BT-Drucksache 17/10570

Rehabilitation von Berufsverbotsbetroffenen

Vom 28. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10570
17. Wahlperiode 28. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Herbert Behrens, Karin Binder, Heidrun
Dittrich, Jens Petermann, Kersten Steinke, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Rehabilitation von Berufsverbotsbetroffenen

40 Jahre nach dem 1972 von der Ministerpräsidentenkonferenz von Bund und
Ländern unter Vorsitz des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) be-
schlossenen sogenannten Radikalenerlass fordern Berufsverbotsopfer eine An-
erkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts. Am 14. Juni 2012 übergab eine
Delegation eine von 255 Berufsverbotsgeschädigten unterzeichnete Resolution
an das Bundeskanzleramt. Darin fordern sie von den Verantwortlichen in Ver-
waltung und Justiz, Bund und Ländern ihre vollständige Rehabilitierung, die
Herausgabe und Vernichtung der sie betreffenden Verfassungsschutzakten, die
Aufhebung der diskriminierenden Urteile und eine materielle Entschädigung.
Während Abgeordnete der Fraktionen DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN die Abordnung der Berufsverbotsopfer empfing, war kein Vertreter
der Bundesregierung bereit, die schließlich einem Angestellten der Poststelle
übergebene Resolution persönlich entgegenzunehmen.

Infolge des Radikalenerlasses waren etwa 3,5 Millionen Bewerberinnen und
Bewerber bzw. Anwärterinnen und Anwärter des öffentlichen Dienstes vom
Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit durchleuchtet worden. Es
kam zu 11 000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2 200 Disziplinarverfahren,
1 250 Ablehnungen von Bewerbern und 265 Entlassungen aus dem öffentlichen
Dienst. Betroffen waren Lehrer und Lehramtsanwärterinnen und -anwärter,
Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Juristinnen und Juristen, Post- und Bahnbe-
dienstete. Aufgrund massiver in- und ausländischer Kritik an der innerhalb der
Europäischen Gemeinschaft einmaligen Berufsverbotspraxis stellte der Bund
im Jahr 1979 die Regelanfrage beim Verfassungsschutz über Bewerberinnen
und Bewerber zum öffentlichen Dienst ein. Die Länder folgten nach, zuletzt
Bayern 1991. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hatte im Jahr 1987
im „Bericht des gemäß Artikel 26 der Verfassung der Internationalen Arbeits-
organisation eingesetzten Ausschusses zur Prüfung der Einhaltung des Über-
einkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf),
1958, durch die Bundesrepublik Deutschland“ die Berufsverbotspraxis verur-
teilt. Im Jahr 1995 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) in Straßburg, dass der Radikalenerlass gegen die Menschenrechte der

Meinungsfreiheit und Koalitionsfreiheit sowie gegen das Prinzip der Verhält-
nismäßigkeit verstoßen habe (Urteil des EGMR im Fall D. Vogt vom 26. Sep-
tember 1995).

Die durch den Radikalenerlass bewirkte Entlassung aus dem öffentlichen
Dienst bedeutet für die Betroffene heute Renteneinbußen von mehreren Hun-
dert Euro im Monat aufgrund fehlender Berufsjahre. Andere, die aufgrund von
Berufsverboten eine kurz bevorstehende Lehramtskarriere gar nicht erst antre-

Drucksache 17/10570 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ten konnten, beklagen gegenüber der Fraktion DIE LINKE., aufgrund des so
erzwungenen Berufswechsels, „Armutsrenten“ beziehen zu müssen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung das am 14. Juni 2012 bei der Poststelle des Bundes-
kanzleramtes abgegebene Schreiben von 255 Berufsverbotsopfern erhalten?

a) Warum war die Bundesregierung nicht bereit, am 14. Juni 2012 persön-
lich durch eine Regierungsvertreterin oder einen Regierungsvertreter eine
von 255 Berufsverbotsopfern unterzeichnete Forderung nach Rehabilitie-
rung und einer Entschuldigung für das erlittene Unrecht entgegenzuneh-
men?

b) Wie steht die Bundesregierung zu den in diesem Schreiben enthaltenen
Forderungen nach Rehabilitierung und einer Entschuldigung für das erlit-
tene Unrecht?

c) Wie steht die Bundesregierung zu der in diesem Schreiben erhobenen
Forderung nach Herausgabe und Vernichtung der betreffenden Verfas-
sungsschutzakten?

d) Wie steht die Bundesregierung zu der in diesem Schreiben erhobenen
Forderung nach Aufhebung der diskriminierenden Urteile?

e) Haben die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Forderung eine
Antwort der Bundesregierung erhalten, und wenn ja, wann, in welcher
Form, und mit welchem Inhalt?

2. Warum unterblieb von Seiten der Bundesregierung trotz der Verurteilung der
Berufsverbotspraxis durch die ILO im Jahr 1987 und das Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall D. Vogt im Jahr 1995 bis
heute jedes öffentliche Eingeständnis, dass der Radikalenerlass Unrecht war?

3. In welcher Form gedenkt die Bundesregierung die politische Auseinander-
setzung über eine aus Sicht der Fragestellenden schwerwiegende Beschädi-
gung der demokratischen Kultur durch die Berufsverbotspolitik zu führen?

4. Inwieweit kann die Bundesregierung eine rentenrechtliche Benachteiligung
von Personen erkennen, die aufgrund des Radikalenerlasses jahrelang an der
Ausübung ihres erlernten Berufes gehindert wurden?

a) Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung, ein solches Renten-
unrecht wieder gut zu machen?

b) Falls die Bundesregierung keine Maßnahmen plant, in welcher Form
können die von Rentenunrecht aufgrund von Berufsverboten Betroffenen
nach Meinung der Bundesregierung zu ihrem Recht auf einen Ausgleich
oder eine Entschädigung kommen?

5. Inwieweit teilt die Bundesregierung heute die von einem Unterausschuss der
ILO im Jahr 1987 im „Bericht des gemäß Artikel 26 der Verfassung der
Internationalen Arbeitsorganisation eingesetzten Ausschusses zur Prüfung
der Einhaltung des Übereinkommens (Nr. 111) über die Diskriminierung
(Beschäftigung und Beruf), 1958, durch die Bundesrepublik Deutschland“
geäußerte Kritik an der deutschen Berufsverbotspraxis, oder wie bewertet sie
sie andernfalls?

a) Aufgrund welcher Überlegungen hat die Bundesregierung den Streitfall
um die von ihr zurückgewiesene Verurteilung der Berufsverbotspraxis als
Verstoß gegen die Konvention 111 durch die ILO im Jahr 1987 nicht dem
Internationalen Gerichtshof in Den Haag unterbreitet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10570

b) Wann, wie oft, und in welcher Form hat der ständige Untersuchungsaus-
schuss der ILO seit seinem Bericht vom 20. Februar 1987 die Bundes-
regierung zur Einhaltung der Konvention 111 angemahnt, zur Beendigung
der Berufsverbotspraxis und zur Rehabilitation der Betroffenen aufgefor-
dert?

c) Wie hat die Bundesregierung jeweils im Einzelnen auf die Ermahnungen
der ILO reagiert?

Berlin, den 28. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.