BT-Drucksache 17/10544

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz

Vom 22. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10544
17. Wahlperiode 22. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Jan Korte, Matthias W. Birkwald,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Harald Koch, Yvonne Ploetz,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 zum
Asylbewerberleistungsgesetz (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) ist ein Meilenstein
im Flüchtlingssozialrecht. Unmissverständlich stellte das Verfassungsgericht
klar, dass Einschränkungen des vom Staat zu gewährleistenden Existenzmini-
mums gegenüber Schutzsuchenden und Menschen mit noch ungefestigtem Auf-
enthaltsstatus unzulässig sind. Eine seit Jahrzehnten praktizierte Politik der Ab-
schreckung wurde als verfassungswidrig gebrandmarkt: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG
garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ lautet
einer der Kernsätze des Urteils (a. a. O., Randnummer 121). Die Grundannahme
des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG), wonach eine kurze Aufenthalts-
dauer niedrigere Leistungssätze rechtfertige, sei niemals in irgendeiner Weise
nachvollziehbar dargelegt worden. Auch dafür, dass sich die dem AsylbLG
unterfallenden Personen „typischerweise nur für kurze Zeit in Deutschland auf-
halten“ – die Bundesregierung argumentiert seit Jahren mit dieser Floskel –,
liege „kein plausibler Beleg“ vor (Randnummer 118).

Damit bestätigte das Gericht eine Kritik am AsylbLG, die von Flüchtlings- und
Wohlfahrtsorganisationen, Verbänden, Kirchen, Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälten usw. seit fast zwei Jahrzehnten vorgetragen wird. Alle Par-
teien, mit Ausnahme der Partei DIE LINKE. (PDS), haben jedoch an der Verab-
schiedung des AsylbLG bzw. an seiner sukzessiven Verschärfung mitgewirkt.
Auch in den sieben rot-grünen Regierungsjahren wurde das Gesetz nicht etwa
aufgehoben oder abgemildert, sondern abermals verschärft und seine Anwen-
dung auf Personen mit humanitärem Aufenthaltsstatus ausgeweitet.

Aus der Sicht der Fragesteller ist es ein fundamentales Versagen des sozialen
Rechtsstaats, dass dieses verfassungswidrige Gesetz über fast zwei Jahrzehnte
Bestand haben konnte und auch von der Justiz weitgehend unbeanstandet blieb.
Das BVerfG führt im Urteil (Randnummer 110) aus, dass es jedenfalls bei der
Verschärfung des AsylbLG im Jahr 2007 durch die Fraktionen der CDU/CSU
und SPD bereits „offensichtlich“ gewesen sei, dass der existenznotwendige Be-

darf auch bei kurzzeitigen Aufenthalten durch das AsylbLG nicht mehr sicher-
gestellt werden konnte.

Die Begründung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des AsylbLG entspricht
inhaltlich weitgehend den Ausführungen der Fraktion DIE LINKE., zuletzt auf
Bundestagsdrucksache 17/4424. In einem Entschließungsantrag auf Bundes-
tagsdrucksache 17/4106 zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur

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Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch hatte die Frak-
tion DIE LINKE. zudem ausgeführt, was nun auch Grund für die Übergangs-
regelung des BVerfG war: „Vor diesem Hintergrund kann an der Verfassungs-
widrigkeit des AsylbLG kein Zweifel bestehen. Eine Änderung des AsylbLG,
die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt, sollte deshalb
schnellstmöglich und parallel zur Änderung der Leistungen nach dem Zweiten
und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II bzw. SGB XII) zum 1. Januar
2011 erfolgen, notfalls rückwirkend. Eine besondere Dringlichkeit ergibt sich
daraus, dass die reduzierten Leistungen nach dem AsylbLG trotz einer Preisstei-
gerung seit 1993 in Höhe von 25 Prozent niemals angehoben wurden“.

Obwohl die Bundesregierung nach dem Hartz-IV-Urteil des BVerfG vom Fe-
bruar 2010 in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
einräumen musste, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschen-
würdigen Existenzminimums für alle Menschen unabhängig von ihrem Aufent-
haltsstatus gilt (Bundestagsdrucksache 17/979, Antwort zu Frage 1) und dass
das AsylbLG den verfassungsmäßigen Anforderungen nicht entspricht, da deren
Leistungssätze willkürlich nach politischen Vorgaben festgesetzt wurden (vgl.
die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/3660, Antwort zu den Fragen 1 bis 7),
unterließ sie es in der Folgezeit, entgegen anders lautenden Ankündigungen, ein
Gesetz zur Herstellung eines verfassungsgemäßen Umgangs mit Schutzsuchen-
den vorzulegen. Es blieb bei der Einrichtung einer ergebnislos tagenden Bund-
Länder-Arbeitsgruppe. Nicht einmal der gesetzlich vorgeschriebene Inflations-
ausgleich zu den Jahreswechseln 2010/2011 und 2011/2012 wurde vorgenom-
men, trotz „evident unzureichender“ Leistungen. Die Menschenwürde wurde
dadurch sehenden Auges auf gesetzlicher Grundlage verletzt.

