BT-Drucksache 17/10395

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsangehörige

Vom 24. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10395
17. Wahlperiode 24. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Heidrun Dittrich,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Harald Koch, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Jens Petermann, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Ehrenbekundungen der Bundeswehr für verstorbene Wehrmachtsangehörige

Die Bundeswehr hat in ihrer Brauchtumspflege weiterhin ein positives Verhält-
nis zur Wehrmacht. Immer noch sind Kasernen nach Wehrmachtsoffizieren
benannt, immer noch beteiligt sich die Bundeswehr an Veranstaltungen, die
primär der Glorifizierung der Wehrmacht dienen, wie der „Brendtenfeier“ des
Kameradenkreises der Gebirgstruppe. Sie unterstützt Vereine wie den Bayeri-
schen Soldatenbund 1874 e. V., der ebenfalls ein überwiegend positives Bild
der Wehrmacht zeichnet und deren „Leistungen“ gewürdigt wissen will (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
auf Bundestagsdrucksache 16/1282).

Die Weigerung, einen radikalen Schnitt zu machen und sich ein für allemal von
der Wehrmacht zu lösen, drückt sich aber auch darin aus, dass die Bundeswehr
immer noch in Habachtstellung geht, wenn Wehrmachtsoffiziere zu Grabe ge-
tragen werden. Seit dem Jahr 2000 hat sie 117 Mal sogenannte Ehrengeleite
und Abordnungen gestellt. Erst im Juli 2012 hat die Bundesregierung auf eine
Schriftliche Frage der Abgeordneten Ulla Jelpke bestätigt, dass es dabei über-
haupt keine Rolle spielt, ob die Wehrmachtsoffiziere zur militärischen Opposi-
tion gegen die Naziführung gehört haben.

Die Fragesteller verkennen nicht die Zwangslage, in der sich insbesondere
Wehrpflichtige damals befunden hatten. Einfache Wehrmachtswehrpflichtige
werden aber von der Bundeswehr sowieso nicht geehrt. Sie ehren nur Hochde-
korierte und ranghohe Berufsoffiziere – Letztere haben sich freiwillig in den
Dienst des faschistischen Raub- und Vernichtungskrieges gestellt. Auch wenn
ihnen nicht selbst unmittelbare Kriegsverbrechen gerichtlich nachweisbar sind,
haben sie sich durch ihre Mitwirkung an diesem Menschheitsverbrechen poli-
tisch so sehr disqualifiziert, dass nicht einzusehen ist, warum sie von der Bun-
deswehr in besonderem Maße geehrt werden sollten; auch dann nicht, wenn sie
sich nach ihrem Engagement für Nazideutschland später in der Bundeswehr be-
tätigt haben.

Die Bundeswehr selbst allerdings betrachtet die Ehrung von Wehrmachts-
offizieren laut Bundesregierung als „Teil ihrer kulturellen Identität“. Das
scheint aus Sicht der Fragesteller leider zuzutreffen.

Die Prüfung von Umständen, die einer Ehrung entgegenstehen, ist ausweislich
der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6201 nur rudimentär. Der Bundes-
wehr ist nicht einmal bekannt, welchen militärischen Einheiten die Verstor-
benen angehört hatten. Anfragen beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt,
dem Berlin Document Center oder dem Simon Wiesenthal Center erfolgen

Drucksache 17/10395 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nicht. Aus den damaligen Antworten der Bundesregierung ergibt sich, dass die
kommentarlose Weitergabe verbrecherischer Befehle an untergeordnete Dienst-
stellen ebensowenig ein Ablehnungsgrund für eine Ehrung ist, wie zeitgenös-
sische Äußerungen, die eine vorbehaltlose Unterstützung des Angriffskrieges
und/oder des NS erkennen lassen. Auch nicht die freiwillige Mitgliedschaft in
der SS, SA oder NSDAP. In dieser Logik könnte die Bundeswehr auch solche
Soldaten ehren, die an der Niederschlagung des Staatsstreiches am 20. Juli
1944 beteiligt waren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat sich die Bundesregierung bei ihrer Argumentation zur Verteidigung der
Ehrengeleite für Wehrmachtsoffiziere, dies entspreche „international üb-
lichen Gepflogenheiten“, bewusst gemacht, dass andere Armeen nicht in
vergleichbarem Maße an einem Raub- und Vernichtungskrieg beteiligt
waren wie die Wehrmacht, und wenn ja, inwiefern wurde dies gewürdigt?

