BT-Drucksache 17/10446

Reform der Finanzaufsicht und europäische Bankenunion

Vom 8. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10446
17. Wahlperiode 08. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard Pitterle
und der Fraktion DIE LINKE.

Reform der Finanzaufsicht und europäische Bankenunion

Eine „Stärkung der deutschen Finanzaufsicht“, wie mit dem gleichnamigen Ge-
setzentwurf auf Bundestagsdrucksache 17/10040 vorgeschlagen wird, stand als
angekündigtes Vorhaben der Bundesregierung lange aus. Bereits im Koalitions-
vertrag zwischen CDU, CSU und FDP vom Oktober 2009 hatten die Koalitions-
fraktionen als „Lehre aus der Finanzkrise“ (Koalitionsvertrag, 10 Punkte für ein
starkes Deutschland) umfassende Reformen der Finanz- und Bankenaufsicht in
Aussicht gestellt. Der zentrale Reformvorschlag, die Bankenaufsicht komplett
bei der Deutschen Bundesbank zu konzentrieren (Koalitionsvertrag S. 54), hatte
für Kontroversen gesorgt und breite Kritik vonseiten der Oppositionsfraktionen
auf sich gezogen (Das Parlament Nr. 42-43 vom 12. Oktober 2009). Rund ein
Jahr später, im Dezember 2010, waren von den Koalitionsfraktionen zehn Eck-
punkte verabredet worden, auf deren Grundlage eine Umsetzung ausgearbeitet
werden sollte (Pressemitteilung der Fraktion der CDU/CSU vom 16. Dezember
2010). Der Gesetzentwurf liegt nun, ein weiteres Jahr später, vor.

Statt umfassenden Veränderungen werden von der Bundesregierung nunmehr
eine „Verbesserung der Aufsichtsstruktur“ und eine „stärkere Zusammenarbeit“
der mit Finanzstabilität befassten Institutionen, maßgeblich der Deutschen Bun-
desbank und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), ange-
strebt. Zentrale Funktionen werden hierzu einem neu zu errichtenden Ausschuss
für Finanzstabilität zugewiesen. Qualitative Neuerungen im Vergleich zur bis-
herigen Organisation der Finanzaufsicht erschließen sich allerdings nicht.

Hinzu kommt, dass angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in der Euro-
zone und insbesondere der Richtungsentscheidung für eine europäische Ban-
kenunion inzwischen eine völlig neue Ausgangslage gegeben ist. Durch den
Vorschlag einer europäischen Bankenaufsicht (President of the European Coun-
cil/Herman Van Rompuy, Towards a genuine economic and monetary Union),
deren Ansiedelung unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB) dis-
kutiert wird, sind Relevanzen geschaffen worden, die in der Debatte und im
Prozess der Umsetzung einer Finanzaufsichtsreform nicht unberücksichtigt
bleiben können.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann und wie oft hat der Ausschuss für Finanzmarktstabilität nach Kenntnis
der Bundesregierung getagt, zu welchen Fragen und Sachverhalten, und mit
welchen Ergebnissen (bitte mit Angabe von Datum und Fragen/Sachverhal-
ten sowie Ergebnissen auflisten)?

Drucksache 17/10446 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welches sind aus Sicht der Bundesregierung die qualitativen Neuerungen
des im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Ausschusses für Finanzstabilität im
Vergleich zum Vorgängergremium, dem Ausschuss für Finanzmarktstabili-
tät?

3. Wie beabsichtigt die Bundesregierung sicherzustellen, dass der neue Aus-
schuss für Finanzstabilität regelmäßig tagt und seinen Aufgaben nach-
kommt?

4. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Arbeit des Ausschusses für Finanz-
stabilität in Zukunft regelmäßig auf seine Arbeits- und Funktionsfähigkeit
zu überprüfen?

Wie will sie dabei bewerten, ob die im Gesetzentwurf angestrebte „stärkere
Zusammenarbeit der im Bereich der Finanzstabilität maßgeblichen Institu-
tionen“ in zufriedenstellender Weise erreicht wird?

5. Wie erklärt die Bundesregierung die Veränderungen im Text des als Bundes-
tagsdrucksache vorliegenden Gesetzentwurfs hinsichtlich der Änderungs-
vorschläge im Vergütungssystem der BaFin im Vergleich zur ursprünglichen
Textfassung des Referentenentwurfs?

6. Inwieweit erwägt die Bundesregierung, neben den Vorschlägen zur Bezahl-
struktur der BaFin-Beschäftigten, die unter anderem mit der Notwendigkeit
der Konkurrenzfähigkeit der Vergütungen der Finanzaufsicht im Vergleich
zur Finanzbranche begründet werden, gleichzeitig auch bestimmte Begren-
zungen bzw. Orientierungsmaßstäbe für die Vergütungsstrukturen in der
Finanzbranche zu erarbeiten, damit auf Dauer eine attraktive Bezahlung
der BaFin-Beschäftigten und die Akquise von qualifiziertem Personal auch
künftig gewährleistet bleibt?

