BT-Drucksache 17/1015

Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen - Freihandelsabkommen EU-Kolumbien stoppen

Vom 15. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1015
17. Wahlperiode 15. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Annette Groth, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger, Andrej Hunko,
Harald Koch, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechte in Kolumbien auf die Agenda setzen – Freihandelsabkommen
EU-Kolumbien stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Kommission (EU) steht kurz vor dem Ziel, mit Kolumbien,
Peru und der zentralamerikanischen Ländergemeinschaft SIECA Assoziie-
rungsabkommen zu schließen, die nicht nur die weitgehende Liberalisierung
des Güterhandels umfassen. Die Vorschläge zur Liberalisierung der öffent-
lichen Beschaffungsmärkte und für das Wettbewerbsrecht sowie für den Inves-
titions- und Patentschutz zielen auf fundamentale Eingriffe in die Ordnungs-
politik dieser lateinamerikanischen Länder.

Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, die die ungleiche Entwicklungen der
Wirtschaftsstrukturen fördern und die bestehende neoliberale Arbeitsteilung
zwischen Industrie- und Entwicklungsländer als Rohstofflieferanten weiter ver-
tiefen, laufen einer Entwicklungspolitik zuwider, die eine gerechte Wirtschafts-
ordnung unter Einbeziehung der Interessen der Bevölkerungen des Südens als
Ziel hat.

Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen tre-
ten gegen den Abschluss eines solchen Abkommens auf, weil es die derzeitige
Politik der kolumbianischen Regierung legitimieren und keinen Beitrag zur
Verbesserung der Menschenrechte leisten würde. Der US-Kongress und das
kanadische Parlament haben kürzlich die Ratifizierung ähnlicher Abkommen
ihrer Länder mit Kolumbien aufgrund der schlechten Menschenrechtslage in
Kolumbien gestoppt. Ebenso haben das norwegische Parlament und die nor-
wegische Regierung es abgelehnt, ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien
zu ratifizieren.

Im Rahmen der Verhandlungen mit Kolumbien spielen Menschenrechte für die

Europäische Union und Deutschland eine untergeordnete Rolle. Obwohl die
EU in internen Sitzungen Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien bedauert,
blieb die Kritik an der kolumbianischen Regierung seitens der Bundesregierung
und der EU aus. Das gilt insbesondere für die Verstrickung der Regierung Uribe
Velez mit paramilitärischen Strukturen, die ihren Einfluss bis ins kolumbiani-
sche Parlament ausgebaut haben.

Drucksache 17/1015 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Besuch einer spanischen Delegation in Kolumbien und ihre Schlussfolge-
rungen (23. bis 30. Januar 2010) und der von Human Rights Watch Anfang
Februar 2010 veröffentlichte Bericht für die Jahre 2007 bis 2009 bestätigen die
schwierige Lage der Menschenrechte in Kolumbien für alle Bevölkerungs-
gruppen und insbesondere für Gewerkschafts- und Menschenrechtsaktivis-
tinnen und -aktivisten.

In Kolumbien existiert ein innerer sozialer, politischer und bewaffneter Kon-
flikt, der zu einer systematischen Verletzung der Menschenrechte durch alle
bewaffnete Akteure führt. Die kolumbianische Armee und Polizei sind dabei
Teil des Problems und für systematische Menschenrechtsverletzungen, wie ex-
tralegale Hinrichtungen von Zivilisten, verantwortlich. Die Zivilbevölkerung
ist das Hauptopfer des Konfliktes, da sie gewaltsam und in zunehmendem
Maße von Seiten der verschiedenen Parteien in den Konflikt hineingezogen
wird. Insbesondere gehören sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen
Minderheiten und die Verwicklung von Minderjährigen in Kriegshandlungen
zum Alltag dieses Konfliktes.

Die Unabhängigkeit der Justiz, als Grundlage des Rechtsstaates, wird nicht re-
spektiert. Der Oberste Gerichtshof wird ständig von Regierungsinstanzen ange-
griffen, seine Richter sind Verfolgung, Drohungen und Telefonüberwachung
ausgesetzt und es wird versucht, sie öffentlich zu diskreditieren.

In Kolumbien ist es lebensgefährlich, gewerkschaftlich aktiv zu sein; im Jahre
2009 wurden 40 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ermordet. Gewerk-
schaftsführer werden systematisch verfolgt, willkürlich festgenommen und
daran gehindert, gewerkschaftliche Organisationen zu gründen. In der Kon-
sequenz sind weniger als 5 Prozent der kolumbianischen Arbeitnehmer ge-
werkschaftlich organisiert und weniger als 2 Prozent profitieren von Tarif-
verträgen.