Aus Sicht der Fragesteller ist es inakzeptabel, wenn der Bundesminister des In-
nern, Dr. Hans-Peter Friedrich, nicht einmal zwei Wochen nach der Entschei-
dung des BVerfG wesentliche Inhalte des Urteils ignoriert bzw. infrage stellt.
Laut „Fränkischer Tag“ vom 29. Juli 2012 halte er es „nach wie vor für richtig“,
dass es einen „Abstand zwischen dem normalen Sozialhilfesatz beziehungs-
weise dem Hartz-IV-Satz und den Asylbewerberleistungen“ gebe, weil er
fürchte, dass eine Anhebung auf Hartz-IV-Niveau „noch mal mehr Wirtschafts-
flüchtlinge“ anziehe. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales werde des-
halb „die Sätze so ausrechnen, dass der Abstand zu den Hartz-IV- und den
Sozialhilfesätzen gewahrt bleibt“. Diese politische Herangehensweise wider-
spricht der klaren Vorgabe des BVerfG, wonach „migrationspolitische Er-
wägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten,
um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Ver-
gleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden“, „von vornherein kein
Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Exis-
tenzminium rechtfertigen“ können (Randnummer 121).

Das Urteil des BVerfG fällt zeitlich in die letzte Phase der Neuverhandlung der
so genannten Aufnahmerichtlinie der EU, die Vorgaben zum sozialrechtlichen
Umgang mit Asylsuchenden macht. Die Bundesregierung hat in den letzten
Jahren alles dafür getan, um das verfassungswidrige deutsche Recht auf die
EU-Ebene zu übertragen und sich anders lautenden Vorschlägen der Euro-
päischen Kommission vehement widersetzt. Sie hat damit verhindert, dass in
der gesamten EU ein Grundsatz gilt, der jedenfalls für die Bundesrepublik
Deutschland künftig zwingend zu beachten ist: Dass Asylsuchende vergleich-
bare Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums wie inländische
Staatsangehörige erhalten müssen, es sei denn, ein signifikanter Minderbedarf
ließe sich empirisch nachvollziehbar begründen. Nichts anderes sah der von der
Bundesregierung abgelehnte Vorschlag der Europäischen Kommission vom

9. Dezember 2008 zu Artikel 17 Nummer 5 (neu) der Aufnahmerichtlinie vor
(Leistungen in entsprechender Höhe, „etwaige diesbezügliche Unterschiede
sind zu begründen“; Ratsdokument 16913/08).

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wieso erfolgte die „Neufestsetzung der Leistungssätze im AsylbLG“ nicht
„im Anschluss“ bzw. „nach der Neufestsetzung der Regelbedarfe nach dem
Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“, obwohl dies von der Bun-
desregierung angekündigt worden war (vgl. die Antworten der Bundesregie-
rung zu den Fragen 1 bis 7 bzw. 11 der Großen Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/3660) und obwohl auch die Abgeord-
nete Miriam Gruß (FDP) im Plenum des Deutschen Bundestages am 17. Juni
2010 erklärt hatte: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist mit
der Ausarbeitung eines Lösungsansatzes betraut, der für Herbst dieses Jahres
[2010] zu erwarten ist“ (Plenarprotokoll 17/49, S. 5157)?

2. Wieso gab es darüber hinaus nicht einmal eineinhalb Jahre später, d. h. bis
zum Urteil des BVerfG, eine entsprechende Gesetzesvorlage, und welche
Rolle spielte dabei insbesondere das Bundesministerium des Innern (bitte
ausführlich begründen)?

3. Wie ist die Nichtvorlage des ursprünglich angekündigten Gesetzentwurfs
zur Änderung des AsylbLG vor dem Hintergrund zu erklären, dass auch
Mitglieder beider Regierungsfraktionen am 20. Januar 2011 im Plenum des
Deutschen Bundestages erklärten (Plenarprotokoll 17/84, S. 9507 und 9505,
Abgeordnete Pascal Kober und Dr. Johann Wadephul), das AsylbLG solle
sobald wie möglich und noch vor einer Gerichtsentscheidung geändert wer-
den, wobei klar war, dass die komplizierte Bedarfsberechnung nicht durch
die Fraktionen selbst, sondern nur durch das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales vorgenommen werden konnte (bitte begründen)?