7. Auf welche Art und Weise beabsichtigt die Bundesregierung angesichts der
geänderten Zusammensetzung des Verwaltungsrates eine angemessene
Pluralität unter den „sechs Persönlichkeiten mit Expertise im Bereich
Finanzwirtschaft“ (Hartmut Koschyk, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen, zitiert nach Plenarprotokoll 17/190)
sicherzustellen, die anstelle der zehn Vertreter der Finanzindustrie wie bis-
her diesem Gremium nun angehören sollen?

8. Warum soll aus Sicht der Bundesregierung in Anbetracht des vorgeschlage-
nen Beschwerdeverfahrens und entsprechend der in § 4b enthaltenen Rege-
lung das von Beschwerde betroffene Institut darüber entscheiden dürfen,
inwieweit eine Stellungnahme gegenüber der BaFin dem Beschwerdeführer
übermittelt wird?

9. Wie gedenkt die Bundesregierung die Richtungsentscheidung für eine eu-
ropäische Bankenunion und eine europäische Bankenaufsicht im laufenden
Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Finanzaufsicht einzubeziehen?

10. Wie sieht die Bundesregierung die BaFin und die Deutsche Bundesbank auf-
gestellt, um eine zuträgliche und leistungsfähige Rolle bei der Entstehung
einer europäischen Bankenaufsicht unter Einbeziehung der EZB zu spielen?

11. Inwieweit tragen die einschlägigen, mit Aufsicht befassten Institutionen
derzeit zu konzeptionellen Überlegungen hinsichtlich der Gestaltung einer
europäischen Bankenaufsicht bei?

12. Besteht im Rahmen der Herausbildung einer europäischen Bankenaufsicht
unter Einbeziehung der EZB ein Abstimmungs- und Diskussionsprozess
zwischen nationalen Aufsichtsbehörden, wodurch diese einbezogen wer-
den und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, Vorschläge einzubringen

oder diesen Prozess auf andere Weise zu begleiten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10446

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die Schaffung einer europäischen Ban-
kenaufsicht unter Einbeziehung der EZB und die Verankerung aufsichts-
politischer Ziele samt Eingriffsrechten in Krisensituationen mit Blick auf
bereits bestehende sowie mögliche, sich verstärkende Zielkonflikte, die in
Zusammenhang mit der Funktion der EZB als Notenbank des Euro-Systems
und ihrer Verpflichtung auf Ziele der Geldwertstabilität (Primat der Preis-
stabilität) entstehen?

14. Inwieweit sieht die Bundesregierung gegenwärtig das Erfordernis, als
Lösung dieser Zielkonflikte zu einem neuen, umfassenderen Verständnis von
Finanzstabilität zu gelangen, und welche Überlegungen leitet die Bundes-
regierung hieraus und als Schlussfolgerungen aus den Zielkonflikten für den
Reformbedarf der EZB ab?

15. Wie sieht die Bundesregierung die Rolle der bestehenden Aufsichtsbe-
hörde European Banking Authority (EBA) im Verhältnis zu einer euro-
päischen Bankenaufsicht?

16. Auf welche Art und Weise soll die Aufsicht über grenzüberschreitend
tätige Banken und Institute erfolgen, und welche Position vertritt die Bun-
desregierung in dieser Frage?

17. Welche Überlegungen wurden bislang darüber angestellt, wo Supervisory
Colleges – sogenannte Aufseherkonferenzen über grenzüberschreitend
tätige Bankengruppen – künftig angesiedelt und wie Zuständigkeiten gere-
gelt werden sollen?

Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in diesen Fragen?

18. Inwieweit bestehen Überlegungen, Colleges zu reformieren, bzw. diese mit
einer rechtlichen Basis auszustatten, um diesen rechtlich bindende Ent-
scheidungen einschließlich den Erlass von Sanktionen zu ermöglichen?

19. Soll die neue europäische Aufsicht aus Sicht der Bundesregierung alle
Banken und Kreditinstitute oder nur die größten Banken kontrollieren (vgl.
Handelsblatt vom 12. Juli 2012, „Bankaufsicht wird zum Zankapfel“, wo-
nach die Bundesregierung dafür eintrete, dass nur die 25 größten grenzüber-
schreitend tätigen Banken unter die Aufsicht fallen sollen und Sparkassen
und Volksbanken davon nicht betroffen seien.) (bitte begründen)?

20. Welche Vorschläge in dieser Frage werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung gegenwärtig diskutiert?

21. Welche Eingriffsrechte einer europäischen Bankenaufsicht gegenüber den
nationalen Behörden werden derzeit auf EU-Ebene diskutiert?

22. Wie positioniert sich die Bundesregierung hinsichtlich der Frage der Ein-
griffsrechte einer europäischen Bankenaufsicht gegenüber nationalen Be-
hörden?

23. Wie sollen nach Erkenntnissen der Bundesregierung bei einer europäischen
Bankenaufsicht die Dienstwege verlaufen und die Weitergabe von dringen-
den Sachverhalten erfolgen, um kurze Reaktionszeiten im Sinne einer
handlungsfähigen und zielsicheren Aufsicht zu gewährleisten?

Würde das z. B. bedeuten, dass die Deutsche Bundesbank ihre im Zuge der
laufenden Überwachung gewonnenen Aufsichtserkenntnisse unmittelbar
an eine Bankenaufsicht unter Einbeziehung der EZB weitergeben soll, oder
würden diese Informationen weiterhin ausschließlich an die BaFin über-
mittelt werden?
Berlin, den 8. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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