2. Warum werden ausgerechnet hochrangige Offiziere geehrt, die freiwillig in
die faschistischen Streitkräfte gegangen waren, und nicht auch einfache
Wehrpflichtige, die in die Wehrmacht gezwungen worden waren (die Frage-
steller weisen darauf hin, dass diese Frage in der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestags-
drucksache 17/6201 nicht beantwortet worden war)?

3. Ist die Aufzählung von Umständen, die einer Ehrenbekundung entgegen-
stehen, in der Antwort zu Frage 3 der Bundesregierung auf die Kleine An-
frage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/6201 (Mit-
gliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, Beteiligung an Kriegs-
verbrechen oder verfassungsfeindliche Bestrebungen) vollständig?

Wenn nicht, welche weiteren Umstände stehen einer Ehrung entgegen?

4. Wie soll die Bundeswehr sicherstellen, an Informationen über einer Ehrung
entgegenstehende Umstände überhaupt zu gelangen, wenn sie weder beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt noch beim Berlin Document Center
noch bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung
nationalsozialistischer Verbrechen noch beim Simon Wiesenthal Zentrum
oder vergleichbaren Institutionen nachfragt?

5. Wie soll eine Prüfung erfolgversprechend sein, wenn die Bundeswehr noch
nicht einmal nachprüft, welchen Einheiten der Verstorbene angehört hat?

6. In wie vielen der seit dem Jahr 2000 durchgeführten 117 Ehrenbekundungen
ist ausnahmsweise bei einer der vorgenannten Stellen angefragt worden
(bitte einzeln benennen)?

Beabsichtigt die Bundesregierung, die Zentrale Dienstvorschrift dahinge-
hend zu ergänzen, dass regelmäßig bei diesen Stellen nachgefragt wird, um
Informationen beispielsweise über eine NSDAP-Mitgliedschaft der Verstor-
benen oder ihre Mitwirkung an Kriegsverbrechen einzuholen?

7. Wie geht die von der Bundesregierung genannte „Klärung möglicher verfas-
sungsfeindlicher Bestrebungen“ vor sich?

Wer nimmt diese vor, welche Kapazitäten stehen dabei zur Verfügung, und
inwiefern werden Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst ein-
gebunden?

8. Wird geprüft, ob die Verstorbenen die Kommandogewalt über Einheiten
inne hatten, die Kriegsverbrechen begangen haben?

9. Wird geprüft, ob die Verstorbenen verbrecherische Befehle wie den Kom-
missarbefehl, den Kriegsgerichtsbarkeitserlass oder Repressalien an der
Zivilbevölkerung entworfen, kommentarlos weitergereicht oder sie umge-
setzt haben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10395

10. Wird geprüft, ob die Verstorbenen kriegsgerichtliche oder disziplinarische
Schritte gegen Soldaten, die Kriegsverbrechen begangen hatten, unterlas-
sen haben?

11. Wird geprüft, ob die Verstorbenen an Todesurteilen gegen Deserteure,
Kriegsverräter, Wehrkraftzersetzer usw. beteiligt waren (auch als Ankläger
bzw. Zeugen)?

12. Wird geprüft, ob die Verstorbenen sich während der Naziherrschaft explizit
für diese ausgesprochen hatten?

13. In wie vielen Fällen hat die Bundeswehr seit dem Jahr 2000 Deserteure
oder Kriegsverräter geehrt?

14. Was will die Bundeswehr heute dienenden Soldatinnen und Soldaten durch
die Ehrung von Offizieren, die sich freiwillig und/oder „tapfer“ für Nazi-
deutschland eingesetzt hatten, vermitteln?

15. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung dagegen, die gerne wiederholte
Aussage des Traditionserlasses, die Wehrmacht könne keine Vorbildfunk-
tion haben, auch in die Praxis umzusetzen und von jeglichem ehrenden Ge-
denken an die Wehrmacht Abstand zu nehmen oder es wenigstens auf ein-
deutige Widerständler in der Wehrmacht zu beschränken?

Berlin, den 24. Juli 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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