4. Wieso wurde in diesem Zusammenhang eine bis heute ergebnislos tagende
Bund-Länder-AG eingerichtet, anstatt einen Gesetzentwurf vorzulegen und
diesen dann im üblichen Verfahren zwischen Bundestag und Bundesrat ab-
zustimmen, obwohl nach Maßgabe des Hartz-IV-Urteils des BVerfG klar
war, dass die Neuberechnung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht auf
politischen Absprachen zwischen Bund und Ländern basieren darf, sondern
ausschließlich auf empirischer Grundlage nachvollziehbar und transparent
erfolgen muss und Absprachen zwischen Bund und Ländern zu dieser kon-
kreten Bedarfsermittlung keinen Beitrag leisten können?

5. Wieso wurde nicht wenigstens parallel zu den erwähnten Bund-Länder-Ge-
sprächen der angekündigte Gesetzentwurf erarbeitet und die notwendige Be-
darfsermittlung begonnen (bitte ausführlich begründen)?

6. Welche Defizite bestehen aus Sicht der Bundesregierung beim Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), dass es bei der mündlichen
Verhandlung zum AsylbLG einräumen musste, auch eineinhalb Jahre nach
dem zitierten Urteil zu den ALG-II-Sätzen läge eine Bedarfsberechnung für
Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nicht vor und sei ein Gesetzentwurf
noch nicht absehbar, und wie wird die Bundesregierung Abhilfe schaffen?

7. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter welcher Abteilungen waren im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales über welche Zeiträume hinweg
mit der Überprüfung und Neuberechnung der Leistungen nach § 3 AsylbLG
befasst, und welche Aufträge an externe Dritte zur empirischen Bedarfser-
mittlung wurden gegebenenfalls wann erteilt?

8. Wie kann die Bundesregierung vor dem Hintergrund der vorherigen Fragen
und des Urteils des BVerfG den Vorwurf entkräften, dass an einem einge-
standenermaßen verfassungswidrigen Gesetz und offenkundig unzureichen-
den Leistungssätzen zu Lasten der Betroffenen festgehalten und „auf Zeit
gespielt“ wurde, statt durch eine unverzügliche Neuregelung dem Auftrag

nach Artikel 1 des Grundgesetzes zum Schutz der Menschenwürde aller
Menschen gerecht zu werden (bitte ausführlich begründen)?

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9. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die zum 1. Januar
2011 rückwirkende Übergangsregelung des BVerfG zum Ausdruck bringt,
dass bis zu diesem Datum eine Änderung des AsylbLG hätte erfolgen kön-
nen bzw. müssen (Randnummer 137), worauf auch die Fraktion DIE
LINKE. in ihrem Entschließungsantrag auf Bundestagsdrucksache 17/4106
hingewiesen hatte (bitte begründen)?

10. Wie begründet es die Bundesregierung, dass sie ungeachtet ihres Einge-
ständnisses der Verfassungswidrigkeit des AsylbLG und ungeachtet einer
Preissteigerung seit 1993 in Höhe von etwa 30 Prozent auch zu den Jahres-
wechseln 2010/2011 und 2011/2012 ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach
§ 3 Absatz 3 AsylbLG zur Leistungsanhebung entsprechend gestiegener
Lebenshaltungskosten durch Rechtverordnung nicht nachgekommen ist,
obwohl im Hartz-IV-Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 unmissver-
ständlich klargestellt worden war (Randnummern 140 und 184), dass ein-
mal festgesetzte Leistungssätze „fortwährend zu überprüfen und weiter zu
entwickeln“ sind und z. B. auf Preissteigerungen „zeitnah zu reagieren“ ist
und dabei auf taugliche und realitätsgerechte Kriterien bzw. Anpassungs-
mechanismen zurückgegriffen werden muss (bitte ausführlich begründen)?

11. Wer konkret hat bzw. in welchem Gremium oder Entscheidungskreis
wurde wann und aus welchen Gründen entschieden, dass keine Rechtsver-
ordnung zur Leistungsanpassung wegen gestiegener Lebenshaltungskosten
zu den Jahreswechseln 2010/2011 und 2011/2012 entsprechend der gesetz-
lichen Verpflichtung nach § 3 Absatz 3 AsylbLG erlassen bzw. in der Bun-
desregierung und mit dem Bundesrat abgestimmt werden sollte?

12. Wer konkret hat bzw. in welchem Gremium oder Entscheidungskreis
wurde wann und aus welchen Gründen entschieden, dass kein Gesetzent-
wurf zur Änderung des AsylbLG erarbeitet und stattdessen eine Bund-Län-
der-AG eingerichtet werden sollte?

