BT-Drucksache 17/10403

Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Forschungseinrichtungen

Vom 25. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10403
17. Wahlperiode 25. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Krista Sager, Dr. Tobias Lindner, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Sylvia Kotting-Uhl, Katja Dörner, Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner,
Ulrich Schneider und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Forschungseinrichtungen

Laut Medienberichten (FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom 19. April
2012) drohen zwei Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher For-
schungszentren e. V., dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.
sowie dem Forschungszentrum Jülich GmbH, Steuerrückzahlungen im dreistel-
ligen Millionenbereich. In laufenden Betriebsprüfungen wurde infrage gestellt,
ob den Forschungsinstituten die volle Unternehmereigenschaft im steuerrecht-
lichen Sinne zukommt und damit auch die daraus abgeleitete Vorsteuerabzugs-
berechtigung und Umsatzsteuerbefreiung.

Künftige steuerliche Mehrbelastungen durch Verlust der Vorsteuerabzugsbe-
rechtigung sowie Steuernachzahlungen in erheblicher Größenordnung drohen
die Forschungstätigkeiten der Einrichtungen beträchtlich einzuschränken und
die Mittelaufwüchse im Pakt für Forschung und Innovation zu konterkarieren.

Die Problematik tritt allerdings nicht zum ersten Mal auf.

Bereits 2009 hat die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaf-
ten e. V. die volle Unternehmereigenschaft im steuerrechtlichen Sinne verloren.
Das führte zu Steuernachzahlungen in Höhe von 148,1 Mio. Euro und einer
jährlichen steuerlichen Mehrbelastung von ca. 60 bis 70 Mio. Euro.

Damit die Forschungstätigkeit in der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung
der Wissenschaften e. V. nicht deutlich eingeschränkt werden musste, haben
Bund und Länder damals die finanzielle Förderung entsprechend erhöht.

Es ist davon auszugehen, dass auch andere Forschungseinrichtungen von der
Problematik betroffen wären, insbesondere die anderen Einrichtungen der Helm-
holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann hat die Bundesregierung erstmals davon Kenntnis erhalten, dass die
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. im Zuge
einer Betriebsprüfung die volle Unternehmereigenschaft im steuerrechtli-

chen Sinne verlieren könnte?

2. Besteht die Problematik mit der Vorsteuerabzugsberechtigung von For-
schungseinrichtungen erst seit Inkrafttreten der EU-Richtlinie über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (2006/112/EG),
und wenn ja, wann hat die Bundesregierung die Forschungsorganisationen
und die Einrichtungen über die möglichen Auswirkungen informiert?

Drucksache 17/10403 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Hat die Bundesregierung geprüft, welche Auswirkungen die geänderte
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in Bezug auf eine engere Auslegung
der Vorsteuerabzugsberechtigung auf Forschungseinrichtungen hat, und wenn
ja, mit welchem Ergebnis, und wann hat sie die Forschungseinrichtungen
darüber informiert, und wenn nein, warum hat sie dies nicht getan?

4. Hat die Bundesregierung geprüft, welche Auswirkungen die Umsatzsteuer-
anwendungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen seit 2007 in
Bezug auf eine engere Auslegung der Vorsteuerabzugsberechtigung auf For-
schungseinrichtungen haben, und wenn ja, wann, mit welchen Ergebnissen,
und wann hat sie die Forschungseinrichtungen darüber informiert, und wenn
nein, warum hat sie dies nicht getan?

5. Hat die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der Umsatzsteuerpro-
blematik bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaf-
ten e. V. geprüft, ob auch andere öffentliche Forschungseinrichtungen, ins-
besondere die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V.
(HGF), die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V.
(WGL) und die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten
Forschung e. V. (FhG), von einer Kürzung der Vorsteuerabzugsberechtigung
betroffen sein könnten, und wenn ja, wann, und mit welchen Ergebnis?

