BT-Drucksache 17/10539

Gesundheitsgefährdung und Diskriminierung durch medial verbreitete Schönheitsideale

Vom 22. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10539
17. Wahlperiode 22. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Kathrin Senger- Schäfer, Matthias W. Birkwald,
Diana Golze, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der
Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitsgefährdung und Diskriminierung durch medial verbreitete
Schönheitsideale

Viele Menschen leiden unter dem Gefühl, nicht dem gängigen Schönheitsideal
zu entsprechen, welches Jugendlichkeit, Fitness und Schlanksein zum Maßstab
erhebt. Sie orientieren sich bewusst oder unbewusst an diesen Maßstäben, die
ihnen die ständige Kontrolle und Veränderung ihres Körpers aufdrängen. Ess-
störungen wie Magersucht und Bulimie sind weit verbreitet und selbst Schön-
heitsoperationen ohne medizinische Notwendigkeit, die ein zusätzliches
Gesundheitsrisiko darstellen, nehmen zu. Eine hohe Symbolkraft fällt dabei der
Mode- und der Werbebranche zu. Teilweise wird modische Kreativität mit nor-
malgewichtigen Models vorgeführt. Beispielhaft seien hier die Kosmetikmarke
„Dove“, die Modezeitschrift „Brigitte“ und das Magazin „VOGUE“. Das ist
leider noch nicht die Regel.

In einer auf ökonomische Selbstverwertung und Konkurrenz ausgelegten Ar-
beitswelt, gilt der schlanke Körper als Zeichen für Belastbarkeit, Flexibilität
und gelungenes Selbstmanagement. Frauen und Männer werden bei der Suche
nach Arbeit oder an ihrem Arbeitsplatz wegen ihres Aussehens und Gewichts
benachteiligt. In manchen Berufsgruppen werden wie z. B. bei Servicekräften
und Kundenbetreuerinnen solche körperbezogenen Maßstäbe schon bei der
Einstellung an die zukünftigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angelegt.
Für all das riskieren manche ihre Gesundheit.

Der Gesetzesgeber hat die Pflicht und die Möglichkeit, negativen gesundheit-
lichen Wirkungen aufgrund von Schlankheits- oder Schönheitsidealen entge-
genzuwirken. Ein Ansatzpunkt wäre, das Nachbearbeiten, Manipulieren und
Erzeugen von Illusionen durch die Bildnachbearbeitung mit Photoshop oder
anderen Bildbearbeitungsprogrammen einzuschränken. Einen vergleichbaren
Gesetzesantrag brachte die Abgeordnete Valérie Boyer in die französische
Nationalversammlung ein.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Liegen der Bundesregierung Zahlen darüber vor, wie sich der körperliche
Allgemeinzustand der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen in den letzten 15 Jah-
ren entwickelt hat (bitte nach Geschlechtern aufschlüsseln)?

2. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung innerhalb dieser Entwicklung
eine signifikante Zunahme psychisch bedingter Erkrankungen (bitte chrono-
logisch und nach Geschlechtern aufführen)?

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3. Welche quantitative Entwicklung haben die Essstörungen nach Kenntnis der
Bundesregierung in den letzten 15 Jahren bei den 14- bis 29-Jährigen ge-
nommen (bitte chronologisch, nach Alter und Geschlechtern aufschlüsseln)?

4. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine signifikante Korrelation
zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit einer Person und deren Body
Mass Index (bitte nach Alter und Geschlechtern aufschlüsseln)?

5. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Gesetzentwurf
Nr. 1908 der Abgeordneten Valérie Boyer und weiterer Abgeordneter der
französischen Nationalversammlung bezüglich der Fotografien von retu-
schierten Körpern (Proposition de loi relative aux photographies d’images
corporelles retouchées) vom 15. September 2009?

6. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem im französi-
schen Gesetzentwurf beantragten Strafmaß in Höhe von 37 500 Euro bei
Verstößen gegen die Kenntlichmachung?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass in Großbritannien, Israel und im
US-Bundesstaat Arizona ebenfalls parlamentarische Initiativen zur Kennt-
lichmachung nachbearbeiteter Personenfotografien im öffentlichen Raum
auf den Weg gebracht wurden?

a) Wenn ja, welche Konsequenzen zieht sie aus diesen Initiativen?

b) Wenn nein, warum wurden diese Initiativen bislang nicht zur Kenntnis
genommen?

8. Inwieweit haben die angesprochenen Initiativen im Falle ihrer Durchset-
zung Auswirkungen auf Presseprodukte aus Deutschland?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit in offiziellen Bekanntma-
chungs- und Werbeveröffentlichungen des Bundes Personenfotografien
Verwendung fanden, die mit Bildbearbeitungsprogrammen verändert wur-
den?

a) Wenn ja, in welchem Umfang werden Bildbearbeitungsprogramme ein-
gesetzt?

b) Wenn nein, was wird die Bundesregierung unternehmen, um entspre-
chende Daten zu bekommen und zu veröffentlichen?

10. Wie häufig werden in Bekanntmachungs- und Werbeveröffentlichungen
des Bundes körperlich behinderte oder übergewichtige Menschen abgebil-
det?