13. Wieso hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach der Verab-
schiedung des Regelbedarfsermittlungsgesetzes (RBEG) unverzüglich zwei
Forschungsprojekte für den Bericht nach § 10 RBEG konzipiert (vgl. die
Antworten der Bundesregierung auf die Kleinen Anfragen der Fraktion DIE
LINKE. auf den Bundestagsdrucksachen 17/6831 zu Frage 12 und 17/6722
zu den Fragen 12 und 13), es aber unterlassen, eine Sonderauswertung zu
den Verbrauchsausgaben der Personen nach dem AsylbLG vorzunehmen
bzw. zu veranlassen (bitte ausführen)?

14. Hat die Bundesregierung inzwischen eine Sonderauswertung zu den realen
Existenzbedürfnissen bzw. Verbrauchsausgaben der Personen, die nach
ihrer Ansicht künftig dem AsylbLG oder einem anderen Sondergesetz un-
terfallen sollen, veranlasst, und welche konkreten Bedarfsbemessungs-
methoden, die den Anforderungen der Rechtsprechung des BVerfG genü-
gen, werden derzeit diskutiert, kämen in Betracht, sind geplant oder wur-
den aus welchen Gründen womöglich bereits verworfen (bitte ausführlich
darlegen)?

15. Inwieweit wird die Bundesregierung bei der Bedarfsberechnung auch die
vom BVerfG ausdrücklich benannten möglichen Mehrbedarfe berücksich-
tigen, die typischerweise unter den Bedingungen eines nur vorübergehen-
den Aufenthalts anfallen können (vgl. Randnummer 100), wie etwa An-
waltskosten, Kosten für Kommunikation mit dem Herkunftsland, Mehrkos-
ten infolge fehlender sozialer und familiärer Netzwerke?

16. Wie wird die Bundesregierung bei etwaig geplanten Kürzungen der Leis-
tungen der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gegenüber dem üb-

lichen Fürsorgesystem die Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen
Vorgaben sicherstellen, wonach auf geschätzte Abschläge verzichtet wer-

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den muss, wenn es „keine hinreichenden detaillierten Daten über die ein-
zelnen Verbrauchspositionen“ gibt, bzw. wonach Kürzungen von Ausgabe-
positionen zur Rechtfertigung einer zuverlässigen empirischen Grundlage
bedürfen und feststehen muss, dass diese zur Sicherung des soziokulturel-
len Existenzminimums nicht notwendig sind (Urteil vom 9. Februar 2010,
1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09, Randnummern 171 und 176)?

17. Wie wird bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, dass üblicher-
weise auf die Verbrauchsausgaben, das Verbraucherverhalten und die
Lebenshaltungskosten der unteren 20 Prozent der nach ihrem Nettoeinkom-
men geschichteten Haushalte abgestellt wird, während auf Wertgutscheine
verwiesene Personen höhere Ausgaben haben müssen, da sie mangels Bar-
geld nicht oder nur begrenzt Zugang zu preiswerten Discountgeschäften
oder auch Wochenmärkten haben?

18. Wie soll, falls an der Möglichkeit einer Sachleistungsgewährung bei
Grundleistungen festgehalten wird, künftig sichergestellt und überprüft
werden, ob die von staatlichen oder privaten Anbietern erbrachten Sach-
leistungen (z. B. Essenspakete) den Anforderungen an die Gewährleis-
tungspflicht eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechen und
der Wert der erbrachten Sachleistungen dem vom BVerfG in seinem Urteil
vom 18. Juli 2012 vorgegebenen Geldwert entspricht?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass nach
Auffassung des BVerfG bislang weder verlässlich dargelegt wurde, dass
aufgrund einer kurzen Aufenthaltsdauer überhaupt geringere Bedarfe in
Bezug auf die Sicherung des Existenzminimums anzunehmen sind noch
dass ein plausibler Beleg dafür vorliegt, dass sich die dem AsylbLG unter-
fallenden Personen nur für kurze Zeit in Deutschland aufhalten (Rand-
nummer 118), und wie will sie gegebenenfalls diese bisherigen Grund-
annahmen des AsylbLG nachvollziehbar begründen, falls sie an ihnen fest-
halten will?

20. Stimmt die Bundesregierung der Interpretation des Urteils des BVerfG zu,
dass die Form der Leistungsgewährung zur Existenzsicherung dem Gesetz-
geber zwar im Grundsatz freisteht, dies aber sachlichen Erwägungen fol-
gen muss und die Form der Sachleistungsgewährung jedenfalls keine mi-
grationspolitischen Zwecke verfolgen darf, insbesondere nicht den, poten-
tiellen Asylsuchenden und Flüchtlingen keine Anreize zur Zuflucht gerade
nach Deutschland zu bieten (vgl. Randnummer 121, bitte ausführlich und
in Auseinandersetzung mit dem Urteil begründen)?