6. Hat die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der Umsatzsteuerpro-
blematik bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaf-
ten e. V. den Austausch mit der HGF, der WGL und der FhG über diese Frage
gesucht, und wenn ja, jeweils wann, und mit welchem Ergebnis?

7. Hat die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der Umsatzsteuerpro-
blematik bei der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaf-
ten e. V. den Austausch mit den Ländern gesucht, um einer gleichgelagerten
Problematik bei der HGF, der WGL und der FhG vorzubeugen, und wenn
ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

8. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung nach der Kürzung der Vor-
steuerabzugsberechtigung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der
Wissenschaften e. V. ergriffen, um einer Wiederholung der Problematik bei
der HGF, der WGL und der FhG vorzubeugen?

9. Hat die Bundesregierung nach der Kürzung der Vorsteuerabzugsberech-
tigung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften
e. V. eine Anpassung oder Konkretisierung der Verwaltungsvorschriften an-
gestrebt, und wenn ja, welche, und mit welchen Ergebnis?

10. Wann hat die Bundesregierung erstmals Kenntnis von den möglichen Er-
gebnissen der steuerlichen Betriebsprüfung und der drohenden Kürzung
der Vorsteuerabzugsberechtigung beim Forschungszentrum Jülich GmbH
(FZJ) und beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR)
erhalten?

11. Hat die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der drohenden Kür-
zung der Vorsteuerabzugsberechtigung bei zwei Einrichtungen der HGF
das Gespräch mit den anderen Einrichtungen der HGF sowie der WGL und
der FhG gesucht, und wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

12. Hat die Bundesregierung nach dem Bekanntwerden der drohenden Kür-
zung der Vorsteuerabzugsberechtigung bei zwei Einrichtungen der HGF
das Gespräch mit den Ländern gesucht, um negativen Auswirkungen auf
die gemeinsame Forschungsförderung vorzubeugen, und wenn ja, wann,
und mit welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10403

13. Welche vorsorgenden Maßnahmen hat die Bundesregierung bislang er-
griffen, damit möglicherweise anfallende Steuernachzahlungen den For-
schungsbetrieb beim DLR und dem FZJ nicht erheblich einschränken?

14. Welche vorsorgenden Maßnahmen will die Bundesregierung im Rahmen
der Haushaltsaufstellung 2013 ergreifen, damit möglicherweise anfallende
Steuernachzahlungen den Forschungsbetrieb bei den Einrichtungen der
HGF nicht erheblich einschränken?

15. Was hat die Bundesregierung unternommen, um die möglicherweise fällig
werdenden Steuernachzahlungen beim DLR und dem FZJ, aber auch bei
anderen eventuell betroffenen Forschungseinrichtungen, möglichst genau
beziffern zu können, und was hat diese Prüfung im Einzelnen ergeben, bzw.
wann liegen die Ergebnisse vor?

16. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, seit wann die Einrichtungen
der HGF, der WGL und die FhG in welcher Größenordnung jeweils Vor-
steuerabzug praktizieren, und wenn ja, welche?

17. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, wann in den Einrichtungen
der HGF jeweils die letzten steuerlichen Betriebsprüfungen stattfanden und
welcher Zeitraum jeweils geprüft wurde, und wenn ja, welche?

18. Haben andere Einrichtungen des Bundes oder nach Kenntnis der Bundes-
regierung andere Einrichtungen der Länder, wie zum Beispiel die Finanz-
behörden, den jeweiligen außeruniversitären Forschungseinrichtungen Hin-
weise darüber gegeben, in welcher Weise sie vom Vorsteuerabzug
Gebrauch machen können, und wenn ja, um welche Einrichtungen handelt
es sich, und wann wurden die Hinweise gegeben?

19. Inwieweit betrachtet die Bundesregierung die Einrichtungen der HGF in
Steuerangelegenheiten als eigenverantwortlich, unter besonderer Berück-
sichtigung der Wissenschaftsfreiheitsinitiative?

Berlin, den 25. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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