11. Betrachtet die Bundesregierung die Kennzeichnung von retuschierten Per-
sonenfotografien in der Modeindustrie als sinnvolle Maßnahme zur Ge-
sundheitsprävention Jugendlicher?

12. Liegen der Bundesregierung Informationen über die prozentuale Zahl von
mit Bildbearbeitungsprogrammen veränderten Bildern in der Werbe-, Ge-
sundheits- und Kosmetikindustrie vor?

13. Welche empirischen Daten liegen der Bundesregierung hinsichtlich der
Selbsteinschätzung von Menschen im Vergleich zu ihrem tatsächlichen
Gewicht vor, „zu dick“, „zu dünn“ etc. (bitte nach Alter und Geschlechtern
aufschlüsseln)?

a) Wie hat sich diese Zahl im Laufe der vergangenen zehn Jahren verän-
dert?

b) Wie gestaltet sich die Situation nach Kenntnis der Bundesregierung im
Vergleich zu anderen europäischen Ländern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10539

14. Welcher Zusammenhang besteht nach Ansicht der Bundesregierung zwi-
schen den Darstellungen von Models in Medien bzw. in der Werbung einer-
seits und Essstörungen andererseits?

15. Welche Ergebnisse liegen der Bundesregierung bezüglich der Initiative
„Leben hat Gewicht“ von 2008 vor?

16. Inwieweit konnte die in der Initiative „Leben hat Gewicht“ verankerte
Selbstverpflichtung der Modebranche, keine magersüchtigen Models zu
vermarkten, umgesetzt werden?

17. Gibt es vonseiten der Bundesregierung die Absicht, die in der Initiative
„Leben hat Gewicht“ verankerte Selbstverpflichtung der Modebranche,
keine magersüchtigen Models zu vermarkten, bei nicht erfolgter Einhal-
tung gesetzlich zu verankern?

18. Reichen nach Ansicht der Bundesregierung die Regelungen des Jugend-
arbeitsschutzgesetzes (JArbSchG) und anderer Gesetze zum Schutz minder-
jähriger Models aus?

Wenn ja, inwieweit werden magersüchtige Models durch die gesetzlichen
Vorgaben geschützt?

19. Welche finanziellen Mittel wurden für die Initiative „Leben hat Gewicht“
aus Haushaltsmitteln bereitgestellt (bitte nach Jahren seit 2008 aufschlüs-
seln)?

20. Wurde die Initiative „Leben hat Gewicht“ evaluiert?

a) Wenn ja, wie oft und mit welchen Ergebnissen?

b) Wenn nein, warum nicht?

21. Gibt es vonseiten des Bundes Initiativen und Kampagnen zur Förderung
des Selbstwertgefühls Jugendlicher, die explizit auf die Gefahren von
Schönheitswahn und Körperkult aufmerksam machen (bitte nach Ge-
schlechtern aufschlüsseln)?

a) Wenn ja, seit wann gibt es solche Projekte, welche finanziellen Mittel
wurden dafür bereitgestellt und welche Ergebnisse liegen vor?

b) Wenn nein, warum nicht, und werden derartige Projekte für die Zukunft
geplant?

22. Wie viele Klagen wegen Diskriminierung oder Mobbing wurden nach
Kenntnis der Bundesregierung seit 2008 pro Jahr von welchen Personen-
gruppen (Alter, Geschlecht) vor Gerichten in Deutschland eingereicht?

23. Ist der Bundesregierung bekannt, wie vielen gerichtsbekannten Fällen von
Diskriminierung oder Mobbing seit 2008 Angriffe aufgrund der körper-
lichen Erscheinung (wie Aussehen, Behinderung oder Fitness) zugrunde
liegen?

24. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um Standards für
diskriminierungsfreie Bewerbungen in der Arbeits- und Ausbildungswelt
auf den Weg zu bringen?

25. Welche Maßnahmen sind vonseiten der Bundesregierung geplant, um im
Rahmen der Europäischen Union die bestehenden Antidiskriminierungs-
richtlinien hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund von Übergewicht
oder Fitness zu ergänzen?

26. Wie entwickelte sich nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergange-
nen zehn Jahren die Inanspruchnahme von Schönheitsoperationen (bitte
chronologisch anführen und nach Alter, Geschlechtern, Bundesländern und

Art des operativen Eingriffs aufschlüsseln)?

Drucksache 17/10539 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
27. In welcher Weise wirkt sich nach Ansicht der Bundesregierung Werbung
für Schönheitsoperationen auf die Nachfrage nach Schönheitsoperationen
aus?

28. Welche Motive für Schönheitsoperationen haben Untersuchungen ergeben,
die der Bundesregierung bekannt sind?

29. In welchem Maße sieht die Bundesregierung gesetzgeberischen Hand-
lungsbedarf zur Unterbindung von Schönheitsoperationen an Minderjäh-
rigen?

30. An welchen Stellen in den entsprechenden Gesetzen zur Kindererziehung
und zum Jugendschutz ist aus Sicht der Bundesregierung eine Neujustie-
rung bezüglich eines Verbots von Schönheitsoperationen an Minderjähri-
gen geboten?

31. Inwieweit wird die Bundesregierung darauf hinwirken, dass Schönheits-
operationen an Minderjährigen nicht unzulässig als medizinisch notwendig
deklariert werden?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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