundsätze. Diese (unter anderem das Kontroversitätsgebot
und Überwältigungsverbot) würden es zumindest erfordern, dass auch Gegner
des Afghanistan-Einsatzes zu Wort kommen und die Schicksale der auf Befehl
von Bundeswehrsoldaten getöteten Menschen zu thematisieren.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in
Nordrhein-Westfalen zeigte sich „schockiert“ von dem Projekt. Die Koopera-
tion mit der Bundeswehr sei „bedenklich und instrumentalisiert die Grund-
schüler“ (junge Welt, 20. August 2012). Ein Sprecher des „Bündnis Schule
ohne Bundeswehr NRW“ nannte das Projekt „ein erschreckendes Beispiel für
die ideologische Mobilmachung an der Heimatfront.“
Den Fragestellern ist bewusst, dass die Verantwortung für die in Gummers-
bach-Bernberg betriebene Praxis, bereits Erstklässler zu instrumentalisieren,
„Solidarität“ mit der „eigenen Kriegspartei“ zu üben, in erster Linie bei den
nordrhein-westfälischen Schulbehörden liegt. Allerdings stößt das Projekt ganz
offenkundig auf Sympathie bei der Bundeswehr. Diese will es gar, so die Luft-
waffen-Homepage, „aktiv fördern“. So seien Besuche der Schüler bei der Bun-

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deswehr geplant. Zustimmend wird ein Oberstabsgefreiter zitiert, der hofft,
„dass dieses Beispiel Schule macht.“

Die Fragesteller vertreten hingegen die Ansicht, dass schulische Bildung unver-
einbar mit Militärpropaganda ist und eine aktive Beihilfe der Bundeswehr zu
Verstößen gegen die im Beutelsbacher Konsens niedergelegten Bildungsgrund-
sätze unterbleiben müsste.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern hält die Bundesregierung das Projekt sowie die anvisierten Besu-
che der Grundschüler bei der Bundeswehr für vereinbar mit dem bildungs-
politischen Grundsatz der Neutralität bzw. der Kontroversität?

2. Macht die Bundeswehr ihre Mitwirkung an dem Projekt davon abhängig,
dass die Schule sich tatsächlich um Kontroversität bemüht, wenn ja, welcher
Art sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung diese Bemühungen, wenn
nein, warum nicht?

3. Wie weit sind die Planungen für Besuche der Grundschüler bei der Bundes-
wehr gediehen (bitte soweit möglich mit Zeitpunkt und Ort nennen)?

a) Bei welcher Dienststelle soll der Besuch stattfinden?

b) Wie soll sich der Ablauf des Besuches gestalten?

c) Sollen die Kinder Zugang zu militärischem Gerät sowie zu Waffen-
systemen oder Simulatoren haben, und wenn ja, welchen?

d) Was genau verspricht sich die Bundeswehr von einem solchen Besuch?

e) Inwiefern wird sie darauf achten, dass die Schule eine schriftliche Geneh-
migung der Eltern einholt?

f) Inwiefern wird die Bundeswehr darauf achten, dass dieser Besuch durch
einen Besuch bei Gegnerinnen und Gegnern des Afghanistan-Einsatzes
kompensiert wird, um ein Mindestmaß an Kontroversität zu gewähr-
leisten?

g) Wird die Bundeswehr den Grundschülern mitteilen, dass auf Kommando
des Oberst Georg Klein am Kunduz-Fluss afghanische Kinder getötet
worden sind?

4. Inwiefern werden Jugendoffiziere sowie Wehrdienstberater in die Abwick-
lung bzw. Förderung des Projektes einbezogen?

5. Inwiefern will die Bundeswehr das Projekt „aktiv fördern“ (Zitat auf der
Luftwaffen-Homepage)?

a) Welche Maßnahmen zur Förderung sind im Einzelnen bereits beschlos-
sen oder werden erwogen bzw. sind in Umsetzung?

b) Welche Kosten werden dadurch entstehen bzw. sind bereits entstanden
(bitte nach einzelnen Positionen aufschlüsseln)?

6. Was ist damit gemeint, dass weitere Brief- und Paketsendungen der Klasse
durch die Zentrale Post- und Kurierstelle der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn
„koordiniert“ würden?

7. Werden die Empfänger bzw. die empfangenden Truppenteile in Afghanistan
von der Bundeswehr festgelegt, und wenn ja, welche sind dies?

8. Beabsichtigt die Bundeswehr, Vertreter in die Schulklasse zu entsenden, und
wenn ja
a) wer genau und aus welcher Dienststelle soll entsandt werden (Dienst-
stelle, Dienstgrad);

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10609

b) welchem Zweck dient die Entsendung und

c) welchen konkreten Auftrag hat der Vertreter der Bundeswehr?

9. Was genau verspricht sich die Bundeswehr von dem Projekt?

10. Welchen Stellenwert hat es für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr,
ihre Personalwerbestrategie oder andere Überlegungen, wenn Grund-
schüler der ersten und zweiten Klasse dazu angehalten werden, „Solidari-
tät“ mit Soldaten zu üben?

11. In welchem Verhältnis stehen die Soldaten der Bundeswehr zu Engeln, und
inwiefern ist sichergestellt, dass sich Soldaten, die nichtmonotheistischen
Religionen angehören, nicht schlechter gestellt fühlen?

Berlin, den 6. September 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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