21. Welche sachliche und verfassungsgemäße Begründung für eine Sachleis-
tungsgewährung kann es überhaupt noch geben, nachdem die Bundesregie-
rung bestätigt hat, dass die Kosten für die Grundleistungen je Person nach
dem AsylbLG in einigen Bundesländern mit hoher Sachleistungsquote rela-
tiv hoch sind (vgl. Bundestagsdrucksache 17/3660, Antwort zu Frage 38)?

22. Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung gegebenenfalls ein Fest-
halten am Vorrang des Sachleistungsprinzips insbesondere in Bezug auf die
Ernährung für zulässig und verfassungsgemäß, obwohl dies von den Be-
troffenen regelmäßig als Diskriminierung und massive Einschränkung ihrer
Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde empfunden wird, was nicht
zuletzt unzählige Protestaktionen Betroffener eindrucksvoll belegen?

23. Inwieweit hält es die Bundesregierung für einen Bestandteil der Menschen-
würde, dass (erwachsene) Menschen grundsätzlich selbst darüber bestim-
men können müssen, was sie in welcher Form essen und trinken möchten?

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24. Was sind die konkreten Ergebnisse der seit Längerem laufenden Abspra-
chen zwischen Bund und Ländern zur Praxis und Zukunft des Sachleis-
tungsprinzips, und welche gesetzlichen Regelungen sind diesbezüglich sei-
tens der Bundesregierung angedacht oder geplant?

25. Inwieweit stimmt die Bundesregierung darin überein, dass nach den Vor-
gaben des BVerfG-Urteils (z. B. Randnummer 119) eine künftige Neurege-
lung nicht mehr vorsehen darf, nach einem mehr als nur kurzfristigen Auf-
enthalt fortdauernd lediglich gekürzte Leistungen zu gewähren, wie dies
nach § 2 AsylbLG derzeit sogar zeitlich unbegrenzt möglich ist, wenn Be-
troffene die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst
haben (bitte begründet darlegen), und inwieweit wurden oder werden die
Bundesländer entsprechend informiert, um eine auch diesbezüglich verfas-
sungskonforme Anwendung des AsylbLG bis zu einer gesetzlichen Neure-
gelung sicherzustellen?

26. Inwieweit sind nach Ansicht der Bundesregierung nach dem Urteil des
BVerfG weitere Kürzungen der als Existenzminimum festgesetzten Leis-
tungen zulässig, wie dies derzeit nach § 1a AsylbLG vorgesehen ist, wenn
die Betroffenen eingereist sind, um Leistungen zu beziehen oder wenn aus
von ihnen zu vertretenden Gründen eine Abschiebung nicht vollzogen wer-
den kann, obwohl migrationspolitische Überlegungen die zu garantierende
Menschenwürde nicht relativieren dürfen und kein Absenken des Lebens-
standards rechtfertigen (Randnummer 121) bzw. „das Existenzminimum in
jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss“ (Randnummer 119),
und inwieweit wurden oder werden die Bundesländer entsprechend infor-
miert, um eine verfassungskonforme Anwendung des AsylbLG bis zu einer
gesetzlichen Neuregelung auch diesbezüglich sicherzustellen?

27. Wie interpretiert die Bundesregierung die vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebene Größe eines „kurzfristigen“ Aufenthalts bzw. „Kurzaufenthalts“
z. B. in zeitlicher Hinsicht (Randnummer 100 ff.) vor dem Hintergrund,
dass im Aufenthaltsrecht bzw. im Aufenthaltsgesetz von kurzfristigen Auf-
enthalten insbesondere im Zusammenhang mit einem dreimonatigen (längs-
tenfalls sechsmonatigen) Visum die Rede ist (vgl. z. B.: www.auswaertiges-
amt.de/DE/EinreiseUndAufenthalt/Zuwanderungsrecht_node.html)?

28. Welche Vorüberlegungen innerhalb der Bundesregierung gibt es dazu oder
ist bereits eine Vorentscheidung dazu getroffen worden, welche Personen-
gruppen künftig dem AsylbLG oder einer Nachfolgeregelung unterfallen
sollen, nachdem eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus
vom BVerfG als unzulässig verworfen wurde und eine „signifikante“ Ab-
weichung bei individuellen Bedarfen in Bezug auf existenznotwendige
Leistungen gegenüber anderen Bedürftigen empirisch und methodisch nach-
vollziehbar begründet werden müsste (Randnummer 99; bitte ausführen)?