Die Verteidigerinnen/Verteidiger der Menschenrechte werden stigmatisiert und
angeklagt, Verbindungen zu aufständischen Gruppen zu haben, was ihr Leben
in Gefahr bringt, sobald sie ihr legitimes Recht, für die Menschenrechte zu
arbeiten, ausüben.

Das Problem der ungleichen Landverteilung ist ein zentrales Element im
kolumbianischen Konflikt, ca. 5 Prozent der Bevölkerung besitzen 80 Prozent
des bebaubaren, fruchtbaren Landes. Zwei Drittel besitzen umgekehrt nur
5 Prozent des Bodens. Mehr als 4 Millionen Menschen wurden und werden als
Konsequenz des bewaffneten Konfliktes und der Interessen transnationaler
Unternehmen, die von der kolumbianischen Regierung geschützt werden,
gewaltsam vertrieben. Vor allem Bauern, Indigene und afrokolumbianische
Gemeinden sind davon betroffen. Die Verlängerung des bewaffneten Konflik-
tes hat zu einem schrittweisen sozio-ökonomischen Zerfall und weiterer sozia-
ler Ungerechtigkeit geführt.

Die kolumbianische Regierung bietet keine wirksamen Ansätze zur Lösung des
bewaffneten inneren Konfliktes an. Sie setzt weiter auf Gewalt und diskreditiert
regelmäßig Bemühungen zivilgesellschaftlicher Organisationen wie z. B. der
„Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden“, die den Konflikt auf
dem Verhandlungswege zu überwinden versuchen.

Der Abschluss eines Militärvertrages zwischen der kolumbianischen und US-
Regierung, der die Nutzung von sieben Militärbasen durch die US-Streitkräfte
auf kolumbianischem Territorium vorsieht, militarisiert Kolumbien und die
Region zusätzlich, dreht an der Aufrüstungsspirale der verschiedenen südame-
rikanischen Streitkräfte und bedroht direkt das Nachbarland Venezuela und die
von Venezuela unterstützten regionalen Integrationsbestrebungen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1015

Die demokratischen Entwicklungen in Ländern wie Ecuador, Venezuela, Uru-
guay oder Bolivien und die Anstrengungen lateinamerikanischer Regierungen,
alternative solidarische Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen, dürfen nicht durch
die voranschreitende Militarisierung auf dem Subkontinent gefährdet werden.
Lateinamerika darf kein neuer kriegerischer Schauplatz eines längst überwun-
den geglaubten ideologischen Konfliktes der Systeme werden.

Vor dem Hintergrund der Verhandlungen zum Freihandelsvertrag zwischen der
Europäischen Union und Kolumbien, der spanischen EU-Ratspräsidentschaft
und des EU-Lateinamerika-Gipfels, der im Mai 2010 in Madrid stattfinden
wird, ist es von höchster Bedeutung, dass die Menschenrechte in Kolumbien
auf der deutschen und europäischen Politikagenda stehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– innerhalb der Europäischen Union für die Beendigung der laufenden Ver-
handlungen zu einem Freihandelsabkommen mit Kolumbien einzutreten;

– sich dafür einzusetzen, dass der Frage der Menschenrechte oberste Priorität
in der Außenhandelspolitik der Europäischen Union zukommt;

– die kolumbianische Regierung anzuhalten, die bei der Internationalen Ar-
beitsorganisation verankerten und international anerkannten Arbeits- und
Vereinigungsrechte für Arbeitnehmer zu garantieren und effektiv für die Ein-
haltung international anerkannter Menschenrechte in Kolumbien zu sorgen;

– darauf zu drängen, dass die Konfliktparteien die von den Vereinten Nationen
in Bezug auf den kolumbianischen Konflikt verabschiedeten Resolutionen
erfüllen und nach einer Verhandlungslösung für den bewaffneten inneren
Konflikt suchen;

– innerhalb der Europäischen Union dafür einzutreten, dass die Verhandlungs-
ziele der Europäischen Kommission in Verhandlungen mit Ländern oder
Ländergruppen des Südens im Sinne solidarischer Wirtschaftsabkommen
verändert werden, die das Recht auf Entwicklung und die Förderung sozialer
und ökologischer Rechte der Bevölkerung über die Kapitalinteressen der
europäischen Länder stellen;

– sich für eine Entmilitarisierung der Region und den Abzug des US-Militärs
aus Kolumbien einzusetzen.

Berlin, den 15. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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