29. Welche Vorüberlegungen innerhalb der Bundesregierung gibt es dazu oder
ist bereits eine Vorentscheidung dazu getroffen worden, für welchen maxi-
malen Zeitraum und unter welchen sonstigen Bedingungen sozialrechtliche
Sonderregeln für Schutzsuchende oder Personen mit (noch) ungefestigtem
Aufenthaltsstatus gelten sollen (bitte ausführen)?

30. Welche Gruppen gibt es nach Ansicht der Bundesregierung, die sich regel-
mäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten (vgl. Randnummer 101),
für welche Personengruppen nach dem derzeitigen § 1 AsylbLG gilt diese
Annahme, und wie wird dies jeweils empirisch nachvollziehbar begründet?

31. Wie soll das Gesetzgebungsverfahren infolge des Urteils in zeitlicher Hin-
sicht erfolgen, und wie will die Bundesregierung insbesondere der Ver-

pflichtung einer „unverzüglichen“ Neuregelung zur Sicherung des Exis-
tenzminiums nachkommen, nachdem sie bereits seit mehr als eineinhalb

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Jahren ergebnislos die Neuberechnung der Leistungen nach § 3 AsylbLG
geprüft hat?

32. Wie bewertet die Bundesregierung im Nachhinein ihre Prozessstrategie im
Verfahren 1 BvL 10/10 bzw. 1 BvL 2/11, in dem sie durch ihren Prozess-
bevollmächtigten mit Schreiben vom 15. Juni 2012 (z. B. S. 3, 9 und 10) und
in der mündlichen Verhandlung wesentlich damit argumentierte, dass ge-
ringere Leistungen an Personen nach dem AsylbLG vor allem aus migra-
tionspolitischen Erwägungen heraus gerechtfertigt sein müssten (Verminde-
rung von Pull-Faktoren usw.), obwohl absehbar war, dass das BVerfG eine
Einschränkung des Menschenrechts auf menschenwürdiges Existenzmini-
mum mit dieser Begründung für unzulässig erachten würde?

33. Wie ist die Reaktion des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu er-
klären, wonach die klaren Vorgaben des Urteils „begrüßt“ würden (Presse-
mitteilung vom 18. Juli 2012), obwohl das Urteil nach übereinstimmender
Bewertung in den Medien als eine „schallende Ohrfeige“ (so z. B. jeweils
am 19. Juli 2012 DIE WELT, das Hamburger Abendblatt, die Bremer Nach-
richten, die OSTSEE-ZEITUNG), als „Debakel“ (Saarbrücker Zeitung)
oder auch als „Klatsche“ (BILD) für die Bundesregierung bzw. für das
zuständige Bundesministerium bzw. für die Politik und Gesellschaft im All-
gemeinen bezeichnet wurde (bitte nachvollziehbar begründen)?

34. Sieht sich die Bundesregierung zu einer Entschuldigung oder einer Geste
des Bedauerns gegenüber den vom AsylbLG Betroffenen veranlasst, nach-
dem diesen über Jahre hinweg auf gesetzlicher Grundlage evident unzurei-
chende Leistungen gewährt wurden, die zudem über fast zwei Jahrzehnte
hinweg niemals angehoben wurden, was eine erhebliche Verletzung ihrer
Menschenwürde nach sich zog, wie das BVerfG feststellte, obwohl alle
staatliche Gewalt eigentlich dazu berufen ist, die Menschenwürde jedes
Menschen zu schützen (bitte ausführen)?

35. Inwieweit prüft oder überlegt die Bundesregierung, künftig kein eigenstän-
diges Sondergesetz zur Sicherstellung des soziokulturellen Existenzmini-
mums von Asylsuchenden bzw. anderen Personen mit noch ungefestigtem
Aufenthaltsstatus mehr vorzusehen (Anwendung der allgemeinen Fürsor-
geregelungen mit allenfalls einzelnen Sonderregelungen für bestimmte
Sondersituationen, etwa in der Phase der Erstaufnahme), weil die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts dies im Ergebnis nahelegen bzw. es jeden-
falls erheblich erschweren, ein solches Sondergesetz in verfassungskonfor-
mer Weise überhaupt noch zu begründen (bitte begründet ausführen)?

36. Inwieweit sind die Äußerungen des Bundesministers des Innern (Fränki-
scher Tag vom 29. Juli 2012), er halte es „nach wie vor für richtig“, dass es
einen „Abstand zwischen dem normalen Sozialhilfesatz beziehungsweise
dem Hartz-IV-Satz und den Asylbewerberleistungen“ gebe, weil er fürchte,
dass eine Anhebung auf Hartz-IV-Niveau „noch mal mehr Wirtschafts-
flüchtlinge“ anziehe, weshalb die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
„die Sätze so ausrechnen“ werde, „dass der Abstand zu den Hartz-IV- und
den Sozialhilfesätzen gewahrt bleibt“, vereinbar mit den klaren Vorgaben
im Urteil, wonach „migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an
Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wande-
rungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes
Leistungsniveau zu vermeiden“, „von vornherein kein Absenken des Leis-
tungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminium
rechtfertigen“ können (Randnummer 121; bitte ausführlich begründen)?

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37. Inwieweit trifft es zu, dass die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
die künftigen Sätze so ausrechnen wird, dass ein Abstand zu den Hartz-IV-
bzw. Sozialhilfesätzen gewahrt bleibt, und wenn ja, wie wird dies begrün-
det, und wenn nein, wie ist die oben genannte Äußerung des Bundesminis-
ters des Innern zu erklären?

38. Welche Absprachen und Verständigungen hat es zwischen den Bundes-
ministerien des Innern, der Justiz sowie für Arbeit und Soziales und dem
Bundeskanzleramt zur Umsetzung des Urteils vom 18. Juli 2012 bislang
gegeben, welche sind geplant?

39. Hat die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) oder ihr
Ministerium oder eine andere Stelle oder Person der bayerischen Regierung
beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach dem Hartz-IV-Urteil
des BVerfG im Jahr 2010 oder später darauf gedrängt, dass eine entspre-
chende Neuregelung der Leistungssätze im AsylbLG nach den Maßgaben
der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erfolgt, und wenn ja,
wie wurde hierauf reagiert, und wenn nein, wie ist es zu erklären, dass die
Ministerin am 19. Juli 2012 im Bayerischen Rundfunk erklärte, dass sie
schon nach dem Hartz-IV-Urteil damit gerechnet und erwartet habe, dass die
Bundesministerin für Arbeit und Soziales die Sätze für das AsylbLG ent-
sprechend ändere und dass Bayern auch viel Druck in dieser Richtung aus-
geübt und sich hierfür eingesetzt habe (www.br.de/radio/bayern2/sendungen/
radiowelt/interview-mit-christine-haderthauer-bayerns-sozialministerin-
zu-mehr-geld-fuer100.html)?

40. Ist die folgende Information im Rundschreiben II Nr. 4/2012 GesSoz II A 11
vom 27. Juli 2012 der Berliner Sozialverwaltung „Das Land Berlin hatte
sich gemeinsam mit anderen Bundesländern dafür eingesetzt, dass eine bun-
desweit einheitliche Umsetzung der Übergangsregelung durch das BMAS
gewährleistet wird. Leider hat das BMAS, das für die Festlegung der Regel-
bedarfe zuständig ist, bis heute keine Berechnungen vorgelegt oder zu einer
Abstimmung mit den Bundesländern eingeladen“ zutreffend?

Wenn nein, wie verhält es sich?

Wenn ja, warum ist das BMAS dem Drängen mehrerer Bundesländer nicht
gefolgt, entsprechende Vorgaben für eine einheitliche Umsetzung der
Übergangsregelung des BVerfG zu machen, und warum hat es nicht einmal
eine entsprechende Einladung ausgesprochen, obwohl die Übergangsrege-
lung ab der Urteilsverkündigung gilt und mithin akuter Handlungsbedarf
besteht?

41. Wie ist der aktuelle Stand der Maßnahmen und Absprachen zwischen dem
BMAS und den Bundesländern bzw. innerhalb der Bundesregierung zur
Umsetzung der Übergangsregelung des BVerfG?

42. Hält die Bundesregierung die Umsetzung der Übergangsregelung durch
Bayern (Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und So-
zialordnung, Familie und Frauen vom 26. Juli 2012) für mit dem Urteil des
BVerfG vereinbar, insofern demnach (dort S. 4) zunächst keine Leistungen
zur Gesundheitspflege (Abteilung 6) gewährt werden sollen, obwohl diese
nach den Ausführungen des BVerfG in Randnummer 130 des Urteils
eindeutig Bestandteil der sofort wirksamen Übergangsregelung sind (bitte
begründen), und was hat die Bundesregierung konkret unternommen oder
geplant, um diese unzureichende Anwendung des AsylbLG durch Bayern
zu stoppen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/10544

43. Inwieweit begreift die Bundesregierung das Urteil des BVerfG als ein Signal
für einen Neuanfang bzw. ein Umdenken in der Asylpolitik, wie es jedenfalls
auch in vielen Zeitungskommentaren zum Ausdruck kam (z. B. „Ein Neu-
beginn“, Süddeutsche Zeitung vom 19. Juli 2012), wonach an die Stelle
einer Politik der Abschreckung nunmehr eine Politik treten sollte, die Asyl-
suchende nicht von Beginn an mit Verboten und Einschränkungen belegt,
und inwieweit sind entsprechende Lockerungen der gesetzlichen Grund-
lagen auch in anderen Bereichen geplant oder in der Diskussion, etwa bei der
Frage des Arbeitsmarktzugangs, des Zugangs zu Integrationskursen, der
Lockerung der Residenzpflicht bzw. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit,
der Unterbringung in Massenwohnheimen und abgelegenen Sammelunter-
künften usw.?

44. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der ursprüng-
liche Vorschlag der Europäischen Kommission zu Artikel 17 Nummer 5 der
so genannten EU-Aufnahmerichtlinie vom 3. Dezember 2009 (KOM(2008)
815 endg.) inhaltlich im Wesentlichen den jetzigen Vorgaben des BVerfG
zum AsylbLG entspricht, da in beiden Fällen eine Leistungsgewährung für
einen angemessenen Lebensstandard entsprechend den Leistungen der all-
gemeinen Sozialhilfe für eigene Staatsangehörige vorgegeben wird und et-
waige diesbezügliche Unterschiede zu begründen sind (bitte ausführen)?

45. Welche Folgen hat es nach Ansicht der Bundesregierung, dass infolge ihrer
eigenen Verhandlungsstrategie es noch keine EU-weite Regelung zu ver-
gleichbaren Sozialleistungen für Asylsuchende entsprechend den Vorgaben
des Urteils des BVerfG geben wird, wie ist der aktuelle diesbezügliche Ver-
handlungsstand, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, auf
EU-Ebene bzw. konkret in der EU-Aufnahmerichtlinie Minimalanforderun-
gen festzuschreiben, wie sie nunmehr in Deutschland zwingend zu beachten
sind, zumal sie in der Aufenthalts- und Asylpolitik ansonsten immer bestrebt
ist, deutsche Regelungen auf EU-Ebene durchzusetzen?

46. Inwieweit wird die Bundesregierung auch die umstrittenen Regelungen zur
Gesundheitsversorgung von Personen nach dem AsylbLG neu regeln – auch
wenn sich das BVerfG nicht explizit mit dieser Frage befasst hat, weil dies
nicht Teil der Vorlageentscheidung war –, und zwar in Richtung einer Auf-
nahme in das allgemeine Krankenversicherungssystem, zumal die Fest-
stellung im BVerfG-Urteil, wonach eine Ermessensvorschrift nicht dazu ge-
eignet ist, einen von der Verfassung garantierten Anspruch durchzusetzen
und abzusichern (vgl. Randnummer 115), für das Grundrecht auf Leben und
körperliche Unversehrtheit nicht weniger gelten kann als für das Grundrecht
auf Existenzsicherung (bitte ausführen)?

47. Welche Rückwirkung (rückwirkend für welche Zeiträume bzw. bis zu wel-
chem Datum) und welche Nachzahlungsansprüche in zeitlicher Hinsicht be-
stehen im Rahmen der Übergangsregelung des BVerfG nach Auffassung der
Bundesregierung, wenn mindestens seit dem 1. Januar 2011 Leistungen
nach § 3 AsylbLG bezogen wurden und jetzt ein Widerspruch mit Berufung
auf die Übergangsregelung eingelegt wird, und wenn

a) diese Leistungen ohne schriftlichen Bescheid gewährt wurden,

b) diese Leistungen mit schriftlichem Bescheid vor dem 1. Januar 2011 ge-
währt wurden und seitdem kein schriftlicher Bescheid mehr erlassen
wurde,

c) die Rechtsbehelfsbelehrung des maßgeblichen schriftlichen Gewäh-
rungsbescheides fehlerhaft oder unvollständig ist, und wann ist dies der
Fall (bitte abschließend aufzählen, z. B. falsche Adresse, unvollständige

Belehrung über elektronischen Rechtsverkehr usw.),

Drucksache 17/10544 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) nach dem Urteil vom 18. Juli 2012 ein Widerspruch eingelegt wurde

bzw. wenn gar kein Widerspruch eingelegt wurde (bitte jeweils begrün-
det mit Nennung der Rechtsgrundlagen darlegen)?

48. Welche Mehrkosten sind mit der Übergangsregelung des BVerfG ungefähr
verbunden, und auf welchen Annahmen beruht diese Schätzung?

49. Welche Kosten in welcher ungefähren Höhe ließen sich durch einen weit-
gehenden Verzicht auf Sachleistungen und auf Unterbringungen in Sammel-
unterkünften sowie durch einen Einbezug der Betroffenen ins allgemeine
Gesundheitssystem und einer Aufhebung der Arbeitsverbots- bzw. -be-
schränkungsregelungen einsparen, und auf welchen Annahmen beruht diese
Schätzung?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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